Hubert Achleitner : flüchtig

flüchtig
flüchtig Originalausgabe Paul Zsolnay Verlag, Wien 2020 ISBN 978-3-552-05972-6, 300 Seiten ISBN 978-3-552-05957-3 (eBook)
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Eva Maria Magdalena Neuhauser wird in einer abgestellten Seilbahn hoch über dem Boden geboren. Ein Abortus im fünften Jahr ihrer Beziehung mit dem Musiklehrer Herwig Berger wirft die Bankangestellte aus der Bahn, aber es dauert noch 30 Jahre, bis sie ihren Mann ohne Erklärung verlässt und sich ziellos auf den Weg macht ...
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Kritik

Hubert Achleitner hat einen Roman geschrieben, der sich nicht stringent-chronologisch, sondern mehr wie ein Musikstück entwickelt. Man kann "flüchtig" als Road Novel über Liebe und Sehnsucht, Suchen und Loslassen lesen. Viele der Figuren sind auf der Flucht, also flüchtig.
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Eva Maria Magdalena Neuhauser

Georg und Mathilde Neuhauser leben in einem Bergdorf am Karstein in den Kitzbüheler Alpen und sind beide bei der Seilbahn angestellt. Als am 5. Januar 1962 bei Mathilde Neuhauser die Wehen einsetzen, besteht ihr Mann auf einer Sonderfahrt der wegen eines Sturms abgestellten Seilbahn, damit sich im Tal ein Arzt um die Gebärende kümmern kann. Aber Mathilde muss unterwegs den Nothalt-Knopf drücken, weil die vom Sturm zur Seite gedrückte Kabine sonst gegen den nächsten Pfeiler prallen würde. So kommt ihre Tochter Eva Maria Magdalena in einer Seilbahn hoch über dem Boden zur Welt.

Maria wächst in dem Bergdorf auf. Als sie schulpflichtig wird, zieht die Familie ins Tal. Dort besucht Maria dann auch die Handelsakademie, und nach der Matura fängt sie als Bankangestellte zu arbeiten an.

Maria und Herwig

Als die 20-Jährige für besondere Leistungen eine Freikarte für eine Aufführung der Oper „Don Giovanni“ in Salzburg erhält, trifft sie dort den fünf Jahre älteren Lehrer Herwig Berger wieder, der ein Jahr vor ihrem Abschluss an die Handelsakademie kam. Er habe die Gruberová hören wollen, erklärt er.

Die beiden werden ein Paar. Im fünften Jahr ihrer Beziehung stellt Maria fest, dass sie schwanger ist und schlägt eine Abtreibung vor. Davon will Herwig nichts wissen. Sie heiraten. Aber die Schwangerschaft endet mit einem Abortus, und danach ist Maria verändert. Sie wechselt zwischen Phasen der Zurückweisung jedes körperlichen Kontakts und wilder Geilheit. Herwig beginnt zu trinken.

Nora

Nach mehr als 30 Ehejahren beginnt Herwig eine Affäre mit Nora, die altersmäßig seine Tochter sein könnte.

Nora wuchs in der norwegischen Stadt Alta auf, 230 Kilometer südwestlich vom Nordkap. Ihr deutscher Vater war dort gestrandet und hatte dann die samische Museumsdirektorin Ylva kennengelernt.

Ein Jahr dauert die Liebesbeziehung von Nora und Herwig, als Noras früherer Freund Oskar wieder auftaucht und versucht, sie zurückzugewinnen. Von Herwig erfährt er nichts, auch nicht, als sie zu ihm nach Salzburg zieht. Nora betrügt ihren Lebensgefährten mit Herwig, und der betrügt seine Ehefrau mit Nora.

2017 stellt Nora fest, dass sie schwanger ist.

flüchtig

35 Jahre nach ihrer Begegnung bei den Festspielen in Salzburg entdeckt Maria durch Zufall auf dem Handy ihres Mannes eine SMS mit dem Text „Ich bin schwanger“. Absenderin: „Nordlicht“. Herwig scheint also Vater zu werden.

Maria ist ohnehin deprimiert, weil ihre Eltern wenige Wochen zuvor an einer Pilzvergiftung starben, obwohl sich beide sehr gut mit Pilzen auskannten. Maria weiß, dass ihre Mutter Mathilde eine Affäre hatte und vermutet, dass es sich um einen erweiterten Suizid ihres Vaters Georg gehandelt haben könnte. Frustriert ist die 55-Jährige außerdem, weil sie damit rechnete, in der Bank von der Stellverteterin des Filialleiters zur Chefin aufzusteigen, aber kürzlich einen 31-Jährigen vor die Nase gesetzt bekam.

