Katherine Mansfield : Glück

Glück
Originalausgabe: Bliss "English Review", August 1918 Glück in: Glück und andere Erzählungen Übersetzung: Heide Steiner Insel-Verlag Anton Kippenberg, Leipzig 1980 Insel Verlag, Berlin 2012 ISBN: 978-3-458-35849-7, 245 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Bertha und Harry Young geben eine Dinnerparty. Für das leibliche Wohl der Gäste sorgen Bedienstete; Bertha arrangiert nur das Obst. Sie ist glücklich, wird von einem Gefühl der Seligkeit geradezu überwältigt und ist überzeugt, dass Pearl Fulton ebenso hochgestimmt ist. Bertha fühlt sich zu der anderen Frau hingezogen. Das erregt sie, und sie begehrt zum ersten Mal ihren Mann ...
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Kritik

Katherine Mansfield erzählt konsequent aus der Sicht der naiven Protagonistin. "Glück" handelt von einer kindlich gebliebenen Ehefrau und Mutter, deren Sexualität durch die Begegnung mit einer anderen Frau erblüht.
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Bertha Young, eine Frau Anfang 30, ist glücklich und wird von einem Gefühl der Seligkeit geradezu überwältigt.

Sie war jung. Harry und sie liebten einander noch genauso wie früher, sie verstanden sich blendend und waren wirklich gute Kameraden. Sie hatte ein allerliebstes Baby. Um Geld brauchten sie sich keinerlei Sorgen zu machen. Haus und Garten entsprachen ganz ihren Wünschen. Und dazu hatten sie Freunde – moderne, anregende Freunde, Schriftsteller und Maler und Dichter oder Leute mit ausgeprägtem Interesse für soziale Fragen – genau die Art Freunde, die sie brauchten. Und dann gab es Bücher und Musik, und sie hatte eine wunderbare kleine Schneiderin gefunden, und im Sommer fuhren sie ins Ausland, und ihre neue Köchin bereitete die vorzüglichsten Omeletten …

Den blühenden Birnbaum im Garten betrachtet Bertha als Symbol ihres Glücks. Als sie sieht, dass ihr Baby vom Kindermädchen gefüttert wird, will sie die kleine Bertha unbedingt selbst auf den Arm nehmen.

„Na ja, Ma’am, sie sollte beim Füttern eigentlich nicht in andere Hände kommen“, sagte Nanny, sie flüsterte noch immer. „Das bringt sie durcheinander. Das regt sie bestimmt auf.“
Das war ja nun wirklich absurd. Wozu hat man denn ein Baby, wenn es […] in den Armen einer anderen Frau gehalten wird?
„Ach, ich muss einfach!“, sagte sie.

Bertha findet es entzückend, das Kleinkind zu füttern, das sie wie eine Puppe behandelt.

Harry ruft an und teilt mit, dass er sich ein wenig verspäten werde.

An diesem Abend geben sie eine Dinnerparty. Norman Knight, der dabei ist, ein Theater zu eröffnen, kommt mit seiner Frau, die er Face nennt und die sich für Innenarchitektur interessiert. Eddie Warren, ein junger, vermutlich homosexueller Mann, der gerade einen Gedichtband veröffentlicht hat, klagt beim Eintreten:

„Ich hatte ein so grässliches Erlebnis mit einem Taxifahrer; er war äußerst bösartig. Ich konnte ihn nicht zum Halten bringen. Je mehr ich pochte und rief, desto schneller fuhr er. Und wie diese bizarre Gestalt mit dem plattgedrückten Kopf im Mondlicht über das kleine Rad geduckt war …“

Harry ist bereits da, als endlich Pearl Fulton eintrifft.

Was Miss Fulton machte, wusste Bertha nicht. Sie hatten sich im Klub kennengelernt, und Bertha hatte sich in sie verliebt, wie sie sich immer in schöne Frauen verliebte, die etwas Eigenartiges an sich hatten.

Bertha ist überzeugt, dass Pearl Fulton ebenso hochgestimmt ist wie sie. Das glaubt sie zu spüren, und sie fühlt sich zu ihr hingezogen. Es erregt sie, und sie stellt sich die geschlechtliche Vereinigung mit Harry nach der Party vor. Zum ersten Mal begehrt sie ihren Mann.

Als die Gäste sich verabschieden, sieht Bertha Harry und Pearl Fulton zusammen in der Halle. Er will ihr in den Mantel helfen, schleudert das Kleidungsstück jedoch unvermittelt weg, legt ihr die Hände auf die Schultern und dreht sie heftig zu sich herum. Dass die beiden eine Affäre miteinander haben, ist unübersehbar. Bertha nimmt an, dass sie sich soeben für den nächsten Tag verabreden.

Bertha lief förmlich zu den hohen Fenstern hinüber.
„Ach, was wird denn nun geschehen?“, rief sie.
Aber der Birnbaum war so wunderschön wie zuvor und genauso blütenübersät und genauso still.

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Katherine Mansfield erzählt zwar in der dritten Person Singular, schildert jedoch alles aus der subjektiven Perspektive der Protagonistin Bertha Young, einer verwöhnten Frau Anfang 30. Über die anderen Charaktere erfahren wir in „Glück“ nur, was Bertha über sie denkt, und das ist naiv und entspricht nicht unbedingt der Realität. Sogar das Bild, das sie von sich selbst hat, ist lückenhaft, oberflächlich und illusorisch. Am Ende bleibt die Frage, ob es besser ist, die Wahrheit zu durchschauen oder in einem unschuldigen Glückszustand zu verbleiben.

Bemerkenswert ist das Symbol des blühenden Birnbaums. Bertha glaubt zunächst, er entspräche ihrem Glücksgefühl. Bei einem Baum handelt es sich um ein Phallussymbol, und ein blühender Obstbaum kann als Symbol der Fruchtbarkeit interpretiert werden. Besonders deutlich wird die sexuelle Bedeutung in einer Passage, die wohl nicht zufällig Parallelen mit der genitalen Erektion aufweist:

Und die beiden Frauen standen da, Seite an Seite, und sahen auf den schlanken blühenden Baum. Obgleich ganz still, schien er sich wie eine Kerzenflamme zu strecken, zu recken, in der Helligkeit zu züngeln, wie sie hinsahen, immer höher zu wachsen, beinahe den Rand des runden silbernen Mondes zu streifen.

Die Begegnung mit Pearl Fulton erregt Bertha. Da spielt wohl eine lesbische Komponente mit, aber Bertha sehnt sich auch zum ersten Mal nach der geschlechtlichen Vereinigung mit ihrem Mann. Nachdem Bertha durchschaut hat, dass ihr Mann sie mit Pearl Fulton betrügt, bleibt der Birnbaum „so wunderschön wie zuvor“. Damit drückt Katherine Mansfield vermutlich aus, dass Berthas Sexualität dauerhaft erblüht ist.

Die Erzählung „Bliss“ erschien zunächst 1918 im August-Heft der „English Review“ und zwei Jahre später in einer Sammlung von Geschichten in Buchform unter dem Titel „Bliss and Other Stories“. „Glück“ gehört neben „Das Gartenfest“ zu den bekanntesten Kurzgeschichten bzw. Erzählungen der neuseeländischen Schriftstellerin Katherine Mansfield.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2013
Textauszüge: ©

Katherine Mansfield (kurze Biografie)

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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon zehn Tage und mehr, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte, und die Zeitspanne wird sich noch verlängern: Aus familiären Gründen werde ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik deutlich reduzieren.