Nadine Gordimer : Anlass zu lieben

Anlass zu lieben
Occasion for Loving Victor Gollanz, London 1963 Anlass zu lieben Übersetzung: Margaret Carroux S. Fischer Verlag, Frankfurt/M 1983 ISBN 978-3-10-027007-8, 456 Seiten Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt/M 1985 ISBN 978-3-596-25948-9, 456 Seiten Berliner Taschenbuch Verlag, Berlin 2010 ISBN 978-3-8333-0674-7, 361 Seiten ISBN 978-3-8270-7101-9 (eBook)
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Vor dem Hintergrund der Apartheid in Südafrika erzählt Nadine Gordimer von einer Weißen und einem Schwarzen, die sich auf eine Liebesbeziehung einlassen, obwohl es gesetzlich verboten ist und sie außerdem mit Übergriffen von Rassisten rechnen müssen.
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Kritik

Der Roman "Anlass zu lieben" ist ein Plädoyer gegen Rassismus, für Freiheit, Liebe und Mitmenschlichkeit. Nadine Gordimer entwickelt die Geschichte vorwiegend aus Jessies Perspektive. Dabei lässt sie sich sehr viel Zeit.
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Tom und Jessie Stilwell

Bei Tom und Jessica („Jessie“) Stilwell handelt es sich um ein liberales, aufgeschlossenes Ehepaar, das zu Beginn der Sechzigerjahre ein offenes Haus in Johannesburg pflegt. Trotz der in Südafrika geltenden Apartheid achten sie dabei nicht auf die Hautfarbe. Tom ist Dozent für Geschichte. Die 39-jährige Jessie jobbt als Sekretärin eines Verbands afrikanischer Musiker in Johannesburg.

Ihr Vater Charles Tibbett, der Angestellter bei einer Goldmine war, starb, als Jessie drei Jahre alt war. Ihre Mutter heiratete dann den Schweizer Chemotechniker Bruno Fuecht. Jessies erster Ehemann fiel im Zweiten Weltkrieg. Aus dieser Ehe stammt der inzwischen 15-jährige, in einem Internat untergebrachte Sohn Morgan. Außerdem haben Tom und Jessie drei Töchter − Clemence („Clem“), Madge und Elisabeth −, von denen die Jüngste demnächst in die Schule kommt.

Ann und Boaz Davis

Die Stilwells nehmen ein Ehepaar bei sich auf, das gerade aus England angekommen ist. Der jüdische Musikwissenschaftler Boaz Davis hatte Südafrika vor zehn Jahren verlassen. Seine deutlich jüngere Ehefrau Ann − sie ist Anfang 20 − war als Engländerin in Rhodesien geboren worden. Seit drei Jahren sind die beiden zusammen.

Ann erklärt enthusiastisch:

„Oh, ich möchte gern neue Dinge finden, Dinge, die ich nicht kenne. Leute, die nicht wie die Leute sind, die ich kenne.“

Später wird Tom über Ann sagen:

„Ich fand diese hellwache Art immer unangenehm, wie sie sich sofort auf das stürzte, was sie interessierte, es anfasste, es abschmeckte, darüber lachte, es jemandem zeigte. Ich weiß nicht − sie schien nur einen Grund zu haben, etwas zu tun nur einen Grund, und zwar, dass sie lebendig war.“

Ann Davis und Gideon Shibalo

Durch Len Mafolo, einen Sekretär am Institut für Rassenbeziehungen, lernt Ann Gideon („Gid“) Shibalo kennen. Inzwischen unterrichtet er als Lehrer. Als er noch malte, wurde ihm ein Stipendium in Italien angeboten. Weil er sich jedoch für den African National Congress engagierte, verweigerten ihm die Behörden einen Pass, und er konnte das Stipendium nicht annehmen.

Gideon ist mit einer Frau in Bloemfontein verheiratet und hat einen Sohn, den er allerdings nach jahrelanger Trennung kaum noch auf der Straße erkennen würde. Mit seinem Schwager Sandile Makhawula ist er nach wie vor befreundet. Zuletzt lebte Gideon mit Callie Stow zusammen, der Tochter eines Schotten und einer Skandinavierin, die Politologie und Volkswirtschaft studiert hatte und zur Mitarbeit an einem Programm zur Erwachsenenbildung schwarzer Farmarbeiter nach Rhodesien gekommen war.

Ann und Gideon verlieben sich. Die junge Frau gesteht Boaz, dass sie eine Liaison mit dem Afrikaner angefangen habe und stellt Gideon ihrem Ehemann vor. Boaz unternimmt nichts gegen die Affäre und erklärt den Gastgebern, er werde Ann zu nichts zwingen, sondern sie selbst über die Zukunft entscheiden lassen. Tom ist überzeugt, dass Boaz einen weißen Nebenbuhler anders behandeln würde.

