C. S. Forester : Tödliche Ohnmacht
Inhaltsangabe
Kritik
Majorie („Madge“) Grainger ist 32 Jahre alt. Ihr Ehemann Edward („Ted“) ist bei der örtlichen Gas-Gesellschaft beschäftigt. Das seit neun Jahren verheiratete Paar wohnt mit den beiden Kindern – der siebenjährigen Anne und dem dreijährigen Derrick – in einer Doppelhaushälfte in einer Londoner Vorstadt direkt an einer Bahnstrecke. Ted nimmt auf seine Frau keine Rücksicht; er hängt mit seinen Saufkumpanen in Kneipen herum, betrügt sie wohl auch, und wenn ihm danach ist, erwartet er von Majorie, dass sie ihm zur Verfügung steht. Inzwischen hat sie gelernt, dass es besser für sie ist, sich nicht dagegen zu wehren. Sie liebt ihn längst nicht mehr; er ist ihr nur noch lästig und zuwider.
Nicht weit von Majorie und ihrer Familie wohnt ihre verwitwete, 59 Jahre alte Mutter Martha Clair mit Dorothy („Dot“) Evelyn, der jüngeren Tochter. Die 28-Jährige ist seit vier Jahren als Stenotypistin bei der Fürsorgestelle beschäftigt.
Dot passt am 18. Juni auf die Kinder auf, während Ted Billard spielt und Majorie den Abend mit ihrer Schulfreundin Millicent Dunne in London verbringt.
Als Majorie gut gelaunt nach Hause kommt, riecht sie Gas. Dot liegt in der Küche auf dem Fußboden, mit dem Kopf im Gasherd. Mit angehaltenem Atem reißt Majorie Fenster und Türen auf, damit das Gas abzieht. Ihre Schwester ist tot.
Zum Glück schlafen die Kinder und bekommen nichts von all dem mit. Allerdings erfährt Anne am nächsten Tag in der Schule, dass ihre Tante sich mit Gas vergiftet habe.
Bei der gerichtsmedizinischen Untersuchung stellt sich heraus, dass Dot im dritten Monat schwanger war und erhebliche Mengen Alkohol getrunken hatte. Die Polizei geht von einem Suizid aus.
Majorie wunderte sich bereits über zwei zerbrochene Weinflaschen in der Mülltonne. Dot trank gelegentlich ein Glas Wein, aber kaum jemals mehr. Und von einer Schwangerschaft wusste Majorie auch nichts. Wieso erzählte Dot ihr nicht, dass sie einen Liebhaber hatte?
Bald darauf trifft Majorie zufällig einen von Teds Freunden. Der erzählt ihr, Ted sei beim letzten Mal zu spät zum Billardspiel gekommen.
Derrick plappert, dass Tante Dot an dem Abend, an dem sie auf ihn und seine Schwester aufpasste, sehr lustig gewesen sei und viel mit Daddy gelacht habe.
Ted behauptete, direkt vom Büro zum Billardsalon gegangen zu sein. War das eine Lüge? Traf er sich vorher noch zu Hause mit Dot? War er ihr Liebhaber? Das wäre eine Erklärung dafür, dass Dot ihrer Schwester nichts von einem Liebesverhältnis erzählte, obwohl sie sonst keine Geheimnisse voreinander hatten. Derricks Äußerungen und die beiden zerbrochenen Weinflaschen im Müll lassen darauf schließen, dass Ted seine Schwägerin betrunken machte, dann ermordete und einen Suizid vortäuschte. Damit wollte er wohl verhindern, dass seine Frau oder seine Schwiegermutter etwas von Dots Schwangerschaft bemerkten und Fragen stellten.
Martha Clair, die ohnehin noch nie etwas von ihrem Schwiegersohn gehalten hat, kommt aufgrund der Indizien ebenfalls zu der Überzeugung, dass er ihre jüngere Tochter ermordete. Weil ein Dreijähriger nicht als Zeuge vor Gericht aussagen könnte und es sonst keinen Beweis gegen Ted gibt, hat es keinen Zweck, ihn anzuzeigen. Während Majorie sich resigniert damit abfindet, einen Mörder als Ehemann zu haben, beschließt ihre Mutter, Ted zu töten. Aber nicht einmal Majorie weiht sie in ihre Absichten ein.
Martha, Dot, Majorie, Ted und die Kinder verbrachten in den letzten vier Jahren jeweils drei Wochen in einem Guardhouse an der Küste, obwohl sie dafür monatelang sparen mussten. Diesmal sagte Majorie wegen des Todes ihrer Schwester ab. Der Besitzer des Guardhouses schrieb jedoch zurück, er könne die kurzfristige Absage nicht akzeptieren und bestehe auf der Bezahlung der vereinbarten Miete.