Maria hebt mehr als die Hälfte vom gemeinsamen Konto ab, kündigt bei der Bank, lässt ihren zur Reparatur abgegebenen Audi in der Werkstatt stehen, leiht sich stattdessen den zuverlässigeren Volvo ihres Mannes – und fährt ziellos nach Süden, ohne sich von Herwig zu verabschieden oder auch nur einen Zettel mit einer Erklärung zu hinterlassen.

Unterwegs nimmt Maria eine Anhalterin mit. Sie heißt Lisa und will zum jährlichen „Regenbogentreffen“ („Rainbow Gathering“) in den Ennstaler Alpen. Maria bringt sie hin, aber die zwei Dutzend Hippies werden von einem starken Polizeiaufgebot vertrieben. Sie ziehen weiter und halten ihre wochenlange Zusammenkunft in einem abgelegenen Gebiet der Friauler Dolomiten ab.

Ioannis

Danach fahren Maria und ihre neue Freundin Lisa nach Griechenland. In Thessaloniki begegnen sie Ioannis, einem Bouzouki-Spieler Mitte 40.

Maria verstand kein Wort von dem, was gesungen wurde, aber es hörte sich an wie ihre eigene Geschichte. Es war eine Klage, aber keine Anklage, kein Jammern, kein Selbstmitleid. Es war eine Feststellung. Die nüchterne Bestandsaufnahme nach einer Katastrophe. Es war Blues in Reinkultur.

Der Musiker lädt die beiden Frauen ein, bei ihm zu wohnen und sich die Ausgaben fürs Hotel zu sparen. Wochenlang leben sie wie im Rausch in einer unkomplizierten Dreierbeziehung.

Ioannis wurde in Dresden als Sohn einer Deutschen und eines Griechen geboren. Nach dem Abschluss des Architekturstudiums zogen die Eltern Ute und Carlos mit ihm von Dresden nach Saloniki und gründeten ein Bauunternehmen. Vor zehn Jahren verkauften sie es, überließen Ioannis ihr Haus und kehrten nach Deutschland zurück.

Mikis

Weil das Einkommen als Musiker nicht zum Leben reicht, bessert Ioannis es als Fremdenführer auf. Drei Monate nachdem Maria und Lisa bei ihm eingezogen sind, soll er elf Russen zur Mönchsrepublik auf Athos bringen. Sein Bus ist zu klein, aber Maria und Lisa kommen mit drei der Touristen im Fond des Volvo mit.

Die Gelegenheit nutzen sie, um auf der Insel Ammouliani Mikis zu besuchen, den Ioannis als „Großvater“ bezeichnet, der aber streng genommen sein Großonkel ist.

Seine Familie stammt aus Stagira. Im Zweiten Weltkrieg schloss sich der 18-jährige Mikis den Partisanen an und kämpfte fünf Jahre lang gegen die Faschisten. Bei Kriegsende freundete er sich mit einem deutschen Deserteur namens Horst an, der dann 1948 mit Mikis‘ Schwester Ioanna aus dem Land floh. Bevor sie Dresden erreichten und sich dort niederließen, hatte Ioanna den Sohn Carlos geboren. Als Griechenland nach dem Sturz der Militärdiktatur und einer Volksabstimmung 1975 eine neue Verfassung als republikanische parlamentarische Demokratie bekam, kehrten Ioanna und Horst nach Saloniki zurück, während Carlos noch in Dresden blieb, um sein Architekturstudium zu vollenden. Inzwischen sind Mikis‘ Frau Sophia, seine Schwester Ioanna und sein Schwager Horst längst tot.

Mikis, der in der DDR Jura studiert hatte und dann in Saloniki Advokat geworden war, hat sich im Ruhestand auf die Insel Ammouliani im Singitischen Golf zurückgezogen und ist Fischer geworden. Was er dafür wissen muss, hat ihm Vassilis beigebracht, mit dem er seit der Partisanenzeit befreundet ist.

Ionnis muss zurück nach Saloniki, und nach einer Weile reist auch Lisa ab. Maria bleibt bei Mikis und geht ihm bei der Fischerei zur Hand. Auf Vassilis‘ größerem Boot verlassen sie zu dritt den Singitischen Golf und fahren um das Kap herum zur anderen Seite der Halbinsel Chalkidikí. Weil sich bartlose Menschen, also Frauen und Kinder, der griechisch-orthodoxen Mönchsrepublik nur bis auf 500 Meter nähern dürfen, trägt Maria Männersachen und versteckt ihr Haar unter einer Mütze.

