Judith W. Taschler : Roman ohne U

Roman ohne U
Roman ohne U Originalausgabe: Picus-Verlag, Wien 2014 ISBN: 978-3-7117-2018-4, 329 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Als Katharina wenige Monate nach der ersten Begegnung mit Julius schwanger wird, bricht dieser sein Studium 1995 in Wien ab und zieht mit ihr zu seinem Vater Arthur in die Bergmühle bei Linz. Bevor elf Jahre später das vierte Kind geboren wird, heiraten die beiden. Nach einem heftigen Streit verlegt Julius seinen Arbeitsplatz nach Tirol und beginnt eine leidenschaftliche Affäre mit der zwei Jahre älteren Innenarchitektin Stephanie, die er kennenlernte, als sie seine Frau beauftragte, die Biografie eines Mannes zu schreiben, der 1965 traumatisiert aus dem Gulag zurückkam ...
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Kritik

In dem fesselnden Familienroman führt Judith W. Taschler geschickt zwei Handlungsstränge zusammen und verknüpft sie so, dass eine Gulag-Geschichte mit einem Ehe- und Dreiecksdrama kontrastiert: "Roman ohne U".

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Julius‘ Mutter Eva Bloomberg stirbt bei seiner Geburt im November 1972. Der 32-jährige Vater Arthur Bergmüller überlässt den vier Wochen alten Säugling während eines Aufenthalts bei seinen Eltern Max und Luiza in der stillgelegten Bergmühle bei Linz der amerikanischen Kunstkritikerin Esther, der Mutter der Verstorbenen, die eigens aus Florida angereist ist, um ihren Enkel abzuholen.

Esther war 1917 in Wien als Tochter eines angesehenen jüdischen Arztes auf die Welt gekommen. Die Nationalsozialisten brachten fast ihre ganze Familie um. Esther konnte sich rechtzeitig mit ihrem Ehemann, dem jüdischen Rechtsanwalt Samuel, verstecken. Im Frühjahr 1943 gebar Esther eine Tochter. Kurz darauf wurden sie und Samuel von der SS aufgegriffen. Eine Bäuerin nahm sich des verwaisten kleinen Mädchens Eva an. Samuel starb im Februar 1945 im Steinbruch des KZ Mauthausen. Esther überlebte traumatisiert und heiratete nach dem Krieg den um einiges älteren Industriellen Gabriel Bloomberg, der Eva adoptierte.

Julius wächst in Fort Lauderdale auf. Kurz vor seinem sechsten Geburtstag wird bei seiner Großmutter Esther ein Lungenkarzinom diagnostiziert. Daraufhin fordert sie Arthur auf, seinen Sohn zu holen. Am 12. November 1978 trifft der 38-Jährige mit dem Kind in seinem Elternhaus ein.

Das letzte Mal war Arthur anlässlich des Begräbnisses seiner verwitweten Mutter Luzia dort gewesen. Die Eltern hinterließen ihm hohe Schulden, denn der Vater hatte für den Kredit eines Betrügers gebürgt, der mit dem Geld verschwunden war, vermutlich nach Südamerika.

Eine Lehrerin, die für eine erkrankte Kollegin einsprang und Julius‘ Klasse übernommen hat, wird Arthurs Lebensgefährtin und Ersatzmutter seines Sohnes. Nach zwei Jahren stellt ihn Renate vor die Wahl, sie entweder zu heiraten oder die Beziehung zu beenden. Weil Arthur kein zweites Mal heiraten möchte, trennt Renate sich von ihm.

Julius, der inzwischen den Familiennamen seines Vaters trägt – Bergmüller – arbeitet in den Schulferien in der Werkstätte des Restaurators Ferdinand Hauer. Das macht ihm so viel Freude, dass er dann auch Restaurierung und Konservierung in Wien studiert.