Martha nahm nach Dots Tod Teds 24-jährigen Assistenten George Ely als Untermieter auf. Nun überredet sie ihn, den Urlaub mit ihr und ihrer Familie zu verbringen. George, der weder einen Freund noch eine Freundin hat, ist froh, endlich einmal keinen einsamen Urlaub vor sich zu haben. Er ist gern bereit, sich an den Kosten zu beteiligen und will sich eigens für die drei Wochen einen Gebrauchtwagen kaufen. Ein Auto könnte er sich zwar nicht auf die Dauer leisten, aber er beabsichtigt, es nach dem Urlaub gleich wieder zu veräußern. Ted kann zwar nicht mitkommen, weil er geschäftliche Termine für die Zeit vereinbarte, nachdem Majorie den Absagebrief an den Besitzer des Guardhouses geschickt hatte. Aber er stimmt dem Plan zu, weil er damit Geld spart und ihn die Aussicht lockt, in diesen drei Wochen ein Mädchen mit nach Hause nehmen zu können.
Es wird ein traumhafter Urlaub. Am vorletzten Abend schauen Majorie und George sich den Sonnenuntergang an. Bei dem Gedanken, dass das Glück in zwei Tagen zu Ende sein wird, kommen Majorie die Tränen, und sie klammert sich an George, der sie unbeholfen festhält.
Dann regte Marjorie sich in seinen Armen, weil eine ganze Flut von Gefühlen auf sie einströmte. Angst vor der Zukunft, Grauen vor dem Gedanken, zu Ted zurückzukehren, Furcht, diese Insel des Friedens zu verlassen, die sie so unerwartet in der Mitte ihres Lebens gefunden hatte – all das bestürmte sie einerseits; andererseits war da der Gedanke, dass dies ein Beschützer sein könnte, einer von gutmütigem und sanftem Wesen. […] Und zusätzlich zu all dem war da noch das Bedürfnis ihres Körpers. Drei Wochen Urlaub voll sorgloser Tage, Sonnenschein und Muße waren nicht ohne Wirkung auf sie geblieben.
Majorie hebt ihr Gesicht, sie küssen sich, und der unerfahrene Mann ist trunken vor Liebe und Begehren.
Am letzten Abend geht Martha ins Kino und lässt die beiden absichtlich allein im Guardhouse zurück. George hat zum ersten Mal in seinem Leben Sex mit einer Frau.
Erst während der Rückfahrt kommen den beiden Bedenken: George ist von Ted beruflich abhängig. Majorie denkt an die Kinder, die Ted zwar nichts bedeuten, die er ihr jedoch im Fall einer Scheidung nicht überlassen würde. Sie gerät ebenso wie George in Panik: Sie lieben sich, aber was sollen sie tun?
Als sie nach Hause kommen, stellt Majorie fest, dass Ted kein Geschirr gespült und nichts eingekauft hat.
„Dann muss ich erst einmal in die Läden gehen und etwas einkaufen“, sagte Marjorie.
„Das glaube ich auch“, meinte Ted.
„Ich werde dich im Auto hinfahren, Marjorie“, warf Ely ein, der gerade von der Haustür wiederkam, wo er das Gepäck aufgestapelt hatte. „Mrs Clair wird sicher nichts dagegen haben.“
„Sie vielleicht nicht, aber ich“, wandte Ted ein. „Mrs Grainger ist sehr gut in der Lage, allein einkaufen zu gehen.“
Jeden Abend kommt George nach Einbruch der Dunkelheit in den Garten, um Majorie kurz an sich zu drücken und zu küssen. Dabei müssen sie immer befürchten, von Ted oder der Nachbarin Mrs Taylor ertappt zu werden.
Martha hebt ihr ganzes Geld ab. Es sind 50 Pfund. Die ersten 8 Pfund und 6 Shilling gibt sie für ein Beil aus.
Dann passt sie Sergeant Hale ab, der hier durch die Straßen patrouilliert und auch gerufen wurde, nachdem Majorie die Leiche ihrer Schwester entdeckt hatte. Dem erfahrenen Polizist entgeht nicht, dass sie es darauf angelegt hat, mit ihm zu reden, und er hält sie deshalb für eine einsame, mitteilungsbedürftige Dame. Sie erzählt ihm kurz von dem glücklichen Urlaub und meint dann, es sei sehr bedauerlich gewesen, dass ihr Schwiegersohn nicht mitkommen konnte. Sie mache sich Sorgen um ihn, denn sein Verhalten sei in letzter Zeit etwas merkwürdig. Vermutlich habe er im Büro zu viel zu tun und sei überlastet.
Zweck dieser Mitteilung ist es, der Polizei ein Motiv für einen Selbstmord zu liefern.
