Tana French : Schattenstill

Schattenstill
Originalausgabe: Broken Harbour Verlag Hodder & Stoughton, London 2012 Schattenstill Übersetzung: Ulrike Wasel, Klaus Timmermann Scherz / S. Fischer Verlag, Frankfurt/M 2012 ISBN: 978-3-502-10223-6, 732 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

In einer unfertig gebliebenen Neubau­siedlung nördlich von Dublin werden Patrick Spain und seine beiden Kinder ermordet; seine Frau überlebt schwer verletzt. Mike Kennedy von der Mordkommission und ein junger Kollege übernehmen die Ermittlungen. Sie können sich zunächst die Löcher in den Zimmerwänden ebenso wenig erklären wie die vielen Babyfone und das gespannte Tellereisen auf dem Dachboden. Nach kurzer Zeit nimmt die Polizei einen Webdesigner fest, der die Spains offenbar von einer benachbarten Bauruine aus beobachtete ...
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Kritik

In dem Psychothriller "Schattenstill" geht es nicht nur um die Aufklärung eines Dreifach-Mordes, sondern auch um die Frage, wie es zum dem Verbrechen kam. Die konstruiert wirkende Geschichte wird von Tana French weitschweifig entwickelt.
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Michael („Mike“) Kennedy ist 42 Jahre alt und arbeitet seit zehn Jahren im Morddezernat der Polizei von Dublin. Im Oktober 2009 wird er von Superintendent G. O’Kelly beauftragt, die Ermittlungen in einem Mordfall in Brianstown zu übernehmen, und als Partner wird ihm der 23-jährige Richard („Richie“) Curran zugeteilt, der erst vor zwei Wochen zur Mordkommission versetzt wurde.

Mit dem Ortsnamen Brianstown weiß Mike erst etwas anzufangen, als O’Kelly ihm erklärt, die Gegend habe früher Broken Harbour geheißen. Broken Harbour kennt Mike recht gut, denn dort, nördlich von Dublin, verbrachte er als Kind jedes Jahr zwei Ferienwochen mit seinen Eltern und seinen beiden Schwestern Geraldine („Geri“) und Dina. Diese Ferien in einem gemieteten Wohnwagen waren die einzige Zeit im Jahr, in der es der depressiven Mutter Annie gut ging. Aber als Geri 16 und Mike 15 Jahre alt waren, ertränkte sich die Mutter in der letzten Feriennacht im Meer. Offenbar wollte sie auch die fünfjährige Dina mit in den Tod nehmen, aber das Kind wurde am nächsten Morgen lebend am Strand gefunden. Seit dieser Zeit ist Dina allerdings psychisch labil. Mike und Geri machen sich große Sorgen um sie, aber Geri ist verheiratet und hat mit drei Kindern viel zu tun, und Mike ist zwar von seiner Frau Laura geschieden und kinderlos, kann sich in seinem Job aber auch nicht immer freimachen, wenn Dina Hilfe benötigt.

Weil Mike als ehrgeizig und überheblich gilt, ist er bei seinen Kollegen nicht sonderlich beliebt. Sie ahnen nicht, dass die Fassade dem Selbstschutz dient und Mike sich mit seiner Arbeitswut von seinen inneren Dämonen ablenkt. Über den Suizid seiner Mutter ist er ebenso wenig wie Dina hinweggekommen, zumal er sich Vorwürfe macht, weil ihn seine Mutter am letzten Abend gebeten hatte, sich noch für eine Weile zu ihr zu setzen, er aber zu seiner damaligen Freundin Andrea wollte und sie deshalb allein ließ.

Als Erstes fahren Mike und Richie zum Tatort in Brianstown. Die Neubau-Siedlung dort wurde in den Prospekten als „Ocean View“ angepriesen, aber nur wenige zwischen Bauruinen verstreute Häuser sind bewohnt, und es gibt weder Läden noch Gaststätten. Die Toten liegen in einer Doppelhaus-Hälfte, deren anderer Teil leer steht. Bei den Toten handelt es sich um Patrick Spain und seine beiden sechs bzw. drei Jahre alten Kinder Emma und Jack; die 29-jährige Mutter Jennifer überlebte schwerverletzt und liegt im Koma. Ihre zwei Jahre jüngere Schwester Fiona Rafferty, eine Dubliner Fotografin, alarmierte die Polizei, nachdem sie die Toten am Morgen entdeckt hatte.

