Thomas Mann : Der Zauberberg

Der Zauberberg
Der Zauberberg Manuskript: 1913 - 1924 Originalausgabe: 1924 Reprint: S. Fischer Verlag, Frankfurt/M 2003 ISBN: 3103481284, 1008 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Nach seinem Examen besucht der Hamburger Ingenieur Hans Castorp seinen lungenkranken Vetter in einem Sanatorium bei Davos und gerät dabei in den Bann der Welt der Kranken. Kurz vor seiner geplanten Abreise lässt er sich untersuchen, und weil der Arzt auch bei ihm einen Lungenschaden diagnostiziert, bleibt er – bis sieben Jahre später der Weltkrieg ausbricht.
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Kritik

"Der Zauberberg" ist ein komplexer, intellektueller, artifizieller und detailverliebter Roman, in dem der "Held" unter den Einfluss mehrerer Figuren gerät, die widersprüchliche Prinzipien und Lebensanschauungen vertreten. Wie in der Musik charakterisieren Leitmotive die "Komposition".
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Im Alter von fünf Jahren verlor Hans Castorp seine Mutter: Sie starb an einer Embolie. Sein Vater, der von da an verstört wirkte, begann die Firma „Castorp & Sohn“ zu ruinieren, bis er zwei Jahre später einer Lungenentzündung erlag. Hans kam daraufhin zu einem verwitweten Onkel mütterlicherseits – Konsul Tienapel – und dessen beiden Söhnen Peter und James. Schließlich studierte er in Danzig, Braunschweig und Karlsruhe Schiffsbau. Er war „denn doch wohl mittelmäßig, wenn auch in einem recht ehrenwerten Sinn“ (Seite 58).

Bevor der Dreiundzwanzigjährige nach dem bestandenen Examen als Volontär bei der Schiffswerft, Maschinenfabrik und Kesselschmiede „Tunder & Wilms“ anfängt, verlässt er 1907 seine Heimatstadt Hamburg für einen dreiwöchigen Besuch bei seinem Vetter Joachim Ziemßen im internationalen Sanatorium „Berghof“ bei Davos, denn der Hausarzt hat ihm wegen seiner angeschlagenen Gesundheit dringend eine Luftveränderung geraten. Das Lungensanatorium ist im Besitz einer Aktiengesellschaft und wird seit zehn Jahren von Hofrat Dr. Behrens geleitet, der mit seiner kranken Ehefrau nach Davos gekommen und nach ihrem Tod geblieben war. Da sein Sohn studiert und seine Tochter mit einem Advokaten verheiratet ist, wohnt er allein in einem Nebengebäude des Sanatoriums.

Ziemßen holt Castorp an der Bahnstation ab. Der äußert sich überrascht darüber, wie gut sich sein Vetter während des halbjährigen Aufenthalts in dem Kurort erholt zu haben scheint und meint spontan, sie könnten wohl in drei Wochen gemeinsam von hier abreisen.

Der Höhenunterschied macht Hans Castorp anfangs zu schaffen. Mehr aber stören den Gast in Zimmer 34 die Geräusche des sich nebenan bis zu zweimal am Tag liebenden russischen Ehepaars.

An einem der sieben Tische im Speisesaal macht sein Vetter ihn mit Lodovico Settembrini bekannt, einem zwischen dreißig und vierzig Jahre alten, schäbig gekleideten italienischen Patienten, bei dessen Anblick der Hamburger Bürgersohn an einen Drehorgelspieler denken muss. Das sechsgängige, üppige Menü ist meisterhaft zubereitet, und die Patienten essen durchweg mit einem Löwenappetit. Einige husten zwischendurch und fangen das Blut mit einem Taschentuch auf.

[…] ein buckliger Mexikaner, der die Tischgesellschaft durch furchtbare Anfälle von Atemnot in Schrecken setzte: er klammerte sich dabei mit ehernem Griff seiner langen Hände an seine Nachbarn, ob Herr oder Dame, hielt fest wie ein Schraubstock und zog die entsetzt Widerstrebenden, um Hilfe Rufenden so in seine Ängste hinein. (Seite 268)

Castorp zuckt im Gespräch mit seiner Tischnachbarin zusammen, als eine Person nicht nur zu spät kommt, sondern auch noch die Glastür geräuschvoll zuwirft. Es handele sich um eine Russin namens Clawdia Chauchat, erfährt Castorp, die zwar keinen Ehering trage, jedoch verheiratet sei. Sie komme fast immer zu spät. Castorp fällt auf, dass die undisziplinierte, etwa achtundzwanzig Jahre alte Frau ausgesprochen attraktiv ist, obwohl sie krank sein muss, sonst wäre sie nicht als Patientin im Sanatorium.

