Sheila Heti : Reine Farbe

Reine Farbe
Pure Colour Farrar, Straus und Giroux, New York 2022 Reine Farbe Übersetzung: Thomas Überhoff Rowohlt Verlag, Hamburg 2023 ISBN 978-3-498-00247-3, 220 Seiten ISBN 978-3-644-01004-8 (eBook)
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Mira lebt in einer Zeit, in der Gott wie ein Maler von der Staffelei zurücktritt, seine Schöpfung betrachtet und überlegt, sie durch einen neuen, besseren Versuch zu ersetzen.
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Kritik

"Reine Farbe" ist ein modernes Märchen und ein surrealer philosophisch-kosmologischer Roman von Sheila Heti. Der Inhalt bleibt rätselhaft, die Form ist poetisch.
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Die erste Schöpfung

Als Gott Himmel und Erde erschaffen hatte, trat er zurück, um die Schöpfung zu betrachten, wie ein Maler von der Staffelei.
Dies ist der Moment, in dem wir leben – der Moment, in dem Gott zurücktritt.

So beginnt Shila Heti ihren Roman „Reine Farbe“. Weil Gott diese „hastig zusammengeschusterte“ Schöpfung für misslungen hält, denkt er über einen neuen Versuch nach.

Bereit, sich ein zweites Mal an der Schöpfung zu versuchen und sie diesmal besser hinzukriegen, erscheint Gott, teilt und manifestiert sich in Gestalt dreier Kunstkritiker am Himmel – ein großer Vogel, der von oben her urteilt, ein großer Fisch, der aus der Mitte heraus urteilt, und ein großer Bär, der urteilt, während er die Schöpfung in den Armen wiegt.

Ob die zweite Version wirklich besser wird, ist allerdings zu bezweifeln.

Erste Versionen haben etwas Aufregendes – sie sind anarchisch, improvisiert, lebensprall und voller Fehler.

Mira

Mira zieht zu Hause aus und beginnt in einem Lampengeschäft zu arbeiten. Ihr Vater, den sie allein zurücklässt, hätte sie gern weiter bei sich gehabt, aber er unterstützt ihren Abnabelungsprozess. Als sie noch ein Kind war, versprach er, ihr „irgendwann allerlei rätselhafte, seltene und wunderbare Dinge zu schenken, darunter reine Farbe – nicht irgendetwas Gefärbtes, sondern Farbe an sich!“

Sie absolviert eine Ausbildung an der elitären Amerikanischen Akademie für amerikanische Kritiker.

Hier in der ersten Version des Daseins erschufen wir uns unsere eigenen zweiten Versionen – Geschichten, Bücher, Filme und Theaterstücke […].

Mira freundet sich mit Matty und Annie an. Annie ist in einem Waisenhaus in den USA aufgewachsen.

Damals wurde mit Freundschaften nicht so geprotzt. Deine Freunde waren einfach die Leute um sich herum. […] Es reichte, vier oder fünf Leute zu kennen und mit zweien oder dreien von ihnen geschlafen zu haben.

Tod

Als ihr Vater stirbt, ist Mira bei ihm, und seine Seele tritt in sie ein. Erst jetzt wird ihr bewusst, dass sie ihn vernachlässigte.

Die Liebe zu ihrem Vater war groß, aber die zu Büchern war größer.

Gemeinsam mit seiner Seele gelangt sie in das Blatt eines Baumes. Und von dort beobachtet sie Annie, bis das Blatt nach einiger Zeit aufbricht und Mira herausfällt.

Sie kauft grünen Stoff und näht sich ein Blatt-Kostüm.

Annie findet sie schließlich sterbend auf dem Fußboden liegend vor und hält sie in den Armen.

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Sheila Heti wurde 1976 in Toronto als Tochter jüdischer Immigranten aus Ungarn geboren. Sie studierte Philosophie, Kunstgeschichte und Dramaturgie, bevor sie 2001 mit „The Middle Stories“ und 2006 mit dem Roman „Ticknor“ als Schriftstellerin debütierte. Während sie „Pure Colour“ / „Reine Farbe“ schrieb, starb ihr Vater – und diesen Verlust hat sie in ihrem Roman verarbeitet.

„Reine Farbe“ beginnt mit dem Schöpfungsmythos, ist ein modernes Märchen und ein surrealer philosophisch-kosmologischer Roman, der in einer Endzeit spielt, in der Gott sich anschickt, die missratene Schöpfung durch einen neuen Versuch zu ersetzen. Aber es gibt auch Passagen in „Reine Farbe“, die dem Monotheismus widersprechen:

Manchmal nehmen die Götter de Gestalt von Bakterien oder Viren an, und oft ist eine Krankheit einfach nur das – ein Schwarm invasiver Götter.

Der Inhalt von „Reine Farbe“ bleibt rätselhaft, die Form ist poetisch.

Bemerkenswert ist, dass Sheila Heti die Menschen in drei Kategorien einteilt:

Aus dem Vogelei geborene Menschen interessieren sich für Schönheit, Ordnung, Harmonie und Sinn. […]
Aus dem Fischlaich geborene Menschen entschlüpfen Gelschnüren, und in diesen Schnüren, die Hunderttausende Eier enthalten, kommt es nicht auf das einzelne Ei an, sondern auf die Verfassung der vielen. […]
Aus dem Bärenei Geborene gleichen Kindern, die ihre Lieblingspuppe umklammern. […]
Aus diesen drei unterschiedlichen Eiern geborene Menschen werden einander nie richtig verstehen.

Während Mira, aus deren Perspektive Sheila Heti die Geschichte erzählt, mit den Vögeln assoziiert wird, stehen Annie für die Fische und Miras Vater für die Bären.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2023
Textauszüge: © Rowohlt Verlag

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