Es sieht so aus, als seien die Kinder in ihren Betten erstickt worden. Blutspuren gibt es im Obergeschoss nicht, aber in der Küche ist alles voller Blut. Dort wurde auf die beiden Erwachsenen augenscheinlich mit einem Messer eingestochen, und es fand ein heftiger Kampf statt. Eine Lücke in einem Messerset weist zwar auf die Tatwaffe hin, sie liegt jedoch weder im Haus noch in der Umgebung. Ersten Ergebnissen zufolge trat der Tod gegen 5 Uhr morgens ein. An den Innenwänden des Neubaus klaffen rätselhafte Löcher. Ebenso seltsam sind die zahlreichen Babyfone für akustische und optische Überwachung. Eines der Geräte ist auf die offene Luke zum Dachboden gerichtet, und dort oben stoßen die Ermittler auf ein gespanntes Tellereisen, mit dem man einen Wolf hätte fangen können. Auf der Festplatte des PCs wurde um 4.08 Uhr der Browserverlauf und um 4.11 Uhr die Outlook-Datei gelöscht. Abdrücke von einem Lederhandschuh werden sichergestellt.

Jennifer Spain hatte bis zur Geburt der Kinder in der PR-Branche gearbeitet. Patrick war bis zu seiner Entlassung im Frühjahr in der Personalberatung tätig gewesen. Seine Arbeitslosigkeit zwang die Familie, sich einzuschränken. Der SUV wurde verkauft, und mit der Ratenzahlung für das Haus gerieten die Spains in Rückstand. Jennifer nahm Jack nicht nur Ende Juni aus dem Kindergarten, sondern unterband auch seine Kontakte beispielsweise zu seinem Freund Karl Rooney. In den letzten Monaten luden die Spains niemanden mehr ein und gingen auch nicht mehr aus. Vermutlich reichte das Geld nicht mehr für Einladungen, und soziale Kontakte wären ohnehin wegen der unübersehbaren finanziellen Probleme peinlich gewesen – besonders in den neureichen Kreisen, denen die Spains früher angehört hatten.

In einem der unbewohnten Nachbarhäuser entdeckt die Polizei einen Schlafsack und andere Utensilien, die darauf hindeuten, dass sich jemand heimlich einquartiert hat. Allerdings sieht es nicht nach einem Obdachlosen aus, eher nach einem Spanner oder Stalker, denn von dort aus hat man einen unverstellten Blick auf das Haus der Spains. Mit einem Feldstecher sieht man sogar das Tastenfeld der Alarmanlage.

Es dauert nicht lang, bis der Mann auftaucht und von der Polizei überwältigt wird. Conor Brennan, so heißt er, ist ein Webdesigner aus Killester nördlich von Dublin. Bei der Vernehmung gesteht er, die Familie Spain beobachtet und schließlich ermordet zu haben. Aber Mike und Richie gelingt es nicht, ein Tatmotiv herauszufinden.

Brennans Auto findet die Polizei am Rand der Neubausiedlung „Ocean View“. In dem Wagen werden nicht nur Blutspuren sichergesellt, sondern auch der Abdruck eines Turnschuhs, der einem anderen auf dem blutigen Küchenboden der Spains entspricht. Außerdem verfügte Brennan offenbar über einen Schlüssel für die Hintertür des Hauses der Spains. Damit konfrontiert, behauptet er, den Schlüssel gefunden zu haben und gibt zu, mehrmals heimlich im Haus gewesen zu sein. Die Alarmanlage konnte er ausschalten, weil er die Kombination aufgrund seiner Beobachtungen kannte. Sein wiederholtes Eindringen in das Haus erklärt, warum Jennifer Spain ihrer Schwester sagte, sie habe immer wieder den Eindruck, es sei jemand da gewesen.

