Wole Soyinka : Die glücklichsten Menschen der Welt

Die glücklichsten Menschen der Welt
Chronicles from the Land of the Happiest People on Earth Bloomsbury Circus, London / New York 2021 Die glücklichsten Menschen der Welt Übersetzung: Inge Uffelmann Karl Blessing Verlag, München 2022 ISBN 978-3-89667-728-0, 654 Seiten ISBN 978-3-641-28457-2 (eBook)
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Vier im Ausland studierende Nigerianer schwören sich, nach dem Abschluss zurückzukehren und sich für die Weiterentwicklung Nigerias zu engagieren. Farodion taucht ab, Badetona wird in Lagos zum Geldwäscher, den Chirurgen Dr. Kighare Menka drängt eine obskure Organisation, menschliche Organe und Körperteile für Rituale zu beschaffen, und der Ingenieur Duyole Pitan-Payne wird bei einem Bombenattentat schwer verletzt ...
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Kritik

In seinem Roman mit dem zynischen Titel "Die glücklichsten Menschen der Welt" hält der nigerianische Literatur-Nobelpreisträger Wole Soyinka dem Staat und der Gesellschaft seines Landes einen Spiegel vor. Zornig prangert der 87-Jährige Korruption, Machtmissbrauch und skrupellose Geschäftemacherei ebenso an wie Terror, Bigotterie und Scheinmoral.
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Dr. Kighare Menka

Kighare Menka stammt aus dem nigerianischen Dorf Gumchi („Gumchi Kid“). Mit drei anderen Nigerianern, die wie er im Ausland studierten, bildete er eine Clique (Gong der Vier). Die Studenten schworen sich, später in die Heimat zurückzukehren und sich für die Weiterentwicklung Nigerias zu engagieren. Beispielsweise sollte Kighare Menka, der Medizin studierte, in Gumchi ein fortschrittliches Reha-Zentrum für Opfer der islamistischen Terrororganisation Boko Haram aufbauen.

Als Dr. Menka nach Nigeria zurückkehrte, musste er zunächst als Gegenleistung für die staatliche Finanzierung seines Studiums im Ausland fünf Jahre lang Dienst leisten. Einmal erhielt der Chirurg den Befehl, einem nach der Scharia verurteilten Dieb den rechten Arm zu amputieren.

Inzwischen ist Kighare Menka 57 Jahre alt und wurde soeben mit dem National Pre-Eminence Award ausgezeichnet.

Immer wieder wird der Chirurg mit Grausamkeiten konfrontiert. Ein achtjähriges Mädchen stirbt nach einer Massenvergewaltigung während der Operation. Nach dem von einer Bombenexplosion auf dem Hauptmarkt ausgelösten Blutbad operiert Dr. Menka die noch lebenden Verstümmelten.

Noch am selben Abend suchen ihn drei ebenso höfliche wie selbstsichere Herren in der Klinik auf, stellen sich als Repräsentanten einer Organisation vor, die das „Management Humaner Primärressourcen“ betreibt und bieten ihm eine Partnerschaft an. Am nächsten Tag empfängt man ihn in Boriga, einem Vorort der Stadt Jos. Dort zeigt man ihm Regale mit konservierten und etikettierten menschlichen Körperteilen.

Offenbar wird damit ein florierender Handel betrieben. Die Körperteile sind begehrt, nicht aus medizinischen Gründen, sondern für Rituale beispielsweise des Okija-Kults. Kighare Menka begreift, dass das Klinikpersonal und die Putzkolonnen alles Mögliche verkaufen: Organe, Körperteile, aber auch Schamhaare und benützte Monatsbinden. Entsetzt ruft er seinen zum Gong der Vier gehörenden Freund Duyole Pitan-Payne an – und kündigt seine Anstellung im Krankenhaus, damit er für die Organisation nicht mehr als Geschäftspartner in Frage kommt.

Duyole Pitan-Payne

Der Elektroingenieur Duyole Pitan-Payne kehrte nach dem Studium ebenso wie Kighare Menka in die Heimat zurück, und zwar in einen Vorort von Lagos: Badagry.

