Percival Everett : Die Bäume

Die Bäume
The Trees Graywolf Press, Minneapolis/Minnesota 2021 Die Bäume Übersetzung: Nikolaus Stingl Carl Hanser Verlag, München 2023 ISBN 978-3-446-27625-3, 364 Seiten ISBN 978-3-446-27692-5 (eBook)
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

1955 wurde der 14-jährige Afroamerikaner Emmett Till in Money/Mississippi von Roy Bryant und John William Milam aufgrund einer Aussage von Carolyn Bryant gelyncht. 2018 bringt jemand die Söhne der beiden Mörder um und legt jeweils einen toten Schwarzen daneben. Das löst eine Mordserie aus, die sich über alle Bundesstaaten verbreitet.
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Kritik

Mit "Die Bäume" geht Percival Everett von einem tatsächlichen Fall aus und prangert den Rassenhass in den USA an. Er verpackt das ernste Thema auf geschickte Weise in eine Groteske, bei der Grausamkeit und Komik zusammengehen. "Die Bäume" ist hard boiled und Slapstick zugleich, spannend und unterhaltsam, packend, ernst und brutal.
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Zwei seltsame Morde

Wheat und Charlene Bryant wohnen mit ihren vier Kindern und Wheats 85-jähriger Mutter Carolyn Bryant („Granny C“) in Money/Mississippi. Wheats Vater Roy Bryant erlag vor zehn Jahren einem Krebsleiden. Roys Halbbruder John William Milam starb bereits 1981 in Money. Dessen Sohn ist in Money mit einer Frau namens Daisy verheiratet. Weil John William Milam „Junior“ genannt wurde, sagen alle zu seinem Sohn „Junior Junior“, und der Enkel wird „Triple Junior“ gerufen.

Daisy findet ihren Mann und einen jungen Afroamerikaner 2018 in der winzigen Toilette ihres Hauses vor. Beide tot. Der Schwarze hat die abgetrennten Hoden des Weißen in der Faust.

Die weißen Deputy Sheriffs Delroy Digby und Braden Brady stehen vor einem Rätsel. Haben sich die beiden Männer gegenseitig umgebracht? Aber das ist unmöglich.

Gottverflucht, ich hasse nichts mehr als Mord“, sagte Sheriff Red Jetty. „Das kann einem so richtig den Tag verderben.“
„Weil es so eine Vergeudung von Leben ist?“, fragte der Coroner, Reverend Cad Fondle. […]
„Nein, weil es so eine Schweinerei ist.“
„Dieses ganze Blut“, sagte Fondle.
„Das Blut ist mir scheißegal. Der gottverfluchte Papierkram macht mich fertig.“

Der von der Polizei sichergestellte Körper des Schwarzen verschwindet und taucht kurz darauf neben Wheat Bryants Leiche wieder auf, nun mit dessen Hoden in der Hand.

Der Bürgermeister Philwort Bass verlangt rasche Aufklärung.

Lester Safer vom Mississisppi Bureau of Investigation (MBI) in Hattiesburg schickt die beiden afroamerikanischen Special Detectives Jim Davis und Ed Morgan nach Money.

Die Polizei findet heraus, dass die Väter der beiden weißen Ermordeten 1955 den 14-jährigen Schwarzen Emmett Till in Money gelyncht hatten, weil Roy Bryants Frau Carolyn angeblich von ihm unsittlich angemacht worden war. Roy Bryant und John William Milam wurden zwar angeklagt, aber vom Gericht freigesprochen.

Carolyn Bryant findet man tot in ihrem Bett vor. Reverend Cad Fondle, der in Money als Gerichtsmediziner amtiert, vermutet, dass die 85-Jährige vor Schreck starb, denn im Sessel neben ihr sitzt ein toter Schwarzer.

Chronik der Lynchmorde

Im „Dinah“ werden Jim Davis und Ed Morgan von einer Kellnerin bedient, auf deren Namensschild „Dixie“ steht, die jedoch Gertrude Penstock heißt. Als Dixie bekomme sie mehr Trinkgeld, erklärt sie. Deshalb habe sie sich hier als „Dixie Foster“ beworben.

Adelaide Lynch, eine „Mama Z“ genannte 105 Jahre alte Afroamerikanerin, wird von Gertrude als Urgroßmutter ausgegeben. Julius Randolph Lynch, Adelaides Vater, wurde in ihrem Geburtsjahr 1913 südlich von Hattiesburg gelyncht. Ihre Mutter starb drei Monate später. Sie wuchs bei ihrem Onkel John Lynch auf.

