Eva Roman : Pax

Pax
Pax Originalausgabe Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2020 ISBN 978-3-8031-3327-4, 240 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Als Pax noch klein war, kamen seine Eltern und sein älterer Bruder bei einem Verkehrsunfall mit dem Campingbus in Afrika ums Leben. Deshalb wuchs er bei seiner unverheirateten, mittellosen Tante Beatrix auf. Als Jugendlicher hält er es für seine Pflicht, sie nicht im Stich zu lassen, denn ohne ihn wäre sie allein. Aber das fällt ihm zunehmend schwer ...
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Kritik

Der Roman "Pax" dreht sich um Abhängigkeit, Fürsorge und die Verantwortung der Generationen füreinander. Zugleich ist "Pax" ein Adoleszenzroman über einen Pubertierenden, der merkt, dass ihn andere Jungen sexuell erregen. Eva Roman schreibt aus der Perspektive ihrer Hauptfigur Pax und denkt sich dabei mit großer Empathie in den Heranwachsenden hinein.
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Tante Beatrix und Pax

Pax wächst in der Kleinstadt Blauenklingen nahe Ulm bei seiner unverheirateten Tante Beatrix auf, die an der Fleischtheke eines Supermarkts arbeitet. Manchmal glaubt er, seine Eltern oder seinen älteren Bruder zu sehen, aber das kann nicht sein, denn sie kamen während einer Afrika-Reise bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Tante Beatrix sagt, er sei damals noch zu klein gewesen, um mit im Camping-Bus durch Afrika zu fahren. Deshalb ließen die Eltern ihn bei der Schwester seiner Mutter zurück.

[…] so wie Tante Beatrix es ihm damals erklärt hatte: In Afrika wollten sie Weihnachten feiern, weil es da nicht immer so scheußlich grau ist wie hier im Winter, und weil er damals noch so klein war, hatten sie nur seinen älteren Bruder mitgenommen, es ist ja auch nichts für ein Kleinkind, so eine Reise, und es war auch nicht so viel Platz in dem ausgemusterten Postbus.

[…] sie hatte sich gegen ein eigenes Leben entscheiden müssen, nur seinetwegen, weil sie ihrer Schwester vor der Reise nun mal versprochen hatte, immer gut für ihn zu sorgen […]

Oft übernachten Pax und Tante Beatrix bei seiner pflegebedürftigen Großmutter in Lauterthal. Die letzte Pflegerin, Schwester Renate, eine Nonne, hatte die Greisin bestohlen.

Ihrerseits werden Pax und Tante Beatrix von „Oma Peschka“ mit Essen versorgt, einer älteren Frau, die das Mehrfamilienhaus, in dem sie wohnen, von ihrem Ehemann geerbt hat. Es heißt, vier kräftige Viehhändler hätten ihn nach der Flucht aus Oberschlesien gezwungen, ihre schwangere Schwester zu heiraten. Gestorben war er bereits, bevor Pax geboren wurde.

Mit Oma Peschkas Enkelin Leni verbringt Pax viel Zeit. Als er auf dem Fußballplatz von Ralf Lubinski provoziert wird und in eine Prügelei gerät, springt ihm seine Freundin beherzt bei.

Adoleszenz

Nachdem Pax bei einer Berührung mit dem Mitspieler Emre im Bus eine Erektion spürte, hört er verstört mit dem Fußballtraining auf.

Nun begeistert er sich fürs Kino und kauft von dem Geld, das er bei einem Ferienjob verdient, ein Fernsehgerät mit Videoplayer. Für einen von ihm gedrehten Film erhält in der Schule zwar nur höflichen Applaus, aber der Kunstlehrer nimmt ihn in seine Arbeitsgemeinschaft auf und fördert ihn, als er mit seinem Mitschüler Matthes, für den er heimlich schwärmt, einen Dokumentarfilm über einen Imker dreht. Dafür bekommen die beiden nicht nur eine Eins sowohl in Kunst als auch in Biologie, sondern auch einen kleinen Preis vom Bund Naturschutz.

Der Kunstlehrer rät Pax, das Abitur zu machen und an einer Filmhochschule zu studieren, aber der Junge hält es für seine Pflicht, Tante Beatrix nicht allein zu lassen.

Allerdings beginnt er zu trinken und mischt Haschisch in den Tabak der Zigaretten, die er raucht.

