António Lobo Antunes : Portugals strahlende Größe

Portugals strahlende Größe
Originalausgabe: O Esplendor de Portugal Verlag Dom Quixote, Lissabon 1997 Portugals strahlende Größe Übersetzung: Maralde Meyer-Minnemann Luchterhand Literaturverlag, München 1998 ISBN: 3-630-86987-4, 464 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Carlos, ein in Angola aufgewachsener Mischling, zog nach der "Nelkenrevolution" mit seiner ungeliebten Frau und seinen Stiefgeschwistern – einem Epileptiker und einem Flittchen – nach Portugal. Der Vater hatte sich tot gesoffen, während die Mutter es auf seinem Schreibtisch regelmäßig mit einem Polizeioffizier getrieben hatte ...
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Kritik

António Lobo Antunes konkretisiert die Folgen der portugiesischen Kolonialpolitik am Beispiel der psychischen Zerrüttung von vier Familienmitgliedern, die sich in einsamen inneren Monologen an ihr trostloses Leben erinnern, wobei sich Gegenwart und Vergangenheit überlagern und ein polyphones Stimmenquartett entsteht.
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Carlos, ein zweiundvierziger Arzneimittelvertreter, der mit seiner ungeliebten Ehefrau Lena in einer kleinen Wohnung im Stadtteil Ajuda von Lissabon lebt, lädt seine verwitwete Stiefmutter und seine beiden jüngeren Stiefgeschwister für den 24. Dezember 1995 zum Weihnachtsessen ein. Vor achtzehn Jahren hatten er, Rui und Clarisse Angola verlassen, während die Mutter dort zurückgeblieben war, zunächst auf der Fazenda der Familie, später in Marimba („vier Hütten auf einem Hügel mit Mangobäumen“ – Seite 7)

Seit damals hat Carlos seine Stiefmutter Isilda nicht mehr gesehen, und ihre Briefe legt er ungeöffnet in eine Schublade. Anfangs lebten Carlos, Lena, Rui und Clarisse in Ajuda zusammen; drei Jahre lang ertrug Carlos seinen epileptischen Stiefbruder Rui und seine nymphomanische Halbschwester Clarisse.

[…] ich habe sie drei Jahre lang widerspruchslos in Ajuda ertragen, die Verrücktheiten des einen und die Launen der anderen bis an die Grenzen der Geduld auf mich genommen […] ich kam erschöpft von der Arbeit nach Hause, und da fläzte sich Clarisse ganz entspannt auf dem Sofa, rauchte Zigaretten mit goldenem Filter, die türkischen Tabak imitierten und höllisch stanken, nuckelte an meinem Anislikör in Begleitung irgendeines Schlaubergers mit Schnurrbärtchen
– Du kennst doch Francisco?
oder Gustavo oder João oder Feliciano oder Manuel […] (Seite 73)

Einmal, an Weihnachten, richtete er ein Gewehr auf Clarisse, schoss und schrie „du bist haargenau wie deine Mutter haargenau wie deine Mutter“ (Seite 334). Er schlug Clarisse, dann umarmte er sie und fing zu weinen an, war noch unglücklicher und verzweifelter als seine Stiefschwester. Vor fünfzehn Jahren warf er sie hinaus. Sie wohnt jetzt in Estoril und lässt sich von verheirateten Männern wie Luís Filipe aushalten, Greisen, deren Töchter in ihrem Alter sind. Unter ihrer Achsel hat sie einen eigroßen Knoten entdeckt und gerade eine Mammographie machen lassen, voller Angst vor dem Krebs und den Begleiterscheinungen einer Chemotherapie. Als ihr Halbbruder Rui in Ajuda die Einrichtung eines Kurzwarenladens zerschlug, musste Carlos für den Schaden aufkommen. Danach schob er Rui in ein schäbiges, überfülltes Heim in Damaia ab, in dem „sie Geschöpfe aufnehmen, die ihre Familien störten, wie zum Beispiel Leute, die an Krebs starben, geistig Zurückgebliebene, Blinde“ (Seite 42). Kein einziges Mal in den fünfzehn Jahren hat Carlos seinen Stiefbruder dort besucht.

Isilda weiß noch immer nicht, dass Carlos inzwischen ohne Rui und Clarisse in der Wohnung lebt, die sie ihm als dem Ältesten der drei überschrieben hatte.