Clawdia Chauchat, – schlaff, wurmstichig und kirgisenäugig (Seite 214)

Castorp ärgert sich nicht nur über das ungehörige Türenschlagen, sondern auch über eine an seinem Tisch sitzende Patientin – Karoline Stöhr, die Ehefrau eines Musikers in Cannstatt –, die statt desinfizieren „desinfiszieren“ sagt und eine ganze Reihe von Wörtern unwissentlich verballhornt. Krank und dumm, das findet er entsetzlich, …

[…] denn einem Kranken möchte man doch Ernst und Achtung entgegenbringen, nicht wahr, Krankheit ist doch gewissermaßen etwas Ehrwürdiges, wenn ich so sagen darf. Aber wenn nun immer die Dummheit dazwischenkommt […], da weiß man wahrhaftig nicht mehr, ob man weinen oder lachen soll […] Ich meine, es reimt sich nicht, es passt nicht zusammen, man ist nicht gewohnt, es sich zusammen vorzustellen. Man denkt, ein dummer Mensch muss gesund und gewöhnlich sein, und Krankheit muss den Menschen fein und klug und besonders machen. So denkt man es sich in der Regel. Oder nicht? (Seite 136)

Settembrini protestiert vehement:

„Krankheit ist durchaus nicht vornehm, durchaus nicht ehrwürdig, – diese Auffassung ist selbst Krankheit oder sie führt dazu.“ (Seite 137)

„Sprechen Sie mir nicht von der ‚Vergeistigung‘, die durch Krankheit hervorgebracht werden kann, um Gottes willen, tun Sie es nicht! Eine Seele ohne Körper ist so unmenschlich und entsetzlich, wie ein Körper ohne Seele, und übrigens ist das Erstere die seltene Ausnahme und das Zweite die Regel. In der Regel ist es der Körper, der überwuchert, der alle Wichtigkeit, alles Leben an sich reißt und sich aufs Widerwärtigste emanzipiert. Ein Mensch, der als Kranker lebt, ist nur Körper, das ist das Widermenschliche und Erniedrigende, – er ist in den meisten Fällen nichts Besseres als ein Kadaver. (Seite 140)

Settembrini rät Castorp, seinen Besuch gleich wieder abzubrechen und zurück nach Hamburg zu reisen.

„Da der Aufenthalt Ihnen nicht zuträglich zu sein scheint, da Sie sich körperlich und, wenn mich nicht alles täuscht, auch seelisch nicht wohl bei uns befinden, – wie wäre es denn da, wenn Sie darauf verzichteten, hier älter zu werden, kurz, wenn Sie noch heute Nacht wieder aufpackten und sich morgen mit den fahrplanmäßigen Schnellzügen auf- und davonmachten?“
„Sie meinen, ich sollte abreisen“, fragte Hans Castorp … „Wo ich gerade erst angekommen bin? Aber nein, wie will ich denn urteilen nach dem ersten Tage!“
Zufällig blickte er ins Nebenzimmer bei diesen Worten und sah dort Frau Chauchat […] (Seite 123)

Tatsächlich fühlt er sich ständig müde. Ein leichter Spaziergang überanstrengt ihn, und er schafft es gerade noch, pünktlich zu dem Vortrag von Dr. Edhin Krokowski im Sanatorium zurück zu sein. Die im vierzehntägigen Rhythmus veranstaltete Vortragsreihe des fünfunddreißigjährigen „Seelenzergliederers“ steht unter dem Generaltitel „Die Liebe als krankheitsbildende Macht“ (Seite 159f). Krokowski vertritt die These, dass Krankheit nichts anderes als unterdrückte Liebe sei:

Allein dieser Sieg der Keuschheit sei nur ein Schein- und Pyrrhussieg, denn der Liebesbefehl lasse sich nicht knebeln, nicht vergewaltigen, die unterdrückte Liebe sei nicht tot, sie lebe, sie trachte im Dunklen und Tiefgeheimen auch ferner sich zu erfüllen, sie durchbreche den Keuschheitsbann und erscheine wieder, wenn auch in verwandelter, unkenntlicher Gestalt […]: In Gestalt der Krankheit! Das Krankheitssymptom ist verkappte Liebesbetätigung und alle Krankheit verwandelte Liebe. (Seite 174)

Als Castorp sich zweieinhalb Wochen nach seiner Ankunft erkältet hat, verkauft ihm die Oberin Adriatica von Mylendonk ein Fieberthermometer. Damit kann der Gast jetzt seine Körpertemperatur messen – wie es die Patienten mehrmals am Tag tun. Sieben Minuten muss er das Röhrchen unter der Zunge lassen. „37,5 ½“, liest sein Vetter von der Skala des auf dem Tisch liegenden Thermometers ab. „Dann ist es etwas zurückgegangen!“, entgegnet Castorp. „Es waren sechs.“ (Seite 227) Er begleitet Joachim zur nächsten Untersuchung bei Hofrat Behrens. Der joviale, raubeinige Arzt stellt bei ihm nicht nur inzwischen verheilte Schäden der Lunge fest, sondern auch eine frische Stelle, und meint deshalb, eine Heimreise lohne sich nicht, Castorp müsse ohnehin bald wiederkommen.

„Das sage ich Ihnen aber gleich: ein Fall wie Ihrer heilt nicht von heute bis übermorgen, Reklameerfolge und Wunderkuren sind dabei nicht aufzuweisen.“ (Seite 241)

Statt deprimiert zu sein, lacht Hans Castorp heimlich über diese Wendung.

Er erinnert sich, wie er als Dreizehnjähriger beim Zeichenunterricht in der Untertertia seinen kirgisenäugigen Mitschüler Pribislav Hippe um einen Bleistift bat.