Berufsleben

Das Schuljahr schließt mit einem zweiwöchigen Orientierungspraktikum für diejenigen, die noch keine Lehrstelle gefunden haben. Pax absolviert es im Pflegeheim Sonnental. Dort sucht Heidrun, eine Frau Ende 80, den Kontakt zu ihm, und er lässt sich gern darauf ein.

Nachdem Tante Beatrix ihrem Schützling immer wieder vergeblich die Zeitung mit den aufgeschlagenen Stellenanzeigen hingelegt hat, spricht sie mit einer Kollegin im Supermarkt, die einen Bekannten hat, der Pax ein Vorstellungsgespräch bei der Zentralbank in Ulm vermittelt. Er wird angestellt. Seine Aufgabe ist es, eingehende Münzen und Banknoten zu prüfen.
Obwohl er die Berufsschule anfangs häufig schwänzt, besteht er am Ende die Prüfung.

Und nachdem er auch noch den Führerschein gemacht hat, kauft Tante Beatrix das billig angebotene Auto der unlängst gestorbenen Großmutter der Brüder Ralf und Kai Lubinksi.

Mit dem Auto möchte Pax Heidrun zu einer Spritztour abholen – aber sie ist inzwischen gestorben.

Pax, Leni und Csaba

Leni, die in der Schule wegen ihrer Korpulenz verspottet wurde, kehrt mager und mit einer Essstörung von einem längeren Aufenthalt in Beatrice/Nebraska zurück. Sie arbeitet jetzt in der Zentrale der von ihren Eltern betriebenen Kette von Einkaufszentren und wohnt allein in der zehnten Etage eines Wohnblocks.

Nachdem Pax sich mit an einer Tankstelle gekauften Dose Rum Cola Mut angetrunken hat, vertraut er Leni an, dass er schwul sei. Sie rät ihm, eine Kontaktanzeige aufzugeben und lässt sich überreden, es ebenfalls zu tun.

Auf diese Weise lernt Pax Csaba kennen, der eigentlich Xaver heißt. Pax kann es kaum glauben, dass sich der ungewöhnlich hübsche Junge für ihn interessiert. Sie werden ein Paar. Csabas Eltern arbeiten in einem Hotel in Ulm, der Vater als Portier, die Mutter im Restaurant. Er selbst kellnerte dort, aber vor kurzem hörte er damit auf, denn er träumt davon, Schauspieler zu werden.

Ohne Tante Beatrix zu verraten, dass er mit einem Mann liiert ist, sagt Pax, er habe einen Mieter für die von der Großmutter hinterlassene Wohnung in Lauterthal gefunden. Und er bezahlt heimlich die Miete für Csaba.

Eines Abends sagt Pax unvermittelt zu seiner Tante: „Ich bin schwul.“
Tante Beatrix sagte nichts.
Dass er sich in einen Mann verliebt hatte. In Csaba. Den neuen Mieter.
Tante Beatrix sagte noch immer nichts.

Die 58-Jährige übergeht das Outing ihres Neffen, das ihr peinlich ist.

Familiengeheimnis

Pax findet eine an Tante Beatrix adressierte Ansichtskarte seiner Mutter vom November 1983 aus Marokko. Nach langem Zögern ruft er im Beisein Lenis die angegebene Telefonnummer einer Freundin seiner Eltern namens Merle an, aber als sich ein Mann mit „Auberge du Littoral“ meldet, drückt er Leni den Hörer in die Hand. Die sagt: „Je veux parler avec Merle, si c’est possible.“ Daraufhin wechselt der Angerufene ins Deutsche und holt seine Frau an den Apparat.

Merle berichtet Pax, dass sie und Julien – der Halbbruder seines Vaters – südlich von Taghazout eine Pension betreiben. Damals wollten sie mit seinen Eltern und zwei weiteren Touristen in drei Campingbussen zum Paradise Valley im Hochatlas fahren. Seine Eltern setzten sich übermütig an die Spitze des Konvois. In einer Kurve kam ihnen ein Lastwagen viel zu schnell entgegen. Beim Versuch, ihm auszuweichen, gerieten sie ins Schleudern und stürzten über den Abhang hinunter. Der Bus geriet sofort in Brand.

Merle reiste dann eigens nach Deutschland, um Beatrix über den Tod ihrer Schwester, ihres Schwagers und ihres älteren Neffen zu unterrichten.