[…] manchmal denke ich, er wird schon nicht auf den Gedanken kommen, die Geschwister zu übervorteilen, Ruis Güte auszunutzen, der die Unschuld in Person ist, und Clarisses Dummheit, die nur Klamotten und Feste im Kopf hat, er wird sie mit Respekt behandeln, alles tun, damit sie sich als Gäste fühlen, denn dass er sie rauswirft, glaube ich nicht, das wäre der Gipfel […] (Seite 62)

Der Einladung zum Weihnachtsessen folgt sie ebensowenig wie ihre Kinder. Clarisse zieht es vor, Popcorn zu essen, Coca-Cola zu trinken und sich durch die Fernsehprogramme zu zappen; und Rui bleibt lieber im Heim.

[…] und Carlos will mir die Nacht damit verderben, dass er mich zum Weihnachtsessen erwartet, ist entschlossen, mich wegen meiner Tischmanieren zu nerven, wegen der Serviette, die ich in den Kragen stecke, anstatt sie auf die Knie zu legen, wegen des dreckigen Glasrandes, weil ich die Lippen nicht abwische, wegen der Oliven, die ich auf den Teller spucke, anstatt sie mit einem Nuckelmündchen auf der Messerklinge zu deponieren, Carlos, der mich drei Jahre lang gezwungen hat, Tabletten zu nehmen, die müde machten und einem die Lust nahmen, Stufen zu erfinden und Kakadus freizulassen, müde wie eine Weide wankte ich vom Bett ins Wohnzimmer und vom Wohnzimmer zum Bett, hob die Augenlider wie jemand, der einen klemmenden Rolladen hochzieht, ihn mit beiden Händen unter Gequietsche hochholt […] (Seite 217f)

Isildas Vater Eduardo übersiedelte von Portugal in die Kolonie Angola, weil seine Familie in der dortigen Gesellschaft mehr galt. Anders als in Portugal konnten sie sich in Angola drei schwarze Hausangestellte leisten: die Köchin Maria da Boa Morte, den Diener Damião und das Hausmädchen Josélia.

Mein Vater pflegte zu erklären, dass wir seit jeher nicht wegen des Geldes noch wegen der Macht nach Afrika gegangen seien, sondern wegen der Neger, die kein Geld und keinerlei Macht besaßen und uns die Illusion von Geld und Macht verschaffen sollten, die wir, selbst wenn wir sie gehabt hätten, de facto nicht hatten, da wir in Portugal gerade noch geduldet, voller Verachtung aufgenommen und so angesehen wurden, wie wir die Bailundos [auf der Hochebene von Benguela lebender Stamm] ansahen, die für uns arbeiteten, und dass wir deshalb in gewisser Weise die Neger der anderen seien, wie auch die Neger ihre Neger und diese wieder ihre Neger hatten, stufenweise hinunter bis zum Grund des Elends, Krüppel, Lepröse, Sklaven von Sklaven, Hunde […] (Seite 279)

Nie überwand Isildas Mutter ihre Abscheu vor den Schwarzen.

[…] wozu ist ein Neger denn überhaupt gut, gleich an welchem Ort, außer dass er uns den nötigen Respekt verweigert und uns bestiehlt (Seite 166)

Amadeu war nach Angola gezogen, um hier als Ingenieur zu arbeiten. Als Isilda ihn kennen lernte, teilte er sich mit einem holländischen Chemiker ein verdrecktes, unaufgeräumtes Haus, und der Holländer versuchte ihn betrunken zu machen, um sich Isilda nähern zu können. Als sie Amadeu ihren arroganten Eltern vorstellte, kam es zu einem Fiasko.

[…] mein Mann im zerknautschten Leinenanzug, während er sich eilig das Haar mit den Fingern kämmte
– Was werden deine Eltern zu mir sagen Isilda?
meine Mutter im Salon entgeistert zu uns gewandt, die Zuckerdose fiel ihr aus den Händen und zerschmetterte die Kanne, mein Vater, dessen Zigarre an der Weste hinunterglitt, angelte sich Amadeu, der bei jedem Ruck tanzte, bei den Rockaufschlägen
– Wo hast du diesen Hanswurst aufgetrieben Isilda?
meine Mutter befächelte sich auf dem Sessel mit der Serviette, Damião sammelte auf allen Vieren Kannenscherben auf, ohne auch nur ein Quentchen seiner bischöflichen Würde zu verlieren, mein Mann warnte, die Füße in der Luft
Wo hast du diesen Hanswurst aufgetrieben Isilda?
– Lassen Sie mich los ich übergebe mich gleich mein Herr
kreiselte durch den Salon, warf Tischchen um, den Bären aus Kristall, den Leuchter aus China mit dem rauchspeienden Drachen, den meine Mutter so liebte, fiel hilflos Damião in die Arme […]
– Lassen Sie mich los ich übergebe mich gleich mein Herr
Damião ließ ihn los […]
Wo zum Teufel hast du diesen Hanswurst aufgetrieben?
das Paket, das sich an einen Vorhang klammerte, um aufstehen zu können, ihm Ringe abriss, die Stange loslöste, die Stange auf den Kopf bekam und unter Damast verschwand, der Mund meiner Mutter auf dem Sessel war ein Tunnel des Schreckens […] (Seite 59f)

