Min Jin Lee : Ein einfaches Leben

Ein einfaches Leben
Originalausgabe: Pachinko Grand Central, New York 2017 Ein einfaches Leben Übersetzung: Susanne Hobel dtv Verlagsgesellschaft, München 2018 ISBN: 978-3-423-28972-6, 551 Seiten ISBN: 978-3-423-43492-8 (eBook)
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Die vier Generationen überspannende Geschichte beginnt 1910 in Korea und endet 1989 in Japan. Min Jin Lee veranschaulicht am Beispiel einer nach Japan eingewanderten koreanischen Familie die vergebliche Hoffnung, dass wenigstens die im Land geborenen Generationen von Vorurteilen und Benachteiligungen verschont bleiben.
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Kritik

"Ein einfaches Leben" ist eine packende Lektüre, denn Min Jin Lee versteht es, kraftvoll und ideenreich, lebendig und anschaulich zu erzählen. Trotz der Fülle von Ereignissen ufert die Darstellung nicht aus, sondern führt stringent von einem dramaturgischen Höhepunkt zum nächsten.
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Yeongdo, 1911 – 1932

1911, ein Jahr nachdem Korea von Japan annektiert worden ist, heiratet der 28 Jahre alte Koreaner Hoonie im Fischerdorf Yeongdo nahe der Hafenstadt Busan die jüngste der vier Töchter eines Witwers, der seine Kinder nicht alle ernähren kann. Yangjin ist 15. Ihre drei ersten Kinder sterben früh, aber die Tochter Sunja bleibt am Leben – und ist 13 Jahre alt, als ihr Vater an Tuberkulose stirbt.

Im Juni 1932 wird Sunja von einigen japanischen Jugendlichen gemobbt. Der aus der südkoreanischen Provinz Jeju stammende Fischgroßhändler Koh Hansu befreit sie aus ihrer Lage. Obwohl er mit 34 Jahren genau doppelt so alt ist wie Sunja, verliebt sie sich in ihn und wird seine Geliebte.

Die Witwe Yangjin, die nichts von der Affäre ihrer Tochter ahnt, führt das Logierhaus der Familie in Yeongdo weiter. Obwohl es in dem Gästezimmer nur vier Schlafplätze gibt, nimmt sie sechs Männer auf, von denen drei tagsüber und die anderen nachts arbeiten. Im November 1932 – Yangjin ist inzwischen 37 Jahre alt – fragt ein Reisender nach einem Quartier. Sein älterer Bruder Baek Yoseb, der vor langer Zeit in dem Logierhaus in Yeongdo gewohnt hatte, empfahl es ihm. Baek Isak, ein 26-jähriger protestantischer Geistlicher, ist unterwegs von Pjöngjang nach Osaka, wo sein Bruder lebt. Weil er bei der Ankunft lungenkrank ist, wird er von den anderen Männern getrennt in einer Kammer untergebracht und von den beiden Frauen gepflegt. Er muss länger als ein halbes Jahr bleiben.

Sunja merkt, dass sie schwanger ist. Hansu versichert ihr, dass er für sie und das Kind sorgen werde. Aber er kann sie nicht heiraten, denn er hat bereits eine Frau und drei Töchter in Osaka. Für Sunja bricht eine Welt zusammen, und sie will Koh Hansu nicht mehr sehen.

Baek Isak erfährt von der Verzweiflung der 17-Jährigen. Daraufhin bietet er ihr an, sie als seine Ehefrau mit nach Osaka zu nehmen. Sunja ist einverstanden, denn auf diese Weise wird das Kind den Namen eines ehrenwerten Mannes bekommen.

Osaka, 1933 – 1945

Im April 1933 treffen Isak und Sunja in Osaka ein. Sie wohnen bei Isaks Bruder Yoseb und dessen Ehefrau Kyunghee. Yoseb Baek lebt seit zehn Jahren in Japan und ist seit sechs Jahren Vorarbeiter in einer Gebäckfabrik, die einem Japaner namens Shimamura gehört. Um das Einkommen aufzubessern, repariert er abends Maschinen. Das aus einer mit Wellblech verkleideten Holzkonstruktion bestehende Haus kaufte er vor acht Jahren.