Von einem Einbrecher in der Siedlung haben die Nachbarn Gogan nichts mitbekommen. Aber der Sohn Jayden gibt zu, den eigenen Schlüssel für die Hintertür an unbewohnten Häusern ausprobiert zu haben. Bei jedem zweiten Haus passte er. Für 10 Euro überließ er den Schlüssel einen Tag lang einem Unbekannten, der ihm erklärt hatte, er suche ein Nachtquartier in einem leer stehenden Haus, weil sein eigenes durch einen Wasserschaden unbewohnbar sei. Auf Fotos identifiziert der Junge Conor Brennan als den Mann, dem er den Schlüssel lieh. Mike und Richie erfahren darüber hinaus, dass sich hin und wieder die Frequenzen der Babyfone der Gogans und der Spains überschnitten und Sinéad Gogan bei diesen Gelegenheiten die Nachbarn belauschte. Im September hörte sie beispielsweise, wie Jennifer Spain ihren Kindern einschärfte, zum Vater besonders lieb zu sein. Das könnte auf Gewalt in der Familie hinweisen, und Sinéad Gogan hält es für möglich, dass Patrick Spain seine Frau und die Kinder nicht nur schlug, sondern am Ende auch ermordete bzw. umzubringen versuchte. Sie mochte die neureichen Nachbarn mit ihrem SUV von Anfang an nicht. Dabei spielte vermutlich Neid eine entscheidende Rolle, denn ihr 32 Jahre alter Mann Niall ist seit längerer Zeit arbeitslos, und das Geld reicht hinten und vorne nicht. Sinéad Gogans Verbitterung wird durch die Enttäuschung über das billig gebaute neue Haus und ihre Vereinsamung in der unfertig gebliebene Siedlung noch verstärkt.

Erst bei der Vernehmung Fiona Raffertys stellt sich heraus, dass Conor Brennan bis vor etwa zwei Jahren ein enger Freund der Familie Spain war. In der Jugend bildeten Patrick („Pat“), sein zwei Jahre jüngerer Bruder Ian, Jennifer („Jenny“), Fiona und Conor mit drei anderen zusammen eine Clique. Fiona ging damals vier Monate lang mit Conor, aber als sie merkte, dass er heimlich in Jenny verliebt war, beendete sie die Liebesbeziehung. Jenny war für Conor allerdings unerreichbar, denn sie und Pat galten von Anfang an als Traumpaar. Als sie mit 22 heirateten, war Conor der Trauzeuge seines engsten Freundes Pat, und später wurde er auch Emmas Taufpate. Die Freundschaft zwischen Jenny, Pat und Conor zerbrach wegen des Hauses in „Ocean View“. Als die Spains ihm vor drei Jahren von dem Projekt vorschwärmten und ihm den Prospekt zeigten, war er entsetzt über ihre Gutgläubigkeit, denn es war abzusehen, dass es sich um ein unsolides Vorhaben handelte. Damals verheimlichte Conor noch seine Bedenken, um Pat und Jenny nicht die Freude zu verderben. Aber bevor sie vor zwei Jahren den endgültigen Kaufvertrag unterschrieben, wies er sie auf Fragwürdigkeiten hin. Pat hatte inzwischen selbst Zweifel, hielt jedoch an dem Haus fest, um die Anzahlung nicht zu verlieren und verdrängte die Bedenken. Er reagierte deshalb besonders heftig auf Conors Einwände, und sie überwarfen sich.

Durch die zum Teil wiederhergestellten Dateien auf der Festplatte wissen die Ermittler inzwischen, dass Patrick Spain wegen eines Tieres, das er zunächst nur auf dem Dachboden und dann auch in den Wänden hörte, in Internet-Foren für Schädlingsbekämpfung Rat suchte. Am 31. August wurde das von ihm bestellte Tellereisen geliefert. Jenny scheint die Geräusche nie gehört zu haben. Mike und Richie halten es für denkbar, dass Brennan im Haus der Spains einen MP3-Player mit Fernsteuerung und Lautsprecher versteckte. Damit und mit seinen wiederholten Einbrüchen könnte er versucht haben, die früheren Freunde in den Wahnsinn zu treiben.