Gegen den Willen ihres Vaters, der daraufhin nichts mehr von ihr wissen wollte, vermählte Isilda sich mit Amadeu in der Kirche in Malanje.

Während Isilda mit Clarisse schwanger war, brachten sie und Amadeu den Mischlingsjungen Carlos aus Malanje mit und nahmen ihn auf, obwohl Isildas Mutter sich deshalb schämte.

– Seit wann vermischt man einen Mischling mit Weißen Isilda seit wann isst ein Mischling mit uns an unserem Tisch? (Seite 210)

„Du bist ein Neger“ wurde Carlos gesagt. „Ist es wahr, dass ich ein Neger bin?“ fragte er.

– Du und diese dreckige Negerin raus mit euch
und ich ahnte zum erstenmal, dass Maria da Boa Morte und ich nicht gleich waren, weil meine Patin mich nicht dreckige Negerin nannte […] (Seite 143)

Einige Zeit nach Clarisse brachte Isilda ihren Sohn Rui zur Welt. (Clarisse nimmt später an, dass er bei einem Seitensprung gezeugt wurde.)

Rui war nicht wie die anderen, er sprach nicht wie die anderen, erstarrte während der Mahlzeiten mit hängender Gabel, als wäre er weit fortgegangen, Carlos und Clarisse schauten sich an, mein Mann zuckte mit den Schultern, ich besorgt
– Rui
Diese Tabletten zu den Mahlzeiten und wir untersuchen ihn im Mai noch einmal […] (Seite 34)

Rui machte ständig Unfug und schoss zum Beispiel mit seinem Luftgewehr auf Wäscherinnen. Seine Mutter, die als Kind die Steinigung des Dorftrottels in Nisa erlebt hatte (Seite 21ff), macht sich Sorgen um Rui.

[…] schließlich haben sie Rui weggeführt, und ich hörte ihn im Garten laut lachen, vergnügt, während er mit dem Luftgewehr auf die Wäscherinnen schoss, die Bauern packten den Verrückten von Nisa, packten Rui, schleppten ihn auf den Dreschplatz, begannen ihn mit Hacken und Stöcken zu schlagen, ohne dass der Sohn protestiert hätte, ich erinnere mich an einen buckligen Olivenbaum, die Sonne, Männer, die Sicheln hoben und senkten, Rui zog den Kamm aus der Tasche, um sein Haar zu kämmen, und im Augenblick darauf zerschmetterte ihm ein Stein die Brust, als sich die Bauern entfernten, blieb ich lange bei ihm […] (Seite 33)

Amadeu wollte Rui in ein Heim stecken, aber Isilda weigerte sich. Dann begann Amadeu zu trinken, bis er überall Spinnen, Heuschrecken und Eidechsen zu sehen glaubte und der Arzt ihn vor dem nahen Tod warnte. (Amadeu lebte allerdings noch acht Jahre.) Wenn er wegen seiner Leber zum Arzt nach Malanje fuhr, schloss Isilda sich mit dem Polizeikommandanten in Amadeus Arbeitszimmer ein, und die Kinder hörten, wie der Schreibtisch rhythmisch gegen die Wand gestoßen wurde. Als der Polizeikommandant wieder herauskam und Carlos vor der Tür antraf, fragte er:

– Hast du auf uns gewartet Junge? […]
– Mach dass du wegkommst Junge
niemals Carlos, Junge, er schleuderte mich auf den Korridor und meine Mutter stumm, Clarisse war Clarisse, Rui war Rui, ich
(– Du bist ein Neger)
war Junge, weil Maria da Boa Morte gesagt hatte
– Du bist ein Neger (Seite 106)

Einmal drohte Carlos dem Polizeikommandeur, wenn er groß sei, werde er ihn töten.