„Gern“, sagte er. „Du musst ihn mir nach der Stunde aber bestimmt zurückgeben.“ Und zog sein Crayon aus der Tasche, ein versilbertes Crayon mit einem Ring, den man aufwärts schieben musste, damit der rot gefärbte Stift aus der Metallhülse wachse. (Seite 167)

Settembrini knipst stets das Licht an, wenn er Castorps Zimmer betritt und es dämmrig ist. Nach und nach erläutert er ihm seine Anschauungen.

„Die Analyse ist gut als Werkzeug der Aufklärung und der Zivilisation, gut, insofern sie dumme Überzeugungen erschüttert, natürliche Vorurteile auflöst und die Autorität unterwühlt, gut, mit anderen Worten, indem sie befreit, verfeinert, vermenschlicht und Knechte reif macht zur Freiheit. Sie ist schlecht, sehr schlecht, insofern sie die Tat verhindert, das Leben an den Wurzeln schädigt, unfähig, es zu gestalten.“ (Seite 291)

„Ich bejahe, ich ehre und liebe den Körper, wie ich die Form, die Schönheit, die Freiheit, die Heiterkeit und den Genuss bejahe, ehre und liebe, – wie ich die ‚Welt‘, die Interessen des Lebens vertrete gegen sentimentale Weltflucht, – den Classicismo gegen die Romantik. Ich denke, meine Stellungnahme ist eindeutig. Eine Macht, ein Prinzip aber gibt es, dem meine höchste Bejahung, meine höchste und letzte Ehrerbietung und Liebe gilt, und diese Macht, dieses Prinzip ist der Geist. Wie sehr ich es verabscheue, irgendein verdächtiges Mondscheingespinst und -gespenst, das man ‚die Seele‘ nennt, gegen den Leib ausgespielt zu sehen, – innerhalb der Antithese von Körper und Geist bedeutet der Körper das böse, das teuflische Prinzip, denn der Körper ist Natur, und die Natur – innerhalb ihres Gegensatzes zum Geiste, zur Vernunft, ich wiederhole das! – ist böse, – mystisch und böse.“ (Seite 324)

„Gestatten Sie mir, Ingenieur, Ihnen zu sagen und Ihnen ans Herz zu legen, dass die einzig gesunde und edle, übrigens auch – ich will das ausdrücklich hinzufügen – auch die einzig religiöse Art, den Tod zu betrachten, die ist, ihn als Bestandteil und Zubehör, als heilige Bedingung des Lebens zu begreifen und zu empfinden, nicht aber – was das Gegenteil von gesund, edel, vernünftig und religiös wäre – ihn geistig irgendwie davon zu scheiden, ihn in Gegensatz dazu zu bringen und ihn etwa gar widerwärtigerweise dagegen auszuspielen. Die Alten schmückten ihre Sarkophage mit Sinnbildern des Lebens und der Zeugung, sogar mit obszönen Symbolen, – das Heilige war der antiken Religiosität ja sehr häufig eins mit dem Obszönen. Diese Menschen wussten den Tod zu ehren. Der Tod ist ehrwürdig als Wiege des Lebens, als Mutterschoß der Erneuerung.“ (Seite 264)

Als Castorp sieben Wochen auf dem „Berghof“ verbracht hat, rät Settembrini ihm noch einmal dringend zur Abreise, aber der junge Patient verweist auf die Röntgenaufnahme, die seinen Lungenschaden dokumentiert. Weil der Italiener dennoch bei seiner Meinung bleibt, wirft Castorp ihm eine Diskrepanz zwischen seiner Meinung und seinem eigenen Verhalten vor, aber da faucht Settembrini ihn aufgebracht an:

„Ich weiß eine schlagfertige Antwort zu schätzen, selbst wenn Ihre Logik der Sophisterei nicht fern ist. Es ekelt mich, in einem hier üblichen abscheulichen Wettstreit zu konkurrieren, sonst würde ich Ihnen erwidern, dass ich bedeutend kränker bin als Sie, – leider in der Tat so krank, dass ich die Hoffnung, diesen Ort je wieder verlassen und in die untere Welt zurückkehren zu können, nur künstlicher- und ein wenig selbstbetrügerischerweise hinfriste. In dem Augenblick, wo es sich als völlig unanständig erweisen wird, sie aufrechtzuerhalten, werde ich dieser Anstalt den Rücken kehren und den Rest meiner Tage irgendwo im Tal ein Privatlogis beziehen. Das wird traurig sein, aber da meine Arbeitssphäre die freieste und geistigste ist, wird es mich nicht hindern, bis zu meinem letzten Atemzuge der Sache der Menschheit zu dienen und dem Geist der Krankheit die Stirn zu bieten.“ (Seite 323)

Um Castorp zu ärgern, verrät ihm die Patientin Fräulein Engelhart, die gemerkt hat, dass er Madame Chauchat errötend anstarrt, sobald sie den Saal betritt, die Russin stehe dem in seiner Freiheit malenden Chefarzt seit einiger Zeit Modell. Bei der nächsten Gelegenheit spricht Castorp Dr. Behrens darauf an, und der nimmt ihn mit in seine Privaträume, um ihm das Porträt zu zeigen.