Während des Studiums in Salzburg hatte er mit einer Österreicherin ein Kind gezeugt. Damit es nicht unehelich geboren wurde, heiratete er die Frau und ließ die Ehe dann einvernehmlich wieder scheiden. Er kümmerte sich auch darum, dass der Sohn eine gute Bildung erhielt. Aber Damien Pitan-Payne brach das Studium ab und erwies sich als Parasit. Er heiratete eine Österreicherin, wurde Vater von zwei Kindern, ließ sich jedoch weiterhin vom Vater alimentieren. Als dieser ihn nach Nigeria holte, ließ Damien Frau und Kinder in Österreich zurück.

Mit seiner zweiten Ex-Ehefrau, einer schwarzen Kanadierin, hat Duyole Pitan-Payne zwei Töchter: Katie und Debbie. Seine dritte Ehefrau heißt Bisoye. Mit ihr lebt er nach wie vor in Badagry. Aber er bereitet seine Übersiedlung nach New York vor, denn die Vereinten Nationen haben ihn als Energieberater auserwählt.

Jemand brennt Hilltop Manor nieder. Die Evakuierung betrifft auch Kighare Menka, der ganz in der Nähe wohnt. Er kommt bei seinem Freund Duyole Pitan-Payne unter. Und so wird er Zeuge einer Explosion im Haupthaus, bei der Duyole Pitan-Payne schwer verletzt wird. Nach der erforderlichen Operation liegt der Patient im Koma. Komplikationen treten auf. Das zur Behandlung erforderliche Medikament ist in Lagos nicht erhältlich, aber Dr. Menka kann es mit Hilfe des Gouverneurs des entsprechenden Bundesstaates aus der Dorfapotheke eines Achtzigjährigen besorgen.

Überzeugt davon, dass das Leben seines Freundes nur im Ausland gerettet werden könne, organisiert Kighare Menka eine Überführung nach Salzburg. Dort stirbt Duyole Pitan-Payne allerdings nach wenigen Tagen.

Obwohl die nigerianische Tradition eine Bestattung in der Heimat verlangt und Duyole seine letzte Ruhestätte auch ausdrücklich in Badagry haben wollte, beschließt die Familie Pitan-Payne, den Toten in Salzburg zu begraben. Die Geschwister des Verstorbenen – Kikanmi, Timi („Teeloch“), Selina – und ihr Vater, das Familienoberhaupt, ignorieren die Empfindungen der Witwe Bisoye. Und Damien macht, was der Großvater, die Tante und die Onkel ihm sagen.

Nur Kighare Menka ist nicht bereit, sich damit abzufinden. Er sorgt dafür, dass die sterblichen Überreste von Duyole Pitan-Payne in Salzburg exhumiert und nach Lagos überführt werden.

Bei der Testamentseröffnung durch den Rechtsanwalt Cardoso stellt sich heraus, dass Duyole Pitan-Payne neben seiner Witwe und den Kindern seinen Freund Kighare Menka als Haupterben eingesetzt hat, damit dieser den Schwur erfüllen und das Reha-Zentrum für Opfer der islamistischen Terrororganisation Boko Haram in Gumchi aufbauen kann.

Badetona

Neben Kighare Menka und Duyole Pitan-Payne gehörten der Außenseiter Farodion und das Mathematik-Genie Badetona zum Gong der Vier. Farodion verschwand. Der Zahlenmensch Badetona wurde nach seiner Rückkehr nach Lagos zum Finanzier und unter dem Druck krimineller Kunden zum Geldwäscher. Das ihm anvertraute Geld bewahrte er in Tresorräumen auf und führte darüber korrekt Buch. Obwohl er sich nie vor Gericht verantworten musste, wurde er vor elf Monaten abgeholt. Seit drei Monaten ist er wieder zu Hause, aber er spricht nicht mehr und reagiert auf nichts. Seine Frau Jaiyesola Badetona weiß nicht, was man in den acht Monaten Gefangenschaft mit ihm machte; sie kann nur vermuten, dass er psychisch gefoltert wurde.

Sir Goddie

Der nigerianische Regierungschef Godefrey O. Danfere lässt sich als Sir Goddie oder neuerdings als „Heger des Volkes“ ansprechen. Er residiert in der Villa Potenzia in Lagos.