Sooft Isilda ihrerseits mit Rui zum Arzt nach Malanje fuhr, kaufte sie ihm anschließend in einer Konditorei ein Crèmetörtchen, fuhr dann zur Kaserne, ließ den Jungen im Auto warten und kam nach einiger Zeit wieder zurück, mit verschmiertem Make-up und nicht selten einer falsch zugeknöpften Bluse. Carlos und Clarisse wurden schließlich aufs Gymnasium geschickt, und Rui sollte sich am Strand aufhalten, weil die jodhaltige Luft angeblich gut für ihn war – aber Isilda wollte die Kinder nur aus dem Haus haben, um ungestört mit dem Polizeikommandanten zusammensein zu können. Auf Amadeu, der sich im Obergeschoss aufhielt, während sie es im Parterre trieben, nahm sie längst keine Rücksicht mehr; so sehr verachtete sie ihn.

[…] so tat, als wäre er mit dem Whisky und der Zeitung beschäftigt, wenn der Polizeikommandant kam, schloss er sich mit zwei oder drei Flaschen im Schlafzimmer ein und kam erst wieder heraus, wenn der Jeep weggefahren war (Seite 191)

Carlos musste aufpassen, dass Clarisse nicht mit dem gesamten Gymnasium Liebschaften hatte. Einmal ertappte er sie mit einem Buchhalter, von dem die Mutter behauptete, er sei ein São-Tomé-Mischling. Ein anderes Mal sah er, wie ein Mann namens Hermano nach dem Besuch bei Clarisse Geldscheine liegen ließ. Als sie sich mehrmals erbrach, behauptete Clarisse, sie habe es an den Nieren und ging mit Carlos zur „Nierenärztin“.

[…] als könnte es eine Arztpraxis oder einen Arzt oder einen Krankenpfleger oder sogar einen Krankenhausdiener in einem Lager mit Säcken und Pferdegeschirr geben, dessen Risse im Putz hinter Decken verborgen wurden, Hühner liefen durch das Loch der Tür hinaus und herein, ein zweites Zimmer, von einem nach Petroleum, nach Kreosol riechenden Betttuch abgeteilt, eine Art Waschbecken, eine Art Bett, eine Art Waschständer aus abgeblättertem Email mit einer Ecke Handtuch, einem Stück Seife und darunter einem Eimer, ein Kind mit einer Kröte am Ende eines Fadens schob das Betttuch zur Seite und verschwand wieder, zog die Kröte in den Kreosolgestank zurück, ein Pfeifen von Gas, das Geräusch von Aluminium, Drahtdeckeln, wieder das Kind, das Kraushaar zu zwei Drahtzöpfen ausgedrückt, und hinter dem Kind eine Frau mit benutzter Schürze, etwas, was einmal eine Altenheimhaube war und ihr zum Ohr runterrutschte, ich ganz leise, verschüchtert wie in der Kirche, während sich Clarisse in der Nähe eines Haufens von Körben und zerbrochenen Flaschen, solchen Dingen hielt, die man bei Ebbe aufsammelt und nach Gewicht verkauft
– Ist das die Nierenärztin Clarisse?
Clarisse verschwand ihrerseits hinter dem Bettlakenvorhang, von der Bucht gekommene Möwen hockten auf dem Eisenbahnwagen in Reichweite, und ich ohne Luftgewehr, so was Dummes, ohne einen Stein […] (Seite 243)

Carlos ließ sich mit Lena, der Tochter eines Angestellten der staatlichen Brauerei ein, die mit „einer Traube von Vettern und Cousinen hundert Meter vom Marçal-Viertel entfent“ wohnte (Seite 8). Aus Scham achtete er darauf, dass seine Schulkameraden ihn nicht mit ihr sahen. Lena lag ihm so lange in den Ohren, bis er sie heiratete und aus dem Armenviertel herausholte. Jetzt, achtzehn Jahre später, überlegt er, ob er nicht mehr Platz in der engen Wohnung hätte, wenn er sich von ihr trennen würde. Sobald er ihr Knie unter dem Tisch versehentlich berührt, zuckt er zurück.

[…] und da, nach achtzehn Jahren Ehe und Blindheit, begriff ich, dass sie [Lena] nicht von mir schwanger werden wollte, um nicht die Schmach eines Mischlings im Bauch tragen zu müssen, der ihr die Wiege verpestete, die Wohnung verpestete, ich begriff, warum sie wegrückte, kaum dass ich begann unter der Bettdecke größer zu werden
– Ich habe Kopfschmerzen Carlos (Seite 102)

Während Carlos und Lena, Clarissa und Rui nach Portugal zogen, blieb Isilda verarmt in Angola zurück, obwohl es dort für Weiße immer gefährlicher wurde.