Die matt schimmernde Weiße dieser zarten, aber nicht mageren Brüste, die sich in der bläulichen Schleierdraperie verlor, hatte viel Natur […] Ein Leberfleckchen links, wo die Brust sich zu teilen begann, war nicht außer Acht gelassen, und zwischen den Erhebungen glaubte man schwächlich-bläuliches Geäder durchscheinen zu sehen […] (Seite 335)

Der Besuch bei Hofrat Behrens inspiriert Castorp zu Reflexionen über das Leben.

Was war das Leben? Man wusste es nicht. Es war sich seiner bewusst, unzweifelhaft, sobald es Leben war, aber es wusste nicht, was es sei […]
Was war das Leben? Niemand wusste es. Niemand kannte den natürlichen Punkt, an dem es entsprang und sich entzündete […]
Was war also das Leben? […] Es war ein heimlich-fühlsames Sichregen in der keuschen Kälte des Alls, eine wollüstig-verstohlene Unsauberkeit von Nährsaugung und Ausscheidung, ein exkretorischer Atemhauch von Kohlensäure und üblen Stoffen verborgener Herkunft und Beschaffenheit. Es war das durch Überausgleich seiner Unbeständigkeit ermöglichte und in eingeborene Bildungsgesetze gebannte Wuchern, Sichentfalten und Gestaltbilden von etwas Gedunsenem aus Wasser, Eiweiß, Salz und Fetten, welches man Fleisch nannte, und das zur Form, zum hohen Bilde, zur Schönheit wurde, dabei jedoch der Inbegriff der Sinnlichkeit und der Begierde war. Denn diese Form und Schönheit war nicht geistgetragen, wie in den Werken der Dichtung und Musik, auch nicht getragen von einem neutralen und geistverzehrten, den Geist auf eine unschuldige Art versinnlichenden Stoff, wie die Form und Schönheit der Bildwerke. Vielmehr war sie getragen und ausgebildet von der auf unbekannte Art zur Wollust erwachten Substanz, der organischen, verwesend-wesenden Materie selbst, dem riechenden Fleische … (Seite 354ff)

Castorp erlebt seine erste Fastnacht auf dem „Berghof“ und soll im Verlauf des Festes, wie andere maskierte Patienten auch, mit geschlossenen Augen ein Schweinchen zeichnen. Er verlangt nach einem Bleistift und erhält „ein schon ganz kurzes Ding“, das man nur noch mit Daumen und Zeigefinger führen kann. Zornig wirft er den Stummel in die Punsch-Bowle und fragt reihum nach einem vernünftigen Bleistift, erfolglos, bis er auf Clawdia Chauchat zugeht und sie, wie es im Karneval ausnahmsweise erlaubt ist, mit „du“ anspricht.

„Hast du nicht vielleicht einen Bleistift?“ […]
„Ich?“, antwortet die bloßarmige Kranke auf das „Du“ … „Ja, vielleicht“. (Seite 426)

Sie zieht „ein kleines silbernes Crayon hervor, dünn und zerbrechlich, ein Galanteriesächelchen, zu ernsthafter Tätigkeit kaum zu gebrauchen“ (Seite 427). Dabei teilt sie ihm mit, dass sie am nächsten Tag abreisen werde. Verzweifelt wirft Castorp sich vor ihr auf die Knie und gesteht ihr schwärmerisch seine Liebe. Clawdia Chauchat fühlt sich geschmeichelt und verabschiedet sich sanft von ihrem „prince Carnaval“. Beim Verlassen des Saals mahnt sie ihren Verehrer: „N’oubliez pas de me rendre mon crayon.“ (Seite 439) – Viel später als Joachim Ziemßen kehrt Castorp auf sein Zimmer zurück (Seite 443).

Als Settembrini nicht mehr auf eine Genesung hoffen kann, zieht er, wie für diesen Fall angekündigt, vom Sanatorium in ein Zimmer beim Damenschneider Lukaçek in Davos.

Einige Zeit später begegnen ihm die beiden Vettern aus Hamburg auf der Hauptstraße des Kurorts. Settembrini tut, als sehe er sie nicht und redet gestikulierend auf den Herrn ein, der neben ihm geht. Als Castorp und Ziemßen ihn ansprechen, haben sie den Eindruck, dass er vermeiden wollte, sie mit dem Fremden bekannt zu machen. Der heißt Leo Naptha und wohnt wie Settembrini bei dem Schneider zur Untermiete.

Castorp folgt an einem der nächsten Tage Naphtas Einladung und besucht ihn. Naphta ist überzeugt, dass es einmal einen idealen Urzustand der Menschheit ohne Staat und Gewalt, Eigentum, Gesetz und Strafe gegeben habe und schwärmt von dessen Wiederherstellung am Ende der Menschheitsgeschichte. Glücklicherweise werde der heraufziehende Krieg in Europa nicht nur das „internationale Händler- und Spekulantentum“ (Seite 511) und die „Satansherrschaft des Geldes, des Geschäftes“ (Seite 513) vernichten, sondern auch die sich abzeichnende Demokratisierung verhindern, denn ohne die Diktatur des Papstes könne der Gottesstaat nicht geschaffen werden.

