Marco Balzano : Wenn ich wiederkomme

Wenn ich wiederkomme
Quando tornerò Giulio Einaudi Editore, Turin 2021 Wenn ich wiederkomme Übersetzung: Peter Klöss Diogenes Verlag, Zürich 2021 ISBN 978-3-257-07170-2, 312 Seiten ISBN 978-3-257-61190-8 (eBook)
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Während die Rumänin Daniela in Mailand bis zur Erschöpfung als Altenpflegerin arbeitet, werden ihre beiden Kinder zu "Eurowaisen". Das von Daniela nach Hause geschickte Geld ermöglicht es der Tochter zu studieren, aber nach der Promotion zeigt sich, dass Angelica sich emanzipiert und von der Familie entfernt hat: Sie zieht nach Berlin. Ihr acht Jahre jüngerer Bruder Manuel, der Danielas Beweggründe nicht nachvollziehen kann, wird mit dem Verlust der Mutter nicht fertig und überlebt nur knapp einen Selbsttötungsversuch.
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Kritik

In seinem gesellschaftskritischen Roman "Wenn ich wiederkomme" veranschaulicht Marco Balzano, wie sich Arbeitsmigrantinnen als Pflegerinnen in wohlhabenden Gesellschaften verdingen, weil sie in der Heimat keine Chance sehen, ihren Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Aber sie leiden nicht nur selbst unter der Entfremdung und Vereinsamung, sondern zwingen die Trennung auch den Angehörigen auf. Damit riskieren sie den Zerfall der Familie, für die sie sich aufopfern.
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Daniela

Die Familie Matei lebt in dem rumänischen Dorf Rădeni nordöstlich der Stadt Iaşi. Filip Matei arbeitete in einer Fabrik für Schmirgelpapier, aber seit sie geschlossen ist, findet er nur hin und wieder einen Gelegenheitsjob.

Daniela musste nach der Rumänischen Revolution Ende 1989 ihr Studium abbrechen.

„Diese schrecklichen Zeiten sind nun vorbei“, sagte [der Vater] damals gern beim Abendessen, während er seine Lattichsuppe löffelte. „Aber was jetzt kommt, wird noch schlimmer.“
Wie wahr. Mein Philosophieprofessor versuchte auf dem Markt angegammeltes Obst zu verkaufen, der Arzt von Rădeni schmuggelte Waren aller Art, meine Mutter stellte sich an, um Möbel und Kleider zu verpfänden. An Urlaub war nicht mehr zu denken, ich musste die Universität verlassen und so schnell wie möglich eine Arbeit finden.

Sie arbeitete zunächst als Floristin und wurde dann von einer Firma angestellt, die inzwischen jedoch keine Löhne und Gehälter mehr zahlen kann.

Weil das Arbeitslosengeld nicht für den Lebensunterhalt der vierköpfigen Familie reicht und Daniela möchte, dass die Tochter Angelica das Abitur macht und der acht Jahre jüngere Sohn Manuel nach der mittleren Reife ebenfalls aufs Gymnasium wechselt, reist sie nach Mailand und verdingt sich dort zunächst als private Altenpflegerin eines 88-jährigen Italieners.

Der erklärt ihr unumwunden, dass er lieber eine schwarze Pflegerin hätte.

„Doch, doch“, erklärte er arglos. „Schwarze lassen sich anstandslos rumkommandieren. Ihr aus dem Osten seid die reinsten Diktatorinnen.“

Der Sohn des Greises verspricht ihr zwar einen Arbeitsvertrag, hält sie jedoch hin, bis Daniela nach eineinhalb Jahren von dem Juristen-Ehepaar Carlo und Francesca Buccheri als Kindermädchen für den zehnjährigen Gianluca und dessen sechs Jahre jüngere Schwester Olivia angestellt wird.