Ich hätte ahnen müssen, dass Angola für mich zu Ende war, als sie die Leute zwei Fazendas weiter im Norden getötet haben, der Mann lag, den Hals nach unten, auf den Stufen, das heißt mit einer Gardinenstange, die ihm den Bauch durchbohrte, auf die Stufen genagelt, die Frau nackt auf dem Bauch im Chaos der Küche, viel nackter, als würde sie leben, ohne Hände, ohne Zunge, ohne Brüste, ohne Haar, mit dem Tranchiermesser in Stücke geschnitten, ein Bierflaschenhals schaute ihr zwischen den Beinen hervor, der Kopf des älteren Sohnes starrte uns von einem Ast aus an, der Körper, den die Motorsäge verstümmelt hatte, in Scheiben im Blumenbeet ausgebreitet, der jüngere Sohn hinter dem Haus
(wo wir nachmittags Tee mit ihnen tranken, trockene Küchlein aßen und uns mit Bastfächern Erfrischung zufächelten)
seine Eingeweide mit den Eingeweiden des Hundes vermengt, blutige Fingerspuren an den Wänden, der Möbelplunder umgestoßen […] (Seite 211)

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„Portugals strahlende Größe“: Schon durch den ironisch gemeinten Titel deutet António Lobo Antunes an, dass es ihm um eine kritische Darstellung Portugals geht. Wie zum Hohn lässt er im Vorspann den Text der portugiesischen Nationalhymne abdrucken („Helden der Meere, edles Volk, tapfere, unsterbliche Nation“).

Bei dem Roman „Portugals strahlende Größe“ handelt es sich allerdings nicht um eine historische Darstellung, sondern António Lobo Antunes konkretisiert die Folgen der anachronistischen Kolonialpolitik unter Salazar und Caetano am Beispiel psychischer Zerrüttungen: Vier vereinsamte Mitglieder einer (fiktiven) portugiesischen Familie erinnern sich an das Leben in Angola. Die Mutter blieb dort zurück; die erwachsenen Kinder versuchten nach der „Nelkenrevolution“ einen neuen Anfang in Portugal, aber ihr Leben verlief dort nicht weniger trostlos als in der Überseeprovinz.

António Lobo Antunes erzählt die Geschichte nicht, sondern er stellt sie nach Art des nouveau roman in inneren Monologen dar und sprengt die Regeln der Syntax und Interpunktion, damit sich Gegenwart und Vergangenheit wie bei Doppelbelichtungen überlagern und gewissermaßen gleichzeitig verlaufen. Da er zwischen den Figuren abwechselt, ergibt sich ein polyphones Stimmenquartett, gegliedert in drei Teile zu je zehn Kapiteln, die mit folgenden – hier chronologisch neu geordneten – Daten überschrieben sind: 24. Juli 1978, 5. Juni 1980, 21. Juni 1982, 4. Dezember 1984, 26. Februar 1986, 1. September 1987, 6. Januar 1988, 10. Mai 1988, 13. August 1989, 11. Oktober 1990 (alle: Isilda), 25. März 1991 (Carlos), 10. April 1993, 14. November 1994, 27. September 1995 (Isilda), 24. Dezember 1995 (Carlos, Rui, Clarisse, Isilda).

„Portugals strahlende Größe“ ist der zweite Band der „Trilogie der Gewalt“, in der António Lobo Antunes sich kritisch mit der portugiesischen Kolonialmacht auseinandersetzt. Begonnen hat er die Trilogie mit „Das Handbuch der Inquisitoren“ (deutsch: Luchterhand Literaturverlag, München 1997).

António Lobo Antunes wurde 1942 in Lissabon geboren. Nach dem Studium war er einige Zeit als Militärarzt in Angola tätig. 1979 veröffentlichte er seinen ersten Roman („Os Cus de Judas“ – „Der Judaskuss“). Obwohl er seither ein halbes Dutzend Romane geschrieben hat, übt er seinen medizinischen Beruf auch heute noch als Chefarzt einer psychiatrischen Klinik aus.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2004
Textauszüge: © Luchterhand Literaturverlag – Die Seitenangaben beziehen sich
auf die Fischer-Taschenbuch-Ausgabe (Frankfurt/M 2000, 447 Seiten).

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