„Das Prinzip der Freiheit hat sich in fünfhundert Jahren erfüllt und überlebt […] Zuletzt bedeutet es ein liebloses Missverstehen der Jugend, zu glauben, sie finde ihre Lust in der Freiheit. Ihre tiefste Lust ist der Gehorsam […]
Nicht Befreiung und Entfaltung des Ich sind das Geheimnis und das Gebot der Zeit. Was sie braucht, wonach sie verlangt, was sie sich schaffen wird, das ist – der Terror.“ (Seite 507)

Settembrini warnt Castorp vor Leo Naphta und verrät ihm, dass es sich um einen Jesuiten handelt, um einen zum Katholizismus konvertierten Juden. Sein Vater Elia war Schächter in einem Ort an der galizisch-wolhynischen Grenze. Nach der unaufgeklärten Ermordung von zwei Christenkindern nagelte eine wütende Meute den Juden mit ausgebreiteten Armen an die Tür seines brennenden Hauses. Die Witwe floh daraufhin mit den Kindern nach Vorarlberg. Im Religionsunterricht fesselte Leo die Aufmerksamkeit des Rabbiners, aber der fühlte sich der scharfen Polemik des Schüles schließlich nicht mehr gewachsen und wollte nichts mehr mit ihm zu tun haben. Nach dem Tod seiner Mutter Rahel lernte der sechzehnjährige Leo den Jesuitenpater Unterpertinger kennen und trat nach langen Gesprächen mit ihm zur katholischen Konfession über. Er wollte Theologie studieren und in den Orden aufgenommen werden, doch aufgrund eines Blutsturzes, den er im Alter von dreiundzwanzig Jahren erlitt, konnte er sein Studium nicht abschließen und wurde trotz des Noviziats und einiger niedriger Weihen, die er bereits bekommen hatte, nicht in den Orden aufgenommen.

Joachim Ziemßen erklärt Dr. Behrens bei der nächsten Untersuchung, er könne nicht länger hier bleiben und habe vor, sich als Fahnenjunker zum Militärdienst zu melden. Der Hofrat weist ihn darauf hin, dass er wohl erst nach einem weiteren halben Jahr Sanatoriumsaufenthalt damit rechnen könne, gesund zu sein, aber er respektiert die entschlossene Haltung seines Patienten, der bereit ist, auf eigene Verantwortung zu handeln. Castorp überlässt zunächst dem Arzt die Entscheidung, aber als dieser kurz angebunden meint: „Sie können reisen“, stottert er: „Das heißt … wieso? Bin ich denn gesund?“ (Seite 530) Während sein Vetter das Sanatorium verlässt, bleibt er, um auf Clawdia Chauchats Rückkehr zu warten.

Zwei Wochen später erhält er Besuch von James Tienappel, einem der Söhne seines Pflegevaters. Der bringt zwar persönlich-familiäre und geschäftliche Angelegenheiten zur Sprache, aber diese Themen aus dem Flachland prallen an Castorps „ruhiger, bestimmter und ungekünstelter Gleichgültigkeit“ ab.

Heimlich leiht Castorp sich in Davos Skier und zieht damit los. Die Herausforderung reizt ihn. Jedoch verirrt er sich im Schnee. Zur Stärkung trinkt er etwas Portwein aus seiner Taschenflasche. Da wird ihm der Kopf schwer, er schläft ein und träumt. Er sieht idyllische Szenen in einem Park und dann an einem griechischen Strand. Glückliche, gesunde junge Menschen grüßen im Vorbeigehen eine Mutter, die ihr Kind stillt. Nur ein schöner Knabe steht mit verschränkten Armen abseits. Castorp steigt zu einem Tempel hinauf. Als er in die Tempelkammer blickt, prallt er entsetzt zurück: Da zerreißen zwei halbnackte alte Weiber, „zottelhaarig, mit hängenden Hexenbrüsten und fingerlangen Zitzen“, ein kleines Kind und verschlingen die Stücke, „dass die spröden Knöchlein ihnen im Maule knack[t]en“ (Seite 622).

Joachim Ziemßen bringt es in kurzer Zeit zum Leutnant, aber nach einem dreiviertel Jahr muss er in das Sanatorium „Berghof“ zurückkehren, wo er bald darauf stirbt.

Clawdia Chauchat taucht auch wieder auf – jedoch nicht allein, sondern in der Begleitung eines älteren, stattlichen, lebenslustigen holländischen Kaffeeplantagenbesitzers auf Java mit Namen Pieter Peeperkorn. Mynheer Peeperkorn – so möchte er genannt werden – liebt es, in Gesellschaft zu sein, ausgelassen zu feiern und zu trinken. Zu Castorp gewandt meint er:

„Das Leben – junger Mann – es ist ein Weib, ein hingespreitet Weib, mit dicht beieinander quellenden Brüsten und großer, weicher Bauchfläche zwischen den ausladenden Hüften, mit schmalen Armen und schwellenden Schenkeln und halb geschlossenen Augen, das in herrlicher, höhnischer Herausforderung unsere höchste Inständigkeit beansprucht, alle Spannkraft unserer Manneslust, die vor ihm besteht oder zuschanden wird, – zuschanden, junger Mann, begreifen Sie, was das hieße? Die Niederlage des Gefühls vor dem Leben, das ist die Unzulänglichkeit, für die es keine Gnade, kein Mitleid und keine Würde gibt, sondern die erbarmungslos und hohnlachend verworfen ist, – erledigt, junger Mann, und ausgespien … Schmach und Entehrung sind gelinde Worte für diesen Ruin und Bankerott, für diese grauenhafte Blamage.“ (Seite 712)

Nach einem der Trinkgelage fordert Peeperkorn Castorp auf, Madame Chauchat zum Abschied auf die Stirn zu küssen, aber der Verliebte wagt es nicht (Seite 722).