Ende 1994 beginnt der 22-Jährige ein Liebesverhältnis mit einer vier Monate jüngeren Frau namens Katharina, die in einer Werbeagentur in Wien tätig ist. Im Januar 1995 stellt sie fest, dass sie ungewollt schwanger geworden ist. Katharina kann ihre Mutter nur telefonisch darüber informieren, denn Linda hält sich mitihrem Freund in Sydney auf. Die Schwangerschaft verunsichert sie, zumal sie sich über eine dauerhafte Beziehung mit Julius noch keine Gedanken gemacht hat. Während Katharina und Julius über eine Abtreibung reden, überrascht Arthur Bergmüller, der geschäftlich in Wien zu tun hat, seinen Sohn mit einem Besuch. Dabei lernt er Katharina kennen – und ahnt rasch, welche Sorgen das Paar hat. Er schlägt den beiden vor, zu ihm in die Bergmühle zu ziehen. Julius hasst es zwar, von seinem Vater abhängig zu sein, folgt jedoch der Einladung, bricht sein Studium ab und arbeitet wieder bei Ferdinand Hauer als Restaurator.

Katharina bringt Zwillinge zur Welt.

Vincent und Victoria sind zwei Jahre alt, als eine Frau Mitte 20 vor der Bergmühle aus einem Auto steigt und sich Katharina vorstellt. Es handelt sich um Doris. Sie ging mit Julius zur Schule, und er gab ihr Nachhilfeunterricht in Englisch. Sie studierte Veterinärmedizin in Wien und eröffnet nun eine Tierarztpraxis im Heimatort, wo ihr Freund Andreas die Mechanikerwerkstätte seines Vaters übernehmen musste, obwohl er eigentlich Physik studieren wollte.

Doris und Katharina werden enge Freundinnen. Im Sommer 1999 sind sie beide schwanger. Sie bringen Mara und Leonora zur Welt.

Als Schüler war Julius des Öfteren bei Doris, um ihr im Englischen zu helfen. Deren Mutter Claudia lockte den 15-Jährigen ins Schlafzimmer und zeigte ihm, wie ein Mann einer Frau Lust verschaffen kann. Nun knüpfen Julius und Claudia an die Beziehung vor zehn Jahren an. Sie treffen sich regelmäßig, bis sie die Affäre im Frühjahr 2001 beenden, weil Julius und Katharina im Juni heiraten wollen.

Ein paar Jahre später wird Katharina erneut schwanger. Obwohl sie kein viertes Kind haben möchte, lässt sie sich von Julius überzeugen, es auszutragen.

Während der Schwangerschaft erfährt Katharina von Julius‘ früherem Arbeitskollegen Robert, der seit einem Skiunfall im Rollstuhl sitzt und alkoholkrank ist, dass Julius sie absichtlich schwängerte. Darüber kommt es zu einem heftigen Streit des Ehepaars. Ein paar Wochen später lässt Julius sich in Wien zum Pharmareferenten umschulen und übernimmt einen Vertreterjob in Vorarlberg und Tirol.

Luisa wird im Juni 2006 geboren.

Als sie in den Kindergarten kommt, fängt Katharina an, auf Bestellung Biografien zu schreiben.

Im März 2012 hält Julius sich gerade zu Hause bei seiner Familie auf, als die Innenarchitektin Stephanie Ludovica Mangold vorbeikommt, um Katharina einen Auftrag zu erteilen. Sie soll die schrecklichen Erlebnisse ihres Onkels Thomas während eines 20 Jahre langen Zwangsaufenthalts in Sibirien zu Papier zu bringen. Mit ihm selbst zu sprechen werde nicht möglich sein, sagt sie, denn der alte Mann lebe in einem Pflegeheim und sei schwer dement. Aber sie will Katharina ein Manuskript schicken, das er 1965 tippte und ein von ihm besprochenes Tonband.

In einem unbeobachteten Augenblick fordert Stephanie Mangold Katharinas Ehemann auf, sie anzurufen. Das ist der Beginn einer leidenschaftlichen Liebesbeziehung. Stephanie wohnt in Innsbruck, also in dem Bereich, in dem Julius arbeitet. Sie ist zwei Jahre älter als er.