Isak fängt als Hilfsgeistlicher in einer presbyterianischen Kirche an. Der Pastor heißt Yoo, und als Küster ist ein junger Chinese namens Sexton Hu beschäftigt.

Während die Männer an ihren Arbeitsplätzen sind, tauchen zwei Fremde bei Kyunghee und ihrer 14 Jahre jüngeren Schwägerin Sunja auf. Sie erklären, dass Yoseb seine Schulden nicht wie vereinbart zurückgezahlt habe. Es stellt sich heraus, dass er einen Kredit aufnahm, um seinem Bruder die Reise bezahlen zu können. Die beiden Frauen verkaufen eine wertvolle Taschenuhr, die Sunja von Koh Hansu geschenkt bekam und begleichen mit dem Erlös die Schulden. Weil Frauen sein Problem gelöst haben, fühlt sich Yoseb schwer gedemütigt.

1939 erhält Sunjas sechsjähriger Sohn Noa einen Bruder: Mozasu.

Im selben Jahr werden die beiden presbyterianischen Geistlichen und der Küster verhaftet, weil ein Denunziant beobachtete, dass Sexton Hu vor dem Shinto-Schrein nicht die Pflichtzeremonie befolgte.

Während Isak im Gefängnis sitzt, verkaufen Sunja und Kyunghee selbst eingelegtes Gemüse (Kimchi) auf dem Markt, weil Yosebs Einkommen nicht reicht. Im April 1940 werden sie von Kim Changho angesprochen, dem Geschäftsführer von drei teuren Restaurants in Osaka. Er bietet den beiden Frauen gute Gehälter und stellt sie ein, damit sie Kimchi für die Restaurants zubereiten.

Im Mai 1942 sterben der Pastor und der Küster im Gefängnis. Isak kommt todkrank nach Hause und stirbt bald darauf ebenfalls.

Im Dezember 1944 erfahren Sunja und Kyunghee von Kim Changho, dass die Restaurants geschlossen werden. Unerwartet taucht Koh Hansu auf. Erst jetzt erfährt Sunja, dass die von Kim Changho geführten Restaurants ihm gehören. Er zog im Hintergrund die Fäden. Weil er mit amerikanischen Luftangriffen auf Osaka rechnet, drängt er Sunja, sich von ihm mit ihrer Schwägerin und den Söhnen aufs Land bringen zu lassen. Dass Yoseb sich weigern würde, hat er bedacht und deshalb dafür gesorgt, dass ihm eine Stelle in einer Stahlfabrik in Nagasaki mit einem weitaus höheren Gehalt angeboten wird.

Sunja, Kyunghee, Noa, Mozasu und Kim Changho werden von dem 58-jährigen Bauern Tamaguchi aufgenommen. Er und seine Frau Kyoko machen einen Bereich der Scheune für sie bewohnbar. Sie können den Ersatz für die zum Kriegsdienst eingezogenen Arbeitskräfte gut gebrauchen.

Im Jahr darauf bringt Koh Hansu Sunjas Mutter Yangjin ebenfalls auf den Bauernhof. Er hat sie aus Busan geholt.

Osaka / Tokio, 1949 – 1962

1949 kehrt die Familie mit dem beim Angriff der Amerikaner auf Nagasaki am 9. August 1945 schwer verletzten Yoseb nach Osaka zurück und baut das zerstörte Haus neu auf.

Während Noa gern zur Schule geht und Bücher liebt, empfindet Mozasu den Unterricht als Qual. Nach einer Prügelei wird er im März 1956 von der Schule relegiert und daraufhin von einem Mann namens Goro eingestellt, der mit dem Betrieb von Spielautomaten-Hallen (Pachinko) reich geworden ist. Goro lässt seinem neuen Mitarbeiter Maßanzüge in einem Schneideratelier nähen, dessen Besitzerin zufällig die Mutter von Mozasus Freund Haruki Totoyama ist.