Eines Morgens, als Mike ins Polizeipräsidium kommt, empfängt in sein fieser Rivale Quigley mit einem Beweismittelbeutel in der Hand. In dem von Richie beschrifteten Beutel befindet sich ein abgebrochener Fingernagel, dessen Lack erkennen lässt, dass er von Jennifer Spain stammt. An dem Fingernagel haftet ein rosafarbener Wollfussel. Als Fundort hat Richie den Teppichboden in Conor Brennans Wohnzimmer notiert. Den habe soeben eine hysterische junge Frau vorbeigebracht, erklärt Quigley. Sie wollte zu Mike, und Quigley hält sie für eine Geliebte des Kollegen, aber Mike begreift aufgrund der Beschreibung, dass es sich um seine Schwester Dina handelte.

Der Fingernagel mit dem Wollfussel könnte beweisen, dass Jennifer ihren Mann und ihre Kinder tötete. Warum hat Richie nichts davon gesagt und das Beweismittel nicht abgegeben? Weil sich der Beutel inzwischen in den Händen einer Zivilperson befand, die den Inhalt manipuliert haben könnte, ist das Beweismittel vor Gericht nicht mehr verwertbar. Und Mike ist sich darüber im Klaren, dass Quigley einen Bericht schreiben wird, um ihm und Richie zu schaden.

Sobald sein Partner auftaucht, stellt Mike ihn aufgebracht zur Rede. Richie erklärt ihm, warum er zögerte, ihn über den Fund zu informieren und den Fingernagel abzugeben. Er ging davon aus, dass Jennifer Spain aus Verzweiflung gehandelt habe und mit ihren Schuldgefühlen genügend bestraft sei. Mit einer langen Haftstrafe wäre niemandem gedient, meint er. Deshalb spielte er mit dem Gedanken, Jennifer Spain nicht zu belasten, Conor Brennan freizulassen und im Abschlussbericht den Toten Patrick Spain als Täter darzustellen. Mike, der sich stets um korrektes und vorschriftsmäßiges Verhalten bemüht, ist entsetzt darüber, dass sein Partner vorhatte, selbst Richter zu spielen. Es kommt noch schlimmer: Nachdem Dina sich mit ihrem Bruder gestritten hatte, suchte sie Zuflucht bei dessen Partner, schlief mit Ritchie und nahm am nächsten Morgen den auf dem Nachttisch liegenden Beweismittelbeutel mit. Frustriert schickt Mike den jungen Polizisten nach Hause. Dort soll er auf seine Rückversetzung in den Innendienst warten.

Jennifer Spain erwachte vor ein paar Tagen aus dem Koma, und inzwischen haben die Ärzte die Schmerzmitteldosis so weit reduziert, dass Mike sie vernehmen kann. In wenigen Tagen soll sie aus dem Krankenhaus entlassen werden.

Als Mike sie darüber unterrichtet, dass Conor Brennan unter Mordverdacht inhaftiert ist, reagiert sie verblüfft und meint, die Unschuld ihres Freundes werde sich bald erweisen. Mike durchschaut, dass sie vorhat, sich das Leben zu nehmen und Brennan in ihrem Abschiedsbrief zu entlasten. Deshalb erklärt er ihr, dass er selbst Brennan auch nicht für den Mörder halte, das Gericht ihn allerdings aufgrund der Beweislage mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verurteilen werde.


Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.


