Volker Klüpfel, Michael Kobr : Milchgeld
Inhaltsangabe
Kritik
Kluftinger, ein sechsundfünfzigjähriger Kriminalkommissar, ist ein typischer Allgäuer. Sein Vorgesetzter Dietmar Lodenbacher, der Leiter der Polizeidirektion Kempten-Oberallgäu, stammt aus Hauzenbergersöll bei Passau und spricht niederbayerischen Dialekt. Kluftingers Sekretärin Sandra Henske sächselt dagegen; sie kommt aus einem kleinen Ort in der Nähe von Dresden.
Mit seiner Ehefrau Erika, einer geborenen Nowotny, mit der er seit bald dreißig Jahren verheiratet ist, wohnt Kluftinger in Altusried, wo sein Vater bis zur Pensionierung Dorfpolizist war. Der Sohn Markus studiert in Erlangen Psychologie.
„Milchgeld“ beginnt damit, dass Kluftinger am Abend noch zur Probe des Musikvereins muss. Er trägt bereits seinen Trachtenanzug; die große Trommel ist auf auf der Rücksitzbank seines VW Passat verstaut, und weil Erika ihren Diättag hat, sitzt er allein vor einem Teller Kässpatzen, seinem Leibgericht. Da klingelt das Telefon. Kluftinger wird zu einer anderen Adresse in Altusried gerufen. Dort liegt ein Toter. Es handelt sich um den Lebensmitteldesigner Philip Wachter. Robert Bartsch, der mit Wachter im Labor der Molkerei Schönmanger in Krugzell zusammengearbeitet hatte, fand die Leiche und alarmierte die Polizei. Es sieht so aus, als sei es zwischen Wachter und dem Mörder zum Kampf gekommen. Am Ende wurde Wachter jedenfalls mit einer Vorhangschnur erdrosselt.
Wegen des Mordfalls kann Kluftinger nicht, wie geplant, zehn Tage mit seiner Frau Urlaub machen. Eigentlich wollte er sowieso nicht nach Mallorca; er hatte nur Erikas Drängen nachgegeben.
Ja, er wäre wirklich am liebsten daheim geblieben.
Am schlimmsten […] war die Tatsache, dass sie immer irgendwohin wollte, wo es heiß war, wo man beim Weg vom Swimming-Pool zum Liegestuhl schon wieder ins Schwitzen kam, wo sie Bier mit Banenengeschmack servierten und wo man sich abends schick machte, um irgendeine Promenade abzulaufen.
Deswegen war ein kleiner Teil von ihm sogar ganz froh, dass sie durch den aktuellen Fall die Reise würden verschieben müssen. Denn diesmal hatte sie sich durchgesetzt. Nach Mallorca sollte es gehen. Oder „auf Malle“, wie der Depp vom Reisebüro gesagt hatte. Mit dem Flugzeug! Wenn er Wasser sehen wollte, fuhr er an den Vilsalpsee, und sie wollte nun gleich auf eine Insel.
Aber Gnade ihm Gott, wenn sie seine Erleichterung bemerken würde. (Seite 42)
Obwohl der Urlaub bereits gebucht ist, schlägt Kluftinger seiner Frau vorsichtig vor, die Reise zu verschieben. Zu seiner Verblüffung beschließt Erika stattdessen, mit der Nachbarin Annegret Langhammer nach Mallorca zu fliegen.
Nachdem Kluftinger sich nochmals in der Wohnung des Ermordeten umgesehen hat, hält er auf dem Rückweg bei einer Imbissbude. Als er den Döner-Spieß sieht, ist es zu spät. Außer Spaghetti mag Kluftinger kein ausländisches Essen, aber er will den kleinen dunkelhaarigen Mann nicht beleidigen und bestellt deshalb tapfer einen Kebab. Damit stellt er sich zu zwei türkischen Bauarbeitern an den Tisch. Joghurtsoße tropft auf seine Hose. Da schimpft Kluftinger: „Kruzitürken!“ Erschrocken blickt er die beiden Türken an, aber sie lachen nur.