Als Ted mit seiner Frau schlafen will, täuscht sie vor, ihre Tage zu haben. Aber sie weiß, dass sie damit höchstens Zeit gewinnt.
George ist ebenso eifersüchtig wie verzweifelt. Majorie muss ihm versprechen, nicht mehr mit ihrem Mann zu schlafen. Um endlich wieder einmal mit ihrem Geliebten zusammen sein zu können, kündigt Majorie ihrem Mann einen Besuch bei ihrer Freundin Millicent in London an. Dann fährt sie mit George zusammen in die Stadt.
Ted wartet ein paar Tage, dann besteht er darauf, dass Majorie ihre eheliche Pflicht erfüllt. Tapfer erklärt sie ihm, sie wolle das nicht mehr. Zu sehen, wie sie sich vor ihm fürchtet, macht Ted Spaß. Majorie rechnet damit, dass er ihr wehtut, aber er kommt auf eine wirkungsvollere Idee: Er droht, Anne aus dem Bett zu holen und das Kind zu verprügeln. Damit glaubt er Majorie in der Hand zu haben. Sie rennt jedoch hinaus auf die Straße und weiter zu ihrer Mutter und George.
Auf so eine Zuspitzung hat Martha nur gewartet. Sie und George begleiten Majorie auf dem Rückweg. Majorie ist verzweifelt.
„Was wollen wir zu ihm sagen, Mutter?“, fragte Marjorie.
„Wir sagen gar nichts zu ihm“, erwiderte Mutter grimmig. „Wir töten ihn“.
Das Beil hat sie in der Handtasche. Majorie und George hören, was Martha sagt, aber sie können nicht klar denken und gehen einfach mit ihr weiter. Durch einen Seiteneingang gelangen sie ins Haus. In der Küche fordert Martha ihre Tochter auf zurückzubleiben. Mit George betritt sie das Wohnzimmer. Majorie hört Ted fragen, was die beiden hier zu suchen hätten. Dann vernimmt sie die Stimme ihrer Mutter: „Nimm das, George!“ Es folgen die Geräusche eines dumpfen Schlages und des Aufpralls eines Körpers auf dem Boden. Ted stöhnt. Martha sagt: „Schlag noch einmal zu, George!“
Marthas Plan sieht vor, die Leiche im Dunkeln aufs Bahngleis zu legen. Es wird nach einem Selbstmord aussehen.
„Oh, jetzt macht schon“, sagte Mrs Clair unwirsch. „Wir dürfen keine Zeit mehr verschwenden. George, du nimmst ihn bei den Schultern. Jetzt reiß dich zusammen, George. Recht so. Nimm ihn bei den Schultern, ich nehme seine Beine. Mach das Licht aus, Majorie, und dann öffne die Verandatür. Dort entlang. Komm George.“
Sergeant Hale ist an diesem Abend mit einem Informanten verabredet. Weil er zehn Minuten zu früh ist und ihm einfällt, dass Mrs Clair sich Sorgen um ihren Schwiegersohn macht, schaut er noch beim Haus der Graingers vorbei. Da kommen zwei Personen heraus, die etwas Schweres tragen. „Was haben Sie da?“, fragt er und schaltet seine Taschenlampe ein. Als er sieht, dass es sich um eine Leiche handelt, will er zur Pfeife greifen, aber Martha hält seine Hand fest und fordert George auf, den Polizisten niederzuschlagen. Während die Männer miteinander kämpfen, holt Martha ihre Tochter aus dem Haus und flieht mit ihr. Sie steigen in den nächsten Bus. Am Bahnhof kauft Martha Fahrkarten nach Brighton, und zwar drei statt zwei, um die Spur zu verwischen.
Weil Majorie keinen Mantel trägt und sie kein Gepäck haben, würden sie in einem Hotel auffallen. Obwohl es kalt ist, übernachten sie auf einer Parkbank. Als die Geschäfte am nächsten Morgen öffnen, kaufen sie einen Mantel und einen Koffer. Dann geben sie sich als Touristen aus – Mrs James mit ihrer Tochter Adelaide Robinson – und nehmen sich ein Zimmer in einer Pension.
Aus der Zeitung erfahren sie, dass George verhaftet wurde und nach ihnen gefahndet wird. Was wird wohl mit den Kindern geschehen?
Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.
Majorie glaubt, Mrs Posket zu sehen, eine Nachbarin, die vier Türen weiter wohnt und in Urlaub gefahren ist. Vorsichtshalber wollen Martha und Majorie in die Pension. Die Wirtin, die gerade den Zeitungsartikel über den Mord liest, wundert sich darüber, dass die beiden angeblichen Touristinnen so früh zurück sind und sagt ihnen, dass es bis zum Mittagessen noch einige Zeit dauern werde. Martha erklärt ihr, sie seien nur gekommen, um ein vergessenes Buch zu holen, und Majorie geht hinauf ins Zimmer. Sie habe das Buch in der Tasche, behauptet sie dann, bevor sie und ihre Mutter wieder auf die Straße gehen.