Jennifer Spain erzählt dem Kommissar unter vier Augen, Pat habe furchtbar unter der Arbeitslosigkeit gelitten und sich seit Ende Mai oder Anfang Juni eingebildet, ein Tier im Haus zu hören. Er stellte Babyfone auf und saß bis 5 Uhr morgens vor den Monitoren. Bald wäre er gar nicht mehr in der Lage gewesen, sich erfolgreich um eine neue Anstellung zu bewerben; sein Denken kreiste nur noch um den vermeintlichen Schädling. Als Jennifer klar wurde, dass er sich in einem Wahn verfangen hatte, meldete sie Jack aus dem Kindergarten ab – nicht wegen des Geldes, sondern weil der Dreijährige unbekümmert herumerzählte, dass sein Vater dabei sei, im Haus ein wildes Tier zu fangen und Jennifer nicht wollte, dass die Leute an Pats Verstand zweifelten. Sie versuchte noch mehr als zuvor, im Haushalt und in der Kindererziehung alles perfekt zu machen, weil sie hoffte, damit ihren Mann zu entlasten. Allerdings setzte sie sich damit selbst unter hohen Druck, und Pat fiel es in seiner Besessenheit kaum auf. Jennifer befürchtete bald, selbst geisteskrank zu werden, denn es kam vor, dass sie sich auszog, um zu duschen und dann merkte, dass ihr Haar bereits nass war. Sie wusste nicht, ob sie sich die Einbrüche einbildete, oder ob die von ihr bemerkten Veränderungen im Haus real waren. Weil Pat schließlich glaubte, das Tier sei vom Dachboden heruntergekommen, schlug er ein Loch nach dem anderen in die Wände, um es zu erwischen. Und als Jennifer protestierte, meinte er nur, das Haus werde in ein paar Monaten ohnehin der Bank gehören.

Gegen Ende einer Nacht schreckte Emma kreischend aus einem Albtraum hoch. Jennifer eilte zu ihr. Das Kind glaubte, das Tier sei im Schrank und fürchtete sich. Pats Wahn hatte sich also auch auf die Sechsjährige übertragen. Jennifer blieb bei ihr am Bett, bis sie wieder eingeschlafen war. Dann schaute sie nach Pat. Der saß mit einem Messer in der Hand auf dem Boden der Küche vor einem Loch in der Wand, hielt eine „Köderhand“ hinein und wartete auf das Auftauchen des Tiers. Als Jennifer ihn ansprach, sagte er:

Ich weiß, du hast es nicht verdient, so zu leben. Du hast alle schicken Kleider und teuren Vorhänge der Welt verdient. Emma hat Tanzstunden verdient, Jack hat Tickets für Manchester United verdient. Und es macht mich fertig, dass ich euch das nicht bieten kann. aber wenigstens das hier, diese eine Sache, die kann ich für euch tun. Ich kann diesen kleinen Scheißer erwischen. Wir lassen ihn ausstopfen und hängen ihn uns an die Wohnzimmerwand.

Da ging Jennifer hinauf und erstickte die Kinder mit Kissen. Dann kehrte sie in die Küche zurück, nahm Pat das Messer ab und stach es ihm in die Brust. Zunächst starrte er sie verwundert an. Dann wehrte er sich und kämpfte mit ihr, bis er zusammenbrach. Jennifer rammte sich daraufhin das Messer in den eigenen Leib, um ihrem Mann und den Kindern in den Tod zu folgen. Unerwartet kam Conor zur Hintertür herein. Sie hielt ihn davon ab, einen Krankenwagen zu rufen, überzeugte ihn davon, dass sie nicht weiterleben wollte, drückte ihm das Messer in die Hand und brachte ihn dazu, ihr noch einen Stich zu versetzen.

Jennifers Fingernagel muss eingerissen sein, als Emma sich gegen das Ersticken wehrte. Der Wollfussel stammt von einer Stickerei auf dem Kissen. Als Brennan sie dann in die Arme nahm, löste sich der Fingernagel ganz ab und verfing sich in seinem Pullover.

Fiona Rafferty wartet vor dem Krankenzimmer ihrer Schwester. Mike Kennedy setzt sich zu ihr und merkt ihr an, dass sie weiß, wer Pat und die Kinder tötete. Er teilt ihr mit, dass Jennifer soeben alles gestanden habe, allerdings ohne Zeugen und ohne Aufzeichnung, also gerichtlich nicht verwertbar. Er lässt nun auch Fiona Rafferty glauben, dass Conor Brennan aufgrund der Indizien keine Chance auf einen Freispruch habe, sondern wegen dreifachen Mordes und eines Mordversuchs mit einer lebenslangen Haftstrafe zu rechnen habe. Jennifer könnte das mit einem Geständnis vor Gericht verhindern, werde sich aber stattdessen bei der ersten Gelegenheit das Leben nehmen, meint er. Um sie davon abzuhalten und es dem Gericht zu ermöglichen, die Wahrheit herauszufinden, müsse er die Suizidgefährdete verhaften, sagt Mike. Weil jedoch der Fingernagel mit dem Wollfussel nicht mehr als Belastungsmaterial zu gebrauchen ist, will der überkorrekte Kommissar zum ersten Mal einen Beweis fälschen, und er stiftet Fiona dazu an, ihm dabei zu helfen.