Obwohl Settembrini ihn wegen seines Umgangs mit dem „dummen alten Mann“ tadelt, verbringt Castorp viel Zeit mit Peeperkorn und besucht ihn auch in seinem Zimmer, wenn er – was häufig vorkommt – bettlägrig ist. Einmal fragt Clawdia Chauchat ihn nach einer Briefmarke, aber er kann ihr damit nicht aushelfen, denn er verschickt keine Briefe mehr.

„An wen sollte ich wohl Briefe schreiben? Ich habe niemanden. Ich habe gar keine Fühlung mehr mit dem Flachland, die ist mir abhanden gekommen.“ (Seite 747)

Als er sie fragt, ob sie Peeperkorn liebe, antwortet sie:

„Er liebt mich, und seine Liebe macht mich stolz und dankbar und ihm ergeben.“ (Seite 752)

Sie schlägt Castorp vor, in der gemeinsamen Freundschaft zu Peeperkorn ein Bündnis zu schließen und sich wie Geschwister zu lieben. Mit einem russischen Kuss auf den Mund besiegelt sie diese Entsagung.

Einige Zeit später fragt Peeperkorn seinen jungen Freund unvermittelt: „Und Sie lieben Madame?“ (Seite 760) Castorp windet sich, aber der Holländer sagt ihm auf den Kopf zu: „Sie waren Clawdias Geliebter bei ihrem vorigen Aufenthalt.“ (Seite 764) Respektvoll versucht Castorp weder zu lügen, noch die Gefühle des Älteren zu verletzen, und der bietet ihm zu seiner Überraschung plötzlich das Du an und trinkt Bruderschaft mit ihm.

Nach einem gemeinsamen Ausflug zu einem herrlichen Wasserfall wird Castorp zu Peeperkorn gerufen. Der liegt tot in seinem Bett: Er hat sich mit einer raffinierten, einem Brillenschlangenkopf nachgebildeten Konstruktion, vergiftet (Seite 785).

Nach dem Tod ihres Begleiters verlässt Clawdia Chauchat den „Berghof“ für immer.

Hofrat Dr. Behrens eröffnet Castorp, dass seine Symptome möglicherweise mehr durch Streptokokken als durch Tuberkulosebakterien verursacht wurden, und in diesem Fall könne er mit einer raschen Heilung rechnen.

Die beiden Untermieter beim Damenschneider Lukaçek in Davos geraten eines Tages so heftig in Streit, dass Naptha Settembrini zum Pistolenduell fordert und – für den Fall, dass es nötig sein wird – auf einem dreimaligen Kugelwechsel besteht. Von einem Patienten des „Berghofs“ borgen sich die Duellanten ein Zwillingspaar Offizierspistolen. Einen Arzt will Naptha nicht dabei haben. Zwei Tage und drei Nächte vergehen, dann begeben sich Naptha und Settembrini im Morgengrauen mit Castorp als Unparteiischem zum vereinbarten Treffpunkt. Settembrini versichert Castorp flüsternd, er werde Naptha nicht töten, aber die Ehre gebiete es ihm, sich dessen Kugeln zu stellen. Im letzten Augenblick, als die Duellanten einander bereits gegenüberstehen, versucht Castorp noch einmal, sie von ihrem Vorhaben abzubringen, aber Naptha schneidet ihm das Wort ab und verlangt das Zeichen für den Beginn. Der Unparteiische schweigt. Naptha fordert seinen Gegner auf, den ersten Schuss abzufeuern. Settembrini schießt in die Luft. Naphta protestiert und verlangt, dass Settembrini gleich noch einmal schießt und diesmal richtig zielt. Als er sich weigert, setzt er sich selbst die Pistole an die Schläfe und drückt ab.

Da erdröhnt der Donnerschlag des Weltkriegs.

Castorp ist bei einem Vorstoß deutscher Soldaten dabei.

Sie sind dreitausend, damit sie noch ihrer zweitausend sind, wenn sie bei den Hügeln, den Dörfern anlangen; das ist der Sinn ihrer Menge. Sie sind ein Körper, darauf berechnet, nach großen Ausfällen noch handeln und siegen, den Sieg noch immer mit tausendstimmigem Hurra begrüßen zu können, – ungeachtet derer, die sich vereinzelten, indem sie ausfielen. (Seite 897)

Und so, im Getümmel, in dem Regen, der Dämmerung, kommt er [Castorp] uns aus den Augen […]
Deine Aussichten sind schlecht […], und wir möchten nicht hoch wetten, dass du davonkommst. (Seite 899)

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Wegen einer Lungenaffektion hielt Katia Mann sich 1912 sechs Monate lang im Waldsanatorium von Professor Jessen bei Davos auf. Während ihrer Abwesenheit blieb Thomas Mann bei den Kindern in der Villa in München bzw. im Landhaus bei Tölz, aber in der zweiten Maihälfte reiste er für drei Wochen nach Davos, um seiner Frau Gesellschaft zu leisten. Weil er sich nach zehn Tagen bei feuchtkaltem Wetter auf dem Balkon einen Katarrh zugezogen hatte, schloss er sich Katia bei der nächsten medizinischen Untersuchung an, und Professor Jessen empfahl ihm, ebenfalls ein halbes Jahr im Sanatorium zu bleiben, um einen kleinen Lungenschaden auszukurieren. Thomas Mann reiste jedoch nach drei Wochen planmäßig wieder zurück nach München.