Martha ahnt, dass die Wirtin Verdacht geschöpft hat. Sie und ihre Tochter wagen es nicht, die Pension noch einmal zu betreten, obwohl dies bedeutet, dass sie auf ihre Sachen verzichten müssen. Um nicht weiter aufzufallen, ist es erforderlich, dass sie sich trennen, denn es wird nach einer 59-jährigen und einer 32-jährigen Frau gesucht. Martha gibt ihrer Tochter das ganze Geld, das sie noch hat und schickt sie nach London. Dort soll sie sich in einem der Außenbezirke, wo niemand sie kennt, ein Zimmer nehmen. Martha gibt sich zuversichtlich und tut so, als besitze sie noch mehr Geld. Damit werde sie sich hier neu einquartieren, sagt sie.
Als sie aufgrund der Uhrzeit annimmt, dass Majorie in London angekommen ist, stellt sie sich der Polizei.
In Victoria Station fühlt Majorie sich kraftlos, einer Ohnmacht nahe. Sie ist nicht in der Lage, mit der U-Bahn zu fahren. Stattdessen sucht sie Zuflucht bei ihrer in der Nähe wohnenden Freundin Millicent Dunne. Die hat selbstverständlich von dem Mord gehört und wundert sich, die von der Polizei Gesuchte in der Tür zu sehen, holt sie jedoch sogleich in ihr Zimmer. Nachdem Majorie ihr berichtet hat, was geschah, schärft Millicent ihr ein, bei der Polizei und vor Gericht zu verschweigen, dass ihre Mutter auf dem Weg zum Haus von einer Mordabsicht sprach. Dann könne ihr nicht viel passieren, denn sie war weder am Mord beteiligt noch an dem Versuch, die Leiche zu beseitigen.
In der Zeitung steht, dass Mrs Clair in Brighton verhaftet wurde.
Nachts teilt Millicent ihr schmales Bett mit Majorie. Am nächsten Morgen beschwert sich die Hauswirtin darüber, dass zwei Personen in dem Zimmer übernachteten.
Majorie bedauert es, ihrer Freundin Schwierigkeiten gemacht zu haben. Sie zieht sich an, lässt sich nicht zurückhalten und geht.
Ohne bewusst ein Ziel anzustreben, kehrt sie nach Hause zurück. Dort läuft sie Sergeant Hale in die Arme.
Mrs Posket, die am Vortag aus Urlaub kam und sich darüber ärgert, erst nachträglich von dem Mord in der Nachbarschaft erfahren zu haben, beobachtet, wie Majorie festgenommen wird.
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)Sie war […] die einzige Augenzeugin der Verhaftung der berühmt-berüchtigten Mrs Grainger. Und um die Bedeutung dessen noch hervorzuheben, betonte sie in späteren Erzählungen davon stets, dass Mrs Grainger ganz gewiss schuldig sei und das Urteil des Gerichts äußerst ungerechtfertigt. Nur wenige Leute stimmen ihr zu.
Moderne Autoren von Kriminalromanen versuchen sich mit der Komplexität des Plots, der Vielzahl der Handlungsorte und der Verschachtelung der Darstellung gegenseitig zu überbieten. Das hat durchaus seinen Reiz, aber es ist wohltuend, zwischendurch einen Psychothriller zu lesen, der sogar ohne Prolog auskommt und aus einer einfachen, linear und chronologisch entwickelten Handlung besteht: „Tödliche Ohnmacht“.
Der englische Schriftsteller Cecil Scott Forester (bürgerlich: Cecil Lewis Troughton Smith, 1899 – 1966) kommt in diesem aus Majories Perspektive erzählten Rachedrama mit einer Handvoll Figuren aus. Statt auf Tempo, Action, Schockeffekte oder die Frage „Whodunit“ setzt er auf die Ausleuchtung der psychischen Vorgänge und eine sorgfältige, alle Sinne ansprechende Inszenierung. Obwohl sich C. S. Forester dabei Zeit lässt, gelingt es ihm, den Spannungsbogen bis zur letzten Zeile zu halten.
Das 1935 fertiggestellte Manuskript des Romans „Tödliche Ohnmacht“ wurde erst 2011 entdeckt und veröffentlicht.
C. S. Forester schrieb übrigens auch das Drehbuch für den Film „African Queen“.
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2013
Textauszüge: © Deutscher Taschenbuch Verlag