Um 1957 ein Literaturstudium an der Waseda-Universität in Tokio beginnen zu können, überwindet Noa seinen Stolz und akzeptiert es, dass Koh Hansu die Gebühren bezahlt.

Noa freundet sich 1960 mit der lebensfrohe Soziologie-Studentin Akiko Fumeki an. Als sie im Frühjahr 1962 Koh Hansu kennenlernt, fällt ihr die Ähnlichkeit der beiden Männer auf und sie fragt ihren Geliebten, ob das sein Vater sei. Noa, der nie an der Vaterschaft Isaks gezweifelt hat, fährt nach Osaka und stellt seine Mutter zur Rede. Sunja gesteht ihm, dass sie als unerfahrenes Mädchen und vor der Ehe mit Isak von Koh Hansu geschwängert wurde. Noa ist entsetzt, zumal Akiko ihm die Augen dafür geöffnet hat, dass es sich bei Koh Hansu um einen Yakuza handelt. Er hält es für eine Schande, dass er bisher auf Kosten eines Kriminellen studiert hat.

Erst später erfährt Sunja, dass Hansu von seinem Schwiegervater Morimoto adoptiert wurde und amtlich Haru Morimoto heißt. Er beerbt schließlich seinen Schwiegervater und avanciert dadurch zum Boss der zweitmächtigsten Jakuza-Familie in Kansai.

Nagano / Yokohama, 1962 – 1978

Noch am selben Tag reist Noa nach Tokio zurück, meldet sich von der Universität ab und taucht unter, ohne seiner Mutter etwas über seinen Aufenthaltsort zu verraten. Er zieht nach Nagano und bewirbt sich im April 1962 bei Hideo Takano, dem Manager des besten Pachinko-Lokals in Nagano. Die Stelle bekommt er nur, weil er schwört, Japaner zu sein. Noa nennt sich nun Nobuo Ban.

Anfang 1969 heiratet er die Bürovorsteherin Risa Iwamura. Das Paar bekommt zunächst zwei Zwillingsmädchen, dann einen Sohn und noch eine dritte Tochter.

Noas Bruder Mozasu fällt im Schneideratelier Totoyama in Yokohama die Näherin Yumi auf. Sie wird seine Ehefrau. Nach drei Fehlgeburten in drei Jahren bringt sie im April 1965 den Sohn Solomon zur Welt. Dreieinhalb Jahre später wird sie von einem Betrunkenen angefahren und stirbt im Krankenwagen.

Im August 1978 wird Sunja von dem inzwischen in Tokio lebenden 83-jährigen Koh Hansu in Yokohama abgeholt. Ein von ihm beauftragter Privatdetektiv hat Noa aufgespürt. Deshalb fahren sie nach Nagano. Noa ist dort Geschäftsführer eines Pachinko-Lokals, und nicht einmal seine Familie weiß, dass er Koreaner ist. Die Angereisten sehen ihn vom Auto aus. Während Koh Hansu und der Chauffeur sitzen bleiben, steigt Sunja aus und spricht ihren Sohn an. Sie reden kurz miteinander, und er verspricht, sie in Kürze anzurufen.

Am nächsten Tag erfährt Sunja, dass Noa sich wenige Minuten nach dem Wiedersehen erschoss.

Yokohama / Osaka, 1979/80

Der Witwer Mozasu freundet sich mit Etsuko Nagatomi an, einer 32-jährigen Japanerin, die mit ihrer Tochter Hana nach ihrer Scheidung vor sechs Jahren von Hokkaido nach Yokohama zog.

1979 wird die 15-jährige Hana schwanger. Nach der Abtreibung verführt sie Mozasus ein Jahr jüngeren, sexuell noch unerfahrenen Sohn Solomon, aber 1980 verlässt sie ihn und fängt als Hostess in Tokio an.

Als bei Yangjin Krebs diagnostiziert wird, kehrt ihre Tochter Sunja nach Osaka zurück, um sie zu pflegen. Ihr Schwager Yoseb ist inzwischen tot und Kyunghee so erschöpft, dass Sunja auch für sie sorgen muss.

