Anthony McCarten : Licht

Licht
Originalausgabe: Brilliance Alma Books Ltd, London 2012 Licht Übersetzung: Manfred Allié, Gabriele Kempf-Allié Diogenes Verlag, Zürich 2017 ISBN: 978-3-257-06994-5, 363 Seiten ISBN: 978-3-257-60781-9(eBook)
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

1878 überrascht der Bankier J. P. Morgan den Erfinder Thomas Alva Edison mit einem Besuch. Der Investor beabsichtigt, die Gasbeleuchtung durch elektrisches Licht und die Einrichtung von Stromnetzen abzulösen. Und dazu benötigt er den Erfinder der Glühlampe und anderer für die Strom­versorgung wichtiger Geräte. 1882 nehmen sie ein erstes Zentralkraftwerk in New York in Betrieb. Während Edison stur am Gleichstrom festhält, setzt der Konkurrent Westinghouse auf Wechselstrom ...
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Kritik

"Licht" ist keine Biografie, sondern ein auf Tatsachen basierender Roman, in dem Anthony McCarten den genialen Erfinder Edison mit dem skrupel­losen Bankier Morgan konfrontiert und veranschaulicht, wie in der Industrie Konkurrenzkämpfe ausgefochten werden.
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Im August 1929 sind der 82-jährige Thomas Alva Edison und seine zweite, 18 Jahre jüngere Ehefrau Mina in einem Sonderzug unterwegs nach Dearborn/Michigan, wo der Erfinder geehrt werden soll. Für die Feier ließ sein Freund Henry Ford eigens Edisons erste Werkstatt aus Newark nach Dearborn bringen. Während eines Aufenthalts in Walker’s Cross steigt Edison unbemerkt aus, und der Zug fährt ohne ihn weiter.

Edison setzt sich auf eine Bank am Bahnsteig. Schließlich unterhält sich der Schwerhörige mit einem 15-jährigen Farmersohn namens Winthrop, der nach New York will – also in die Gegenrichtung –, um dort sein Glück zu suchen: „Ich will Millionär werden, Sir.“ Edison rät dem Jungen:

„[…] mache keine Religion aus dem Geldverdienen. Sonst siehst du Menschen aus Fleisch und Blut als etwas, das du ausbeuten kannst wie ein Ölfeld, fällen kannst wie einen Wald. Ich war dabei, als diese Art zu denken sich an der Wall Street breitmachte […]. Mit den Eisenbahnen hat es angefangen, den großen Fernstrecken, aber das Maß haben sie erst mit der Elektrizität verloren.“

Thomas Alva Edison erinnert sich, wie ihn der Bankier John Pierpont Morgan – der „Napoleon der Wall Street“ – 1878 unerwartet in Menlo Park/New Jersey besuchte und sich einige seiner Erfindungen anschaute. Sein eigentliches Interesse galt der Glühlampe. Er wusste, dass Cornelius Vanderbilt die Rechte für die USA bereits erworben hatte und sagte zu Edison:

„Ich will Ihnen helfen, Europa zu erleuchten. […]
Als Erstes ein Triumph im Ausland, und dann will ich sehen, ob ich nicht mit Vanderbilt über die Beleuchtung New Yorks reden kann – anschließend der Rest von Amerika.“

Edison kannte Fakten und Gerüchte über den steinreichen Bankier mit der von Rosazea entstellten Nase. Morgans erste Ehefrau, Amelia Sturges, war Anfang 1862 nach vier Monaten Ehe im Alter von 27 Jahren an Tuberkulose gestorben. Im Jahr darauf hatte er Frances („Fanny“) Louisa Tracy geheiratet, die er nicht liebte, aber als Mutter seiner vier Kinder respektierte. Es hieß, er habe in New York eigens einen Krankenhausflügel finanziert, in dem seine Geliebten Abtreibungen durchführen lassen konnten. Einerseits galt der erfolgreiche Geschäftsmann als Lüstling, andererseits setzte er sich dafür ein, die Genitalien von Statuen zu verhüllen.

Bald nach dem Besuch bei Edison in Menlo Park traf sich J. P. Morgan an Bord der von Liverpool nach New York ausgelaufenen SS Britannic mit William („Billy“) Henry Vanderbilt, dem Sohn und Erben des 1877 verstorbenen Gründers der Unternehmerdynastie. Zunächst überredete er ihn, die New York Central Line an die Börse zu bringen, die letzte amerikanische Eisenbahnlinie im alleinigen Familienbesitz. Danach schwatzte er Billy Vanderbilt auch noch die Rechte an der von Thomas Alva Edison entwickelten Glühbirne ab.