Papa Davina

Der Nigerianer Dennis Tibidje studierte in Großbritannien. Ohne Abschluss, aber mit einem gefälschten Diplom reiste er ab, ohne die ausstehende Miete zu bezahlen. Er flog nach New York, schaffte es allerdings nicht weiter als bis in ein Sammellager für illegale Einwanderer in New Jersey. Neun Monate später brachte man ihn nach Afrika zurück, auf seinen Wunsch nach Liberia statt Nigeria. Unglücklicherweise brach dort kurz darauf ein Bürgerkrieg aus. Nach einem Aufenthalt in Ghana kehrte Dennis Tibidje nach Nigeria zurück – sieben Jahre nachdem er das Land verlassen hatte.

In Kaduna nannte er sich zunächst Apostel Tibidje, dann Apostel Davina. Von Kaduna zog er weiter nach Lagos und richtete dort auf einer Müllkippe in einem Elendsquartier sein „Heilzentrum“ ein, die Ekumenika auf dem „Oke Konran-Imoran“ (Hügel der Erkenntnis und Aufklärung). Inzwischen spricht man ihn mit dem Ehrennamen Papa Davina an. Der Premierminister nennt den selbsternannten Geistlichen Teribogo.

Der unterrichtet Sir Goddie schließlich über die Hintergründe des Mordanschlags auf Duyole Pitan-Payne. Der hatte seinen Sohn Damien nach Nigeria geholt, ihn in seinem Unternehmen Brand of the Land eingestellt und den Verantwortlichen eingeschärft, Damien nicht anders zu behandeln wie jeden anderen Beschäftigten auch. Er selbst fand nicht die Zeit, sich um den Sohn zu kümmern; er wunderte sich lediglich über dessen aufwendigen Lebensstil. Papa Davina kennt die Ursache für den Reichtum: Damien Pitan-Payne hat im Unternehmen seines Vaters ein Organisationszentrum des Handels mit menschlichen Körperteilen eingerichtet. Offenbar gehört auch Papa Davina zu dem Geheimbund, denn er erklärt dem Politiker:

„Wir sind da, um Ihnen Ihre Aufgabe zu erleichtern. Wenn Sie beim Regieren bleiben, dann kümmern wir uns um den Rest – einschließlich Ihrer Wiederwahl. Sie, mein Freund, wie Sie ja schon selbst bemerkten, sind nur begrenzte Zeit im Amt, noch – maximal acht Jahre? Aber wir sind für immer hier. Das ist die Realität. für uns steht mehr auf dem Spiel als für Sie.“

Am Schluss nennt Godefrey O. Danfere seinen Besucher Farodion: Er hat die Zusammenhänge durchschaut.

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In seinem Roman mit dem zynischen Titel „Die glücklichsten Menschen der Welt“ hält der nigerianische Literatur-Nobelpreisträger Wole Soyinka (*1934) dem Staat und der Gesellschaft seines Landes einen Spiegel vor. Zornig prangert der 87-Jährige Korruption, Machtmissbrauch und skrupellose Geschäftemacherei ebenso an wie Terror, Bigotterie und Scheinmoral. Leider fehlt es wohl den meisten deutschen Leserinnen und Lesern an Wissen über die Verhältnisse in Nigeria, um die Bezüge zu realen Personen und Ereignissen erkennen zu können.

„Die glücklichsten Menschen der Welt“ lässt sich als Groteske lesen. Wole Soyinka wirkt wütend und frustriert. Ob er wachrütteln und zum Kampf gegen die Missstände anstacheln möchte?

Für uns europäische Leserinnen und Leser ist die Lektüre von „Die glücklichsten Menschen der Welt“ nicht einfach. Zum einen, wie schon gesagt, wegen des fehlenden Bezugs zur Situation in Nigeria, aber auch, weil die Handlung in einer Männergesellschaft spielt und Wole Soyinka auf rund 650 Seiten überaus weitschweifig erzählt, ohne die Zusammenhänge zu verdeutlichen.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2023
Textauszüge: © Karl Blessing Verlag

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