C'rysta Winter : Trüffelige Nachtschattengewächse

Trüffelige Nachtschattengewächse
Trüffelige Nachtschattengewächse Edition Rutenmühle BoD, Norderstedt 2019 ISBN 978-3.73476-116-4,, 79 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Elf Kurzgeschichten:
Magdalena − Die Schwester − Gastrophysa viridula − Bis dass der Tod uns scheidet − Spurensuche − Mörderische Idylle − Eine Geschichte erlebt im Irgendwo − Tatort Rutenmühle − Des Rätsels Lösung − Beutezüge − Der Kanal. Ein Tönning Krimi
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Kritik

Die elf Kurzgeschichten in dem Bändchen "Trüffelige Nachtschattengewächse" von C'rysta Winter sind recht verschieden. Es gibt z. B. einen nicht ganz ernst zu nehmenden Kurzkrimi, aber auch eine anrührende Erinnerung der Autorin an die Eltern. Hinter idyllischen Fassaden ahnen wir Schlimmes, ...
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Magdalena

Gustav findet die Sammelleidenschaft seiner Ehefrau Magdalena lästig. Die rostigen Bratpfannen beispielsweise! Nachdem er sie dazu überredet hat, Klänge zu sammeln, wirft er nach und nach die anderen Sachen weg. Aber Magdalena kommt noch auf eine neue Idee …

Die Schwester

Anton und Charlotta wohnen mit ihrer gemeinsamen Schwester Florentine in dem Haus, das diese von Jakob geerbt hat. Weil Charlotta die Einrichtung nicht mehr erträgt, will sie weg. Sie erzählt ihrem Bruder, wie sie mit Florentine vor dem Regen in die Scheune flüchtete. Dort habe sie ihre Schwester vom Dachboden gestoßen, behauptet sie.

„… und jetzt liegt sie da, mit ihren roten, wildgelockten Haaren. Ach, Anton … und sie lächelt immer noch.“
Anton schlug sich entsetzt die Hände vor das Gesicht. „Grauenvoll!“, stöhnte er. „Mein Gott Charlotta, das ist grausig und furchterregend.“
Charlotta lächelte zaghaft. „Du wirst auch mit jedem Male tückischer, Anton …“

Hat Charlotta ihre Schwester in den Tod gestoßen oder erfindet sie die Geschichte bei einem Spiel mit ihrem Bruder?

Gastrophysa viridula

Ludwig und seine Frau sind in verschiedenen Ecken bei der Gartenarbeit. Der alte Mann, der eine Hacke in der Hand hat, beklagt sich bei einem grünen Sauerampferkäfer (Gastrophysa viridula) über seine Frau. Die sei wie ein Mühlenstein um seinen Hals, meint er.

„Hör zu, du kleiner Käfer. Ich will dich nicht mit Einzelheiten quälen, aber lass dir gesagt sein, sie ist der Alp, den ich tagtäglich auf meinen Schultern umhertrage. […] Erst heute Morgen wieder. Ich konnte mich plötzlich unter ihren Blicken nicht mehr erinnern, ob ich den Kaffee mit oder ohne Zucker trinke und habe in einer sonderbaren Verwirrtheit drei Löffel davon in meine Tasse geschaufelt. Du hättest hören sollen, zu welch bösartiger Überlegung sie mein Irrtum daraufhin anstachelte. Ludwig, hat sie gesagt. Es wird immer ärger mit dir. Das Durcheinander in deinem Kopf nimmt ein beunruhigendes Ausmaß an. […]

Bis dass der Tod uns scheidet

Die Ich-Erzählerin sitzt nachts vor dem Fernsehgerät und hört das Chanson „La Mer“ von Charles Trenet.

Spurensuche

Unweit ihres Hauses stößt die Ich-Erzählerin auf den Abdruck einer Wolfspfote. Sie folgt der Fährte und kehrt erst spät zu Anton zurück.

Mörderische Idylle

Dass Katzen ohne Mitgefühl Jagd auf andere Tiere machen, stört die Ich-Erzählerin vor allem, wenn es um Hasel-, Spitz- und Springmäuse geht. Tötet eine Katze dagegen eine Wühlmaus, wird sie gelobt und gestreichelt.

Meine Katzen bedanken sich artig für den anregenden Text. Grübeln aber immer noch über das Wort Mitgefühl.

Eine Geschichte erlebt im Irgendwo

Am vierten Tag einer Fahrradtour strandet das Paar in einem schäbigen Hotel, dessen greise Wirtin auf einen Treppenlift angewiesen ist. Zwei Wochen später ruft Antons Lebensgefährtin dort an, ohne ein Wort zu sagen. Sie will sich nur vergewissern, dass die Wirtin noch atmet und nicht über die Treppe gestürzt ist.

Tatort Rutenmühle

Die Ich-Erzählerin ist anwesend, als der berühmte Detektiv Hercule Poiret einen Fall löst. Bei einem angeblichen Selbstmörder wurde ein Jagdgewehr gefunden, allerdings außerhalb seiner Reichweite.

Anton schaut ihr über die Schulter, liest das Geschriebene und meint, Hercule Poiret habe mit der Rutenmühler Chronik nichts zu tun.

Des Rätsels Lösung

Die Ich-Erzählerin erinnert sich an Sonntage mit den Eltern. Sie war damals zehn Jahre alt.

