Benjamin Lebert : Crazy

Crazy
Crazy Erstausgabe: Kiepenheuer & Witsch, Köln 1998
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Mit 16 kommt der Halbseitenspastiker Benjamin Lebert auf ein Internat, wo er die Unterprima nachholen und das Abitur machen soll. Benni interessiert sich jedoch weniger für den Unterrichtsstoff, als für die Frage, was es bedeutet, erwachsen zu werden. Das wollen auch seine fünf Schulfreunde wissen. Deshalb klettern sie nachts heimlich in den Mädchentrakt und büchsen schließlich nach München aus, wo sie eine Striptease-Show erleben.
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Kritik

Eine Entwicklung ist im Verlauf der wohl autobiografischen, aber auch klischeehaften Episoden allenfalls in Ansätzen auszumachen. Was dem Roman "Crazy" jedoch an Tiefe fehlt, gleicht Benjamin Lebert durch die Lebendigkeit seiner selbstironischen Darstellung aus.
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„Hallo Leute. Ich heiße Benjamin Lebert, bin sechzehn Jahre alt, und ich bin ein Krüppel. Nur damit ihr es wisst. Ich dachte, es wäre von beiderseitigem Interesse.“ So stellt Benni sich am ersten Tag im Internats-Schloss Neuseelen vor. Seit seiner Geburt hat er Schwierigkeiten mit den Bewegungen seines linken Armes und Beines; Halbseitenspasmus heißt das. In dem Internat – es ist seine fünfte Schule – soll er die Unterprima wiederholen, und seine Eltern hoffen, dass er dann auch das Abitur schafft. „Ohne Abitur bist du nichts in dieser Welt!“, schärft ihm sein Vater ein.

Benni ist ein introvertierter Einzelgänger, nicht nur wegen seiner Behinderung und des daher fehlenden Selbstvertrauens, sondern auch weil er sensibler ist als die meisten seiner Altersgenossen. Doch Janosch, mit dem er sich im Internat das Zimmer teilt, führt den Außenseiter in seine Clique ein. Dazu gehören außer Janosch der dicke Felix („Kugli“), der dünne Felix, Florian, ein verwaister Junge, der wegen seiner Schmächtigkeit den Spitznamen „Mädchen“ hat, und der schweigsame Troy, der von ihnen am längsten im Internat ist und im Schlaf noch immer das Bett nässt.

Nach den ersten Unterrichtsstunden des neuen Schuljahrs gehen sie zusammen in den Ort, wo Janosch versucht, die Psychotherapeutin zu verulken, indem er homosexuelle Gefühle für Troy vortäuscht und ihren Rat erbittet.

Mitten in der Nacht klettern die sechs Jungen über die Feuerleiter in den Bereich der Schülerinnen und treffen sich mit Malen, Marie und Anne. Für Zigaretten und Spirituosen ist gesorgt. Als Benni betrunken zur Toilette torkelt, folgt ihm Marie und verschafft ihm seine erste sexuelle Erfahrung mit einem Mädchen. Dann lässt sie ihn allein zurück, und Benni wird übel.

Das war alles ein wenig viel für mich heute: Anstatt zu schlafen, eine Feuerleiter hinaufzuklettern, zu saufen, was das Zeug hält, mal eben ein bisschen zu vögeln und nebenbei erwachsen zu werden. Das reicht für eine Nacht. Da würde jeder kotzen, glaube ich.

Als Benni und Janosch dasselbe Mädchen anhimmeln – Malen –, droht ihre Freundschaft zu zerbrechen, aber die Umworbene will weder von Benni noch von Janosch etwas wissen, denn sie hat sich in einen Studenten verliebt.

Weil die Jungen nur in Ausnahmefällen an ein Mädchen herankommen, reagieren sie sich durch Masturbieren ab, nicht nur allein und heimlich, sondern auch im offenen Wettbewerb. Dazu stellen sich Benni, Janosch, Kugli, der dünne Felix, Florian und Troy beispielsweise im Kreis auf, masturbieren und zielen mit dem Ejakulat auf einen Keks in der Mitte. Wer ihn nicht trifft, muss ihn anschließend essen.

Troy überredet schließlich seine Freunde, mit ihm zu türmen, und Janosch übernimmt wieder einmal die Führung.

An einer Haltstelle der Buslinie nach Rosenheim treffen sie auf einen älteren Mann, einen ehemaligen Schüler des Internats Neuseelen, der in München wohnt, aber regelmäßig herkommt, weil seine verstorbene Frau hier auf dem Friedhof liegt. Sambraus, so heißt er, schlägt den sechs Ausreißern vor, mit ihm nach München zu kommen. Von Rosenheim aus geht es mit dem Zug weiter. Benni liest während der Fahrt Passagen aus „Der alte Mann und das Meer“ vor.

In München staunen die Jungen über das Großstadtleben. Sambraus wohnt in Schwabing über einem Nachtlokal. Selbstverständlich zieht es die Ausreißer zu den Striptease-Tänzerinnen. – Benni erwacht erst am nächsten Vormittag aus seinem Rausch.

Er fährt doch nach Neuseelen zurück, aber das Klassenziel schafft er wieder nicht. Sein Vater holt ihn aus dem Internat ab und nimmt ihn mit nach München, wo er seit dem Scheitern seiner Ehe mit einer anderen Frau zusammenlebt.

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Der Ich-Erzähler Benjamin Lebert und seine fünf Freunde versuchen herauszufinden, was es bedeutet, erwachsen zu werden und sammeln ihre ersten Erfahrungen. Eine Entwicklung ist jedoch im Verlauf der Geschichte allenfalls in Ansätzen auszumachen: Auch fürs Leben scheint Benni am Ende nicht sehr viel gelernt zu haben. Dazu bleiben die Episoden zu klischeehaft. Was dem Roman „Crazy“ jedoch an Tiefe fehlt, gleicht Benjamin Lebert durch die Lebendigkeit seiner Darstellung aus: Er schreibt im Präsens, in kurzen Sätzen und in einer jugendlich-lakonischen, unverblümten, mitunter drastischen Sprache. Hin und wieder taucht ein wenig Weltschmerz auf, aber die Grundhaltung ist selbstironisch.

Benjamin Lebert wurde 1982 in Freiburg im Breisgau mit einem Halbseitenspasmus geboren. Wie der Protagonist in „Crazy“ besuchte er ein Internat (Neubeuern) und schaffte es nicht bis zum Abitur. Mit zwölf fing er zu schreiben an, und als Sechzehnjähriger veröffentlichte er 1998 seinen autobiografischen Roman „Crazy“, der sich als Bestseller erwies und in mehr als dreißig Sprachen übersetzt wurde. 2003 folgte Benjamin Leberts zweiter Roman: „Der Vogel ist ein Rabe.“

Hans-Christian Schmid verfilmte Benjamin Leberts Buch: „Crazy“.

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Inhaltsangabe und Rension: © Dieter Wunderlich 2005

Hans-Christian Schmid: Crazy

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