Ich habe es vorgezogen, den „Zauberberg“ zu schreiben, worin ich die Eindrücke verwertete, die ich in kurzen drei Wochen dort oben empfing, und die hinreichten, mir von den Gefahren dieses Milieus für junge Leute – die Tuberkulose ist eine Jugendkrankheit – einen Begriff zu geben. Diese Krankenwelt dort oben ist von einer Geschlossenheit und einer einspinnenden Kraft, die Sie ein wenig gespürt haben werden, indem Sie meinen Roman lasen. Es ist eine Art Lebens-Ersatz, der den jungen Menschen in relativ kurzer Zeit dem wirklichen, aktiven Leben vollkommen entfremdet. (Thomas Mann im Mai 1939 an der Princeton University. Seite 10)

Die Eindrücke aus der Welt der Kranken in dem Lungensanatorium ließen Thomas Mann nicht mehr los, und er begann, sie literarisch zu verarbeiten.

Mit ihm [„Der Tod in Venedig“] war ich nahezu fertig zu dem Zeitpunkt meines Besuches in Davos, und die Erzählung nun, die ich plante – und die sofort den Titel „Der Zauberberg“ erhielt –, sollte nichts weiter sein als ein humoristisches Gegenstück zum „Tod in Venedig“, ein Gegenstück auch dem Umfang nach, also eine nur etwas ausgedehnte short story. Sie war gedacht als Satyrspiel zu der tragischen Novelle, die ich eben beendete. Ihre Atmosphäre sollte die Mischung von Tod und Amüsement sein, die ich an dem sonderbaren Ort hier oben erprobt hatte. Die Faszination des Todes, der Triumph rauschhafter Unordnung über ein der höchsten Ordnung geweihtes Leben, die im „Tod in Venedig“ geschildert ist, sollte auf eine humoristische Ebene übertragen werden. (a.a.O., Seite 11)

Im Gegensatz zur ursprünglichen Absicht wurde aus „Der Zauberberg“ in jahrelanger Arbeit statt einer Novelle ein zweibändiger Roman. Nicht ein älterer Künstler wie Gustav von Aschenbach in der Novelle „Der Tod in Venedig“ steht im Mittelpunkt des Romans „Der Zauberberg“, sondern ein eher mittelmäßiger junger Ingenieur, und der verliebt sich nicht in einen schönen polnischen Knaben wie Tadzio, sondern in die „kirgisenäugige“, schätzungsweise achtundzwanzig Jahre alte Russin Clawdia Chauchat. Statt einer Cholera-Epidemie in Venedig symbolisieren die Tuberkulosekranken in einem Schweizer Lungensanatorium auf dem „Zauberberg“ Morbidität und Verfall.

Die Romanfigur Hofrat Dr. Behrens ähnelt Professor Jessen, wie Thomas Mann ihn während seines Aufenthalts im Waldsanatorium kennen gelernt hatte. Das Äußere des 1898 errichteten und seit 1915 „Valbella“ genannten internationalen Sanatoriums und das Innere des kleineren Waldsanatoriums bei Davos dienten als Vorbilder für die Beschreibungen des „Berghofs“ auf dem „Zauberberg“.

Die morbide Atmosphäre und die ihrer Verantwortung enthobenen Kranken auf dem auf dem „Zauberberg“ stehen im krassen Gegensatz zu der von Arbeit und Ordnung bestimmten Welt im „Flachland“.

Hans Castorp, der „Held“, erinnert nach Thomas Manns eigener Aussage an Parsifal, den anfangs törichten, simplen Gralssucher.

Hans Castorp als Gralssucher – Sie werden das nicht gedacht haben, als Sie seine Geschichte lasen, und wenn ich selbst es gedacht habe, so war es mehr und weniger als Denken. (a.a.O., Seite 20)

In der entrückten Atmosphäre auf dem „Zauberberg“ sucht Hans Castorp nach dem „genialen Weg“ zum Leben:

„Zum Leben gibt es zwei Wege: Der eine ist der gewöhnliche, direkte und brave. Der andere ist schlimm, er führt über den Tod, und das ist der geniale Weg!“ (Seite 751)

Trotzdem meint Hofrat Dr. Behrens:

„Sie wollen immer alles harmlos haben, Castorp, so sind Sie. Sie sind gar nicht abgeneigt, sich auch einmal mit Nichtharmlosigkeiten einzulassen, aber dann behandeln Sie sie, als ob sie harmlos wären […]“ (Seite 665f)

Castorp möchte sich in der entrückten Welt auf dem „Zauberberg“ von Hofrat Dr. Behrens bevormunden lassen und gerät zugleich unter den Einfluss widersprüchlicher Auffassungen und Prinzipien.