Philip Wachter war geschieden. Seine Exfrau lebt inzwischen in Südamerika. Die beiden Töchter kommen auf die Nachricht vom Tod ihres Vaters nach Altusried. Julia Wagner lebt mit ihrem Mann in München und arbeitet wie er als Creative Art Director in einer Werbeagentur. Die Dreißigjährige beginnt sofort nach ihrer Ankunft mit der Organisation der Beerdigung und der Trauerfeier. Ihre vier Jahre jüngere Schwester Theresa Ferro reist einen Tag später aus Italien an. Nach ihrem Kunststudium in Florenz hatte sie einen Italiener geheiratet und war in der Toskana geblieben. Die Künstlerin hat zwei Kinder.
Ihr Vater hatte in München Lebensmittelchemie studiert und war dann mit seinem Freund und Kommilitonen Robert Lutzenberg nach Köln gezogen, wo sie im Labor einer Forschungseinrichtung zu arbeiten anfingen. Für ihre Erfindungen wurden sie gefeiert. 1987 überwarfen sich die Freunde, und ihre erfolgreichen Karrieren gingen jäh zu Ende. Wachter, der aus dem Allgäu stammte, kehrte in die Heimat zurück und wurde Lebensmitteldesigner bei der verhältnismäßig kleinen Molkerei Schönmanger in Krugzell. Robert Lutzenberg übernahm eine kleine Käserei in Böserscheidegg im Westallgäu.
In der Molkerei in Krugzell spricht Kluftinger mit dem etwa fünfundsechzigjährigen, seit längerer Zeit geschiedenen Firmeninhaber Karl Schönmanger. Der ist stolz auf das von seinem Großvater und Vater aufgebaute Firmenunternehmen. Kluftinger findet ihn sympathisch, weil er offenbar Wert auf Qualität und Traditionen legt – ganz anders als sein Sohn Peter. Der hat Betriebswirtschaft studiert und ist für das Marketing zuständig. Sein teuer und ultramodern eingerichtetes Büro passt nicht zur Molkerei.
Vom Siebzigerjahre-Vorzimmercharme ging es nun nahtlos in ein Endneunziger-Designerbüro. Ein ultraflacher Bildschirm aus Edelstahl thronte einsam auf einem völlig leer geräumten Riesenschreibtisch aus Glas, der auf massiven Böcken aus poliertem Metall stand […] Hier war es offenbar edel gemeint […] Die abstrakten, bestimmt sündhaft teuren Bilder waren ebenso in dieser Farbe [türkis] gehalten wie jede fünfte der großen Stofflamellen, die vor dem Fenster hingen. Nichts deutete darauf hin, dass man hier in einer Käserei war […] Eine Uhr, die eigentlich keine war, war weiterer Wandschmuck: Ein kleiner Projektor warf ein riesiges türkises Ziffernblatt an die Wand, in dem Blubberbläschen aufstiegen und auf dem zwei lilafarbige Punkte die aktuelle Uhrzeit markierten. (Seite 152f)
Obwohl ihm sein Sohn davon abrät, erzählt Karl Schönmanger dem Kommissar, wie Philip Wachter zu ihm kam. Der Lebensmittelchemiker hatte zusammen mit seinem Freund Robert Lutzenberg in Köln ein Verfahren entwickelt, das es ermöglichen sollte, den Reifungsprozess von Milchprodukten wie Joghurt und Käse erheblich zu beschleunigen. Kurz nach der Markteinführung der ersten Produkte im Januar 1987 bekamen die Bewohner eines Seniorenheims Magen-Darm-Beschwerden, und weil sich herausstellte, dass das neue Verfahren die Ursache war, kam es zu einem Lebensmittelskandal. Wachter fand nach der Entlassung zunächst keinen neuen Job und war froh, als ihm die Molkerei Schönmanger ein Angebot machte, auch wenn das Gehalt niedriger als sein vorheriges war.