Inzwischen hat Mama Z zu 7006 Lynchmorden in den USA seit ihrer Geburt Dossiers angelegt. Und um dieses Archiv auszuwerten, ruft Gertrude ihren früheren Kommilitonen Damon Nathan Thruff nach Money. Der 27-Jährige, der in Harvard in Molekularbiologie, in Yale in Psychobiologie und an der Columbia in Fernöstlicher Philosophie promovierte, lehrt inzwischen an der University of Chicago.

Mordwelle

Reverend Cad Fondle, der nicht nur als Gerichtsmediziner amtiert, sondern auch als Krand Kleagle des regionalen Ku Klux Klan, wird in seinem eigenen Schlafzimmer neben der Leiche eines Schwarzen ermordet. Pick L. Dill behauptet, dass Cad Fondle vor vier Jahren, als der Afroamerikaner Garth Johnson in einem Müllcontainer mit einer Schusswunde im Hinterkopf gefunden worden war, als Todesursache „Selbstmord“ konstatiert hatte.

Auf ähnliche Weise wie die anderen Weißen stirbt in Chicago Junior Junior Milams Bruder. Ein schwarzer Mob lyncht die Deputy Sheriffs Delroy Digby und Braden Brady in Money. Überall in den USA werden Weiße umgebracht, und Afroamerikaner oder Asiaten mit abgetrennten Hoden der Weißen in der Faust liegen neben ihnen.

Einer der zahlreichen Morde geschieht im Roosevelt Room des Weißen Hauses. US-Präsident Donald Trump versteckt sich daraufhin unter seinem Schreibtisch im Oval Office:

„Rufen Sie die Army. Die sollen hier alles umstellen, verflucht.“
„Sir, das Gelände ist gesichert.“
„Ich will meine Army hier haben, und zwar sofort!“

Um die Aufklärung der Mordserie voranzutreiben, entsendet Ajax Kinney, der Chef der FBI-Außenstelle Southeast in Atlanta/Georgia, die afroamerikanische Agentin Herberta („Herbie“) Hind nach Money. Und Helvetica Quip, die aus England stammende 50 Jahre alte Gerichtsmedizinerin des MBI, wird ebenfalls hinzugezogen.


Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.


Aufklärung (Spoiler)

Bei zwei der toten Schwarzen in Money handelt es sich um Robert Hemphill und Gerald Mister. Beide wurden nach ihrem Tod von der Firma Acme Cadaver Supply in Chicago übernommen. Jim Davis und der örtliche Detective Sergeant Daniel Moon befragen deshalb Chris Toms, den Inhaber und Geschäftsführer des 1975 gegründeten Unternehmens. Von ihm erfahren sie, dass vor zwei Monaten der mit 21 Leichen geladene Auflieger eines Transports südlich von St. Louis ebenso verschwand wie der Fahrer Chester Hobsinger.

Die Polizei spürt Chester Hobsinger auf und nimmt ihn fest. Sheriff Red Jetty vernimmt ihn. Er nennt eine Adresse, und als die Ermittler dort nachschauen, treffen sie auf eine Gruppe von 16 Leuten, zu der auch Gertrude Penstock gehört.

Gertrude gesteht, dass nicht sie, sondern Chester Hobsinger mit Mama Z bzw. Adelaide Lynch verwandt ist. Er ist ein Urenkel der 105-Jährigen. Sein afroamerikanischer Großvater wurde vom Ku Kux Klan gelyncht. Die Gruppe wollte Emmett Till rächen und ermordete deshalb Wheat Bryant, Junior Junior Milam und dessen Bruder in Chicago, also die Söhne der Mörder von 1955. Carolyn Bryant, die von Schuldgefühlen wegen ihrer für Emmett Till tödlichen Falschaussage im Jahr 1955 gequält wurde, starb vor Schreck beim Anblick des neben sie gesetzten Schwarzen. Bei allen anderen Tätern handelte es sich um Nachahmer.

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Percival Everett knüpft mit seinem Roman „Die Bäume“ an einen Lynchmord an, der tatsächlich stattfand: 1955 wurde der 14-jährige Afroamerikaner Emmett Till in Money/Mississippi von Roy Bryant und John William Milam aufgrund einer Aussage von Carolyn Bryant umgebracht.

Mit „Die Bäume“ prangert Percival Everett den Rassenhass in den USA an.

Wie beispielsweise Quentin Tarantino und Don Winslow verpackt Percival Everett das ernste Thema auf geschickte Weise in eine Groteske, bei der Grausamkeit und Komik zusammengehen. „Die Bäume“ ist hard boiled und Slapstick zugleich, spannend und unterhaltsam, packend, ernst und brutal.

Den Roman „Die Bäume“ von Percival Everett gibt es auch als Hörbuch, gelesen von Jona Mues.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2023
Textauszüge: © Carl Hanser Verlag

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