Der Untergang des "Dritten Reiches" (5)

Goebbels erklärt Berlin zur Festung
„Ein Wunder ist geschehen“
„Jetzt wird Ihnen das Hälschen durchgeschnitten“
„Herr Reichsmarschall, draußen steht die SS und will sie verhaften!“
„Treue bis in den Tod“
„Heute Abend werden wir weinen“
Magda Goebbels tötet ihre sechs Kinder

„Treue bis in den Tod“

Am 25. April 1945 schließt sich die von zwei sowjetischen Heeren gebildete Zange um Berlin, und auf der zerstörten Elbbrücke in Torgau reichen sich Rotarmisten und US-Soldaten die Hand: Das Deutsche Reich ist nun in einen nördlichen und einen südlichen Teil unter Großadmiral Karl Dönitz bzw. Generalfeldmarschall Albert Kesselring geteilt.

Hitlers Hündin Blondi hat im März geworfen. Immer wieder laufen die sechs Goebbels-Kinder durch die Bunkerkorridore zu Hitlers Räumen, um mit den Welpen zu spielen. Günther Quandt bietet seiner geschiedenen Frau an, für ihre Kinder in der Schweiz zu sorgen. Ein Dienstmädchen Eva Brauns ist bereit, sich mit den Kindern in Bayern zu verbergen. Auch Hitler schlägt vor, die Kinder auszufliegen. Als sein Fahrer überlegt, wie er sie zum Flugplatz Gatow bringen könne, atmet Magda Goebbels auf. In diesem Augenblick tritt ihr Mann ein. Seiner Frau stünde es frei, sich und die Kinder in Sicherheit zu bringen, erklärt er „exaltiert heroisch“; er selbst werde in jedem Fall mit dem „Führer“ in Berlin ausharren und aus dem Leben scheiden. Magda Goebbels beeilt sich zu beteuern, auch sie bleibe mit den Kindern im Bunker. Einer Vertrauten sagt sie: „Ich kann Joseph jetzt nicht verlassen. Ich muss mit ihm und dem Führer sterben. Und wenn ich sterbe, dann müssen auch die Kinder sterben.“

Während einer Lagebesprechung am 25. April offenbart Goebbels, wie verzweifelt er sich an seinem illusorischen Weltbild festkrallt: „Würde der Führer in Berlin einen ehrenvollen Tod finden und Europa bolschewistisch werden – in fünf Jahren spätestens wäre der Führer eine legendäre Persönlichkeit und der Nationalsozialismus ein Mythos, weil er durch den letzten größten Einsatz geheiligt wäre und alles Menschliche, was man heute an ihm kritisiert, dann mit einem Schlage abgewischt wäre.“

Am Vormittag desselben Tages zwingen SS-Offiziere Hermann Göring, eine Rücktrittserklärung zu unterschreiben. Unmittelbar danach zerstören 318 alliierte Bomber den Berghof und andere Gebäude auf dem Obersalzberg, darunter auch Görings Haus. Dessen Bewohner werden zunächst in einen alten Luftschutzkeller und von dort während einer Angriffspause in einen sicheren Stollen gebracht.

Dann bittet Göring einen SS-Offizier, nach Berlin zu telegrafieren: „Wenn Adolf Hitler mich für treulos hält, dann soll er mich erschießen lassen. Aber er soll meine Familie und die Menschen, die bei uns sind, endlich in Freiheit setzen.“ Er ahnt nicht, dass seine Bewacher bereits Anweisungen von Bormann erhalten haben: „Die Situation in Berlin wird immer gespannter. Sollte Berlin fallen und wir mit der Hauptstadt untergehen, dann müssen die Verräter des 23. April liquidiert werden. Männer, tut eure Pflicht! Euer Leben und eure Ehre stehen auf dem Spiel.“

Am 26. April 1945 fliegt der Luftwaffengeneral Robert Ritter von Greim von München nach Berlin, um sich, wie befohlen, beim „Führer“ zu melden. Die Testpilotin Hanna Reitsch begleitet ihn. Magda Goebbels kennt die 33-Jährige nur dem Namen nach, aber als sie ihr im Korridor begegnet, umarmt sie die Frau und schluchzt.

Hanna Reitsch erschrickt, als sie Hitler sieht: Gebeugt, mit wackelndem Kopf, fahlem Gesicht und gläsernen Augen schlurft er auf sie zu und hält seinen linken Unterarm fest, weil die Hand unentwegt zittert. „Seien Sie froh, dass Sie ihn nicht gesehen haben“, sagte Goebbels bereits im Februar zu seinem früheren Adjutanten Friedrich Christian Prinz von Schaumburg-Lippe, als dieser ihn kurz besuchte, „der Hitler, an den Sie einmal geglaubt haben, der existiert schon lange nicht mehr.“

Weil Ritter von Greim kurz vor der Landung durch einen Schuss am Fuß verletzt wurde, muss er auf einer Bahre zu Hitler getragen werden. Der fuchtelt mit Görings Telegramm herum und schreit: „Ein Ultimatum! Ein krasses Ultimatum! Jetzt bleibt nichts übrig! Nichts bleibt mir erspart! Keine Treue wird gehalten, keine Ehre! Keine Enttäuschung, kein Verrat, kein Unrecht ist mir erspart geblieben – und jetzt auch das!“ Unvermittelt reicht er Ritter von Greim die Hand und fährt leise fort: „Ich ernenne Sie hiermit zum Oberbefehlshaber der Luftwaffe.“

„Reichsmarschall Hermann Göring hat einen Herzanfall erlitten, der in ein akutes Stadium getreten ist“, heißt es am 27. April im Rundfunk. „Er hat deshalb darum gebeten, von seinen Pflichten als Oberbefehlshaber der Luftwaffe abgelöst zu werden, weil in diesem Augenblick die allergrößten Anstrengungen erforderlich sind. Der Führer ist seiner Bitte nachgekommen.“

Als am nächsten Vormittag die ersten Spähtrupps berittener Rotarmisten in der Schorfheide auftauchen, wird Carinhall gesprengt. Bald darauf bringen SS-Offiziere Hermann, Emmy und Edda Göring nach Mauterndorf.

