Luigi Pirandello : Mattia Pascal

Mattia Pascal
Originaltitel: Il fù Mattia Pascal in "Nuova Antologia", Rom 1904 Deutschsprachige Veröffentlichungen: Der gewesene Mattia Pascal in "Das Fremdenblatt", Wien 1905 Die Wandlungen des Mattia Pascal, Berlin 1925 Mattia Pascal Neuübersetzung: Piero Rismondo S. Fischer Verlag, Frankfurt/M 1967 Mattia Pascal Übersetzung: Piero Rismondo Überarbeitung: Michael Rössner Klaus Wagenbach Verlag, Berlin 2008 ISBN 978-3-8031-2603-0, 286 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Ein betrügerischer Verwalter bringt Mattia Pascals verwitwete Mutter um ihr gesamtes Vermögen. Mattia Pascal und sein älterer Bruder Berto heiraten schließlich, aber Mattia wird nicht glücklich und macht sich nach dem Tod seiner Mutter davon. Mit dem Geld, das Berto ihm für die Beerdigung gab, gewinnt er in Monte Carlo ein Vermögen, und als er aus der Zeitung erfährt, dass man in seinem Heimatdorf überzeugt ist, er habe sich das Leben genommen, nimmt er eine neue Identität an ...
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Kritik

Der tragikomische Roman "Mattia Pascal" handelt von einer Identitätskrise. Gleichzeitig veranschaulicht Luigi Pirandello, dass das italienische Kleinbürgertum dem um 1900 aufkommenden Typ skrupelloser Geschäftemacher nicht gewachsen ist.
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Als Mattia Pascal viereinhalb Jahre alt ist, stirbt sein Vater während einer Geschäftsreise nach Korsika im Alter von achtunddreißig Jahren an Wechselfieber. Er hinterlässt seiner Witwe und den beiden Söhnen – Mattia und dessen zwei Jahre älterem Bruder Roberto („Berto“) – in dem italienischen Dorf Miragno sein beträchtliches, in Häusern und Ländereien angelegtes Vermögen. (Gerüchten zufolge hatte er den Grundstock für seinen Wohlstand einem Schiffskapitän beim Kartenspiel in Marseille abgewonnen.) Aber die Witwe ist unfähig, das Erbe zusammenzuhalten, und der Verwalter Batta Malagna, dem sie sich arglos anvertraut, plündert sie schamlos aus.

Eine Heilige, meine Mutter! Sie war scheu und sanft und hatte so gar keine Ahnung vom Leben und von den Menschen! (Seite 59)

Berto heiratet schließlich die Tochter eines Weinbergbesitzers in Oneglia und zieht dorthin. Als aufgrund der Betrügereien des Verwalters Malagna die letzten Immobilien aus dem Familienbesitz versteigert werden müssen, sucht Mattia Pascal eine bezahlte Tätigkeit, und der Vater seines Freundes Gerolamo Pomino, der im Gemeinderat sitzt, verschafft ihm eine Anstellung als Bibliothekar in der 1803 von Monsignore Boccamazza gestifteten Bücherei in der Dorfkirche Santa Maria Liberale.

Nach dem Tod seiner ersten Frau Guendalina heiratet Batta Malagna die sehr viel jüngere Tochter des Gutsverwalters Pietro Salvoni und hofft, dass er mit Oliva endlich seine Zeugungsfähigkeit beweisen kann. Tatsächlich wird Oliva schwanger, fast gleichzeitig mit Romilda, der Tochter der intriganten Witwe Marianna Pescatore, und ebenfalls von Mattia Pascal. Zwar ist es Gerolamo Pomino, der Romilda anbetet, aber Mattia Pascal muss sie nun heiraten. Einen Monat, bevor Oliva von einem Sohn entbunden wird, bringt Romilda Zwillinge zur Welt, zwei Mädchen, von denen eines wenige Tage nach der Geburt stirbt, das andere nach knapp einem Jahr.

