Saskia Hennig von Lange : Zurück zum Feuer
Inhaltsangabe
Kritik
Max Schmeling
Max Schmeling ist 99 Jahre alt, als er Anfang 2005 im Sterben liegt. Bei ihm in seinem abgelegenen Haus im Wald südöstlich von Hollenstedt ist nur noch eine Krankenschwester. Seine Frau, die deutsch-tschechische Filmschauspielerin Anny Ondra, starb 1987 nach 54 Ehejahren.
Der Schwergewichts-Boxweltmeister Max Schmeling war 1928 in die USA gekommen und hatte Jussel („Joe“) Jacobs als Manager engagiert, einen in New York geborenen Sohn jüdisch-ungarischer Einwanderer. Der sorgte 1935 nach Max Schmelings Sieg über Steve Hamas in der Hanseatenhalle in Hamburg für einen Skandal, als er mit einer Havanna in der rechten Hand den Arm zum Hitlergruß hob.
1936 besiegte Max Schmeling den bis dahin als unschlagbar geltenden „braunen Bomber“ Joe Louis. Aber beim Rückkampf zwei Jahre später in New York ging Max Schmeling rasch zu Boden, und sein Trainer Max Machon rettete ihm möglicherweise das Leben, als er regelwidrig in den Ring stieg und das Handtuch warf.
Nach dem Zweiten Weltkrieg baute Max Schmeling den Coca-Cola-Vertrieb in Hamburg auf. Sowohl seine sportliche als auch seine wirtschaftliche Karriere wurde von seiner Leidenschaft für die Jagd überdauert.
Nun, Anfang 2005, spürt Max Schmeling, wie seine letzten Kräfte schwinden, und er weiß, dass er stirbt. Der 99-Jährige liegt im Bett und ist auf die Hilfe der eigens angestellten Krankenschwester angewiesen. Er hängt seinen Erinnerungen nach.
Die Tür geht auf, die Schwester kommt herein. „Können Sie nicht anklopfen“, blafft er, „was wollen Sie denn schon wieder?“ Die Schwester schaut ihn an, ruhig, verständnisvoll, das hält ja niemand aus, denkt er, so viel Verständnis und Mitgefühl. „Sie haben geklingelt.“ Jetzt fällt es ihm wieder ein, der Kaffee. „Ich wollte bloß wissen, wo mein Kaffee bleibt, das kann ja so lange nicht dauern.“ – „Den habe ich doch schon gebracht“, sagte sie, „den haben Sie doch längst getrunken.“ Sie deutet mit einem Nicken auf die leere Tasse neben seinem Bett. […] Das kann doch gar nicht sein, daran würde ich mich doch erinnern, wenn ich gerade einen Kaffee getrunken hätte.“ – „Soll ich Ihnen noch einen bringen?“ Er denkt nach. […] „Was ist, wollen Sie noch einen Kaffee?“ Er nickt.
[…]
Ich muss eingeschlafen sein, denkt er, es riecht nach Kaffee. Neben ihm am Bett steht eine Tasse […].
[…] Es geht bloß darum, dass ich dieses Leben aushalte, so lange, bis es dann vorbei ist. Und dazu muss ich es loslassen, denkt er. Aber erst will ich noch ein Stück Kuchen essen […]. Er klingelt, und in dem Moment geht schon die Tür auf.
[…]
Er schaut sich in seinem Zimmer um, sein Blick bleibt an der Schwester hängen. Die Schwester steht in der Tür, in der Hand ein Tablett, darauf die Thermoskanne. Was will die denn jetzt hier, wie viel Kaffee soll ich denn noch trinken? […] „Sie haben doch Kaffee bestellt.“ Ja, ja, der Kaffee, aber was ist mit dem Kuchen. […] „Und der Kuchen, was ist mit dem?“ – „Der kommt gleich.“
Raphael
Bei Raphaels Einschulung war das Haus, das seine Eltern Inge und Max bauten, noch unfertig. Die finanzielle Belastung zwang Inge, das Gehalt ihres Mannes als Vertretungslehrerin aufzubessern. Das Referendariat hatte sie noch vor Raphaels Geburt absolviert. Aber Unterrichten, den Haushalt führen und sich als Mutter um den Sohn zu kümmern, das war zu viel für Inge. Notgedrungen mussten sie das halb fertigte Haus verkaufen und in eine Mietwohnung in der Stadt ziehen. Dort wohnen sie seit 20 Jahren. Inge ist auch längst wieder an einer Schule angestellt.