Beziehungen zwischen Schwarzen und Weißen stehen im Apartheids-Regime unter Strafe, aber Ann ignoriert das Risiko. Sie liebt Gideon nicht über die Rassenschranke hinweg, sondern für sie gibt es die Grenze einfach nicht.

Jessie, Ann und Gideon

Während Tom eine Forschungsreise nach Moçambique plant, fährt Jessie mit den Töchtern in die südafrikanische Provinz Natal, wo ihr kürzlich in einem römischen Krankenhaus gestorbener Stiefvater ein Cottage am Meer hinterlassen hat. Seit ihrer Kindheit war Jessie nicht mehr dort.

Unerwartet tauchen Ann und Gideon bei ihr auf. Die beiden haben Johannesburg verlassen. An einer Tankstelle hielt man Gideon für den Boy der weißen Dame. Bei Gideons Freund James Mapulane im Norden der Provinz Transvaal konnten sie nicht lange bleiben, weil sie ihn sonst wegen der Apartheid ebenfalls in Gefahr gebracht hätten. Als eine Autopanne eine längere Reparatur erforderlich machte, schlief Ann im Hotel, während Gideon − ihr vermeintlicher Boy − in der Werkstatt übernachtete. Der Garagenbesitzer wunderte sich, als die weiße Lady dem Schwarzen ein Essen aus dem Hotel brachte.

Sobald das Auto wieder fuhr, schlug Ann vor, Zuflucht bei Jessie zu suchen.

Weil Jessie vermeiden möchte, dass sie wegen der verbotenen Liaison der beiden von einer Rotte des Ku-Klux-Klan überfallen werden, muss Gideon auf einer Coach im Wohnzimmer schlafen. Gerade wird in dem Dorf Isendhla Stimmung gegen „unverschämte Dienstboten“ aus Johannesburg gemacht, die dreist an den Strand kommen.

Jessie fühlt sich von der Liebesbeziehung ausgeschlossen und einsam.

Nach drei Wochen kehren sie nach Johannesburg zurück.

Bei Jessies in Port Elizabeth lebender Mutter beschweren sich Bewohner aus Isendhla und fordern sie auf, bei der Auswahl von Gästen in ihrem Strandhaus sorgfältiger zu sein.

Ausklang

Ann entscheidet sich schließlich für Boaz. Der triumphiert kein bisschen, als er es Jessie berichtet. Das Ehepaar verlässt Südafrika kurz darauf, verbringt einige Zeit auf den Seychellen und reist dann weiter nach Europa.

Ann hört, dass Gideon arbeitslos und dem Alkohol verfallen ist. Als sie ihn bei einer Party wiedersieht, ist er so betrunken, dass er sie als „weiße Nutte“ beschimpft.

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Nadine Gordimer lässt einen schwarzen Südafrikaner sagen:

„Die Weißen haben den Schwarzen die Vergangenheit weggenommen; als wir von ihnen die Gegenwart angenommen haben, war alles gelaufen. […] Als wir die Gegenwart des weißen Mannes, der Industrialisierung und der mechanisierten Lebensweise akzeptierten, nahmen wir gleichzeitig seine Zukunft auf uns − ich mein, wir begannen dort hinzugehen, wo immer auch er hingehen mag. Und unsere Vergangenheit hat keine Verbindung damit. Also ist sie verloren. Praktisch verloren.“

Vor dem Hintergrund der Apartheid in Südafrika erzählt Nadine Gordimer in ihrem Roman „Anlass zu lieben“ von einer Weißen und einem Schwarzen, die sich auf eine Liebesbeziehung einlassen, obwohl es gesetzlich verboten ist und sie außerdem mit Übergriffen von Rassisten rechnen müssen.

Nadine Gordimer beobachtet das gefährliche Geschehen vorwiegend aus der Perspektive einer weiteren weißen Frau, die ungewollt zur Zeugin wird.

Ruhig und sorgfältig leuchtet die Nobelpreisträgerin die Charaktere aus und spürt der psychologischen Entwicklung nach. Weil sie sich dabei sehr viel Zeit nimmt und den Protagonisten Gideon Shibalo erst nach mehr als 100 Seiten einführt, handelt es sich bei „Anlass zu lieben“ nicht gerade um eine mitreißende Lektüre.

Nadine Gordimer wendet sich gegen Vorurteile im Allgemeinen und Rassismus im Besonderen. Ihr Roman „Anlass zu lieben“ ist ein Plädoyer für Freiheit, Liebe und Mitmenschlichkeit, aber auch für einen zivilisierten Umgang miteinander im Fall von Konflikten.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2021
Textauszüge: © S. Fischer Verlag

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