Lauren Oliver : Broken Things

Broken Things
Broken Things Harper, New York 2018 Broken Things Alles nur (k)ein Spiel Übersetzung: Katharina Diestelmeier dtv Verlagsgesellschaft, München 2021 ISBN 978-3-423-74067-8, 397 Seiten ISBN 978-3-423-43874-2 (eBook)
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Drei pubertierende Mädchen aus schwierigen Familienverhältnissen werden in einer Kleinstadt in Vermont von Mitschülerinnen gemobbt. Obwohl ihre Charaktere grundverschieden sind, bilden die drei Außenseiterinnen einen engen Freundeskreis, und sie fliehen aus der Realität in die Welt eines Fantasy-Romans – bis eine der 13-Jährigen tot in einem Steinkreis liegt.
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Kritik

"Broken Things. Alles nur (k)ein Spiel" ist eine düstere und spannende Mischung aus Thriller und Coming-of-Age-Roman. Lauren Oliver will nicht nur unterhalten, sondern auch ermutigen. Sie zeigt am Beispiel von Brynn, Mia und Owen, dass Menschen ihr "Schicksal" nicht hinzunehmen brauchen, sondern auch unter schlimmen Bedingungen selbst über ihr Leben entscheiden können.
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Der Mord in Twin Lakes

In der Kleinstadt Twin Lakes in Vermont wird die 13-jährige, bei wechselnden Pflegeletern aufgewachsene Schülerin Summer Marks tot aufgefunden. Die Leiche liegt in einem Steinkreis am Wald. Der Schädel ist eingeschlagen, und bei der Obduktion werden sieben Messerstiche gezählt.

Die Polizei vernimmt Summers letzte Pflegeeltern Hank und Barbara Ball und ihre engsten Freundinnen, die gleichaltrige Brynn McNally und die ein Jahr jüngere Mia Ferguson, ebenso wie einige junge Männer, mit denen sie Beziehungen gehabt haben soll: Owen Waldmann, Jake Ginsky, Heath Moore, James Lee und Noah Shepherd. Weil den Ermittlern entscheidende Fehler unterlaufen, bleibt der Fall unaufgeklärt. Aber für die Bewohner von Twin Lakes steht fest, wer Summer Marks ermordete: Mia, Brynn und Owen, die „Monster aus der Brickhouse Lane“.

Bei den McNallys wirft der Nachbar Billy Watson einen Molotow-Cocktail durchs Fenster, und Brynn, die allein in dem brennenden Haus ist, kann sich gerade noch ins Freie retten.

Rückkehr nach Twin Lakes

Fünf Jahre später.

Mia Fergusions Vater verließ nach dem Mord die Familie, und die Mutter hat sich seither zum Messie entwickelt. Als sich nun Nachbarn bei den Behörden beschweren, zieht sich die depressive, verwahrloste Frau für eine Weile zu ihrer Schwester zurück, während ihre Tochter versucht, das vermüllte Haus aufzuräumen.

Dabei stößt Mia auf ein Taschenbuch, das Summer gehörte und den drei Freundinnen ungemein wichtig war: „Der Weg nach Lovelorn“, ein Fantasy-Roman von Georgia C. Wells aus dem Jahr 1963. Die Mädchen spielten die Romanfiguren Ava, Audrey und Ashleigh nach und wählten ein Areal im bzw. am Wald mit einem Schuppen als ihren geheimen Rückzugsort „Lovelorn“. Eines Tages fanden sie das Innere des Schuppens mit einem Blumenmuster tapeziert vor und über dem Bett hing ein Schild mit der Aufschrift „Willkommen in Lovelorn“. Das hielten sie damals für Magie.

Mia, Brynn und Summer fanden sich nicht damit ab, dass Georgia C. Wells‘ Roman „Der Weg nach Lovelorn“ mitten in einem Satz endet und das Ende offen bleibt.