Vor vier Wochen kam Raphael mit dem Motorrad von der Straße ab, prallte gegen einen Baum und brach sich das Genick. Ob es sich um einen Unfall oder einen Suizid handelte, weiß man nicht. Inge erinnert sich, wie sie und Max vor dem toten Sohn im Keller der Unfallklinik standen.
Dein Körper und seine Regungen sind mir vertraut, vertrauter sogar als mein eigener Körper. Und als ich dich da habe stehen sehen, in diesem Keller, in dieser Kälte, da habe ich doch alle Gesten gesehen und alle Regungen, die du dir verboten hast, von denen du vielleicht selbst gar nichts wusstest. Alles, was in dir tobte, habe ich gesehen in deinem Rücken und an dem Zucken deiner Schulterblätter, einem Zucken, an dem ein anderer Gleichgültigkeit abgelesen hätte.
Während Inge vier Wochen lang zu Hause blieb, ging Max am Tag nach der Beerdigung wieder ins Büro. Max‘ Chef, Herr Beier, macht sich Sorgen:
Naja, er ist völlig abwesend. Er arbeitet eigentlich überhaupt nicht mehr. Kommt jeden Morgen pünktlich, das ist es nicht. Er ist ja immer da, bloß, er arbeitet eben nicht. Er setzt sich an seinen Schreibtisch. Schaut aus dem Fenster. Schiebt die Sachen von hier nach da. Räumt die Schublade aus, räumt sie wieder ein. und das war’s. So sitzt er da den ganzen Tag. Wenn alle anderen schon längst gegangen sind, sitzt er immer noch so. Starrt vor sich hin.
Vor mehreren Jahren erhielt Max die Aufgabe, als Sachverständiger einen Bericht über das seit zehn Jahren leer stehende, von Max Schmeling hinterlassene Haus zu schreiben. Es geht um Vorschläge, was daraus werden soll. Vielleicht ein Museum oder eine Ausbildungsstätte. Weil Max der Aufgabe schon vor dem Tod seines Sohnes nicht nachkam und nun auch nichts mehr von ihm zu erwarten ist, sieht Herr Beier sich gezwungen, sie einem anderen Mitarbeiter zu übertragen. Das kündigt er Max an.
Max: Freitag
Am selben Abend fährt Max zu dem abgelegenen Haus im Wald.
Denn natürlich muss ich wenigstens einen Bericht schreiben, eine Empfehlung aussprechen, egal, wie ungewöhnlich die Situation ist, in der ich mich gerade befinde.
Denn ich weiß eigentlich genau, was ich will und was ich für richtig halte, was man mit diesem Haus tun sollte, und das habe ich die ganze Zeit schon gewusst, nämlich nichts. Dass man es einfach lässt, dass man die Tür abschließt und den Schlüssel wegwirft oder vergisst und das Haus einfach so vor sich hin sein lässt, mit allen Dingen, die noch hier drin sind, und mit den ganzen Geschichten, die diesen Dingen innewohnen, dass man daran besser gar nicht rührt.
Beim Weg vom Auto zum Haus stürzt Max im Dunkeln. Mit einer Kompresse aus dem Verbandskasten stillt er das Blut, das aus der Kopfverletzung quillt. Bevor er erneut losgeht, schaltet er die Scheinwerfer ein.
Er sperrt auf und betritt das Haus, in dem der Strom abgeschaltet ist.
Weil er friert, zieht er einen von Max Schmeling hinterlassenen Pullover über seinen Mantel. Als sein Handy klingelt und er annimmt, dass Inge von der Schule nach Hause gekommen ist und wissen möchte, warum er nicht da ist, hindert ihn der Pullover daran, rasch in die Manteltasche zu greifen, und als er endlich an sein Handy kommt, ist es zu spät. Aber das ist ihm durchaus recht, denn er kann Inge jetzt nicht ohne weiteres erklären, warum er am Freitagabend zu Max Schmelings Haus gefahren ist.
[…] dass ich bald mit ihr sprechen muss, dass ich sie anrufen muss und mich erklären, das ist mir völlig klar, und da führt auch nichts dran vorbei. Nur noch nicht jetzt. Ich brauche noch einen Moment.