Lothar Schumann

Bald nachdem Maria ihn verlassen hat, wird Herwig wegen zu hoher Geschwindigkeit geblitzt. Als er bei der Polizei erklärt, dass er im Auto seiner Frau unterwegs gewesen sei und keinen Führerschein vorweisen könne, weil dieser im Handschuhfach seines eigenen Wagens liege, mit dem Maria verschwunden sei, nimmt man eine Vermisstenmeldung auf. Es stellt sich heraus, dass Maria am 4. August 2017 die mazedonisch-griechische Grenze überquerte.

Bei seinem Kommilitonen Konrad, der das Lehramtsstudium allerdings abbrach, später das Taxiunternehmen seines Vaters in Wien übernahm und inzwischen außerdem gut mit dem Handel von Marihuana verdient, besorgt Herwig sich Haschisch.

Ende Oktober, als Herwig gerade Nachschub aus Wien besorgt hat, ruft jemand aus dem Seniorenheim im Fichtelgebirge an, in dem Herwigs Vater Lothar Schumann lebt. Der 83-Jährige ist verschwunden.

Lothar Schumann wurde 1934 in Böhmen geboren. Sein Vater kehrte nicht aus dem Krieg zurück. Seine Mutter und er wurden vertrieben und in Viehwaggons fortgebracht. Bei einem Zwischenaufenthalt des Zugs in Salzburg verschwand die Mutter, und Lothar suchte vergeblich nach ihr. Eine Fremde nahm den verwaisten Jungen auf. Theresa Berger hatte zwei leibliche Kinder: die 14-jährige Agnes und die drei Jahre jüngere Hanna. Im Alter von 21 Jahren beschloss Agnes, ihren Ziehbruder zu heiraten, aber auf den Stufen zum Standesamt wurde Lothar am 14. August 1952 ohnmächtig, und die Trauung konnte nicht stattfinden. Nach der Geburt des Sohnes Herwig zogen Agnes und Lothar mit ihm aufs Land, ins Salzkammergut. Agnes verunglückte später auf einer allein unternommenen Bergtour. Vermutlich stürzte sie in eine Gletscherspalte. Eine Beerdigung gab es nicht, weil ihre Leiche nie gefunden wurde.

Lothar Berger legt die 400 Kilometer vom Seniorenheim zu seinem Sohn im Salzkammergut mit einem Leichenwagen zurück. Die Adresse hat ein Bekannter für ihn im „Tschippi-Ei-Ess“ eingespeichert.

Gleich nach dem überraschenden Besuch seines Vaters meldet sich der Kriminalbeamte Karl Schüller bei Herwig: Die griechische Polizei hat seinen Volvo gefunden und abgeschleppt. Er steht auf dem Parkplatz der Polizeihauptwache in Saloniki.

Herwig bleibt nichts anderes übrig, als seinem Vater von Marias Flucht zu berichten. Als er darauf hinweist, dass auch seine Großmutter und seine Mutter verschwanden, meint Lothar unwirsch:

„Na, mach jetzt nicht einen auf eins und eins ist elf und komm mir nicht mit dieser Karma-Scheiße.“

Während Herwig noch überlegt, was zu tun ist, drängt Lothar zum Aufbruch. Sie fahren mit Marias Audi nach Griechenland und lösen dort mit einer Zahlung von 3060 Euro für die Abschleppkosten und die Standgebühr den Wagen aus. Den Audi lassen sie stehen. Mit dem Volvo fahren sie weiter auf die Halbinsel Chalkidikí. Dort treffen sie zufällig auf Vassilis, der den Volvo kennt, mit dem Maria da war.

Vassilis berichtet Lothar und Herwig, dass Maria und der Fischer Mikis vor vier Wochen mit einem zu kleinen Kutter auf dem Meer waren und vermutlich ertrunken sind, denn das zertrümmerte Boot wurde nach einem Sturm angeschwemmt, aber von den beiden Insassen fehlt jede Spur.

Während sich Lothar von einem Kloster der Mönchsrepublik auf dem Heiligen Berg aufnehmen lässt, kehrt Herwig nach Österreich zurück.

Rettung

Beim Sturm ging Maria über Bord. Sie sah noch, wie auch Mikis ins Wasser geschleudert wurde und das leere Boot nicht wieder erreichen konnte.