Alle Zwerge weinten, aber Gregor weinte besonders bitterlich – nie würde er vergessen, wie die drei Mädchen seine Schwester davor bewahrt hatten, dass der Schatten sie mitnahm. […]
Und doch mussten sie nach Hause zurückkehren. Sie mussten weiter. Denn sonst

Die drei Freundinnen fingen an, unter dem Titel „Die Rückkehr nach Lovelorn“ eine Fortsetzung zu schreiben. Am eifrigsten arbeitete Summer daran, und sie bestand darauf, die Beiträge der beiden anderen Mädchen in der geheimen Mappe zu sammeln, die sie nicht aus der Hand gab. Manchmal kam sie mit Dutzenden von neu geschriebenen Seiten zu den Treffen und überraschte ihre Freundinnen mit einfallsreichen  Wendungen.

In dem Taschenbuch stecken ein paar von Summer beschriebene Notizzettel, und Mia wundert sich über die Orthografie-Fehler, die auf eine Rechtschreibschwäche hinweisen. Dabei waren Summers seitenlange Texte damals fehlerfrei. Erfand jemand anderes die exzellenten Beiträge? Schrieb Summer sie nur mit ihrer eigenen Handschrift ab? Aber wer wusste außer den drei Freundinnen von ihrem Geheimnis um Lovelorn? Könnte das eine Spur zum Mörder sein?

Aufgeregt fährt Mia trotz eines Sturms zu Brynn in das Therapiezentrum „Four Corners“. Obwohl die beiden seit fünf Jahren keinen Kontakt mehr hatten, möchte Mia mit ihrer ehemaligen Freundin über die Entdeckung reden.

Brynn hat gerade ein anderes Problem. Der als lesbische Mörderin verschrienen jungen Frau ist es gelungen, lange Zeit im Schutz von Therapiezentren zu verbringen und der Hexenjagd zu entkommen, weil ihr der ein Jahr ältere Cousin Wade Turner vor geplanten Entlassungen jeweils eine Urinprobe mit Rückständen von Drogen besorgte. Aber das hat diesmal nicht funktioniert, und gerade als Mia in „Four Corners“ eintrifft, muss Brynn die Einrichtung verlassen.

Missmutig lässt sich Brynn von Mia nach Twin Lakes fahren.

Detektivarbeit

Mia ist inzwischen eng mit Abby Bluntich befreundet, einer erfolgreichen Influencerin, die vor zwei Jahren nach Twin Lakes zog.

Als die beiden jungen Frauen am Tag nach Mias Besuch in „Four Corners“ in den Schuppen schauen, der vor fünf Jahren als „Lovelorn“ diente, bemerken sie das aufgebrochene Vorhängeschloss und stoßen im Inneren auf Brynn, die augenscheinlich hier übernachtete. Sie habe nicht nach Hause gekonnt, erklärt sie, weil ihre Mutter wegen eines Unfalls im Krankenhaus liege. Später wird sich herausstellen, dass das eine Lüge ist: Tatsächlich wollte Brynn nicht nach Hause und ließ sowohl ihre Mutter als auch ihre ältere Schwester Erin in dem Glauben, sie sei noch in „Four Corners“.

In dem Schuppen findet Abby das Mundstück eines Blasinstruments, wohl eines Horns, mit dem eingravierten Namen Lillian Harding. Die Google-Suche nach einer Lillian Harding in Vermont liefert allerdings keine brauchbaren Ergebnisse.

Auch Owen Waldmann ist wieder in Twin Lakes. Die Familie war einen Monat nach seinem Freispruch und seiner Freilassung aus der Jugendstrafanstalt Woodward weggezogen. Gerade hat er die Schulausbildung in Schottland abgeschlossen, und zum Beginn des Herbstsemesters wird er an der New York University zu studieren anfangen. Das Haus der Waldmanns in Twin Lakes soll möglichst noch in diesem Sommer verkauft werden.

Mit Unterstützung von Wade Turner, der seit fünf Jahren versucht, den Mordfall Summer Marks aufzuklären und zu diesem Zweck auch eine eigene Website betreibt, gehen Mia, Abby, Brynn und Owen der Frage nach, wer Summer beim Schreiben der Beiträge für „Die Rückkehr nach Lovelorn“ geholfen haben könnte.

