D. H. Lawrence : Das Mädchen und der Zigeuner
Inhaltsangabe
Kritik
Cynthia, die Ehefrau des Vikars Arthur Saywell, brennt mit einem jungen mittellosen Kerl durch und lässt auch ihre sieben bzw. neun Jahre alten Töchter Yvette und Lucille im Stich. Kurz nach dem Skandal erhält Arthur Saywell eine eigene Pfarrei im Norden des Landes, in Papplewick, und zieht mit den beiden Töchtern, der alten Mutter, seiner Schwester Cissy und seinem Bruder Fred ins dortige Pfarrhaus.
Als Lucille einundzwanzig und Yvette neunzehn Jahre alt sind, kehren sie von einem einjährigen Internataufenthalt in Lausanne zurück und werden von den Jungen in Papplewick umschwärmt. Lucille erhält eine Stelle als Sekretärin in der Stadt.
An ihrem freien Tag fährt sie mit Yvette sowie den Freunden Lottie, Ella, Bob Framley und Leo Wetherell zu einem Picknick. Auf der Höhenstraße von Codnor ärgert sich Leo, der den Wagen fährt, über ein Pferdefuhrwerk, das er nicht überholen kann. Yvettes Herz macht einen Sprung, als der Zigeuner auf dem Bock umschaut.
Seine Haltung und sein Blick waren von einer unverschämten Gleichgültigkeit. (Seite 70)
Nach ein paar hundert Metern biegt das Fuhrwerk ab. Dort haben Zigeuner ihr Winterlager aufgeschlagen. Die Mädchen lassen sich von einer Zigeunerin aus der Hand lesen, aber Yvette verrät den anderen nicht, was sie über ihre Zukunft erfahren hat.
Als Leo ihr einen Heiratsantrag macht, lacht Yvette ihn aus.
Ein Heiratsantrag von Leo! Ebensogut hätte ihr der Neufundländer Rover einen Antrag machen können. Überhaupt, sich mit irgend jemandem zu verloben – guter Gott, etwas Lächerlicheres war gar nicht zu denken! (Seite 90)
Einige Zeit später sieht Yvette den Zigeuner wieder: Er kommt mit seinem Karren zum Pfarrhaus, um Reisigbesen und Flederwische, Kupfer- und Messinggefäße anzubieten.
Er hatte Gewalt über sie, ihr Wille war gelähmt, sein Schatten lag auf ihr. (Seite 96)
Während ihre Schwester wieder einmal mit den Freunden zu einem Picknick fährt, macht Yvette allein eine Radtour – zu dem Zigeunerlager. Er habe mit seiner Frau „so an die fünf“ Kinder, erzählt ihr der Zigeuner, als sie ihn danach fragt. Ein offenes Auto hält. Die Insassen, eine Dame Mitte dreißig im Zobelmantel und ein jüngerer Herr im blauem Paletot, steigen aus und unterhalten sich mit Yvette und den Zigeunern. Die Dame, die von Yvette für eine Jüdin gehalten wird, sagt, sie sei die Ehefrau des berühmten Ingenieurs Simon Fawcett, lasse sich jedoch gerade scheiden, um ihren Begleiter, den Major a. D. Charles Eastwood, heiraten zu können. Der macht sich über seine berufliche Zukunft keine Gedanken, denn sie werden vom Geld seiner zukünftigen Frau gut leben können. Bis dahin wohnen die beiden vorläufig in einem Sommerhäuschen in Scoresby. Sie nehmen Yvette und deren Fahrrad ein Stück mit zurück.
Yvette erzählt ihrer Schwester von dem Paar. Lucille sagt im Verlauf des Gesprächs, sie finde ordinäre Männer widerlich, fühle sich aber zugleich von ihnen sexuell erregt. Yvette meint, dass man eine sexuelle Beziehung vermisse, solange man keine habe, und sie befürchtet, dass es dann jedoch abscheulich für eine Frau sei, eine zu haben.
Als der Pfarrer von den heimlichen Besuchen seiner jüngeren Tochter bei dem unverheirateten Paar in Scoresby erfährt, ist er entrüstet und hält sie für verdorben.
Eines Tages haben Lucille und Arthur Saywell in der Stadt zu tun. Das Dienstmädchen nimmt seinen freien Nachmittag. Cissy begleitet ihre Schwester Nelly ins nahe Dorf, um Besorgungen zu machen. Yvette bleibt also mit ihrer Großmutter allein zurück. Plötzlich hört sie ihren Namen. Der Zigeuner rennt auf sie zu und reißt sie mit fort. Auf dem Papple rast eine Flutwelle heran. Der Staudamm in Papple Highdale ist geborsten. Dem Zigeuner gelingt es, Yvettes Kopf immer wieder über die Fluten zu heben und schließlich mit ihr über die Veranda ins ebenfalls überschwemmte Haus zu gelangen. Die Großmutter ertrinkt, aber die beiden Jüngeren retten sich in Yvettes Zimmer im Obergeschoss. Eine Ecke des Hauses und die Treppe werden fortgespült. Der Zigeuner und Yvette zittern in ihren nassen Kleidern und helfen sich gegenseitig, sie auszuziehen. Dann drängen sie sich in Yvettes Bett eng aneinander, um sich aufzuwärmen. Vor Erschöpfung schläft Yvette schließlich ein.
Ein Klirren weckt sie am anderen Morgen: Ein nach Überlebenden suchender Polizist hat ihr Fenster eingeschlagen. Er erschrickt, als er das nackte Mädchen entdeckt. Aber dann drängt er Yvette, sich rasch etwas überzuziehen und mit ihm über die Leiter nach unten zu klettern, denn das Haus kann jeden Augenblick vollends einstürzen.
Der Zigeuner ist verschwunden, und auch seine nassen Sachen hat er mitgenommen.
Einige Zeit später erhält Yvette einen Brief von ihm. Er entschuldigt sich, dass er sich nicht verabschiedete und hofft, sie wiederzusehen. Unterschrieben ist der Brief mit Joe Boswell.
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)Erst da wurde ihr klar, dass er ja auch einen Namen hatte. (Seite 131)
Yvette, die beinahe erwachsene Tochter eines Pfarrers, fühlt sich zu einem Zigeuner hingezogen, der bereits vier oder fünf Kinder hat und ein völlig anderes Leben führt als sie es kennt. Die Sexualität droht Yvette mitzureißen wie die Flutwelle, die das Pfarrhaus ihres Vaters zerstört, in dem sie bisher wohnte. Gerettet wird sie ausgerechnet von dem vernünftigen Zigeuner, der unmittelbar danach mit seiner Sippe weiterzieht. Yvettes Obsession wird in dem Kurzroman „Das Mädchen und der Zigeuner“ von D. H. Lawrence zweifach gespiegelt: Yvettes Mutter brannte mit einem jüngeren Liebhaber durch. Außerdem befreundet Yvette sich mit einem noch unverheirateten, aber ungeachtet der Konventionen zusammenlebenden Paar.
Das Manuskript zu „The Virgin and the Gipsy“ wurde erst nach dem Tod von D. H. Lawrence gefunden und veröffentlicht.
Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma lehnt die Bezeichnung „Zigeuner“ inzwischen als diskriminierend ab, doch wegen des Romantitels „Das Mädchen und der Zigeuner“ verwende ich hier auch das überkommene Wort. Selbstverständlich ist damit keine Wertung verbunden.
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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2005
Textauszüge: © Diogenes Verlag
David Herbert Lawrence (Kurzbiografie)
David Herbert Lawrence: Der Hengst St. Mawr
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