Die Rechtsanwältin lobt Daniela:

„Ihr habt echt ein Händchen im Umgang mit unseren Alten und Kindern …“
„Wen meinen Sie mit ‚ihr‘, Signora?“
„Na, ihr aus dem Osten. Ihr könnt das besser als die Philippinas, dafür können die besser putzen, stimmt’s?“

In den Schulferien soll Daniela einige Zeit mit den beiden Kindern im Sommerhaus der Arbeitgeber am Strand von Ligurien verbringen. Aber als Olivia und Gianluca mit ihrem Schlauchboot von einer unerwarteten Welle erfasst werden und beinahe ertrunken wären, eilen die Eltern aus Mailand herbei, holen die Kinder zurück und entlassen Daniela fristlos.

Vorübergehend findet sie in einer Notunterkunft der Caritas Zuflucht. Dann stellt ein Arzt Daniela als Pflegerin seiner 90 Jahre alten Mutter Elena ein.

Der Rest der Familie

Nach der Abreise seiner Frau nimmt Filip sich zunächst vor, das Dachgeschoss auszubauen, aber stattdessen beginnt er als Fernfahrer zwischen Polen und Russland zu pendeln.

Angelica immatrikuliert sich nach dem Abitur an der Universität für ein Architekturstudium und zieht nach Iaşi ins Studentenwohnheim.

Um Manuel kümmern sich die in der Nachbarschaft wohnenden Großeltern Rosa und Mihai. Er begreift nicht, warum die Mutter weggegangen ist, leidet darunter und lässt sie das auch bei ihren Videocalls spüren.

Nach der Mittleren Reife wechselt der 15-Jährige aufs Internationale Gymnasium, aber dort fühlt er sich ausgegrenzt und bleibt nach dem ersten Schuljahr sitzen. Manuel sträubt sich dagegen, die Klasse zu wiederholen und weiterzumachen, aber die Mutter besteht darauf:

„Lernen ist der einzige Weg, um nicht so zu enden wie ich und dein Vater, begreifst du das?“

Als sein Großvater Mihai stirbt, verliert Manuel noch eine Bezugsperson.

Bei einer Fahrt mit dem frisierten Moped seines Mitschülers Petru Popa schließt er die Augen und gibt Vollgas.

Koma

Die Nachricht, dass ihr Sohn mit einem schweren Schädelhirntrauma auf der Intensivstation eines Krankenhaus in Iaşi liegt, veranlasst Daniela, sofort zurückzukehren. Sie sitzt nun jeden Tag am Bett des Jungen, und obwohl er im Koma liegt, erzählt sie ihm von den vier Jahren in Italien und versucht zu erklären, warum sie fortging.

Einmal kommt auch Filip nach Iaşi, um nach dem Sohn zu sehen. Er kaufte vor einiger Zeit einen Lieferwagen und arbeitet seither damit als Bote.

Als Daniela bereits mit dem Gedanken spielt, die Stecker der Geräte zu ziehen, mit denen Manuel am Leben gehalten wird, erwacht er unvermittelt aus dem Koma.

Angelica

Die Reha findet noch in Iaşi statt, aber dann kehrt Daniela mit Manuel nach Rădeni zurück.

Angelica, die inzwischen promoviert hat, kommt mit einem Kommilitonen zu Besuch und eröffnet ihren Familienangehörigen – Großmutter, Mutter und Bruder –, dass sie seit zwei Jahren mit Radu verlobt sei, in Kürze heiraten und dann mit ihm nach Berlin ziehen werde, wo der Ingenieur eine Praktikantenstelle bekommen hat. Daniela ist entsetzt, nicht nur, weil sie darauf nicht vorbereitet ist, sondern auch, weil es trotz der vier Jahre Schufterei in Italien an Geld fehlt, um eine Hochzeitsfeier auszurichten.

Angelica lädt auch den Vater zur Hochzeit ein, aber er antwortet nur mit einer SMS, dass er inzwischen als Maurer in der Nähe von Sankt Petersburg arbeite.

Daniela erhält die Nachricht, dass Oreste im Sterben liegt. Den über 80 Jahre alten früheren Journalisten betreute sie zuletzt als Altenpflegerin in Mailand. Nun überrascht sie Angelica mit der Ankündigung, ihn ein letztes Mal zu besuchen.