Sie [die Erzählung] arbeitet wohl mit den Mitteln des realistischen Romanes, aber sie ist kein solcher, sie geht beständig über das Realistische hinaus, indem sie es symbolisch steigert und transparent macht für das Geistige und Ideelle. Schon in der Behandlung ihrer Figuren tut sie das, die für das Gefühl des Lesers alle mehr sind als sie scheinen: sie sind lauter Exponenten, Repräsentanten und Sendboten geistiger Bezirke, Prinzipien und Welten. (a.a.O., Seite 16)

Clawdia Chauchat verkörpert die Erotik; sie sieht zwar verführerisch aus, aber im Inneren ihres äußerlich schönen Körpers ist sie krank. Tugend findet Clawdia Chauchat langweilig; sie bevorzugt Müßiggang und Disziplinlosigkeit.

Während seines Besuchs bei Katia war Thomas Mann auf die Steigerung erotischer Empfindsamkeit durch die im Lungensanatorium empfohlene Überernährung und Untätigkeit (Liegekuren) aufmerksam geworden, und in seinem Tagebuch schrieb er:

Der Zbg. [„Der Zauberberg“] wird das Sinnlichste sein, was ich geschrieben habe, aber von kühlem Stil.

Mynheer Peeperkorn, der übrigens Ähnlichkeiten mit Gerhart Hauptmann aufweist (was dem naturalistischen Dichter gar nicht recht war), verhält sich lebenslustig und ausschweifend. Als ihm auf dem „Zauberberg“ bewusst wird, dass er nicht länger nach seinen Vorstellungen weiterleben kann, vergiftet er sich mit einer ausgefallenen Konstruktion.

Lodovico Settembrini lehnt Peeperkorn als einen „dummen alten Mann“ ab. Der todkranke italienische Humanist, übrigens ein Freimaurer, tritt für Vernunft, Toleranz und Freiheit ein. Vergeblich warnt er Castorp zu Beginn seines Aufenthalts und nach sieben Wochen noch einmal vor den Gefahren des morbiden Milieus auf dem „Zauberberg“ und drängt ihn zur Abreise.

Settembrinis Antagonist ist der vom Judentum zum Katholizismus konverierte Jesuit Leo Naphta, an dem Züge des Philosophen und Literaturtheoretikers Georg Lukács (1885 – 1971) zu erkennen sind. Der asketische Fanatiker predigt hasserfüllt eine Art „heiligen Krieg“ gegen Kapitalismus, Liberalismus, Demokratie, und er propagiert eine chiliastische Weltvision, in der kommunistische Ideale mit der Utopie eines Gottesstaates verschmolzen sind. Mit seinen Vorstellungen von der gewaltsamen Herstellung einer angeblich besseren Welt erweist er sich als ein Vordenker des Faschismus.

Weil Settembrini und Naphta sich nicht zuletzt in ihren pädagogischen Bemühungen um Castorp gegenseitig im Weg stehen, ist es nur konsequent, dass sie sich duellieren. Dabei entziehen sich beide – jeder auf seine Weise – dem Zwang, aufeinander zu schießen zu müssen.

Während Clawdia Chauchat, Mynheer Peeperkorn, Lodovico Settembrini und Leo Naphta je ein Prinzip bzw. eine Lebensauffassung repräsentieren, muss Hans Castorp ihre Gegensätzlichkeit aushalten, um zu reifen. Doch am Ende – so befürchtet es der Erzähler – fällt er als Kanonenfutter im Ersten Weltkrieg.

Thomas Mann achtet darauf, dass der Erzähler sich nie weit von dem entfernt, was Hans Castorp erlebt und denkt. „Der Zauberberg“ ist ein komplexer, intellektueller, artifizieller und detailverliebter Roman mit einer Fülle von Symbolen. Weil sich die Leitmotive dieser „Komposition“ (Thomas Mann) wie in der Musik erst erschließen, wenn das Ganze bekannt ist, empfiehlt Thomas Mann die mehrmalige Lektüre des Werks.

Thomas Mann wurde 1929 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet.

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2004
Textauszüge: © S. Fischer Verlag – Die Seitenangaben beziehen sich auf den entsprechenden Band
der „Bibliothek des 20. Jahrhunderts“, herausgegeben von Walter Jens und Marcel Reich-Ranicki.
(Linzenzausgabe für den Deutschen Bücherbund, Stuttgart, Hamburg, München o. J.)

Hans Werner Geißendörfer: Der Zauberberg

Thomas Mann: Buddenbrooks
Thomas Mann: Wälsungenblut
Thomas Mann: Der Tod in Venedig
Thomas Mann: Mario und der Zauberer
Thomas Mann: Lotte in Weimar
Thomas Mann: Doktor Faustus

Heinrich Breloer: Die Manns. Ein Jahrhundertroman

Gunter Sachs - Licht'Bilder
Gunter Sachs drehte 7 Dokumentarfilme, darunter "Happening in Weiß", einen abendfüllenden Film über den Wintersport, für den er 1970 den 1. Preis des Internationalen Olmpischen Komitees erhielt. Als er sich beim Filmen "durch den immer größer und schwerfälliger werdenden technischen Apparat ... eingeengt fühlte", hörte er damit auf und griff zum Fotoapparat.
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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon zehn Tage und mehr, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte, und die Zeitspanne wird sich noch verlängern: Aus familiären Gründen werde ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik deutlich reduzieren.