Um nicht von der nassen Kleidung in die Tiefe gezogen zu werden, streifte Maria sie ab. Wie durch ein Wunder fühlte sie sich schließlich an Land gezogen. Ihr Retter war der in einer Felsnische hausende Einsiedler Zosimas. Der hüllte sie in eine Decke und pflegte sie gesund. Nach zwei Wochen verschwand er über Nacht.

Der Mönch Zosimas hieß früher Aegidius und begann mit einem Stipendium an der Aristoteles-Universität Thessaloniki zu studieren – bis ihn der Blues aus der Bahn warf. Nach dem Abbruch des Studiums schlug er sich als Parkplatzwächter und Marihuana-Dealer durch. Der griechisch-orthodoxe Geistliche Emilianos vom Heiligen Berg wurde auf ihn aufmerksam und zeigte ihm eine Reliquie, die er in einer Schatulle bei sich hatte. Es sei die Hand, mit der Magdalena Jesus angefasst habe, behauptete er. Dann lernte Aegidius Ioannis kennen, und als dieser – wie später mit Maria und Lisa – seinen „Großvater“ Mikis auf der Insel Ammouliani besuchte, ließ Aegidius sich unter dem Einfluss der Begegnung mit Emilianos von einem der Klöster der Mönchsrepublik aufnehmen. Dort erfuhr Zosimas, wie er sich nun nannte, dass es die Reliquie tatsächlich gegeben habe. Aber sie war vor über 100 Jahren verbrannt – ebenso wie der Mönch Emilianos, der versucht hatte, sie zu retten.

Der Brief

Noras Tochter erhält den Vornamen ihrer Großmutter Ylva. Herwig wäre gern Vater, aber Nora behauptet, nicht zu wissen, wer das Kind gezeugt habe, und er hält es schließlich für besser, Ylva in einer intakten Familie aufwachsen zu lassen. Weder er noch Nora streben einen DNA-Vergleich an, und Oskar ahnt nicht, dass es Zweifel an seiner Vaterschaft gibt. (Tatsächlich ist das Kind von ihm.)

Zwei Wochen nach Ylvas Geburt, zwei Monate nachdem Herwig seinen Vater auf dem Heiligen Berg zurückgelassen hat, erhält er einen Anruf von Lisa. Maria, die nach ihrer Rettung von Vassilis erfuhr, dass Herwig da gewesen war und nach ihr gesucht hatte, schickte ihrer Freundin einen langen, für Herwig bestimmten Brief. Er bittet Lisa, den Brief persönlich zu überbringen und kommt für die Reisekosten auf.

Maria schreibt:

„Alles ist flüchtig aber nicht alles ist gleich flüchtig. Jedes Ereignis hat seine eigene Halbwertzeit. Ich will dir jetzt meine Geschichte erzählen, bevor sie sich zu sehr verflüchtigt. […] Erinnerungen sind […] formbar. Sie können wie eine Amöbe ihr Äußeres verändern, ohne den Kern der Sache zu verleugnen.“

Der Brief endet mit den Worten:

Ich wünsche mir die Freiheit, dich wieder zu lieben. Und dir die Freiheit, mich loszulassen.

Weil Ionnis mit seiner Band eine längere Russland-Tournee unternimmt, ist Maria allein in seinem Haus in Saloniki, als das Festnetztelefon klingelt. Es ist Herwig.

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Bei „flüchtig“ handelt es sich um den Debütroman des unter dem Künstlernamen Hubert von Goisern berühmten, 1952 in Bad Goisern am Hallstättersee geborenen Musikers, der als Erfinder des Alpenrocks und einer der kreativsten Vertreter der Neuen Volksmusik gilt. Als Schriftsteller benutzt er seinen bürgerlichen Namen Hubert Achleitner.

Dass Hubert Achleitner mit „flüchtig“ einen Roman geschrieben hat, in dem nicht nur viel von Musik die Rede ist, sondern der sich auch nicht stringent-chronologisch, sondern mehr wie ein Musikstück entwickelt, ist nicht verwunderlich.

Man kann „flüchtig“ als Road Novel lesen. Das Buch dreht sich um Liebe und Sehnsucht, Träume, Glück und Schicksal, Lebensentwürfe, Suchen und Loslassen. Die Liebesbeziehung von Maria und Herwig scheitert, weil sie nach dem Trauma einer fehlgeschlagenen Schwangerschaft nicht immer wieder neu um sie kämpfen.

