Thomas L. Friedman : Die Welt ist flach

Die Welt ist flach
Originalausgabe: The World is Flat. A Brief History of the Twenty-first Century Verlag Farrar, Straus und Giroux, New York 2005 Die Welt ist flach Vom Autor aktualisiert und erweitert Übersetzung: Michael Bayer, Hans Freundl, Thomas Pfeiffer Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M 2006 ISBN 3-518-41837-8, 712 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Schneller als man ein Papier von einem Büro in ein anderes tragen könnte, werden heute digitale Daten von Kontinent zu Kontinent verschickt. Die Welt ist flach geworden. Thomas L. Friedman zeigt, was Internet und Globalisierung nicht nur für Politik und Wirtschaft, sondern für jeden Einzelnen bedeuten.
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Kritik

Wie bei einer Zeitungsreportage verpackt Thomas L. Friedman seine Botschaft in konkrete Geschichten. Auf diese Weise gelingt es ihm, abstrakte Zusammenhänge zu konkretisieren – aber das geht zu Lasten der Stringenz.
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Im Februar 2004, fünf Jahre nachdem Thomas L. Friedman das Buch „The Lexus and the Olive Tree“ (1999; „Globalisierung verstehen. Zwischen Marktplatz und Weltmacht“) veröffentlicht hatte, reiste er nach Bangalore, in das indische „Silicon Valley“. Dort kamen ihm die meisten Menschen wie Landsleute vor und er bemerkte, wieviele Dienstleistungen für Amerikaner dort erbracht wurden. Das brachte ihn zu der Erkenntnis: „Die Welt ist flach!“ Das globale Spielfeld wurde eingeebnet. Und er beschloss, darüber ein Buch zu schreiben.

Ich […] habe diesem Buch den Titel Die Welt ist flach gegeben, um die Aufmerksamkeit auf diese Einebnung und das wachsende Tempo dieses Prozesses zu lenken, weil ich das für die wichtigste Entwicklung der Gegenwart halte. (Seite 557)

In sechs Abschnitte hat Thomas L. Friedman sein Buch „Die Welt ist flach“ gegliedert:

  1. Wie die Welt flach wurde
  2. Amerika und die flache Welt
  3. Entwicklungsländer und die flache Welt
  4. Unternehmen und die flache Welt
  5. Geopolitik und die flache Welt
  6. Schluss: Zwei Fantasien

 

Thomas L. Friedman glaubt, drei Phasen der Globalisierung ausgemacht zu haben: In der ersten Phase („Globalisierung 1.0“), die 1492 mit der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus begann und von europäischen Regierungen eingeleitet wurde, drehte sich alles um Staaten. Die zweite Phase („Globalisierung 2.0“) dauerte von 1800 bis 2000. Multinationale Unternehmen, deren Interessen weit über ihre Heimatstaaten hinausreichten, organisierten sich global, erschlossen internationale Märkte und nutzten Arbeitskräfte auf anderen Kontinenten. Ein Weltmarkt entstand. Die Erfindung der Telekommunikation und sinkende Transportkosten aufgrund neuer Verkehrsmittel machten es möglich. Um 2000 begann die dritte Phase („Globalisierung 3.0“), die nicht mehr von Europa und Nordamerika ausging, sondern an der Individuen in allen Kontinenten beteiligt sind. Computer und Computer-Netze haben die Welt flach gemacht.

Zur Veranschaulichung schildert Thomas L. Friedman, wie Southwest Airlines im Jahr 2003 dazu überging, den Kunden anzubieten, ihr Ticket zu Hause selbst auszudrucken.

Fassen wir zusammen: In der Globalisierung 1.0 gab es jemanden, der mir mein Ticket verkaufte – einen lebendigen, atmenden Mensch […] In der Globalisierung 2.0 ersetzte der E-Ticket-Automat den Ticketverkäufer. Wir hielten das für einen großen Fortschritt, und das war erst vor ein paar Jahren. Doch während wir schliefen, ist die Globalisierung 3.0 angebrochen, und jetzt stellt sich jeder sein Ticket selbst aus. Man könnte sogar sagen, der Einzelne ist zum Angestellten von Southwest Airlines geworden. (Seite 251)

(In dem Beispiel unterstellt Thomas L. Friedman implizit eine andere Definition der ersten, bis 1800 dauernden Globalisierungsphase.)

