Andrea van Bebber : Perlen vor die Säue

Perlen vor die Säue
Perlen vor die Säue Originalausgabe kalliope paperbacks Bettina Weiss Verlag, Bammental 2019 ISBN 978-3-9820327-0-2, 454 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Eine junge Frau, die gegen die Repression des DDR-Regimes aufbegehrt, wird psychisch kaputt gemacht, und ihr Ehemann, der sich mit den Behörden zu arrangieren versucht, geht daran zugrunde. Darunter leiden auch seine Eltern, die ihre Augen vor dem Unrecht im Staat verschließen. Viel zu spät erkennen sie und ihre Schwiegertochter, was sie versäumten.
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Kritik

Wie eine der Romanfiguren möchte Andrea van Bebber mit ihrem Roman "Perlen vor die Säue" mahnend verhindern, dass das Unrecht des DDR-Regimes vergessen wird. Sie leuchtet die Personen intensiv aus und entwickelt die Handlung im geschickten Wechsel von zwei Zeitebenen bzw. Erzählsträngen, die sich ergänzen und korrigieren.
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Eine aufbegehrende Jugendliche, 1972 − 1976

Weil Paula Müller dabei ist, als 1972 in Eisenach aufmüpfige Parolen an eine Hauswand geschmiert werden, gerät die 16-Jährige ins Visier des Ministeriums für Staatssicherheit.

1974 trampt sie mit einem Bekannten nach Leipzig und besucht Oppositionelle, die ein leerstehendes Haus besetzt haben. Als Paula und ihr Begleiter Bernhard Bucher von einem Spaziergang zurückkommen, sehen sie, wie die Polizei das Haus räumt. Nur durch Zufall sind sie nicht unter den Festgenommenen.

Der Stasi entgeht nicht, dass Paula Ende 1976 nach ihrer Ausbildung zur Stanzerin im Automobilwerk Eisenach als Stationshilfe ins Altenpflegeheim Mihla wechselt.

Haft, 1977/78

Im April 1977 nimmt Paula („Perlen-Paula“) an einer Party von Elke und Thomas Drobinski teil, zu der das Ehepaar in die Wohnung eingeladen hat, für die ihr Mietvertrag gekündigt wurde. Nachdem die beiden einen Ausreiseantrag stellten, hat Thomas seine Anstellung verloren und Elke, eine voll ausgebildete Krankenschwester, darf nur noch als Hilfskraft weiterarbeiten. Nun müssen sie auch die Wohnung aufgeben.

Während der Abschiedsparty rückt ein Polizei-Kommando an und kontrolliert die Ausweise der Anwesenden. Paula beobachtet, wie einer der Beamten einem Gehbehinderten die Krücke wegschlägt. Der Mann stürzt, und als er nach der am Boden liegenden Krücke greift, tritt der Polizist hämisch grinsend darauf. Da rastet Paula aus. Schreiend hebt sie die Krücke auf. Im nächsten Augenblick wird sie festgenommen. Bei der Durchsuchung findet man einen noch nicht abgegebenen Ausreiseantrag bei ihr. Das verschlimmert ihre Lage.

Wegen Beleidigung, Rowdytum und Widerstand gegen staatliche Maßnahmen verurteilt ein Richter Paula im Juli 1977 zu 20 Monaten Haft.

Seniorenheim in Heidelberg, 2015

Jonas Berger arbeitet als Altenpfleger in einem Seniorenheim in Heidelberg. 2015 kümmert er sich besonders um eine neu aufgenommene alte Dame. Von ihr erfährt er, dass sie 59 Jahre lang in Eisenach lebte, der Stadt, in der er 1982 geboren wurde. Fünf Jahre später ging seine geschiedene Mutter mit ihm in den Westen. Aber er hat noch immer ein gutes Verhältnis zu seinem Vater Hans-Peter Berger in Eisenach.

Während Jonas Anteil am Schicksal der Greisin nimmt, die in der DDR aufwuchs, wie seine Mutter, freundet er sich mit Susanne an, einer 26-jährigen Studentin, die sich für Flüchtlingshilfe beispielsweise in einem Camp in Schwetzingen einsetzt.

Michael, 1981 − 1984

Nach der Verbüßung der Strafe im berüchtigten Frauengefängnis Hoheneck gehen die Demütigungen weiter: Paula muss sich täglich im Rathaus melden und oft stundenlang warten, bis jemand auf sie einredet und sie dann nach Hause schickt. Offenbar werden auch potenzielle Arbeitgeber von den Behörden über ihre Haftstrafe informiert, denn auf alle Bewerbungen erhält sie Absagen.

1981 freundet sie sich mit Michael Leopold an, der noch bei seinen Eltern wohnt, aber am Jahresende mit Paula zusammen eine eigene Wohnung in Eisenbach mietet. Zur gleichen Zeit stellen sie gemeinsam einen Ausreiseantrag. Paula ist schwanger. Die beiden heiraten, und am 13. Mai 1982 bringt Paula einen Sohn zur Welt. Noch im Kreißsaal wird sie von drei Stasi-Mitarbeitern gedrängt, den Ausreiseantrag zurückzunehmen. Man droht, ihr das Kind wegzunehmen. Michael kommt dann herein, mit dem Neugeborenen auf dem Arm. Erst später erfährt Paula, dass er den gemeinsamen Ausreiseantrag zurückzog, weil ihm die Stasi-Mitarbeiter erklärten, dass man sonst das Kind zwangsweise in ein Heim oder zu einer systemtreuen Pflegefamilie bringen würde.