Wie besprochen, erhält Katharina von ihrer Auftraggeberin ein Tonband und ein Manuskript mit dem Titel „Roman ohne U“. Was sie da liest und hört, erschüttert sie.

– – –

Thomas Bergmüller wird am 26. April 1925 in einer Mühle geboren. Ein Jahr später verlässt der Vater die Familie, um in Australien nach Gold zu schürfen. In der Mühle wohnen nicht nur Thomas und seine Mutter, die sich als Schneiderin durchschlägt, sondern auch die Großeltern mütterlicherseits und der geistig zurückgebliebene Onkel Hermann, außerdem Hedwig, eine Schwester seines Vaters, mit ihrem Ehemann Alfred und den beiden Kindern Gudrun und Rudolf, die mit Thomas zusammen aufwachsen. 1939 kehrt der Vater aus Australien zurück, nimmt Thomas vom Gymnasium und zwingt ihn, in der Mühle mitzuarbeiten. Als der Vater den Jungen, der Schriftsteller statt Müller werden möchte, im August 1945 an der Schreibmaschine erwischt, ohrfeigt er ihn und fegt das Gerät vom Tisch. Dabei wird der Typenhebel mit dem U beschädigt. Thomas läuft von zu Hause fort und tut sich mit zwei Bekannten aus dem Nachbardorf zusammen. Als sie russische Soldaten mit zwei jungen Österreicherinnen beim Baden in einem Fluss sehen, rauben sie im Übermut die am Ufer liegende Kleidung und zerstechen die Reifen des Jeeps. Drei Tage später wird Thomas in Wien festgenommen und vor ein Militärtribunal gebracht, das ihn zu 15 Jahren Arbeitslager in Sibirien verurteilt.

Im Gefängnis in Wien sieht er Ludovica zum ersten Mal.

Als die SS die Eltern 1943 aus der Villa in Wien abführten, konnten sich die beiden 12 bzw. 17 Jahre alten Töchter Susanna und Ludovica Juliane Steiner im Kohlenkeller verstecken. Ludovica wollte wie ihre aus der verarmten Aristokratenfamilie Reichenfels stammende Mutter Pianistin werden. Der Vater hatte als höherer Beamter in der Forstwirtschaft gearbeitet. Er und seine Frau kamen in Dachau ums Leben. Im August 1945, der Krieg war bereits zu Ende, trat ein betrunkener Rotarmist die Tür ein und fiel über Susanna her. Nachdem die 19-jährige Ludovica vergeblich versucht hatte, ihn von ihrer fünf Jahre jüngeren Schwester wegzuzerren, erschoss sie ihn mit der von ihrem Vater hinterlassenen Pistole. Der Knall alarmierte andere Russen, die vor dem Haus standen und rauchten. Bevor Ludovica von ihnen festgenommen wurde, konnte sie Susanna noch rasch in einem Kleiderschrank verstecken.

Auf dem Weg nach Sibirien sehen sich Thomas und Ludovica auf einem Bahnsteig wieder. Soldaten machen sich einen Spaß daraus, einen Hund auf die junge Frau zu hetzen. Der verbeißt sich in ihrem Bein. Obwohl Thomas damit rechnen muss, von den Rotarmisten erschossen zu werden, stürzt er sich auf den Hund, tritt ihn in den Bauch, reißt ihn zurück. Die verblüfften Soldaten schlagen ihn daraufhin zusammen. Als ihr Anführer, ein Offizier namens Wladimir Iwanowitsch Teljan, Thomas die Pistole an die Stirn hält, setzt Ludovica sich für den Mitgefangenen ein und bietet an, Klavier zu spielen.