Er geht nicht ran, und irgendwie ist sie froh deswegen, so wie sie auch froh war, als sie eben auf dem Küchentisch keine Nachricht von ihm gefunden hat. Sie steht im Flur, den Telefonhörer noch in der Hand.Gleich rufe ich sie an, ich muss mir nur noch die richtigen Worte zurechtlegen, Worte, die eindeutig sind und überzeugend. Denn ich weiß schon, dass ich in eine seltsame Situation geraten bin und dass es nicht leicht sein wird, Inge das zu erklären.
Das leuchtende Display des Handys benutzt Max nun als Taschenlampen-Ersatz – bis es ihm aus der Hand rutscht und in einem Spalt eines der Einbauschränke für Pokale des Boxers verschwindet. Max erinnert sich, dass es einen Mechanismus gibt, mit dem sich die Schubladen mit den Pokalen herausschieben lassen, aber in der Dunkelheit findet er weder einen Knopf noch einen Hebel.
Weil er Inge nicht zurückrufen kann, beschließt er, nach Hause zu fahren. Aber als er die Haustür öffnet, sieht er, dass die Scheinwerfer aus sind. Die Batterie ist leer! Es bleibt ihm also nichts anderes übrig, als umzukehren.
Ich muss das Handy da wieder herausholen, ich muss jemanden anrufen, sonst komme ich nie mehr von hier weg.
Schließlich fällt ihm ein, dass der Öffnungsmechanismus elektrisch betrieben wird, also bei abgeschaltetem Strom gar nicht funktionieren kann.
Im Dunkeln läuft er gegen eine zuvor geöffnete Schranktür.
Max muss sich ausruhen. Auf der Suche nach dem Bett stößt er mit dem Fuß gegen etwas, und es klingt hohl. Ein Bettkasten. Weil er darin wärmende Decken für die Nacht vermutet, zerrt er an dem Möbelstück herum, bis plötzlich etwas aufschwingt und ihn mitreißt. Er stürzt in den Bettkasten, fällt jedoch weich, weil daran tatsächlich Decken liegen. Aber in die ist etwas Schweres eingewickelt. Tastend erkundet er den Gegenstand. Es ist ein Jagdgewehr. Das hängt er sich um und legt sich hin.
Max: Samstag
Als Max aufwacht, dringt Tageslicht durch die Ritzen der Fensterläden. Er will will einen Fensterladen aufstoßen, aber das gelingt erst, als er sich mit aller Kraft dagegen wirft, denn Wand und Fensteröffnung sind von wildem Wein überwuchert. Max schaut sich das von draußen an.
Wirklich, das ganze Haus ist zugewachsen. […] Bis zum Dach hinauf und ich glaube sogar in den Schornstein hinein ist der Wein gewachsen. […] Es sieht schön aus, dieses so völlig eingewachsene Haus, auf dem Dach liegen fette Bündel von Moos. Aber dem Haus, seiner Substanz, hat das sicher nicht gut getan. Das muss ich in meinen Bericht aufnehmen, denke ich. Und ich denke auch, dass ich daran nicht ganz unschuldig bin und dass das Haus sicher ganz anders aussähe, wenn ich meine Arbeit etwas schneller erledigt und den Bericht und meine Vorschläge etwas früher eingereicht hätte. Gut, dass ich jetzt hier bin, dass ich die Sache angehe.
Um an sein Handy zu kommen, sucht Max im Schuppen nach Werkzeug, stürzt aber in das Gerümpel und reißt sich die Hand auf. Immerhin findet er einen Schürhaken, der sich am Schrank als Hebel einsetzen lässt. Erst muss er die Hand verbinden. Dazu geht er zum Auto und lehnt den Schürhaken gegen die Karosserie. Der rutscht ab und hinterlässt mit kreischendem Geräusch einen Kratzer.
Aber ich rege mich nicht auf. Ich rege mich gar nicht auf. Über nichts rege ich mich mehr auf, ich bin vollkommen ruhig. Die Ruhe in Person. Ich rege mich nicht mehr auf. Über den Kratzer am Auto nicht und auch nicht über meine verletzte Hand. Ich verbinde die einfach, das geht schon, da ist ja eine Kompresse […]. Zwei Päckchen sind noch da, viel sollte nicht mehr passieren.