Wer immer es war, gab bei der Beschreibung der unheimlichen Romanfigur des „Schattens“, dem in Lovelorn jedes Jahr ein Kind geopfert werden musste, vermutlich auch Hinweise auf sich selbst. Von seiner grenzenlosen Einsamkeit ist die Rede und davon, dass er früher in der Wüste lebte und in einer Stadt mit riesigem Torbogen Musik unterrichtete.

Die erwähnte Stadt wird als St. Louis identifiziert. Mia und Brynn erinnern sich, dass Mr Haggard, der damalige, übrigens von Summer häufig verspottete Fahrer des Schulbusses, immer wieder „Meet Me in St. Louis“ trällerte. Aber Mr Haggard, der seit einem Jahr in Rente ist, scheidet nach einer kurzen Überprüfung als Tatverdächtiger aus.

Mias nach Twin Lakes zurückgekehrte Mutter erhält nun therapeutische Hilfe, und eine von den Behörden beauftragte Mannschaft entrümpelt nicht nur das Haus, sondern beseitigt auch Schimmelsporen.

Dr. Leblanc, einer der Therapeuten sagt:

Das Anhäufen von Sachen wird dadurch hervorgerufen, dass das Gehirn Signale vertauscht und Schrott mit Schätzen verwechselt, Dingen Bedeutung verleiht, die überhaupt keine Bedeutung haben. Vielleicht ist das auch mit den schlechten Erinnerungen so, die wir mit uns herumtragen, mit den Assoziationen, die mit einem Ort, einem Buch oder einer alten Geschichte verknüpft sind.


Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.


Schlussstrich

Owen gesteht Mia, dass er einige Stunden vor Summers Tod von ihr gedrängt wurde, die in eine mit Plastikfolie umwickelte Geldkassette verpackte „Rückkehr nach Lovelorn“ beim Grab der Schriftstellerin Georgia C. Wells in Portland/Maine zu verstecken und darüber zu schweigen. Nun fährt er mit Mia erneut hin, zieht in der Nähe des Grabs einen Stein aus einer Mauer und holt das Paket hervor.

Mia vergräbt das Manuskript am Fundort von Summers Leiche, um einen Schlussstrich zu ziehen. Sie wundert sich darüber, dass die Gedenkstätte gepflegt und mit frischen Blumen geschmückt ist.

Während Mia noch dort ist, nähert sich die Lehrerin Evelyn Gray. Sie komme des Öfteren hier her, erklärt sie. Mia findet die ältere Frau unheimlich, und als ihr Handy klingelt, verlässt sie den Ort so schnell wie möglich.

Zur gleichen Zeit erfährt Brynn, dass Evelyn Gray nicht nur Lebenskunde unterrichtet, sondern zwischendurch auch für eine Englisch-Lehrerin im Mutterschutz einsprang. Half sie damals der Legasthenikerin Summer Marks? Dachte sie sich Abschnitte von „Die Rückkehr nach Lovelorn“ aus, die dann von Summer nur noch abgeschrieben wurden?

Weitere Nachforschungen ergeben, dass Evelyn Gray die High School in Tucson/Arizona abschloss und in St. Louis  den Jugendmusikverein der Armstrong Grammar School leitete. Das passt zu der Beschreibung des Schattens in „Die Rückkehr nach Lovelorn“. Auf einem alten Foto ist sie mit ihrer damals zehnjährigen Waldhorn-Schülerin Lillian Harding zu sehen, deren Ermordung in St. Louis vor zehn Jahren unaufgeklärt geblieben ist.

Abby und Wade warten im Auto, während Brynn, Mia und Owen bei Evelyn Gray klingeln. Die einsam lebende Lehrerin hat die drei jungen Menschen bereits erwartet. Sie leugnet nichts, beteuert jedoch, Summer aus Liebe getötet zu haben, um das verlorene Mädchen vor Abwegen zu bewahren. Mia denkt an das offene Ende von „Der Weg nach Lovelorn“ und lässt das Argument nicht gelten. Das sei nur Evelyn Grays Version der Lebensgeschichte, betont sie und wirft der Mörderin vor, Summer die Möglichkeiten für positive Weiterentwicklungen geraubt zu haben.