Ich sehe meinen Vater am Wohnzimmertisch sitzen. Der Tisch ist rund. Höhenverstellbar. Nussbaumfarben. Ihn ziert eine gelbe, grob gewebte Tischdecke. […] wird vom Hamburger Abendblatt verdeckt, über das sich mein Vater seit geraumer Zeit beugt. Die Schultern ein wenig vorgeneigt. Den Ellenbogen des rechten Armes auf dem Tisch und den Kopf in die geöffnete Hand hineingestützt. Nein, eigentlich ist es nur die Stirn, die da haltsuchend ihren Platz findet. Auf dem Tisch liegt ein Stift. Angespitzt. Und mein Vater sitzt da, in der ihm eigenen, in sich selbst versunkenen Körperhaltung. Und denkt. Doch genau betrachtet ist es mehr ein Grübeln. Ein Abwägen von Wahr oder Falsch. Ein tiefes Grübeln nach dem verborgenen Sinn. Dem Wortsinn. Mein Vater löst ein Bilderrätsel! …
[…]
Meine Mutter, eine zarte Frau, die ihr halbes Leben als Schlachtereiverkäuferin hinter dem Ladentisch gestanden […] hatte. […] Diese zarte Person also gesellte sich nun zu uns. Zog ohne viel Federlesens das Abendblatt zu sich über den Tisch. Warf einen Blick, manchmal auch zwei oder drei darauf und präsentierte uns dann mit einem unschuldigen Lächeln das Lösungswort. Dann stand sie auf, warf noch einen Blick auf uns und verschwand in der Küche. Dort zog sie den Sonntagsbraten aus dem Ofen, goss die Kartoffeln und die eingemachten grünen Bohnen ab, während mein Vater die Zeitung faltete und ich den Tisch deckte.

Beutezüge

Jeden Herbst wird die Autorin zur Diebin: Sie sammelt Zweige und Blumen, versichert jedoch, die Gärten der Leserinnen und Leser unbeschadet zu lassen.

Der Kanal. Ein Tönning Krimi

In dem nordfriesischen Badeort Tönning wird die Leiche des Bäckermeisters Hans-Henning Petersen aus dem Kanal geborgen. Weil bei ihm ein Klootstock gefunden wurde, sucht der ermittelnde Polizist Timothy Kowalski Fenna Hansen in ihrem Laden auf, denn sie verkauft Touristen Nachbildungen der langen Holzstäbe, mit denen sich früher die Menschen über die Marsch-Gräben hinweg hievten. Die Polizei hat aber auch einen Hinweis auf einen kürzlichen Streit von Fenna Hansen und Hans-Henning Petersen bekommen.

Timothy Kowalski nimmt Fenna Hansen schließlich mit zur Kanalbrücke, von der aus Taucher zu sehen sind. Diese finden einen Armreif, den der Bäckermeister als Weihnachtsgeschenk für seine Frau gekauft hatte. Der fiel ihm wohl ins Wasser, und er wollte ihn mit einem Klootstock herausfischen. Dabei wurde er hinterrücks erschlagen, und zwar von Nils Jensen, dem Redakteur des Husumer Tageblatts, der alles tat, um den Verdacht auf Fenna Hansen zu lenken.

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In dem Bändchen „Trüffelige Nachtschattengewächse“ stellt C’rysta Winter (bürgerlich: Christa Winter) elf Kurzgeschichten zusammen, die sie zuvor unter den Titeln „Nachtschattengewächse“ (2009) und „Trüffelige Geschichten mit und ohne Schuss“ (2015) veröffentlicht hatte.

Die Geschichten in „Trüffelige Nachtschattengewächse“ sind recht verschieden,  sowohl inhaltlich als auch formal und qualitativ. Es gibt es zum Beispiel einen nicht ganz ernst zu nehmenden Tönning-Kurzkrimi, aber auch eine anrührende Erinnerung der Autorin an die Eltern. In einigen skurrilen Plots tritt C’rysta Winter als Ich-Erzählerin auf. Einmal schildert sie das Geschehen aus der subjektiven Perspektive eines dementen Greises („Gastrophysa viridula“). In „Die Schwester“ bleibt offen, ob die Handlung „real“ oder im Spiel erfunden wurde, und in „Tatort Rutenmühle“ wechselt C’rysta Winter von dem Manuskript, an dem die Ich-Erzählerin gerade arbeitet, in die „Wirklichkeit“.

Hinter idyllischen Fassaden ahnen wir Schlimmes, aber einige der Texte bewahren auch am Ende ein Geheimnis.

Ludwig beklagt sich bei einem grünen Sauerampferkäfer (Gastrophysa viridula) über seine Frau. Die Ich-Erzählerin personifiziert ihre Katzen und an anderer Stelle eine Jahreszeit:

Ich habe schon daran gedacht, dem Frühling das Ganze in die Schuhe zu schieben. Aber das funktioniert schon deshalb nicht, weil da noch gar kein Frühling war. […] Obwohl die Vorstellung den Frühling zu beschuldigen, durchaus einen gewissen Reiz auf mich ausübt. Allerdings ist es unsinnig, jemandem etwas anzulasten, wenn dieser Jemand, und sei es auch nur eine Jahreszeit, das Alibi vorweisen kann, dass er zur Tatzeit gar nicht anwesend war.

Sprachlich fällt auf, dass C’rysta Winter Nebensätze vermeidet und lieber Hauptsätze aneinanderreiht, auch wenn dabei das Verb fehlt. Mit diesem Stilmittel betont sie den Rhythmus der Sprache.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2020
Textauszüge: © Christa Winter

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Martin Walser drückt die Entwicklung Finks auch sprachlich aus: In dessen inneren Monologen wird das juristisch-bürokratische Denken von einem kriegerischen Vokabular abgelöst, und der Ich-Erzähler Stefan Fink rückt von dem Beamten Fink (dritte Person Singular) ab.
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