Nachdem er sie überredet hat, fährt er mit ihr zum Haus der Familie Spain. Für die neugierigen Nachbarn soll es so aussehen, als wolle Fiona Wäsche und Kleidung für ihre Schwester holen, dürfe jedoch das noch versiegelte Haus nicht betreten. Sie bleibt deshalb beim Auto, während Mike hineingeht. Das Einzige, auf das es ihm ankommt, ist ein Armreif. Den präpariert er mit Haaren aus Emmas Haarbürste. Als er wieder nach draußen kommt, steckt er Fiona unauffällig den Armreif zu, und sie tut wegen der gaffenden Nachbarn so, als habe sie gerade etwas in ihrer Manteltasche gefunden. Deutlich sichtbar übergibt sie ihm den Armreif, den er daraufhin in einen Beweismittelbeutel verpackt. Ihre vorher abgesprochene Aussage lautet, sie habe das Schmuckstück ihrer Schwester unmittelbar nach der Entdeckung der Leichen am Fuß der Treppe gefunden, eingesteckt und in der ganzen Aufregung erst wieder daran gedacht, als sie vor dem Haus auf den Kommissar wartete.

Zurück im Polizeipräsidium, muss Mike Kennedy sich bei Superintendent G. O’Kelly melden. Quigley war schon vor ihm beim Chef, aber der möchte vor einer Entscheidung auch Mike Kennedys Darstellung der Sache mit dem Fingernagel hören. Nach Mike Kennedys Bericht ist er überzeugt, dass Jennifer Spain die Täterin ist. Weil der Fingernagel jedoch nicht mehr als Beweismittel zu gebrauchen sei, meint er, sie könne nicht überführt werden. Da nimmt Mike den Beutel mit dem Armreif aus der Tasche. Der erfahrene Chef der Mordkommission argwöhnt sogleich, dass es sich um ein untergeschobenes Beweismittel handeln könnte, aber sein Wunsch nach einer erfolgreichen Aufklärung des Aufsehen erregenden Mordfalls ist stärker: O’Kelly verdrängt seinen Verdacht. Er schätzt Mike Kennedy und meint, der Detective werde mit einem Rüffel davonkommen. Aber Mike erklärt, er werde nach dem Abschluss des Falls den Polizeidienst quittieren.

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Der Originaltitel dieses Romans von Tana French lautet „Broken Harbour“. Das macht Sinn. Warum man für die deutsche Übersetzung den Titel „Schattenstill“ gewählt hat, erschließt sich zumindest nicht aus dem Inhalt.

Es handelt sich um einen Psychothriller, aber auf den 730 Seiten geht es nicht nur um die Aufklärung eines dreifachen Mordes, sondern vor allem auch um die Umstände, die das Verbrechen auslösten. In diesem Zusammenhang prangert die seit 1990 in Irland lebende amerikanisch-italienische Schriftstellerin Tana French (* 1973) den Bau billiger Neubausiedlungen durch Immobilienspekulanten an, denen es nur ums Geld geht. Sobald sie nicht mehr genügend Kaufinteressenten finden, die ihre Versprechungen über blühende Gemeinden glauben, erweist sich die Finanzierung als Schneeball­system. Die Verantwortlichen verschieben dann die restlichen Gelder ins Ausland und melden Konkurs an. Wenn die getäuschten Käufer, die in der Hoffnung auf massive Wertsteigerungen bis zu 110 Prozent Kredit aufgenommen haben, die zahlreichen Mängel an ihrem Haus entdecken, ist es zu spät. Dann wohnen sie bereits in einer Geisterstadt mit Bauruinen und leer stehenden Häusern ohne Läden und Gaststätten. Am Schlimmsten trifft es Hauseigentümer wie Patrick Spain, die in der Rezession arbeitslos werden und ihre Raten nicht mehr bezahlen können. Die Verzweiflung, die Betroffene wie Patrick Spain erfasst, wird von Tana French in „Schattenstill“ mit grellen Farben ausgemalt. Dennoch halte ich die damit verbundene Gesellschaftskritik in ihrem Roman für trivial. Das gilt auch für die Veranschaulichung der unscharfen Grenze zwischen Gut und Böse.