Nachdem Owen ruhig angekündigt hat, die Polizei zu verständigen, verlassen er, Mia und Brynn das Haus. Beim Weggehen hören sie den Schuss, mit dem sich die Mörderin richtet.

Epilog

Einige Wochen später reist Mia mit ihrem Vater kurz nach New York. Dort trifft sie sich mit Owen, der inzwischen an der NYU zu studieren begann. Sie hat noch ein Jahr an der St. Mary’s School vor sich, aber dann will sie sich ebenfalls für einen Studienplatz an der New York University bewerben, und sie kann sich gut vorstellen, dass sie und Owen ein Paar werden.

Ich weiß nicht, was es zu bedeuten hat oder wo es hinführt und ob es überhaupt irgendwo hinführt.
Aber ich küsse ihn trotzdem. Denn sonst

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„Broken Things. Alles nur (k)ein Spiel“ ist eine düstere und spannende Mischung aus Thriller und Coming-of-Age-Roman von Lauren Oliver.

Drei pubertierende Mädchen aus schwierigen Familienverhältnissen werden in einer Kleinstadt in Vermont von Mitschülerinnen gemobbt. Obwohl ihre Charaktere grundverschieden sind, bilden die drei Außenseiterinnen einen engen Freundeskreis, und sie fliehen aus der Realität in die Welt eines Fantasy-Romans – bis eine der 13-Jährigen mit eingeschlagenem Schädel und sieben Messerstichen tot in einem Steinkreis liegt.

Die Polizei vermag den Fall nicht aufzuklären, aber für die Bevölkerung der Kleinstadt steht fest, dass Summer Marks von ihren Freundinnen und ihrem Freund ermordet wurde.

Fünf Jahre später versuchen die Mordverdächtigen Brynn, Mia und Owen herauszufinden, wer Summer tatsächlich umbrachte.

Lauren Oliver stellt den Kapiteln in „Broken Things“ (angebliche) Zitate aus dem Fantasy-Roman „Der Weg nach Lovelorn“ der (fiktiven) Schriftstellerin Georgia C. Wells und aus der Fortsetzung „Die Rückkehr nach Lovelorn“ voran. Mia und Brynn treten abwechselnd als Ich-Erzählerinnen auf, zumeist in der Gegenwart, manchmal aber auch fünf Jahre davor.

Der Wechsel der Perspektiven betont die Widersprüchlichkeit der komplizierten Beziehungen zwischen den ausgegrenzten, einsamen Mädchen, die sich in einem Netz aus Abhängigkeiten und Manipulationen verstricken.

Es gibt nie nur eine Wahrheit. Summer war schrecklich. Wir hassten sie. Und außerdem war sie zauberhaft und es war unsere Aufgabe, sie zu beschützen, womit wir gescheitert sind.

Mit „Broken Things“ veranschaulicht Lauren Oliver zugleich, dass es zu jedem Zeitpunkt einer Lebensgeschichte verschiedene Optionen gibt. Dementsprechend lässt Georgia C. Wells das Ende von „Der Weg nach Lovelorn“ offen, und auch Lauren Oliver bricht „Broken Things. Alles nur (k)ein Spiel“ mitten im Satz ab, sodass die Zukunft unbestimmt bleibt. Aber Summer Marks wird im Alter von 13 Jahren ermordet und hat deshalb keine Möglichkeit mehr, sich weiterzuentwickeln.

Lauren Oliver will mit „Broken Things“ nicht nur unterhalten, sondern auch ermutigen. Sie zeigt am Beispiel von Brynn, Mia und Owen, dass Menschen ihr „Schicksal“ nicht hinzunehmen brauchen, sondern auch unter schlimmen Bedingungen selbst über ihr Leben entscheiden können.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2021
Textauszüge: © dtv Verlagsgesellschaft

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