Weil Max Hunger hat, streift er mit Gewehr und Schürhaken durch den Wald – und entdeckt tatsächlich eine Hütte. Er bricht die Tür auf, findet nicht nur Vorräte, sondern auch einen Rucksack und kehrt mit seiner Beute zu Max Schmelings Haus zurück.
Nachdem er eine Dose mit dem Schürhaken aufgehauen und Ravioli gegessen hat, trägt er aus dem Schuppen und dann auch aus dem Haus alles Mögliche zusammen – Tonbänder ebenso wie Kisten mit Papieren – und entzündet ein riesiges Feuer, das bis zum Samstagabend brennt.
Inge räumt die Wohnung aus
In der Nacht von Freitag auf Samstag nahm Inge die Bilder von den Wänden und füllte damit Karton um Karton. Dann riss sie die Tapeten herunter.
Sie ist die ganze Nacht lang durch die Wohnung gefangen und hat alles aus den Schränken geholt: Kleider und Bücher, Geschirr, Töpfe, Tischdecken, Spiele. Die Fotoalben. Schluss damit, hat sie gedacht, Schluss mit dem Aufbewahren und Erinnern.
Vor Erschöpfung schlief sie auf dem Sofa im Gästezimmer ein.
Sobald sie am Samstagmorgen erwacht, schleppt sie die vollen Müllsäcke durchs Treppenhaus hinunter zu den Tonnen. Dann ruft sie einen Entrümpler an und drängt ihn, seine Männer noch am selben Tag vorbeizuschicken. Dass er einen Zuschlag verlangt, spielt für sie keine Rolle.
Als die Entrümpler ein paar Stunden später in die Wohnung kommen, raten sie Inge, die Möbel – und vor allem auch das Klavier – zu verkaufen. Aber davon will sie nichts wissen. Alles muss weg. Sofort. Nur das Tischchen mit dem Telefon im Flur soll bleiben, denn sie will noch einmal versuchen, Max telefonisch zu erreichen.
Er hebt wieder nicht ab. Inzwischen ist es Abend. Inge nimmt sein Adressbuch aus der Schublade und ruft seinen Chef an. Herr Beier hat eine Idee, wo Max sein könnte und verspricht, Inge zurückzurufen.
Max und das Wildschwein
Nachdem das Feuer bis auf die Glut heruntergebrannt ist, hört Max im Dunkeln ein Rascheln.
Da, schon wieder, ein Rascheln, besser, ich gehe ins Haus, besser, ich mache ganz schnell die Tür hinter mir zu. Ich gehe rückwärts auf das Haus zu und höre ein Schnauben, eine Art wütendes Grunzen […]. Ich beginne zu rennen, auf das Haus zu, und höre, dass das Tier jetzt auch rennt. Es grunzt und schnauft hinter mir. […]
[…] Das ist ein Wildschwein, ein riesiges Wildschwein, das kann doch gar nicht sein. Ich versuche, die Tür zuzuschieben, aber das Schwein hat schon seinen Kopf drin […]. Ich renne die Treppe hinauf, die Sau hinter mir her, was mach ich nur, was mach ich nur. Ich schaffe es in das kleine Zimmer […]. Die Tür ist zu, die Sau rennt dagegen […] und jetzt kracht es, und die Tür fliegt aus ihren Angeln, und da ist die Sau. Ich sehe sie nicht, aber ich kann sie hören […]. Das Gewehr, ich habe ja das Gewehr! Die ganze Zeit schon habe ich es um den Hals hängen, und die Munition in der Manteltasche, ich Idiot, ich kann mich ja verteidigen.
Max schießt in die Dunkelheit. Das Wildschwein stürzt sich auf ihn und reißt ihm den Oberschenkel auf. Verzweifelt haut er mit dem Schürhaken auf die Sau ein. Endlich bricht sie zusammen.
Mit dem Gürtel aus seinem Mantel bindet er sich das blutende Bein ab. Im Einbauschrank hört er sein Handy klingeln.
Er will zur Straße. Sogar in dieser einsamen Gegend wird irgendwann jemand vorbeikommen und ihn mit in die Stadt nehmen. Auf einem Bein hüpfend, macht er sich auf den Weg. Bald merkt er, dass er die falsche Richtung eingeschlagen hat. Er muss sich ausruhen. Sobald es dämmert, wird er sich einen Überblick über die Gegend verschaffen. Bevor er einschläft, fällt sein Blick auf einen Hochsitz.
