Richard Ford : Unabhängigkeitstag

Unabhängigkeitstag
Originalausgabe: Independence Day Alfred A. Knopf, New York 1995 Unabhängigkeitstag Übersetzung: Fredeke Arnim Berlin Verlag, Berlin 1995 Neuübersetzung: Brigitte Walitzek dtv, München 2015 ISBN 978-3-423-14442-1 B, 684 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Der 44-jährige Immobilienmakler Frank Bascombe gehört eher zu den Verlierern als zu den Siegern. Ausführlich erzählt er von vier Tagen im Juli 1988: Er versucht, die Miete für eines seiner eigenen Häuser einzutreiben; mit einem Ehepaar besichtigt er ein zum Verkauf stehendes Haus, und er besucht seine Freundin Sally, bevor er seinen 15-jährigen Sohn Paul bei seiner Ex-Frau abholt, um mit ihm zu zwei Halls of Fame des Sports zu fahren ...
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Kritik

Wer liest, um dem Alltag zu entfliehen, wird sich bei der Lektüre des Romans langweilen; zu empfehlen ist "Unabhängigkeitstag" nur für Leser, die genügend Zeit mitbringen.
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1969, vor neunzehn Jahren, hatten Frank Bascombe und Ann Dykstra geheiratet. Im Jahr darauf waren sie von New York nach Haddam, New Jersey, gezogen. Die Ehe zerbrach nach dem Tod ihres Sohnes Ralph: Ann verließ Frank 1984 mit dem 1973 geborenen Sohn Paul und dessen drei Jahre jüngerer Schwester. Inzwischen ist sie mit dem Architekten Charley O’Dell verheiratet und lebt mit ihrer neuen Familie in Deep River, Connecticut.

Früher war Frank Sportreporter, aber während einer Midlife-Crisis vor fünf Jahren hörte er zu schreiben auf und fing schließlich als Makler bei der Immobilienagentur Lauren-Schwindell in Haddam an. Zusätzlich zu dem von ihm seit 1970 bewohnten Haus kaufte er 1986 zwei benachbarte Immobilien im Farbigenviertel. Die eine davon steht inzwischen leer, weil die Mieter nach Cape Canaveral zogen. In dem anderen Haus wohnt Larry McLeod, ein früher militanter Afroamerikaner mit seiner weißen Frau Betty und den beiden Kindern Nelson und Winnie. Vor einiger Zeit beteiligte sich Frank außerdem an dem Rootbeer-Laden des damals beinahe bankrotten Witwers Karl Bemish. Dass Karl einen alten Armeerevolver hat, gefällt Frank gar nicht, aber sein Partner fühlt sich von ein paar in der Gegend herumstreichenden Mexikanern bedroht.

Frank wurde im April 1988 selbst auf der Straße von drei Jungs überfallen; sie schlugen den Vierundvierzigjährigen mit einer großen Pepsiflasche nieder, und zwar nur aus Übermut, ohne ihn auszurauben. Im Monat darauf wurde seine afroamerikanische Kollegin Clair Devane, mit der er vor zwei Jahren eine kurze Affäre gehabt hatte, in einer zu besichtigenden Wohnung gefesselt, vergewaltigt und erstochen.

Am 1. Juli 1988 versucht Frank vergeblich, bei den McLeods die Miete zu kassieren. Betty McLeod, die mit den Kindern an die Tür kommt, behauptet, ihr Mann sei nicht da, obwohl die Toilettenspülung zu hören ist. Die greise und seit einem Jahr verwitwete Nachbarin Myrlene Beavers blickt von ihrer Veranda herüber, erkennt Frank nicht, hält ihn für einen Einbrecher und alarmiert die Polizei. Ein Streifenpolizist fährt vor und überprüft Franks Identität.

Mit dem Ehepaar Joe und Phyllis Markham, dem Frank in den letzten Monaten fünfundvierzig Häuser gezeigt hat, besichtigt er das zum Verkauf stehende Haus von Ted Houlihan, der an Hodenkrebs erkrankt ist und sich deshalb von seinem in Tucson als Chirurg praktizierenden Sohn operieren lassen will. Das Haus gefällt Joe, aber als Phyllis hört, dass sich hinter einer die Grundstücksgrenze bildenden Mauer ein Gefängnishof befindet, zuckt sie zurück, und die beiden können sich wieder nicht entscheiden.

Ein paar Stunden später wird Frank am Telefon von Joe Markham unflätig beschimpft. Die Markhams wollen Ted Houlihans Haus nicht und nehmen sich jetzt eine Maklerin aus einer mit Lauren-Schwindell konkurrierenden Agentur.

Am Abend fährt Frank nach South Mantoloking zu Sally Caldwell, mit der er seit zehn Monaten befreundet ist. Wally Caldwell, ihr Ehemann, hatte sie und die beiden Kinder vor zwanzig Jahren, nachdem er aus Vietnam zurückgekehrt war, ohne weitere Erklärung verlassen. Sally betreibt eine Agentur zur Vermittlung von Broadway-Karten für Personen, die tödlich erkrankt sind und sich noch einmal eine Freude machen wollen.