Maria flieht aus ihrem gewohnten Leben. Aber auch andere Romanfiguren sind auf der Flucht, also flüchtig. Herwig findet Zuflucht bei seiner Geliebten Nora. Sein über 80 Jahre alter Vater reißt aus dem Seniorenheim aus. Lisa ist als Tramperin unterwegs, und die Teilnehmer an den Rainbow Gatherings flüchten ebenso wie die Mönche auf dem Heiligen Berg Athos aus der Alltagswelt.

Zu Beginn lässt Hubert Achleitner die Romanfigur Lisa als Ich-Erzählerin auftreten:

Dies ist die Geschichte von Eva Maria Magdalena Neuhauser. Die meisten nennen sie einfach Maria, deshalb tu ich das auch. Ich komme auch darin vor aber es ist nicht meine Geschichte. Es sind die Erinnerungen an einen Sommer, den ich mit dieser außergewöhnlichen Frau zusammen verbringen durfte. Die Namen in dieser Geschichte habe ich frei erfunden, auch den für mich. Ich heiße in diesem Buch Lisa.
Darüber hinaus gebe ich die Dinge genau so wieder, wie sie geschehen oder, da, wo ich nicht dabei war, wie sie mir berichtet worden sind, das meiste von Maria selbst.

Diese Einleitung lässt eine klassische Herausgeber-Fiktion erwarten, aber Hubert Achleitner stellt das Geschehen abwechselnd aus Marias und Herwigs Blickwinkel und großenteils als auktorialer Erzähler dar. Gegen Ende zu fügt er auch noch einen langen Brief Marias in den Text ein.

Der Ton ist leicht und unterhaltsam, die Sprache anschaulich. Die Hauptfigur hat Hubert Achleitner allerdings mit drei Namen aus der Bibel aufgeladen: Eva Maria Magdalena.

Ein paar Kleinigkeiten wie der falsch geschriebene Name des schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme, Grammatikfehler und entgleiste Metaphern hätten bei der Lektorierung verbessert werden können.

Im Mittelteil wirken Betrachtungen zum Beispiel über die politische Entwicklung retardierend:

[Konrad:] „Wenn du schon meinst, es gäbe nichts zu lachen, können wir vielleicht gleich über die bevorstehende Nationalratswahlen reden. Was hältst du von diesem jungen Burschen, der sich gerade anschickt, Bundeskanzler zu werden? Also mir ist er nicht geheuer. Erinnert mich ein wenig an Alfred E. Neumann, nachdem er beim Friseur und beim Zahnarzt war. Ein Titelbild-Musterknabe. Ich glaube, der hat’s faustdick hinter den Ohren, und bei diesen Lauschern will das was heißen. […]
[…] das Grauen mit den Blauen wird wohl noch eine Weile dauern. Sie nagen an allem, was nach Freiheit riecht und ideologisch langhaarig ist. Und das Stimmvieh hebt seine Pfoten lieber für solche, die sie in geflieste Schlachtbänke führen, als für jene, die ihnen den Weg zur Weide zeigen.“
[Herwig:] „Das ist […] ein weltweites Phänomen. Und auch kein Charakterzug unserer Zeit. Einst haben wir Hitler und die Italiener Mussolini aus der Hand gefressen. Dann kam Berlusconi. Die Russen haben ihren Putin, die Türken den Erdoğan, die Amis Trump. Von den Kaczyńskis, Orbáns und wie sie sonst alle heißen, ganz zu schweigen. Und wer hätte sich gedacht, dass sich sogar die besonnenen Engländer von Lügenmäulern wie Johnson und Farage hinters Licht und in die Finsternis führen lassen würden?

Hubert Achleitner lässt in „flüchtig“ auch Sentenzen und Bonmots funkeln:

Es gibt keine freieren Menschen als Narren.

Aber anständig sein, was hieß das schon? Es bedeutete anzustehen.

Vinyl ist die Orthodoxie unter den Tonträgern, im Gegensatz dazu ist MP3 Atheismus.

Den Roman „flüchtig“ von Hubert Achleitner gibt es auch als Hörbuch, gelesen von Caroline Peters.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2020
Textauszüge: © Paul Zsolnay Verlag

Bertolt Brecht - Der gute Mensch von Sezuan
Bertolt Brecht lässt das Ende bewusst offen, um die Zuschauer zu zwingen, sich selbst Gedanken darüber zu machen. Das gehört zu den Verfremdungseffekten des epischen Theaters ebenso wie Rückblenden, kommentierende Songs und Darsteller, die sich während der Aufführung ans Publikum wenden.
Der gute Mensch von Sezuan

 

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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon zehn Tage und mehr, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte, und die Zeitspanne wird sich noch verlängern: Aus familiären Gründen werde ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik deutlich reduzieren.