Pax wirft seiner Tante nun vor, ihm den Onkel in Marokko verheimlicht zu haben. Darauf reagiert sie verbittert:

Ob er ein Dankeschön auf der Karte gelesen hatte, fragte sie jetzt. Danke, dass du dich um das Kind und Großmutter kümmerst, während wir im Urlaub sind? Deine Mutter hat alles gehabt, alles. Sie hat Abitur gemacht, während ich zu meiner Lehrstelle gefahren bin, morgens schon um halb sechs, sie ist zum Studieren in die Stadt gezogen, als Großmutter schon krank war, und das konnte sie machen, weil ich da war, weil ich Kostgeld bezahlt habe, um Großmutter zu unterstützen, weil ich ihr geholfen habe, den Hof zu verkaufen. Meine Schwester hat die tollen Männer abbekommen, Großmutter hat geschwärmt, die macht es richtig, aber gepflegt habe ich sie, und mir zum tausendsten Mal die Geschichte angehört, vom Großvater, der sich freiwillig in den Krieg gemeldet hat, um uns alle im Stich zu lassen. Ich war da, als es ihr schlechter ging, als deine Mutter den Journalisten getroffen hat, den schönen Franzosen mit dem alten Postbus, ich weiß, sie hat geschluckt, als er gesagt hat, wir müssen frei sein, verreisen und dass sie dich doch mal zurücklassen konnten, für die paar Monate, aber über ihr ach so gutes Herz gebracht hat sie es trotzdem, weil ich ja da war, die alte Jungfer, die ich für die beiden war.
Ja, sie war hier, diese Merle, und ja, ich wusste von deinem Halbonkel, Geld wollten sie, falls wir die Überreste hierher überführen wollten, aber es gab kein Geld. Großmutter wollte, dass wir die letzten Reserven dafür ausgeben, aber ich war dagegen. Hier war das Geld nötig für Großmutters Pflege, für mich, für dich, für die Miete, die ganze Sache hat sie so mitgenommen, wer weiß, vielleicht ist sie davon krank geworden.

Pax, Csaba und Leni

Csaba erzählt Pax, er werde mit Charlus an einem Filmprojekt arbeiten. Kurz darauf beobachtet Pax, wie die beiden sich küssen. Da eilt er zu Leni, die sich gerade einen gebrauchten Campingbus gekauft hat, um damit Frankreich, die Iberische Halbinsel und vielleicht auch Afrika zu bereisen. Zum Glück ist sie noch nicht weg.

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In ihrem Roman „Pax“ erzählt Eva Roman von einem Jungen – Pax –, der nach dem Tod seiner Eltern und seines älteren Bruders bei einer unverheirateten, mittellosen Tante aufwächst. Als Jugendlicher hält Pax es für seine Pflicht, sie nicht im Stich zu lassen. Erst am Ende erfahren wir zusammen mit Pax, was es für Tante Beatrix bedeutet hat, Verantwortung für ihren verwaisten Neffen zu übernehmen.

Der Roman dreht sich also um Abhängigkeit, Fürsorge und die Verantwortung der Generationen füreinander.

Zugleich ist „Pax“ ein Adoleszenz- bzw. Entwicklungsroman über einen Heranwachsenden, der in der Pubertät merkt, dass ihn nicht Mädchen, sondern andere Jungen sexuell erregen. Er schämt sich und versucht, seine Frustration mit Bier, Rum Cola und Haschisch zu bekämpfen. Obwohl er seine sexuelle Orientierung zunächst verheimlicht, beschimpfen ihn Mitschüler als „Schwuchtel“ und grenzen ihn ebenso aus wie seine Freundin Leni, die sie wegen ihrer Korpulenz verspotten.

Nachdem Leni mager und mit einer Essstörung von einem Aufenthalt in den USA zurückgekehrt ist, erneuern sie und Pax ihre Freundschaft.

Eva Roman schreibt zwar in der dritten Person Singular, aber konsequent aus der subjektiven Perspektive ihrer Hauptfigur Pax. Und sie denkt sich dabei mit großer Empathie in den Heranwachsenden hinein.

Eva Roman wurde 1980 in Aachen geboren, wuchs jedoch in Augsburg auf. Sie studierte sowohl Neue deutsche Literatur und Romanistik in Berlin als auch Kommunikationsdesign in Trier, Berlin und Paris. Außerdem hat Eva Roman einen Abschluss des Deutschen Literaturinstituts in Leipzig. 2014 debütierte sie mit dem Roman „Siebenbrunn“. „Pax“ ist ihr zweiter Roman.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2020
Textauszüge: © Verlag Klaus Wagenbach

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