Frank und Sally essen zusammen im Strandhaus der Zweiundvierzigjährigen, aber es wird ein trauriger Abend, denn keiner von ihnen kann sich entschließen, etwas zu unternehmen und Sally fordert ihren Freund auch nicht dazu auf, bei ihr zu übernachten.

So kommt es, dass Frank losfährt und die Nacht auf den 2. Juli im Motel Sea Breeze verbringt, wo bei seiner Ankunft gerade zwei Jugendliche festgenommen werden, die in eines der Apartments einbrachen, ein Ehepaar ausraubten und den Mann ermordeten.

Am nächsten Morgen will Frank, wie verabredet, seinen fünfzehnjährigen Sohn Paul in Deep River zu einer achtundvierzigstündigen Vater-Sohn-Tour abholen. Dass er vor dem Haus eine tote Krähe aufhebt und sie ins Gebüsch wirft, findet ein Streife fahrender Security Guard verdächtig. Nachdem der Wachmann ausgestiegen ist, fordert er Frank auf, seinen Ausweis auf die Motorhaube zu legen und zehn Schritte zurückzutreten.

Während Frank auf Paul wartet, redet er mit Ann. Sie meint:

„Du weißt ja wahrscheinlich noch nicht mal, warum das mit dir und mir auseinandergegangen ist.“ […]
„Ich habe mehrfach zu Protokoll gegeben“, sage ich, um fair und geradeaus zu antworten, „wie ich es sehe. Unser Sohn ist gestorben und du und ich, wir haben versucht, damit fertig zu werden, haben es aber nicht geschafft. Dann bin ich eine Weile fortgegangen und hatte ein paar Freundinnen, und du hast die Scheidung eingereicht, weil du mich loswerden wolltest.“ […]
„Ich habe mich von dir scheiden lassen“, sagt sie langsam und sehr genau, „weil ich dich nicht mochte. Und ich mochte dich nicht, weil ich dir nicht traute. Hast du mir je die Wahrheit gesagt, die ganze Wahrheit?“ (Seite 449f)

Endlich ist Paul fertig, und sie können los. Als Erstes fährt Frank mit ihm nach Springfield, Massachusetts, um ihm dort die Basketball Hall of Fame zu zeigen. Unterwegs fragt er Paul:

„Wir sind bald da. Freust du dich darauf?“
„Jaaa“, sagt er. „Weil ich pinkeln muss, wenn wir da sind.“ (Seite 466f)

Vor zweieinhalb Monaten wurde Paul von einer vietnamesischen Ladendetektivin dabei erwischt, wie er drei Schachteln Kondome stahl. Sie hielt ihn fest, aber er beschimpfte sie nicht nur, sondern schlug und trat auch nach ihr. Ann bekam ihn zwar nach einer Stunde wieder frei, aber die Detektivin zeigte ihn wegen Körperverletzung an. Den Gerichtstermin hat er noch vor sich.

Aber nicht nur wegen des kriminellen Delikts macht sich Frank Sorgen um seinen Sohn. Paul ist psychisch auffällig: So spricht er zum Beispiel mit nicht anwesenden Personen und gibt unvermittelt eigenartige Töne von sich. Er hat wohl auch nicht verwunden, dass vor ein paar Jahren sein über alles geliebter Hund überfahren wurde. Mitten im Satz imitiert er Kläfflaute. Frank traut ihm ohne weiteres zu, dass er die Krähe tötete, die er vor dem Haus in Deep River fand. Von sich selbst sagt Paul, dass er es berunruhigend finde, wenn er sich dabei beobachtet, wie er „denkt, er denke“.

Die Vorstellungen, die Eltern von dem haben, was mit ihrem Kind in Ordnung ist oder nicht, sind wahrscheinlich weniger zutreffend als die des Nachbarn, der das Leben des Kindes mit einem einzigen Blick durch die Gardine perfekt erfasst. (Seite 31f)

Ich bin sehr darauf bedacht, keine Fehler zu machen, will ihn weder ausquetschen noch mit ihm streiten, will nicht sein Therapeut sein, sondern sein Vater […] Das Schlimmste am Vatersein ist, dass ich erwachsen bin. Ich spreche nicht die richtige Sprache, ich werde nicht von denselben Ängsten und Unsicherheiten und verpassten Chancen geplagt. (Seite 32)

Von Springfield fahren Frank und Paul weiter nach Cooperstown, New York, wo sie im Deerslayer Inn absteigen. Sie haben vor, sich hier am nächsten Morgen die Baseball Hall of Fame anzuschauen und dann weiter zum Angeln an den Lake Otsego zu fahren. Am 4. Juli, dem Unabhängigkeitstag – so ist es ausgemacht – soll Frank seinen Sohn in New York City Ann übergeben.

Auf dem Anrufbeantworter hat Phyllis Markham eine Nachricht hinterlassen: Sie und Joe möchten nun doch das Haus von Ted Houlihan kaufen. Aber durch ein Telefongespräch mit Ted erfährt Frank, dass dieser sein Haus inzwischen trotz des Exklusivvertrags mit Lauren-Schwindell über einen konkurrierenden Makler verkauft hat.