Offenbar hat sie bereits erfahren, dass Teljans Ehefrau Ludmilla vor dem Krieg eine erfolgreiche Konzertpianistin war. Im Anschluss an einen Besuch ihrer Eltern 1944 in Riga wollte sie sich mit einem deutschen Leutnant, mit dem sie seit einem Konzert in Warschau heimlich Briefe gewechselt hatte, nach Berlin absetzen. Teljan erfuhr davon, überraschte die beiden und erschoss sie. Als der Krieg zu Ende war, meldete er sich freiwillig als Lagerleiter in Sibirien.

Thomas muss in einem sibirischen Uran-Bergwerk arbeiten. Eines Tages bekommt er die Aufforderung, eine Krankheit zu simulieren und sich ins Lazarett einweisen zu lassen. Dort ist Ludovica inzwischen als Krankenschwester tätig. Gemeinsam planen sie ihre Flucht. Ohne die starke Frau hätte Thomas es nie gewagt. Sie schaffen es beinahe, die Beringsee in einem Boot zu überqueren. In Sichtweite der Küste von Alaska werden sie jedoch von einem Wal gerammt. Inuit-Jäger, die es beobachtet haben, retten sie, und in der Nacht schlafen Thomas und Ludovica miteinander. Es ist für sie beide das erste Mal. Aber die Inuits haben sie nicht nur aus dem Wasser gezogen, sondern auch verkauft: Amerikanische Soldaten holen die beiden Flüchtlinge ab und übergeben sie nach einer längeren Fahrt an Rotarmisten. Wladimir Iwanowitsch Teljan ist einer von ihnen. Auf dem Schiff, das die Gefangenen nach Sibirien zurückbringt, wird Thomas zusammengeschlagen, und er hört Ludovica verzweifelt schreien.

Ein Jahr später erfährt Thomas, dass Teljan inzwischen ein Goldschürflager auf Kolyma leitet und die Pianistin mitnahm.

Nach einem Unfall im Uranbergwerk bei Magadan wird Thomas 1950 ins Lazarett gebracht, und als er wieder zu sich kommt, sitzt Ludovica an seinem Bett. Sie ist seit einem Monat hier Krankenschwester. Teljan hält sich einige Zeit bei seiner Familie in Moskau auf und wird nachkommen.

Am 8. September 1950 fliehen Thomas und Ludovica erneut. Sie gelangen unbemerkt auf einen Frachter und verstecken sich im Laderaum. Als das Schiff im Eis feststeckt, gehen sie zu Fuß los. Diesmal werden sie von drei Tschuktschen gerettet. Weil die Beringstraße zugefroren ist, können sie die Meerenge vorerst nicht überqueren und machen sich in der Gemeinde nützlich. Im Frühjahr 1951 ziehen sie weiter, aber in der dritten Nacht werden sie von sowjetischen Soldaten entdeckt und zur Militärkommandantur in Uelen gebracht – wo Wladimir Iwanowitsch Teljan auf sie wartet.

Es ist der 21. Mai 1951. Den Tag wird Thomas nie vergessen.


Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.


Teljan lässt die beiden Gefangenen ins Badehaus bringen, wo zwei mit kalten Wasser gefüllte Wannen bereitstehen. Der russische Offizier zwingt sie, sich nackt ausziehen und vor seinen Augen zu waschen. Dann muss Ludovica in das rote Lieblingskleid seiner toten Frau schlüpfen. In seiner Unterkunft ist der Tisch für sechs Personen gedeckt. Drei Soldaten essen mit ihnen. Anschließend zerrt Teljan Ludovica ins Nebenzimmer, während die drei Soldaten nacheinander Thomas vergewaltigen. An einem Strick, den er ihr um den Hals gebunden hat, führt Teljan die 25-Jährige wieder herein. Zu sechst marschieren sie ein Stück weit in die Tundra. Dort packen die Soldaten eine Axt aus, und der Offizier befiehlt Thomas, der Pianistin einen Finger abzuhacken. Als Thomas sich weigert, greiftTeljan selbst nach der Axt und fängt an, Ludovica Finger abzuhacken.