Zwar geht Kluftinger zur Beerdigung des Mordopfers, aber er hält sich im Hintergrund. Deshalb ist es ihm besonders unangenehm, als ihm Elfriede Sieber, eine einundsiebzigjährige Witwe, die Philip Wachter den Haushalt führte, immer aufgeregter winkt, bis auch andere Trauergäste darauf aufmerksam werden. Auch der Mann, auf den Elfriede deutet, merkt schließlich, dass er gemeint ist – und rennt davon. Über Gräber springend, hastet Kluftinger ihm nach, doch er stolpert in einen frischen Grabhügel, und der Unbekannte entkommt ihm. Verärgert fragt Kluftinger die Haushälterin, wer denn das gewesen sei. Sie wisse es auch nicht, antwortet Elfriede Sieber, aber den Mann habe sie vor ein paar Tagen im Haus ihres Arbeitgebers gesehen, die beiden hätten gestritten, ohne sie zu bemerken.
Kluftinger fährt mit seinem Mitarbeiter Richard Maier nach Böserscheidegg. Robert Lutzenberg sei vor einem dreiviertel Jahr an Magenkrebs gestorben, sagt Herr Stoll, der die Käserei jetzt führt. In seinem Haus in Weiler wohne noch eine hochbetagte Tante. Sein unverheirateter Sohn Andreas lebe in Memmingen und unterrichte dort in einer Schule.
Bei Robert Lutzenbergs Tante Lina Lutzenberg stößt Kluftinger auf ein gerahmtes Foto, auf dem der Unbekannte abgebildet ist, der ihm auf dem Friedhof entkam. Das sei ihr Großneffe Andreas Lutzenberg, erklärt die Greisin.
Mit seinem Memminger Kollegen Harald Schmied zusammen fährt Kluftinger zu der Adresse des Lehrers, aber sie treffen dort niemanden an. In der Schule heißt es, bei Andreas Lutzenberg handele es sich um einen engagierten und zuverlässigen Lehrer. Zur Zeit sind allerdings Ferien. Weitere Ermittlungen ergeben, dass Lutzenberg häufig Philip Wachter zu Hause anrief und in den letzten sechs Wochen insgesamt 100 000 Euro in bar auf sein Konto einzahlte.
Während Kluftinger noch einmal bei Lina Lutzenberg ist, ruft ihr Großneffe an. Kluftinger reißt ihr das Telefon aus der Hand, um mit Andreas Lutzenberg zu reden. Der fühlt sich offenbar nicht nur von der Polizei verfolgt und scheint panische Angst zu haben. Statt dem Kommissar zu sagen, wo er sich aufhält, bricht er das Gespräch ab. Weil Kluftinger die Sirene eines Feuerwehrautos durchs Telefon hörte und zur fraglichen Zeit nur ein Feuerwehreinsatz in Weiler erfolgte, muss Lutzenberg ganz in der Nähe seines Elternhauses gewesen sein. Lina Lutzenberg verrät Kluftinger, dass sich ihr Großneffe möglicherweise in einer der Familie gehörenden Hütte in Hinterschweinhöf versteckt.
Kluftinger und sein Mitarbeiter Eugen Strobl fahren hin. Ein Gewitterschauer hat den Boden so aufgeweicht, dass sie mit dem Auto auf einem Waldweg steckenbleiben. Sie müssen zu Fuß weiter.
„Kruzifix, so ein Dreck“, schimpfte er [Kluftinger], als sein linker Halbschuh in einem Schlammloch mit einem Schmatzen untertauchte. Als er seinen Fuß wieder herauszog, blieb sein Schuh im Schlamm stecken. Kluftinger balancierte auf einem Bein, um nicht mit seinem weißen Socken in die braune Brühe zu treten. Dadurch fiel es ihm schwer, das Gleichgewicht zu halten. Dazu peitschte ihm noch der Regen ins Gesicht […]
„Hab dich“, rief Strobl hinter ihm. Gerade noch rechtzeitig war er seinem Chef zu Hilfe gekommen […]
Als Kluftinger zumindest sein Gleichgewicht wiedergefunden hatte, wollte sich Strobl bereits weiter auf den Weg machen, doch ein Chef rief ihn zurück.