Weil der Eingang der Baseball Hall of Fame in Cooperstown am 3. Juli von Demonstranten blockiert wird, bringt Frank seinen Sohn stattdessen zum Doubleday-Stadion, wo Paul in einem „Dyno-Express-Käfig“ – in dem man von einer Maschine herausgeschleuderte Bälle mit einem Baseballschläger zu treffen versucht – von einem Baseball ins Auge getroffen wird.

Die Sanitäter bringen Paul ins Krankenhaus von Oneonta, wo die Ärztin Dr. Tisaris eine Netzhautablösung diagnostiziert und zu einer sofortigen Operation rät. Frank ruft Ann an, die einen Hubschrauber chartern und vor einem Eingriff selbst mit den Ärzten sprechen will. Einige Stunden später landet sie mit dem sechzigjährigen erfahrenen und mit ihrem Ehemann befreundeten Ophtalmologen Henry Burris. Bevor Frank merkt, dass sie eingetroffen ist, hat Dr. Burris Paul schon untersucht und mit Ann vereinbart, dass der Junge von ihm in Yale operiert wird. Der Hubschrauber, der ihn nach New Haven bringen soll, ist bereits gelandet.

Allein kehrt Frank nach Haddam zurück. Joe und Phyllis Markham, denen er inzwischen mitteilte, dass Ted Houlihans Haus nicht mehr zu haben ist, wollen nun Franks Haus im Farbigenviertel mieten.

Von seinem Partner Karl Bemish erfährt Frank, dass die drei verdächtigen Mexikaner geschnappt wurden, als sie einen Laden überfielen, der einem früheren Polizisten gehört. Der Besitzer schoss sie alle nieder.

Eigentlich wollte Frank sich am Unabhängigkeitstag in New York mit Sally treffen, doch aufgrund des Unfalls wartet sie vergeblich auf ihn. Als er sie im Hotel anruft, zeigt sie Verständnis, und Frank macht sich Hoffnungen auf eine gemeinsame Zukunft. (Aus dem Roman „Die Lage des Landes“ wissen wir, dass die beiden heiraten.)

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„Unabhängigkeitstag“ ist der mittlere Teil einer Romantrilogie von Richard Ford, zu der außerdem „Der Sportreporter“ (1986) und „Die Lage des Landes“ (2006) gehören. Alle drei Romane drehen sich um den Ich-Erzähler Frank Bascombe. „Unabhängigkeitstag“ spielt an den ersten vier Tagen des Monats Juli 1988. Der frühere Sportreporter Frank Bascombe, der seit einigen Jahren als Immobilienmakler tätig ist, versucht, die Miete für eines seiner eigenen Häuser einzutreiben; mit einem Ehepaar besichtigt er ein zum Verkauf stehendes Haus, und er besucht seine Freundin Sally, bevor er am 2. Juli zu seiner Ex-Frau fährt und seinen fünfzehnjährigen Sohn Paul abholt, um mit ihm eine achtundvierzigstündige Tour zu den Baseball Halls of Fame in Springfield, Mass., und Cooperstown, N. Y., machen.

Für die Schilderung dieser Vorgänge benötigt Richard Ford bzw. Frank Bascombe 800 Seiten. Frank Bascombe erzählt minutiös von langen Autofahrten, erwähnt jedes Abbiegen, jeden Halt und gibt jedes Telefongespräch nicht nur Wort für Wort wieder, sondern einschließlich dessen, was er sich denkt und was er während des Telefonierens beobachtet.

Wie der Pinsel eines pointillistischen Malers setzt sie [die Redseligkeit Frank Bascombes] ihre Detailtupfer, und dies nicht selten so ausdauernd und obsessiv, dass man als Leser die Geduld verliert und den Roman erschöpft und befremdet beiseite legt. So gründlich ist hier dem Erzählen jene Spannung abhanden gekommen, die aus einem gut gebauten Plot resultiert. (Lothar Müller, Süddeutsche Zeitung, 21. Juli 2007)

Frank Bascombe führt das Leben eines Durchschnittsamerikaners, eher eines Verlierers als eines Siegers. Auch unter den Nebenfiguren ist kaum ein Amerikaner, der zielstrebig, energisch und entscheidungsfreudig auf Erfolge zusteuert. Aber gerade die ausführliche Darstellung des Trivialen wirkt realistisch und authentisch. Wer vor allem liest, um dem Alltag zu entfliehen und spannende Abenteuer mitzuerleben, wird sich bei der Lektüre des dicken Romans langweilen; empfehlenswert ist „Unabhängigkeitstag“ nur für Leser, die genügend Zeit mitbringen, sich für ein realistisches Panorama der verunsicherten US-Gesellschaft interessieren und Freude an unterschwellig tragikomischen Episoden haben.

Für seinen Roman „Unabhängigkeitstag“ erhielt Richard Ford den Pulitzerpreis.

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2007
Textauszüge: © Berlin Verlag

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