Zu diesem Zeitpunkt befindet Mattia Pascal sich bereits nicht mehr in Miragno. Während seine Frau nämlich mit den Zwillingen niederkam, starb seine Mutter. Sein Bruder Berto schickte ihm daraufhin 500 Lire für die Beerdigung, aber die Kosten dafür hatte Tante Scolastica bereits übernommen. Mattia Pascal behielt das Geld und nutzte die Gelegenheit, seinen Schulden, seiner deprimierenden Ehe und seiner keifenden Schwiegermutter zu entfliehen: In der Absicht, nach Amerika auszuwandern, setzte er sich in den Zug nach Marseille.

In Nizza verließ ihn der Mut. Er stieg aus und nahm ein Hotelzimmer. Als er einen Teil des Geldes in Monte Carlo beim Roulette setzte, gewann er. Neun Tage lang schwoll sein neuer Reichtum an, dann endete die Glückssträhne, und am zwölften Tag, als er immer noch verhältnismäßig viel Geld besaß, entschloss er sich zur Rückkehr nach Miragno.

Im Zug las er in der Zeitung, man habe die Leiche des Dorfbibliothekars Mattia Pascal im Wassergraben einer Mühle in Miragno gefunden. Ein Selbstmord.

Ich hatte zweiundachtzigtausend Lire bei mir und musste sie niemandem mehr geben! Tot war ich, tot: ich hatte keine Schulden mehr, keine Frau mehr, keine Schwiegermutter mehr, niemanden! Ich war frei! frei! frei! Was wollte ich mehr? (Seite 116)

Kurz entschlossen stieg Mattia Pascal an der nächsten Station aus und nahm den Zug nach Turin. Er gab sich den Namen Adriano Meis und reiste ein Jahr lang durch Europa. Eigentlich wollte er bis Norwegen kommen, aber in Koblenz besann er sich darauf, dass sein Vermögen für den Rest seines Lebens reichen sollte und fuhr nach Rom, wo er sich in einer Familienpension einquartierte.

Damals wählte ich Rom vor allem, weil es mir besser als alle anderen Städte gefiel und auch weil es mir besonders geeignet zu sein schien, neben so vielen Fremden auch einen Fremden wie mich unterschiedslos zu beherbergen. (Seite 147)

Die Pension gehört Anselmo Paleari. Mattia Pascal ist nicht der einzige Gast: Außer ihm wohnt hier noch die schon etwas ältere Klavierlehrerin Silvia Caporale. Betreut werden sie von Palearis hübscher junger Tochter Adriana. Deren Schwager Terenzio Papiano kehrt einige Zeit nach Mattia Pascals Eintreffen mit seinem epilepsiekranken Bruder Scipione aus Neapel zurück. Weil er die Mitgift seiner vor einem halben Jahr kinderlos gestorbenen Frau Rita zurückerstatten musste, ist er mittellos und hat es auf Ritas Schwester Adriana abgesehen, um wieder zu Geld zu kommen.

Eines Tages bringt Terenzio Papiano einen gewissen Francesco Meis aus Turin mit, der überzeugt ist, mit Mattia Pascal alias Adriano Meis verwandt zu sein und sich davon auch nicht abbringen lässt.

Der gerissene Terenzio Papiano schöpft Verdacht. Er ahnt, dass der neue Pensionsgast einen falschen Namen benützt und sich aus irgendeinem Grund vor der Polizei in Acht nimmt.

Mattia Pascal lebt in ständiger Angst, entlarvt zu werden, und um sein Aussehen zu ändern, lässt er sein Schielauge operieren.