Inge fährt nach Hollenstedt
Nachdem Herr Beier mehrmals vergeblich anzurufen versucht hat, klingelt er bei Inge an der Tür. Er ist sich inzwischen sicher, dass Max aufgrund der Ankündigung, dass er ihm die Zuständigkeit für Max Schmelings Haus entziehen werde, dort zu finden ist, und er gibt Inge einen Zettel mit der Adresse.
Inge denkt:
Wir beide versuchen etwas loszuwerden, um etwas anderes dafür zu bekommen. Wir beide versuchen einen Tauschhandel. Und Max geht weg dafür, und ich bleibt hier. Max geht weg, und ich bleib hier. Weg und hier.
Obwohl es noch mitten in der Nacht auf Sonntag ist, ruft Inge bei einer Taxizentrale an. Die Schlüssel lässt sie in der Wohnung und zieht die Tür zu.
Der Taxifahrer versucht vergeblich, dass abgelegene Haus in der Hamburger Nordheide zu finden. Inge bezahlt schließlich den vorab vereinbarten Preis und schickt ihn zurück. Am Haus bemerkt sie blutige Handabdrücke und andere Blutflecken. Einer Blutspur folgend gelangt sie zu einem Waldrand, an dem ein Hochsitz steht.
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)In dem ungewöhnlichen Roman „Zurück zum Feuer“ von Saskia Hennig von Lange geht es auf einer Zeitebene um den einsam sterbenden Boxer Max Schmeling und parallel dazu um ein Ehepaar, das zehn Jahr nach Max Schmelings Tod den Sohn durch einen tödlichen Verkehrsunfall verliert und nicht ausschließen kann, dass es sich um einen Suizid handelt. „Zurück zum Feuer“ dreht sich also um Einsamkeit, Verlust, Tod und Trauer.
Saskia Hennig von Lange entwickelt die bizarre, tragikomische Geschichte im ständigen Wechsel zwischen zwei Zeitebenen und drei Hauptperspektiven: Max Schmeling, Max und Inge. Während sie Max als Ich-Erzähler auftreten lässt, schreibt sie über die beiden anderen Hauptfiguren in der dritten Person Singular, versetzt sich aber ebenso wie bei Max intensiv und mit stupendem Einfühlungsvermögen in deren Gedankenwelt, sodass man passagenweise beinahe glaubt, einen inneren Monolog zu lesen. Auf Seite 154 in „Zurück zum Feuer“ wechselt Saskia Hennig von Lange unvermittelt zur Perspektive der Krankenschwester, die den sterbenden Max Schmeling betreut:
Sie betritt das dunkle Zimmer, im ersten Moment denkt sie, dass er schon tot ist, dass er gestorben ist.
Danach schildert Saskia Hennig von Lange das Geschehen auch noch kurz aus der Sicht von Max‘ Chef:
Sie steht in der offenen Tür, seltsam sieht sie aus, denkt er, aber natürlich, wie soll sie schon aussehen: Ihr Mann ist weg, ihr Sohn ist tot, wie soll eine Frau da schon aussehen.
Warum schaut sie mich so an, denkt er, als hätte ich nicht mehr alle Tassen im Schrank, so schaut sie mich an. Dabei ist doch ganz offensichtlich bei ihr etwas nicht in Ordnung, und nicht bei mir.
Beim Tempus hat sich Saskia Hennig von Lange für das unübliche Präsens entschieden. Dadurch verfolgen wir die Wahrnehmungen und Gedanken der Charaktere unmittelbar.
Wie Thomas Bernhard erzählt Saskia Hennig von Lange in Satzkaskaden und vermeidet oft seitenlang das Setzen eines Absatzes. Diese Form entspricht dem pausenlos laufenden Gedankenfluss der Figuren.
Die Episoden um den im Beisein einer Krankenschwester einsam sterbenden Max Schmeling weisen tragikomische Elemente auf. Wie Inge auf den Tod des Sohnes reagiert, wirkt bizarr. Und Max‘ nicht weniger „verrücktes“ Verhalten führt zu zahlreichen Slapstick-Szenen.
Weitab vom Mainstream ist „Zurück zum Feuer“ Literatur auf hohem Niveau.
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2024
Textauszüge: © Jung und Jung
Saskia Hennig von Lange: Alles, was draußen ist
Saskia Hennig von Lange: Hier beginnt der Wald