„Was gibt’s denn noch?“, fragte Strobl.
„Mein Schuh“, antwortete Kluftinger. „Ich find meinen Schuh nicht mehr […]“
Der Schuh war unter dem großen braunen Dreckklumpen, den Strobl aus dem Schlamm zog, nur noch zu erahnen. Priml. Kluftinger kochte. Er versuchte, den Matsch wenigstens so weit wieder herauszubekommen, dass er den Schuh wieder anziehen konnte – vergeblich.
„Weiter“, blaffte er Strobl an und setzte sich, den Schuh in der Linken, widerwillig schnaubend in Bewegung […] (Seite 199f)
Vor der Hütte steht Lutzenbergs Auto. In der Nähe liegt ein Toter mit eingeschlagenem Schädel.
„Dir ist schon klar, wer das ist?“, fragte der Kommissar und deutete bei dem Wort „das“ mit dem Kopf auf die Stelle hinter ihm.
„Na ja, wissen kann man das nicht, so wie der aussieht. Aber es wäre zumindest wahrscheinlich, wenn es …“
„… Lutzenberg wäre“, vollendete Kluftinger Strobls Satz. Und fügte mit einem bitteren Lächeln hinzu: „Unser Mörder.“ (Seite 204)
Bevor Erika Kluftinger und Annegret Langhammer nach Mallorca flogen, hatten sie die beiden Strohwitwer aufgefordert, während ihrer Abwesenheit mal etwas gemeinsam zu machen. Dabei kann Kluftinger den weltgewandten Arzt Dr. Martin Langhammer überhaupt nicht ausstehen. Er denkt schon gar nicht mehr daran, da steht dieser mit den Zutaten für eine Lauch-Quiche vor der Tür. Während er diese zubereitet und seinen Nachbarn für ein paar Hilfsdienste in der Küche einteilt, öffnet er eine ebenfalls mitgebrachte Flasche Wein. Er kann ja nicht wissen, dass Kluftinger nur Bier trinkt.
[…] reichte er Kluftinger ein mit nur wenigen Schlucken gefülltes Glas und prostete ihm zu. Kluftinger hatte bereits zum Trinken angesetzt, wurde in seiner Bewegung aber von Langhammer gestoppt, der erst seine nicht gerade kleine Nase im Glas versenkte, den Wein inhalierte und dabei das Glas gegen den Uhrzeigersinn schwenkte. Der Kommissar stutzte kurz, hob ebenfalls sein Glas, sagte „Ex oder Hosen runter!“ und leerte es in einem Zug. (Seite 245f)
Das Essen schmeckte dennoch gut und das wurmte Kluftinger […] Als sie fertig waren, entstand ein kurzer Moment unangenehmer Stille. Langhammer brach sie, indem er sein Glas hob und Kluftinger, der eigentlich sicher war, dass es nicht mehr schlimmer kommen könnte, mit dem Satz überraschte: „Wo wir so schön miteinander gekocht haben: Ich bin der Martin.“
„So?“, antwortete der Kommissar, was sein Gegenüber sichtlich aus dem Konzept brachte. (Seite 247)
Bei Andreas Lutzenberger findet Kluftinger eine Schachtel mit Zeitungsausschnitten und Fotos über Robert Lutzenbergs Erfindung und den Lebensmittelskandal von 1987. Der Sohn muss sich eingehend damit beschäftigt und das Material darüber gesammelt haben.
Zum Inhalt der Schachtel gehört das Foto eines Bauernhofes. Im Hintergrund stehen alte Traktoren. Bei der Suche nach Leuten, die mit so etwas handeln, stößt Kluftinger auf Hermann Botzenhard in Wildpoldsried, und als er mit Richard Maier hinfährt, erkennen sie auch das abgebildete Gehöft. Sie tun so, als wollten sie einen Traktor kaufen und versuchen, das Gespräch auf den Nachbarhof zu lenken, aber Botzenhard ist misstrauisch und geht nicht darauf ein.