Als Adriana ihrem Verehrer Mattia Pascal, kurz nachdem dieser sie in der Dunkelheit bei einer spiritistischen Sitzung küsste, die Rechnung für die Augenoperation überbringt, will er den geforderten Betrag aus dem Schrank holen, in dem er sein gesamtes Vermögen aufbewahrt, aber der ist nicht mehr verschlossen, und es fehlt ein beträchtlicher Teil des Geldes. Mattia Pascal weiß sofort, dass Terenzio Papiano der Dieb ist, denn der befindet sich nicht nur in finanziellen Schwierigkeiten, sondern rechnet auch damit, dass der Bestohlene nicht zur Polizei gehen mag. Tatsächlich hält Mattia Pascal Adriana davon ab, zu ihrem Vater zu laufen und den Diebstahl zu melden.

Obwohl Adriana Stillschweigen versprach, erzählt sie ihrem Vater dann doch, was geschah. Terenzio Papiano versucht, den Verdacht auf seinen Bruder Scipione abzulenken, aber Mattia Pascal behauptet, das Geld inzwischen wiedergefunden zu haben.

Einige Zeit später gerät Mattia Pascal mit dem Künstler Manuel Bernaldez in Streit und wird von ihm beleidigt.

Musste ich also die Beleidigung einfach hinnehmen wie eben erst den Diebstahl? Man beschimpft mich, man ohrfeigt mich beinahe, man provoziert mich, und ich muss es wie ein Feigling dulden, meiner Wege gehen, im Dunkel meines Schicksals untertauchen, das unentrinnbar meiner wartet, mir selber verächtlich werden, hassenswert? (Seite 239)

Mattia Pascal entschließt sich, Bernaldez zum Duell zu fordern und sucht nach zwei Sekundanten. Als er jedoch nicht gleich welche findet, überlegt er es sich anders und nimmt sich vor, seine alte Identität wieder anzunehmen.

Nicht ich, nein, sondern Adriano Meis war beleidigt worden. Und Adriano Meis tötete sich jetzt. (Seite 243)

Nachdem er einige seiner Kleidungsstücke neben einer Flussbrücke abgelegt hat, damit es wie ein Selbstmord aussieht, fährt er mit dem Zug nach Pisa und von dort weiter zu seinem Bruder Berto nach Oneglia. Dort erfährt er, dass seine Frau seit einem Jahr mit Gerolamo Pomino verheiratet ist. Mattia Pascal, der weiß, dass die zweite Ehe ungültig ist, wenn der erste Ehemann wieder auftaucht, kehrt nach Miragno zurück und beabsichtigt, sein Recht einzufordern, aber als er feststellt, dass die verhasste Schwiegermutter Marianna Pescatore noch lebt, ändert er seine Absicht, zumal er sieht, dass Romilda und Pomino glücklich sind und eine kleine Tochter haben. Mattia Pascal verzichtet auf seine Ansprüche und zieht zu seiner Tante Scolastica.

Don Eligio Pellegrinotto, der inzwischen die Boccamazza-Bibliothek in der Dorfkirche Santa Maria Liberale betreut, ermutigt Mattia Pascal, seine Erlebnisse aufzuschreiben.

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Der tragikomische Roman „Mattia Pascal“ („Il fa Mattia Pascal“, 1904; „Der gewesene Mattia Pascal“, 1905; „Die Wandlungen des Mattia Pascal“, 1925) handelt von einer Identitätskrise. Der Ich-Erzähler Mattia Pascal glaubt, sich durch die Annahme einer neuen Identität von seinem bisherigen Leben befreien und wieder bei Null anfangen zu können, aber er muss feststellen, dass er unter dem neuen Namen nicht authentisch handeln kann und kehrt deshalb reumütig zurück. Gleichzeitig veranschaulicht der italienische Nobelpreisträger Luigi Pirandello (1867 – 1936) in seinem Roman, dass das italienische Kleinbürgertum (Mattia Pascal) den um 1900 aufkommenden skrupellosen Geschäftemachern vom Typ Batta Malagna oder Terenzio Papiani nicht gewachsen ist.

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2006
Textauszüge: © S. Fischer Verlag – Seitenangaben beziehen sich auf Band 34
der vom Coron-Verlag herausgebenen „Reihe des literarischen Nobelpreises“, Zürich o. J.

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