Teljan hört nicht auf, mit weiteren Schlägen hackt er ihr die restlichen vier Finger ab, wobei er nicht jedes Mal genau trifft. Mit der blutigen Axt streift er die Finger in das Gras. Ich muss mich übergeben. Lu schreit und schreit.
Die Soldaten lassen die rechte Hand los und pressen die linke Hand auf den blutüberströmten Baumstumpf. Dieses Mal macht er sich nicht mehr die Mühe, die einzelnen Finger zu erwischen. Er hackt mit einem Hieb die ganze Hand ab […]

Sobald die Soldaten Ludovica loslassen, fällt sie um. Sie verblutet.

Wladimir Iwanowitsch Teljan jagt sich bald darauf eine Kugel in den Kopf.

Thomas arbeitet als Sanitäter im Krankenhaus von Magdan, bis er 1958 in einem Schnellverfahren begnadigt wird und im Herbst 1964 nach Moskau fährt.

Am 14. März 1965 kehrt er nach Wien zurück. Dort fragt er nach Susanna Steiner und erfährt, dass sie gleich nach dem Krieg zu Freunden der Eltern nach Tirol zog und in Kitzbühel heiratete.

Erst am vierten Tag sucht Thomas seine Eltern auf, die glaubten, er sei tot.

Auf der Schreibmaschine mit dem kaputten U, die seine Mutter aufgehoben hat, beginnt er einen Bericht über seine traumatischen Erlebnisse in den letzten 20 Jahren zu schreiben. „Roman ohne U“ lautet der Titel.

– – –

Beim Skifahren mit seiner Geliebten wird Julius im November 2012 von einer Lawine erfasst. Er überlebt den Unfall leicht geschockt, aber unverletzt, und Stephanie bringt ihn zu seinem Hotel in Innsbruck zurück. Weil er dort Katharinas geparkten Wagen entdeckt, steigt er allein aus und lässt seine Geliebte nach Hause fahren. Katharina entschloss sich, ihren Ehemann mit einem Besuch zu überraschen. Sie möchte die Harmonie in der Ehe wieder herstellen und für zwei, drei Monate mit Julius verreisen. Mit ihrem 72-jährigen Schwiegervater Arthur und dessen Pflegerinnen Olga und Mascha hat sie schon gesprochen: Sie werden sich um die Kinder kümmern. Ferdinand Hauer will sein Antiquitätengeschäft mit der Werkstatt altersbedingt verkaufen, und weil Katharina weiß, wie gern Julius dort arbeitete, schlägt sie ihm vor, den Betrieb zu übernehmen.

Katharinas Begeisterung steckt Julius an. Am 21. Dezember will er sich von Stephanie trennen.

„Es tut mir leid, Stephanie“, sagte er und legte seine Hand auf ihre, „irgendwann musste ich mich entscheiden. Ich habe meinen Job gekündigt und werde wieder ganz zu Hause wohnen. Ich möchte mich als Restaurator selbständig machen. Ich liebe dich, aber ich liebe auch meine Frau und na ja, wir haben Kinder.“

Da überrascht Stephanie ihn mit dem Geständnis, dass ihre erste Begegnung kein Zufall war. Die Biografie, die Katharina schreiben soll, sei nicht die ihres, sondern seines Onkels.

Stephanies Mutter Susanna hatte eine fünf Jahre ältere Schwester, Ludovica Juliane, die 1945 von der sowjetischen Besatzungsmacht nach Sibirien deportiert wurde, weil sie einen Rotarmisten erschossen hatte, der über Susanna hergefallen war. Später fand eine Freundin der Familie das 14-jährige Mädchen allein, traumatisiert und verwahrlost in der Wohnung vor. Die Eltern waren im KZ Dachau umgekommen. Susanna wurde von der Frau zu anderen Familienfreunden nach Tirol gebracht. Sie besuchte dort die Lehrerbildungsanstalt, wurde Volksschullehrerin und war bereits Mitte 30, als sie Martin Mangold heiratete, den Besitzer eines großen landwirtschaftlichen Betriebs in der Nähe von Kitzbühel. 1967 gebar sie einen Sohn und drei Jahre danach eine Tochter: Philipp und Stephanie. Von Ludovica hörte sie nie wieder etwas.