Seit der Eigentümer verstarb, steht der Hof leer. Kluftinger ordnet eine Observierung rund um die Uhr an und tobt, als er bei einem Anruf herausfindet, dass Eugen Strobl und Roland Hefele auf ihrem Posten schliefen. Doch als er die Beobachtung übernimmt, ertappt er sich um 3.30 Uhr morgens selbst dabei, wie ihm der Landjäger, den er essen wollte, aus der Hand fällt. Er muss eingenickt sein. In der Scheune des Bauernhofs brennt Licht! Er pirscht sich an und sieht durch Ritzen in der Holzwand, dass ein Tanklastzug mit weißem Pulver aus Säcken mit kryrillischer Aufschrift beladen wird. Botzenhard ist einer der Männer in der Scheune.
Als der Tanker losfährt, folgt Kluftinger in einigem Abstand mit seinem Wagen. Die Fahrt endet in der Molkerei Schönmanger in Krugzell.
Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.
In der nächsten Nacht legen sich Kluftinger, Strobl, Hefele und neun weitere Polizisten in Wildpoldsried auf die Lauer. Um 2 Uhr kommt der Tanklastzug. Während er beladen wird, stürmt die Polizei die Scheune und nimmt vier Männer fest. Kluftinger, der früher bei der Freiwilligen Feuerwehr war und gelernt hat, wie man einen Lastwagen fährt, setzt sich ans Steuer des Tankers. Strobl klettert auf der anderen Seite ins Führerhaus. Sie fahren nach Krugzell, wo Kluftinger den Wagen mehr schlecht als recht an der Entladestation abstellt. Obwohl der Betrieb noch nicht begonnen hat, kommt Robert Bartsch aus dem Gebäude. Als er sieht, wer im Führerhaus sitzt, flüchtet er, wird aber von Polizisten, die das Firmengelände umstellt haben, festgenommen.
Bei der Vernehmung beteuert Bartsch, kein Mörder zu sein. Seiner Aussage zufolge hatte Philip Wachter ein Verfahren entwickelt, mit dem sich fettarmer Käse aus Milchpulver herstellen lässt. Das ist allerdings verboten, und Karl Schönmanger durfte deshalb auch nichts davon wissen. Peter Schönmanger dagegen telefonierte so lange herum, bis er in Moskau jemanden fand, der aus UN-Hilfslieferungen für Afrika abgezweigtes Milchpulver weit unter dem normalen Preis lieferte. Damit machte er große Gewinne, ohne dass sein Vater etwas davon ahnte.
Der Versuch, Peter Schönmanger zu verhaften, schlägt zunächst fehl, denn er ist verschwunden. Die Polizei findet heraus, dass er sich ein Flugticket von München nach Rio de Janeiro besorgt hat. Kluftinger fährt mit Strobl zum Franz-Josef-Strauß-Flughafen. Sie postieren sich in einem Bistro beim entsprechenden Abfertigungsschalter – wo Kluftinger sich über die horrenden Preise ärgert. 3 Euro 50 für eine Tasse Kaffee! Als er zur Toilette geht und den Waschraum betritt, prallt er zurück: Vor einem der Urinale steht Schönmanger. Sonst ist niemand da. Wieder einmal hat Kluftinger keine Waffe dabei. Er verlässt den Raum und hält von außen die Türe zu.
Es war eine instinktive Handlung, und erst jetzt, als er dastand, sich mit seinem ganzen Gewicht an die Klinke hängte, reflektierte er seine Situation. Er musste Hilfe herbeirufen, aber er kam nicht an sein Handy […]
Ein älterer Mann mit Anzug und Aktenkoffer war gerade um die Ecke gebogen und stand nun ungläubig neben dem Kommissar.