In Anwesenheit der Kinder lässt Magda Goebbels sich ihre Verzweiflung nicht anmerken. Immer häufiger trinkt sie ein Glas Wein oder Cognac. Sie schreibt ihrem Sohn Harald, den sie in einem englischen Kriegsgefangenenlager in Nordafrika weiß: „Mein geliebter Sohn! Nun sind wir schon sechs Tage hier im Führerbunker, Papa, deine sechs kleinen Geschwister und ich, um unserem nationalsozialistischen Leben den einzig möglichen, ehrenvollen Abschluss zu geben. … Du sollst wissen, dass ich gegen den Willen Papas bei ihm geblieben bin, dass noch vorigen Sonntag der Führer mir helfen wollte, hier herauszukommen. Du kennst deine Mutter – wir haben dasselbe Blut, es gab für mich keine Überlegung. Unsere herrliche Idee geht zugrunde – und mit ihr alles, was ich Schönes, Bewundernswertes, Edles und Gutes in meinem Leben gekannt habe.

Die Welt, die nach dem Führer und dem Nationalsozialismus kommt, ist nicht mehr wert, darin zu leben, und deshalb habe ich auch die Kinder hierher mitgenommen. Sie sind zu schade für das nach uns kommende Leben, und ein gnädiger Gott wird mich verstehen, wenn ich ihnen selbst die Erlösung geben werde. … Die Kinder sind wunderbar … niemals ein Wort der Klage oder ein Weinen. Die Einschläge erschüttern den Bunker. Die Größeren beschützen die noch Kleineren, und ihre Anwesenheit hier ist schon dadurch ein Segen, dass sie dem Führer hin und wieder ein Lächeln abgewinnen. Gestern Abend hat der Führer sein Goldenes Parteiabzeichen abgenommen und mir angeheftet. Ich bin stolz und glücklich. Gott gebe, dass mir die Kraft bleibt, um das Letzte, Schwerste zu tun. Wir haben nur noch ein Ziel. Treue bis in den Tod dem Führer, und dass wir das Leben mit ihm beenden können, ist eine Gnade des Schicksals, mit der wir niemals zu rechnen wagten. Harald, lieber Junge – ich gebe dir das Beste noch auf den Weg, was das Leben mich gelehrt hat: Sei treu! Treu dir selbst, treu den Menschen und treu deinem Land gegenüber. … Sei stolz auf uns und versuche, uns in stolzer, freudiger Erinnerung zu behalten.“

Darunter schreibt Joseph Goebbels: „Lass dich nicht verwirren durch den Aufruhr, der jetzt in der Welt herrschen wird. Eines Tages werden die Lügen unter ihrer eigenen Last zusammenbrechen und die Wahrheit wird wieder triumphieren. Die Stunde wird wiederkommen, in der wir sauber und unbefleckt wieder dastehen werden vor der Welt. So sauber und unbefleckt, wie unser Glaube und unser Ziel immer gewesen sind … Sei immer stolz darauf, einer solchen Familie angehört zu haben, die im Angesicht des Unheils dem Führer treu blieb bis zum Letzten und treu seiner reinen und heiligen Sache.“

Den Brief steckt Hanna Reitsch ein, als sie mit Ritter von Greim Berlin verlässt. Hitler schickt seinen neuen Oberbefehlshaber der Luftwaffe nach Norddeutschland, wo er Heinrich Himmler festnehmen soll, weil sich dieser heimlich mit dem Schweden Folke Graf Bernadotte traf, von dem er hoffte, er könne einen Waffenstillstand mit den westlichen Alliierten vermitteln.

Fortsetzung

Quelle:
Dieter Wunderlich: Göring und Goebbels. Eine Doppelbiografie
© Verlag F. Pustet, Regensburg 2002
Seiten 209–222 (Fußnoten wurden weggelassen)

Kurzbiografien:
Joseph Goebbels
Magda Goebbels
Hermann Göring
Heinrich Himmler
Albert Speer

Oliver Hirschbiegel: Der Untergang
Weitere Kino- und Fernsehfilme über das „Dritte Reich“
Dieter Wunderlich: Göring und Goebbels. Eine Doppelbiografie

Tony Burgess - Idaho Winter
Der Roman "Idaho Winter" von Tony Burgess ist eine Hommage ans Erfinden von Geschichten, ans Erzählen. Große Literatur ist es nicht, denn es fehlt "Idaho Winter" an Charakterzeichnung und Differenzierung. Tony Burgess setzt stattdessen auf seine überbordende Fantasie. Originell ist v. a. die Rolle des Autors, der vorgibt, die Kontrolle über die Handlung verloren zu haben.
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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon zehn Tage und mehr, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte, und die Zeitspanne wird sich noch verlängern: Aus familiären Gründen werde ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik deutlich reduzieren.