Als Stephanie zehn Jahre alt war, starb der Vater durch einen Reitunfall. Im Jahr darauf kam Philipp zu Verwandten in Wien. Stephanie studierte in Innsbruck Architektur und fing dann in einem großen Möbelhaus zu arbeiten an. Schließlich unternahm sie eine Weltreise und machte sich anschließend als Innenarchitektin selbstständig.

Im Gartenhaus ihrer Mutter wohnte ein Mann namens Thomas Bergmüller. Der hatte im Herbst 1965 vor der Tür gestanden und um Arbeit gebeten. Kurz zuvor war er aus einer psychiatrischen Klinik in Linz entlassen worden. Susanna überließ ihm das leer stehende Häuschen. Dafür arbeitete er im Stall und übte Hausmeistertätigkeiten aus, auch noch im Rentenalter. Vor zwei Jahren brachte Susanna ihn in einem Pflegeheim unter, weil er allein nicht mehr zurechtkam. Um das Gartenhaus vermieten zu können, bat sie ihre Tochter, sich um die Renovierung zu kümmern. Dabei entdeckte Stephanie das Manuskript aus dem Jahr 1965 – „Roman ohne U“ – und ein Tonband, das ein Psychiater in Linz aufgenommen haben musste, während Thomas von seinen Erlebnissen berichtete.

Stephanie las vom schrecklichen Schicksal ihrer Tante Ludovica. Dann ging sie dem Hinweis nach, dass der Verfasser als Sohn von Max und Luzia Bergmüller geboren wurde und einen jüngeren Bruder namens Arthur hatte. Sie fuhr zur Bergmühle – und verliebte sich auf den ersten Blick in Julius. Katharina sagte sie, es handele sich um die Biografie ihres eigenen Onkels. In Wirklichkeit ist Thomas Bergmüller nicht mit ihr, sondern mit Julius verwandt.

Die Liebe von Ludovica Steiner und Thomas Bergmüller endete tragisch. Stephanie hält es für schicksalhaft, dass sich Ludovicas Nichte und Thomas‘ Neffe ebenfalls verliebten.

Sie schlägt Julius vor, noch kurz seinen Onkel in Kitzbühel zu besuchen. Während sie vorausfährt, folgt er ihr mit seinem Dienstwagen. Beim gemeinsamen Mittagessen spricht Thomas Bergmüller zwar kaum ein Wort, und es bleibt unklar, was er versteht und was nicht, aber Julius ist davon angetan, wie natürlich Stephanie mit dem dementen Greis umgeht. Er ändert seine Meinung. Stephanie passt besser als Katharina zu ihm. Statt von seiner Geliebten will er sich von seiner Ehefrau trennen.

Nachdem sie Thomas ins Heim zurückgebracht haben, steht Julius noch neben Stephanies Wagen am offenen Seitenfenster und sagt ihr, dass er nach Hause fahren und mit Katharina reden werde. Er beugt sich zu ihr und küsst sie. In diesem Augenblick läuft ein kleiner Junge auf die Straße. Ein übermüdeter Lastwagenfahrer wird dadurch zu einer Vollbremsung gezwungen und kommt ins Schleudern. Julius und Stephanie sterben noch an der Unfallstelle.

Julius‘ Geliebte starb mit dem Geschmack eines leidenschaftlichen Kusses auf ihren Lippen und in dem Bewusstsein, ihr Traummann wolle mit ihr gemeinsam alt werden. Seine Frau Katharina hatte an dem Morgen noch eine letzte SMS von ihrem Mann bekommen, in der stand, dass er sie so sehr liebe. Auf dem Beifahrersitz des Autos fand sie, die Witwe, Tage später die Cat-Stevens-CD und als sie sie öffnete, fiel ein Zettel heraus, auf dem stand: Ich will mit dir gemeinsam alt werden. Dein dich liebender Julius. Sie blieb also traurig zurück, jedoch mit dem tröstenden Wissen, dass ihr Mann sie geliebt hatte und mit ihr gemeinsam hatte alt werden wollen.