„Darf ich fragen, was Sie da machen?“
„Wonach sieht’s denn aus?“, bellte Kluftinger ihn an.
„Falls es Ihnen nichts ausmacht: Ich würde gerne da rein. Vielleicht können Sie ihr Versteckspiel woanders fortsetzen.“
„Nein, das kann ich nicht.“ Kluftinger setzte zu einer Erklärung an, doch der Mann ließ ihn nicht dazu kommen.
„Also, das ist ja wohl das Beste! Sind Sie aus einer Anstalt ausgebrochen oder was? Sie lassen mich jetzt sofort da rein.“
Inzwischen hatte auch Schönmanger die Geräusche gehört und rief von drinnen: „Hilfe! Hilfe, ich will hier raus.“ […]
„Papa, Papa, guck mal, die Männer spielen Versteckus.“ Ein kleiner Junge war mit seinem Vater um die Ecke gebogen. (Seite 291f)
Schließlich gelingt es Kluftinger, den Vater des Jungen zu überreden, ihm die Geldbörse mit dem Ausweis aus der Hosentasche zu ziehen und sich zu vergewissern, dass er von der Kriminalpolizei ist. Während die anderen nun die Tür zuhalten, telefoniert Kluftinger Verstärkung herbei. Peter Schönmanger wird verhaftet.
Dr. Egbert Wolf, der Rechtsanwalt von Karl und Peter Schönmanger eilt herbei, kann seinen unter Mordverdacht stehenden Mandanten jedoch nicht vom Reden abhalten.
Andreas Lutzenberg kam hinter das Geheimnis mit dem Milchpulver. Er war überzeugt davon, dass sein Vater noch leben würde, wenn ihn nicht die Frustration über den Verrat seines früheren Freundes Philip Wachter krank gemacht hätte. Obwohl Robert Lutzenberg seinen Freund und Kollegen vor den noch ungeklärten Gesundheitsrisiken des neuen Verfahrens gewarnt hatte, war dieser damit während eines Urlaubs von Robert Lutzenberg im Winter 1986/87 skrupellos vorgeprescht – und der Skandal hatte auch dessen Karriere zerstört. Um seinen Vater zu rächen, erpresste Andreas Lutzenberg den Lebensmitteldesigner der Molkerei Schönmanger, und als dieser kein Geld mehr hatte, forderte er ihn auf, es von seinem Komplizen zu besorgen. Peter Schönmanger vertraute sich daraufhin verzweifelt seinem Vater an. Der fürchtete um das Familienunternehmen und suchte Wachter auf, um eine Lösung zu suchen. Dabei gerieten die beiden Männer in Streit, es kam zu einer Rangelei, Philip Wachter stürzte und schlug mit dem Kopf auf. Nachdem Karl Schönmanger ihn mit einer zufällig herumliegenden Vorhangschnur erdrosselt hatte, fuhr er nach Böserscheidegg und erkundigte sich nach Andreas Lutzenberg. Den erschlug er vor seiner Hütte mit einem Prügel.
Karl Schönmanger sitzt an seinem Schreibtisch, als die Polizei eintrifft, um ihn festzunehmen. Er habe gerade noch die Milchgeld-Abrechnung gemacht, sagt er, damit die Bauern ihr Geld bekommen.
Der „Allgäukrimi“ „Milchgeld“ von Volker Klüpfel und Michael Kobr besticht weniger durch einen spannenden Fall mit unvorhersehbaren Wendungen, als durch die farbige Figur des Kommissars, das Lokalkolorit, Humor, Situationskomik und running gags.
Kluftinger – seinen Vornamen erfahren wir nicht – ist alles andere als ein unfehlbarer Held. Der aus bescheidenen Verhältnissen stammende Allgäuer – sein Vater war Dorfpolizist in Altusried – brachte es in der Polizeidirektion Kempten-Oberallgäu zum Kommissar. Wenn er sich nicht zusammennimmt, verletzt er seine Kollegen mit seiner bärbeißigen Art. Er verabscheut Anglizismen, neumodisches Zeug, trinkt Bier statt Wein und zieht der mediterranen Küche Kässpatzen mit einer kräftigen Portion Röstzwiebeln vor.