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In seinem gesellschaftskritischen Roman „Wenn ich wiederkomme“ beschäftigt sich Marco Balzano mit dem Thema Arbeitsmigration und veranschaulicht, wie sich Frauen aus armen osteuropäischen Familien als Pflegerinnen in wohlhabenden mittel- und westeuropäischen Gesellschaften verdingen. Weil sie in der Heimat keine Chance sehen, ihren Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen, erdulden sie die Trennung von der Familie und lassen sich notfalls auch durch Schwarzarbeit ausbeuten, um Geld nach Hause schicken zu können.

Aber sie leiden nicht nur selbst unter der Entfremdung und Vereinsamung ebenso wie unter gedankenlosen Vorurteilen, sondern zwingen die Trennung auch den Angehörigen auf. Damit riskieren sie den Zerfall der Familie, für die sie sich aufopfern.

Das zeigt Marco Balzano in „Wenn ich wiederkomme“ an einem Beispiel: Während die in Mailand bis zur Erschöpfung arbeitende Rumänin Daniela in eine Depression verfällt, die der Autor als „Italienkrankheit“ bezeichnet, werden ihre Kinder zu „Eurowaisen“. Das von Daniela nach Hause geschickte Geld ermöglicht es der Tochter, zu studieren, aber nach der Promotion zeigt sich, dass Angelica sich emanzipiert und von der Familie entfernt hat: Sie zieht nach Berlin. Ihr acht Jahre jüngerer Bruder Manuel, der Danielas Beweggründe nicht nachvollziehen kann, wird mit dem Verlust der Mutter nicht fertig und überlebt nur knapp einen Selbsttötungsversuch.

Marco Balzano entwickelt die erschütternde Geschichte in „Wenn ich wiederkomme“ in drei Teilen und wechselt dabei die Perspektive. In „Wo bist du“ erleben wir das Geschehen aus der Sicht des Sohnes Manuel. In „Weit weg“ versetzt sich Marco Balzano in Danielas Rolle. Während sie am Krankenbett ihres im Koma liegenden Sohnes sitzt, erinnert sie sich an die vier Jahre, in denen sie als Pflegerin in Mailand schuftete und versucht ihr Verhalten zu erklären. Dieses Kapitel entfaltet sich also auf zwei Zeitebenen: der Gegenwart in Iaşi und der Vergangenheit in Mailand. Zuletzt – in „Bumerang“ – kommt die Tochter Angelica zu Wort.

Im Nachwort zu seinem Roman „Wenn ich wiederkomme“ schreibt Marco Balzano:

Anfangs wollte ich über eine Frau schreiben, die eine feste Arbeit sucht und, weil sie die nur im Ausland finden kann, ihre Familie und ihr Land verlässt. […] Es hätte mir den Raum gegeben, die psychischen und sozialen Folgen dieser Arbeits- und Lebenssituation zu beschreiben. […]
Doch nachdem ich in Rumänien die Schulen und Einrichtungen für die zurückgelassenen Kinder und Jugendlichen gesehen habe – die „Eurowaisen“ oder „Home-Alone Children“ –, genügte mir das nicht mehr. Da es sich bei den Migrantinnen vorwiegend um Mütter handelt, sind das letzte Glied in der Kette natürlich die Kinder jener Mütter, die bei Großeltern, Tanten und Onkeln unterkommen oder aber, wenn sie weniger Glück haben, in Einrichtungen landen, die sich um sie kümmern, so gut es ihre (meist knappen) Mittel zulassen. […] So ist ein dreistimmiger Familienroman entstanden, in dem jedes Mitglied seine eigenen Entscheidungen trifft, aber auch mit denen der anderen klarkommen muss […].

Das brisante Thema und die Gesellschaftskritik sind Marco Balzano allerdings wichtiger als die Charaktere, und weil sie in „Wenn ich wiederkomme“ vor allem die Funktion haben, den Inhalt bzw. die Botschaft zu transportieren, bleiben sie beinahe klischeehaft.

Den Roman „Wenn ich wiederkomme“ von Marco Balzano gibt es auch als Hörbuch, gelesen von Anna Schudt.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2022
Textauszüge: © Diogenes Verlag

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