Katharina erhält die Nachricht in der Bergmühle und wird gebeten, so rasch wie möglich ins Bezirkskrankenhaus St. Johann kommen, um die Leiche ihres Mannes zu identifizieren. Als sie erfährt, dass der Unfall vor dem Pflegeheim stattfand, in dem Thomas Bergmüller lebt und Julius neben dem Auto Stephanie Mangolds stand, nimmt sie an, er habe sich ihrer zwei Tage zuvor geäußerten Bitte entsprechend mit ihrer Auftraggeberin in Verbindung gesetzt und mit ihr zusammen Thomas Bergmüller besucht, um zu prüfen, ob er nicht doch noch Fragen beantworten könnte.

Im Keller des Bezirkskrankenhauses trifft Katharina auf Philipp Mangold, den Bruder der Toten, der in Wien als Neurochirurg tätig ist. Sie berichtet ihm von dem Auftrag, den seine Schwester ihr erteilte.

Anfang 2013 kommt Philipp Mangold zur Bergmühle, um mit Katharina und Arthur Bergmüller zu reden. Er will die beiden darüber aufklären, dass Thomas Bergmüller Arthurs Bruder ist.

„Ich hatte einen Bruder, der ist nach dem Krieg verschwunden“, sagte Arthur.
„Ja, aber der hat ja Max geheißen und ist schon gestorben“, warf Katharina ein.

Arthur kann sich an seinen sechs Jahre älteren Bruder kaum erinnern, denn im Alter von fünf Jahren sah er ihn zum letzten Mal. Von einer greisen Nachbarin namens Philomena, die mit seiner Mutter Luiza befreundet war, erfährt Arthur, dass sein Bruder mit vollem Namen Maximilian Thomas Bergmüller hieß. Im März 1965 – Arthur studierte damals Architektur in Wien – stand der Totgeglaubte plötzlich wieder vor seinen Eltern, aber er wollte nicht über seine offenbar traumatischen Erlebnisse reden und ging nach kurzer Zeit wieder fort.

Philipp und Katharina werden ein Paar. Im Sommer 2013 fahren sie zusammen mit den vier Kindern, Arthur, dessen Pflegerinnen Olga und Mascha, Thomas und Susanna für ein paar Tage nach Paris.

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Die Handlung, die Judith W. Taschler in ihrem fesselnden „Roman ohne U“ entwickelt, beginnt 1945 und endet 2013. Über mehr als ein halbes Jahrhundert erzählt sie eine breite, Generationen übergreifende Familiengeschichte.

Geschickt führt sie zwei Handlungsstränge zusammen und verknüpft sie. Erst gegen Ende zu enthüllt die Autorin das zunächst nur teilweise erkennbare Beziehungsgeflecht zwischen den Hauptfiguren Arthur, Julian, Katharina, Stephanie, Thomas und Ludovica. Statt der Chronologie zu folgen, wechselt Judith W. Taschler in „Roman ohne U“ zwischen Handlungssträngen, Schauplätzen und Zeitebenen. Dabei kontrastiert eine erschütternde Geschichte, die sich 1945 bis 1965 im Gulag zuträgt, mit einem Jahrzehnte später spielenden ergreifenden Ehedrama und einer Dreiecksgeschichte, für die sie sich ein raffiniertes Ende mit tragischen, aber auch hoffnungsvollen Zügen ausgedacht hat. Auf diese Weise wechseln sich Höhen und Tiefen in den Lebensgeschichten ab, und es entstehen Spiegelungen im „Roman ohne U“.

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2014
Textauszüge: © Picus-Verlag

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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon zehn Tage und mehr, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte, und die Zeitspanne wird sich noch verlängern: Aus familiären Gründen werde ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik deutlich reduzieren.