Immerhin: Um die Muschelsuppe war er herumgekommen. Nicht, dass er die Kochkünste seiner Frau nicht schätzte. Im Gegenteil, sie kochte ausgezeichnet […] Aber nur, wenn sie normal kochte, und ihn nicht – wie heute Abend – zwang, sich Tiere einzuverleiben, über die er sich nicht einmal einen Film anschauen würde, garniert mit Gewürzen, deren Namen er nicht kannte, die wiederum aus Ländern stammten, in denen er niemals Urlaub machen würde. (Seite 96)
Volker Klüpfel und Michael Kobr zeichnen ihren Protagonisten Kluftinger nicht ganz klischeefrei, aber die Figur ist dennoch originell und lebendig. Dagegen bleiben Kluftingers Mitarbeiter schemenhaft.
Der behäbige Erzählrhythmus von „Milchgeld. Kluftingers erster Fall“ entspricht dem Protagonisten und unterstreicht die Atmosphäre, aber die eine oder andere Länge wäre vermeidbar gewesen. Mit wenigen Ausnahmen schreiben Volker Klüpfel und Michael Kobr aus dem Blickwinkel Kluftingers. Dabei wirkt vor allem der Perspektivenwechsel zu Andreas Lutzenberger wenig souverän, denn er dient lediglich dazu, einen Teil des Falles aufzuklären. Obwohl es sich bei Volker Klüpfel (* 1971) um den Leiter der Kulturredaktion der „Memminger Zeitung“ handelt und Michael Kobr (* 1973) Deutsch in einer Realschule unterrichtet, ist ihr Text nicht frei von Orthografie- und Grammatikfehlern. Darüber hinaus sind einige Formulierungen stilistisch verunglückt. Ungeachtet solcher Verbesserungsmöglichkeiten ist „Milchgeld. Kluftingers erster Fall“ ein origineller, unterhaltsamer Kriminalroman.
„Milchgeld. Kluftingers erster Fall“ gibt es auch als Hörbuch, gelesen von den Autoren Volker Klüpfel und Michael Kobr (Bearbeitung: Michaela Kenklies, Regie: Matthias Spranger, Berlin 2007, ISBN: 978-3-89813-681-5).
Nach dem Überraschungserfolg des zunächst in einem kleinen Verlag veröffentlichten Allgäuer Regionalkrimis „Milchgeld“ setzten Volker Klüpfel und Michael Kobr die Buchreihe über Kommissar Kluftinger fort: „Erntedank“ (2004), „Seegrund“ (2006), „Laienspiel“ (2008), „Rauhnacht“ (2009). „Erntedank“ und „Milchgeld“ wurden inzwischen von Rainer Kaufmann verfilmt.
Originaltitel: Milchgeld. Ein Kluftingerkrimi – Regie: Rainer Kaufmann – Drehbuch: Stefan Holtz und Florian Iwersen nach dem Roman „Milchgeld“ von Volker Klüpfel und Michael Kobr – Kamera: Klaus Eichhammer – Schnitt: Christel Suckow – Musik: Dieter Schleip – Darsteller: Herbert Knaup, Johannes Allmayer, Jockel Tschiersch, Hubert Mulzer, Katharina Spiering, Sarah-Lavinia Schmidbauer, Margret Gilgenreiner, Klaus Zmorek, Karl Knaup, Tilo Prückner, August Zirner, Melanie Weichl, Urs Fabian Winiger, Maria Kammel, Fabian Halbig, Elisabeth Kees u.a. – 2012; 90 Minuten
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2010
Textauszüge: © Maximilian Dietrich Verlag
Volker Klüpfel, Michael Kobr: Erntedank (Verfilmung)
Volker Klüpfel, Michael Kobr: Rauhnacht
Volker Klüpfel, Michael Kobr: Affenhitze