Zurück in den USA, lud J. P. Morgan den Erfinder auf eine vor der Ostküste kreuzende Yacht ein. Auf Edisons begeisterte Frage, was so ein Schiff kosten würde, antwortete der Bankier: „Wenn Sie fragen müssen, ist sie zu teuer für Sie.“ Zum Spaß lieferte sich Morgan mit einem anderen, ihm unbekannten Segler ein Rennen mit gefährlichen Manövern.

„Dem Burschen wollen wir mal zeigen, wie man ein Rennen fährt!“
Edison war erstaunt. Es gab so viel freie Wasserfläche und keinerlei Notwendigkeit zu einem Streit.

In London habe er erfahren, berichtete Morgan, dass der Physiker und Chemiker Joseph Wilson Swan die Erfindung der Glühlampe für sich beanspruchte und Edison verklagt hatte. Edison erschrak, aber Morgan beruhigte ihn und versicherte, er habe mit Swan gesprochen und ihm eine Zusammenarbeit angeboten. Dann erläuterte er seinen geänderten Plan: Weil er inzwischen die amerikanischen Rechte an der Glühlampe von Billy Vanderbilt erworben hatte, würden sie nun mit der Elektrifizierung in New York statt in einer europäischen Stadt anfangen und am Silvesterabend den Gästen in seiner Stadtvilla an der Madison Avenue elektrisches Licht vorführen. Einen ganzen Monat arbeitete Edison mit seinen Leuten an der Installation. Am vierten Tag des neuen Jahrs brach in Morgans Arbeitszimmer ein Feuer aus, und der Bankier befürchtete negative, seine Investitionen in Edisons Erfindungen gefährdende Schlagzeilen. Aber die Elektrifizierung ging mit dem Bau des ersten Zentral­kraftwerks der USA in der Pearl Street weiter.

Der aus Serbien stammende Physiker und Elektroingenieur Nikola Tesla hatte ein halbes Jahr für Edison gearbeitet, war jedoch nach einem Streit eigene Wege gegangen. Während Thomas Alva Edison stur am Gleichstrom festhielt, setzten der Großindustrielle George Westinghouse und Nikola Tesla auf Wechselstrom. Und weil sie damit Erfolg hatten, forderte Morgan Edison auf, etwas gegen die Konkurrenz zu unternehmen.

Ein Mann namens Harold J. Brown meldete sich bei Edison und bot ihm an, eine mit Wechselstrom funktionierende Hinrichtungsmethode zu entwickeln, um der Öffentlichkeit die Gefährlichkeit des Wechselstroms zu demonstrieren. Edison, der eigentlich gegen die Todesstrafe war, ließ sich darauf ein, um die Erwartungen seines Geldgebers zu erfüllen. Brown experimentierte mit tödlichen Stromschlägen an Tieren und konstruierte nach Vorschlägen des Zahnarztes Albert Southwick einen Hinrichtungsstuhl, den er maliziös Westinghouse-Stuhl nannte.

Damit wurde am 6. August 1890 im Auburn-Staatsgefängnis der Mörder William Kemmler hingerichtet. Es dauerte viel zu lang, bis der Verurteilte endlich tot war.

Fünfundvierzig Minuten, alles in allem. Fünfundvierzig Minuten – so lange brauchten sie, um den Mörder Kemmler zu töten. Auf dem Höhepunkt schoss eine blaue Flamme aus der Metallglocke auf seinem Kopf.

Gerade deshalb schlug die Absicht fehl, die Gefährlichkeit des Wechselstroms herauszustellen, denn offenbar war es gar nicht so einfach, damit einen Menschen zu töten. Außerdem hielten viele den elektrischen Stuhl für humaner als beispielsweise den Galgen.

Nicht zuletzt wegen Edisons Sturheit, nicht vom Gleichstrom abzurücken, setzte Westinghouse sich auch geschäftlich gegen ihn durch. Morgan verdrängte Edison deshalb aus dessen Unternehmen und betrieb die Fusion der Edison General Electric Company mit der Thomson-Houston Electric Company zur General Electric Company.

Einige Jahre später rief Mina Edison den Engländer Charles W. Batchelor zu Hilfe, einen früheren Mitarbeiter ihres Mannes. Der fuhr nach seinem Besuch bei ihr mit der Bahn von West Orange/New Jersey nach Ogdensburg, um den zum Einsiedler gewordenen Erfinder in die Zivilisation zurückzuholen. Edison hatte das Geld, das ihm für die Übernahme der Edison General Electric Company bezahlt worden war, in den Erzabbau in den Bergen von New Jersey investiert. Als er die dreihundert Männer nicht mehr bezahlen konnte, blieb er in einer Hütte auf dem Gelände zurück. Bei ihm war Frankie, den er als jungen Burschen auf der Suche nach besserem Material für den Glühfaden um die Welt geschickt hatte.