New York, 1985

Während Solomon an der Columbia University in New York Wirtschaftswissenschaften studiert, freundet er sich mit der Kommilitonin Phoebe an, der in Seattle geborenen Tochter koreanischer Immigranten.

Tokio / Yokohama 1989

Phoebe begleitet Solomon bei seiner Rückkehr nach Tokio. Die beiden wollen heiraten. Er beginnt seine Karriere bei der Zweigstelle der britischen Bank Travis in der japanischen Hauptstadt.

1989 versucht sein japanischer Chef Kazu, einem Bankkunden drei Grundstücke zu beschaffen, die dieser für die Anlage eines Golfplatzes benötigt. Zwei Immobilienbesitzer stimmen der Transaktion schließlich zu, nachdem sie die Preise in die Höhe getrieben haben, aber die 93-jährige Witwe Sonoko Matsuda weigert sich auch weiterhin.

Während eines Besuchs mit Phoebe bei seinen Eltern in Yokohama redet Solomon mit seinem Vater über den Fall. Mozasu setzt sich mit seinem früheren Förderer Goro in Verbindung, und dem gelingt es, der Greisin das Grundstück abzukaufen. Ohne einen Aufschlag reicht er es Solomons Chef weiter. Kazu feiert zunächst den Erfolg seines Mitarbeiters, aber als Sonoko Matsuda ein paar Tage später stirbt, sagt der Kunde den geplanten Bau des Golfplatzes ab, denn Goro gilt als Jakuza und es könnten Gerüchte über einen Zusammenhang des Geschäfts mit dem Tod der alten Dame aufkommen. Um auch den Ruf der Bank zu wahren, entlässt Kazu Solomon.

Noch im selben Jahr trennt Solomon sich von Phoebe, die daraufhin in die USA zurückkehrt.

Er nimmt sich vor, seinen 60 Jahre alten Vater als Pachinko-Betreiber abzulösen.

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Min Jin Lee beginnt ihr vier Generationen überspannendes Familienepos „Ein einfaches Leben“ 1910 und entwickelt die in Korea, Japan und kurz auch in den USA spielende Geschichte dann mit wenigen Ausnahmen chronologisch bis 1989. Zeitgeschichtliche Ereignisse wie der Zweite Weltkrieg, der atomare Angriff auf Nagasaki, der Korea-Krieg und die Teilung Koreas werden kurz angedeutet. Im Fokus steht die Diskriminierung von Koreanern in der japanischen Gesellschaft. „Ein einfaches Leben“ veranschaulicht am Beispiel einer nach Japan eingewanderten koreanischen Familie die vergebliche Hoffnung, dass wenigstens die im Land geborenen Generationen von Vorurteilen und Benachteiligungen verschont bleiben.

„Ein einfaches Leben“ ist eine packende Lektüre, denn Min Jin Lee versteht es, kraftvoll und ideenreich, lebendig und anschaulich zu erzählen. Trotz der Fülle von Ereignissen  ufert die Darstellung nicht aus, sondern führt stringent von einem dramaturgischen Höhepunkt zum nächsten. Der dritte Teil (1962 bis 1989) wirkt allerdings weniger dicht und opulent als die ersten beiden Teile (1910 bis 1933; 1939 bis 1962).

Den Roman „Ein einfaches Leben“ von Min Jin Lee gibt es auch als Hörbuch, gelesen von Gabriele Blum.

Min Jin Lee wurde 1968 in Seoul geboren. Sie war sieben Jahre alt, als die Familie mit ihr in die USA auswanderte und in New York ein Juweliergeschäft eröffnete. Nach dem Studium der Geschichte in Yale und der Rechtswissenschaften am Georgetown University Law Center in Washington, D. C., arbeitete Min Jin Lee zwei Jahre lang als Juristin in New York. Von 2007 bis 2011 lebte sie in Tokio.

Nach Kurzgeschichten und Essays veröffentlichte Min Jin Lee 2007 ihren Debütroman „Free Food for Millionaires“. Mit „Pachinko“ / „Ein einfaches Leben“ kam sie 2017 auf die Shortlist für den National Book Award.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2018

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