Paula ärgert sich über den Alleingang ihres Mannes, der den Plan an eine Übersiedlung in den Westen aufgegeben hat. Sie nimmt an, dass er seine Eltern nicht verlassen will. 1983 trennt sich das Ehepaar, und gleich darauf stellt Paula einen weiteren Ausreiseantrag.

Michael zieht nach Berlin. Dann trifft die Nachricht ein, er habe sich am 14. März 1984 erhängt. Weil Paula den Eindruck hat, dass die Schwiegereltern ihr eine Mitschuld an Michaels Tod geben, bricht sie den Kontakt zu ihnen ab.

Zweite Ehe und Ausreise in den Westen, 1985 − 1987

Im Jahr darauf heiratet sie Hans-Peter Berger und lässt sich für ihren Sohn eine neue Geburtsurkunde mit dem neuen Familiennamen ausstellen. Hans-Peter ist zwar ein guter Vater für seinen Stiefsohn, aber die Ehe wird nach kurzer Zeit geschieden.

Nach einem Suizidversuch Paulas an Weihnachten 1986 wird ihrem Ausreiseantrag stattgegeben, und Anfang 1987 zieht sie mit Jonas nach Gießen.

Jonas erfährt ein Geheimnis, 2016

Frau Leopold erzählt Jonas im Jahr nach ihrer Aufnahme im Heim, dass ihr Mann 1992, ein Jahr nach dem Umzug von Eisenach nach Berlin, an einem Herzinfarkt gestorben sei. Sie habe auch ihren Sohn Michael verloren, sagt sie, und erst später erfahren, dass er von der Stasi gezwungen worden war, seine Ehefrau als IM zu bespitzeln. Man habe ihm damit gedroht, den Sohn wegzunehmen. Schließlich zeigt sie Jonas zwei alte Fotos. Auf dem ersten sitzt sie selbst mit einem schätzungsweise ein Jahr alten Kind im Schoß in einem Sessel. Das andere Erinnerungsfoto wurde vor demselben Sessel aufgenommen. Auch das Kind ist dasselbe. Aber bei der Frau handelt es sich um – Jonas‘ Mutter Paula. Frau Leopold ist seine Großmutter! Und sein leiblicher Vater ist schon lange tot!

Susanne fährt mit ihm nach Gießen. Jonas  besucht seine Mutter. Paula ahnt schon, was ihn bewegt, denn als er von einer Heimbewohnerin namens Leopold erzählte, befürchtete sie bereits, dass es sich um Michaels Mutter handeln könnte.

Jonas bittet Paula um die Stasi-Akte, die sie sich schicken ließ, denn er möchte mehr über die Vorgänge während seiner frühen Kindheit herausfinden. Paula überlässt ihm den Ordner und nennt ihm den Namen des Freundes, bei dem Michael damals in Berlin Zuflucht gesucht haben könnte: Bertram Laubwitz.

Dann ruft Jonas Susanna an, die in der Nähe gewartet hat. Sie essen zu dritt.

Aus dem 2039 spielenden Prolog wissen wir bereits, dass Paula Berger inzwischen eine Enkelin hat. Als Zeitzeugin berichtet sie beispielsweise vor Schülern vom Unrecht in der DDR und schildert die Verhältnisse im Frauengefängnis Hoheneck.

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Eine der Romanfiguren in „Perlen vor die Säue“ hält als Zeitzeugin die Erinnerung an den Unrechtsstaat DDR mahnend wach. Eine ähnliche Aufgabe erfüllt auch Andrea van Bebber mit ihrem Buch.

Sie weist darauf hin, dass die Einzelheiten der Romanhandlung zwar fiktiv seien, der Plot jedoch auf Tatsachen basiere.

In „Perlen vor die Säue“ vermittelt uns Andrea van Bebber eine Vorstellung vom Leben in der DDR, von der Repression, Überwachung und Bespitzelung einer unangepassten jungen Frau, dem anhaltenden Versuch, ihren Widerstand mit Drohungen und Demütigungen zu brechen. Schockierend sind nicht zuletzt die Schilderungen der Verhältnisse im überfüllten Frauengefängnis Hoheneck. Die aufbegehrende Protagonistin wird vom DDR-Regime psychisch kaputt gemacht, und ihr Ehemann, der sich mit den Behörden zu arrangieren versucht, geht daran zugrunde. Darunter leiden auch seine Eltern. Viel zu spät erkennen sie und ihre Schwiegertochter, was sie versäumten.

In „Perlen vor die Säue“ leuchtet Andrea van Bebber intensiv aus, was in den betroffenen Personen vorgeht. Sie entwickelt die Handlung im Wechsel zwischen zwei Zeitebenen bzw. Erzählsträngen. Der eine Teil spielt in den Siebziger- und Achtzigerjahren in der DDR, der andere, im Präsens formulierte 2015/16 in Westdeutschland. Durch diesen geschickten Aufbau ergeben sich auch Wechsel in den Perspektiven, die sich gegenseitig ergänzen und korrigieren. Außerdem fügt Andrea van Bebber noch Dokumente ein − zum Beispiel IM-Berichte und Gerichtsbeschlüsse −, die zwar fiktiv, aber nach dem Muster echter Vorlagen verfasst sind.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2019

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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon zehn Tage und mehr, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte, und die Zeitspanne wird sich noch verlängern: Aus familiären Gründen werde ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik deutlich reduzieren.