„Ich habe ihn nach China reisen lassen, nach Japan, Ceylon, Nepal – ja, meine Güte, nach Bhutan und Burma, praktisch überallhin –, immer auf der Suche nach exotischen Gräsern, aus denen sich vielleicht Glühdrähte machen ließen.“

Jahrelang hatte er Frankie jeweils nur das Geld für die Weiterreise geschickt, nicht aber für die Rückkehr. Nachdem Frankie an Malaria erkrankt war und Edison lange nicht mehr an ihn gedacht hatte, besann er sich auf seine Verantwortung und ließ ihn durch den Privatdetektiv Billy Burns von der Agentur Pinkerton suchen.

Bei seinem Neffen Charley konnte Edison nichts wiedergutmachen. Den damals 19-jährigen Sohn seines älteren Bruders hatte er nach London geschickt, um der Royal Society sein neues Telefon vorzustellen. Charley war dann auch nach Paris gereist und in der Mansarde eines Liebhabers an einer Überdosis Morphium gestorben. Edison fühlt zeitlebens eine Mitschuld am Tod des jungen Mannes.

Auf dem Bahnsteig von Walker’s Cross erzählt der greise Thomas Alva Edison dem Farmersohn Winthrop, wie er im Alter von fünf Jahren seinen gleichaltrigen Freund Toby Lockwood überredete, mit ihm einen Wasserlauf zu erkunden, obwohl sie beide nicht schwimmen konnten.

„Ich hab’s mit der Angst zu tun bekommen und bin rausgeklettert, aber Toby, der blieb drin. Schaffte es nicht. Und das war schon alles. Ich habe zugesehen, nichts getan. Und dann – dann bin ich einfach nach Hause spaziert, hab einen Stock hinter mir hergezogen, bin nach oben gegangen und ab unter die Bettdecke. Mir wurde abwechselnd heiß und kalt, ich habe am ganzen Körper gezittert, und dann kam meine Mutter und sagte, die Lockwoods sind unten und wollen mich sprechen. Toby war nicht nach Hause gekommen. Die waren vollkommen fertig, seine Leute.“

Wie von Edison erwartet, kommt der Sonderzug zurück. Mina, die angenommen hatte, dass ihr Mann eingeschlafen war, schaute erst kurz vor Dearborn nach ihm und fand das Abteil leer vor.

Mina war die Erste, die aus dem Dampf der Lokomotive auftauchte – wie üblich war sie die Erste, die ihn fand. Sie näherte sich mit einem Lächeln. „Liebling, wir hatten dich verloren.“

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Der 82-jährige Thomas Alva Edison erinnert sich 1929 an Episoden aus seinem Leben, an Erlebnisse in der Kindheit, vor allem aber an die Zeit, in der J. P. Morgan mit ihm zunächst New York und dann ganz Amerika elektrifizieren wollte, bis sie Westinghouse und Tesla im Stromkrieg unterlagen.

Immer wieder kehrt Anthony McCarten (* 1961) zu der Szene 1929 im Bahnhof von Walker’s Cross zurück und entwickelt sie ein Stückchen weiter. Diese Rahmenhandlung gibt dem Roman „Licht“ eine besondere Struktur. Und die entspricht dem Konzept, die Erinnerungsarbeit eines Greises darzustellen. Anthony McCarten erzählt keine lineare, chronologische Geschichte, sondern setzt klare Akzente. Der in Los Angeles, London und München lebende neuseeländische Schriftsteller und Filmemacher ergänzt in seinem Roman die historischen Eckpunkte mit fiktiven Szenen. „Licht“ ist jedoch keine Biografie. Es geht nicht um Edisons Lebensweg, sondern um die Konfrontation des genialen Erfinders Thomas Alva Edison mit dem ebenso skrupellosen wie erfolgreichen Bankier J. P. Morgan. „Licht“ dreht sich um die Gegensätze Moral und Macht, Forschung und Finanzspekulation, Genie und Geld – Licht und Schatten. Dem Protagonisten legt Anthony McCarten folgenden Satz in den Mund:

„Damit, dass man die Welt verbessert, verdient man kein Geld. Nur mit ihrer Zerstörung.“

Anthony McCarten sieht nicht nur die Hochfinanz kritisch, sondern auch die Industrie, denn er veranschaulicht in „Licht“, mit welchen Methoden Konkurrenzkämpfe in der Wirtschaft ausgetragen werden.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2017
Textauszüge: © Diogenes Verlag

Thomas Alva Edison (kurze Biografie)

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