Tana French überlässt das Wort in „Schattenstill“ einem Ich-Erzähler, den Tana French bereits als Nebenfigur in ihrem Roman „Sterbenskalt“ (2010) einführte. Es handelt sich um Mike Kennedy, den Leiter der Ermittlungen in dem Mordfall. Dessen Sichtweise ist selbstverständlich subjektiv, aber seine Wahrnehmung ist auch noch durch ein traumatisches Erlebnis in der Jugend kräftig verschoben. Darüber hinaus drohen ihn Probleme in seinem persönlichen Umfeld von der Ermittlungsarbeit abzulenken. Dass er sich hinter einer Fassade aus Ehrgeiz und Arroganz verschanzt, macht den Charakter noch interessanter.

Der Ich-Erzähler wendet sich zwischendurch in Umgangssprache direkt an die Leserinnen und Leser:

Wenn sich das für Sie banal anhört, wenn es sich öde oder altmodisch oder uncool anhört, dann denken Sie mal über Folgendes nach […]

Gleich der erste Satz des Romans „Schattenstill“ charakterisiert ihn:

Damit eins von vornherein klar ist: Ich war genau der Richtige für diesen Fall. Sie würden sich wundern, wie viele von den Kollegen einen Riesenbogen darum gemacht hätten, wenn sie es sich hätten aussuchen können – und ich konnte es mir aussuchen, zumindest am Anfang. […]
Manche von ihnen sind nicht besonders scharf auf die spektakulären, publicity-trächtigen Fälle, bei denen es wirklich um was geht – zu viel Medienrummel, sagen sie, und zu viel Ärger, wenn du den Fall nicht aufklärst. Ich halte nichts von so einer negativen Einstellung. Wenn du Energie dafür verpulverst, dir vorzustellen, wie schmerzhaft der Absturz wäre, bist du schon halb unten. Ich konzentrier mich auf das Positive, und davon gibt’s reichlich. Du kannst ruhig so tun, als hättest du so was nicht nötig, aber jeder weiß, dass nur die fetten Fälle auch fette Beförderungen bringen.

Ein Aphorismus, den Tana French ihrem Protagonisten in den Mund legt, stammt von Albert Einstein:

Eine der Definitionen von Wahnsinn ist die, immer wieder dasselbe zu tun und auf andere Ergebnisse zu hoffen.

Wer Tempo und Action mag, wird von „Schattenstill“ enttäuscht sein, denn Tana French lässt sich viel Zeit, die Geschichte weitschweifig und mit zu vielen Details zu entwickeln. Die falschen Spuren sind rasch durchschaubar, und die Plot Twists überraschen nicht wirklich. Dazu kommt, dass die Handlung an entscheidenden Stellen konstruiert wirkt und die Motive nicht immer nachvollziehbar sind.

Den Roman „Schattenstill“ von Tana French gibt es auch als Hörbuch, gelesen von Uve Teschner (Bearbeitung: Holger Michel; Regie: Pascal Morgan; ISBN 978-3-8398-1137-5).

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2014
Textauszüge: © S. Fischer Verlag

John Irving - Das Hotel New Hampshire
"Das Hotel New Hampshire" ist eine vitale, aberwitzige Familiengeschichte, ein Panoptikum skurriler Figuren, die nicht aufs Träumen verzichten wollen. Mit hemmungsloser Fabulierlust vermischt John Irving in diesem fulminanten Roman märchenhafte, ironische, absurde und tragikomische Elemente.
Das Hotel New Hampshire