Zehn Faktoren haben laut Thomas L. Friedman die Welt flach gemacht:

  • Faktor 1: Der 9. November 1989. Als die Mauern fielen und Windows die Fenster zur Welt öffnete
  • Faktor 2: Der 9. August 1995. Das neue Zeitalter der Konnektivität: Als das Web über die Welt gespannt wurde und Netscape an die Börse ging
  • Faktor 3: Workflow-Software und die digitale Organisation des Arbeitsablaufs. Lass uns essen gehen – unsere Computer machen einen Termin
  • Faktor 4: Das Hochladen. Wie man sich die Kompetenzen von Gemeinschaften nutzbar machen kann
  • Faktor 5: Outsourcing. Das Jahr-2000-Problem
  • Faktor 6: Offshoring. Mit den Gazellen rennen, mit den Löwen fressen
  • Faktor 7: Globale Wertschöpfungsketten. Sushi in Arkansas
  • Faktor 8: Insourcing. Was die Jungs in den komischen braunen Hemden wirklich tun
  • Faktor 9: Selbstinformation. Google, Yahoo!, MSN Web Search
  • Faktor 10: Die Steroide. Digital, mobil, persönlich und virtuell

 

Als am 9. November 1989 die Berliner Mauer geöffnet wurde und bald darauf der Warschauer Pakt zusammenbrach, hob sich auch der Eiserne Vorhang, das Zeitalter globaler Politik löste die West- bzw. Ostpolitik ab, und ein weltweiter Markt entstand.

Parallel dazu setzte sich der PC durch, und die einzelnen Computer wurden global vernetzt.

1977 hatten Steve Jobs und Steve Wozniak den Apple-II-Homecomputer auf den Markt gebracht; acht Jahre später war das erste Windows-Betriebssystems von Microsoft vorgestellt worden. Spätestens mit Windows 3.0 (ab 22. Mai 1990 im Handel) wurden ganz normale Leute in die Lage versetzt, mit einem Computer zu arbeiten, ohne etwas von EDV bzw. IT verstehen zu müssen oder programmieren zu können.

Am 6. August 1991 stellte der bei der Europäischen Organisation für Kernforschung (CERN) beschäftigte britische Informatiker Tim Berners-Lee die erste im HTML-Format geschriebene Website der Welt ins Netz: http://info.cern.ch. Damit begann das World Wide Web. (Das Internet gab es schon länger.)

Großunternehmen bauten ihre eigenen Netzwerke auf (Intranet), die jedoch nach außen hin abgeschottet waren und sich in Hard- und Software unterschieden. Eine Benutzeroberfläche, mit der Inhalte beliebiger Websites aufgerufen werden konnten, gab es zunächst noch nicht. Dazu mussten erst weltweit standardisierte Programme geschaffen werden, die den Datenaustausch zwischen verschiedenen Systemen ermöglichten.

Jim Clarl und Marc Andreessen, die 1993 – als es weltweit 50 Websites gab – den Prototyp eines Webbrowsers erfanden, gründeten Mitte 1994 „Mosaic“ und brachten im Dezember 1994 mit dem Netscape Navigator 1.0 den ersten Webbrowser auf den Markt. Auf dieser Grundlage entstand mit dem World Wide Web ein Cyberspace, ein Paralleluniversum. Am 9. August 1995 ging Netscape an die Börse. Im gleichen Jahr führte Microsoft „Windows95“ mit integriertem Browser („Explorer“) ein.

So wie beispielsweise eine amerikanische Drohne bei einem Aufklärungsflug über dem Irak von Las Vegas aus ferngesteuert wird und die von ihr aufgenommenen Bilder im regionalen Hauptquartier in Katar, im Pentagon und vermutlich auch von der CIA in Langley, Virginia, betrachtet werden, lassen sich die Teilnehmer einer Geschäftsbesprechung über Videokonferenzen zusammenbringen, ohne dass sie ihre verschiedenen Bürogebäude verlassen müssen.

Die globale Vernetzung ist inzwischen so weit fortgeschritten, dass nicht mehr nur Menschen mit Menschen bzw. Menschen mit Maschinen kommunizieren, sondern auch Maschinen untereinander. Workflow-Software ermöglicht die Einrichtung virtueller Büros, entweder in Form von Home Offices oder auf verschiedenen Kontinenten. So lassen sich die 24 Stunden des Tages besser nutzen.

Jedes Individuum, das Zugang zu einem Computer mit Netzanschluss hat, kann heute eigene Inhalte ins WWW hochladen und global anbieten. Buchkritiken sind nicht mehr den Feuilletons vorbehalten, sondern wir finden sie auch als Beiträge von Lesern bei Amazon, und bei eBay kann jeder an einer weltweiten virtuellen Handelsgemeinschaft teilnehmen.

Jimmy Wales wollte ursprünglich eine von Experten zusammengestellte Online-Enzyklopädie schaffen, aber das Projekt kam nur langsam voran, und nach zwei Jahren ging ihm das Geld aus. Statt die bis dahin erarbeiteten Beiträge in die Schublade zu legen, stellte er sie im Januar 2001 ins Netz und forderte die Besucher auf, sie zu ergänzen. So begann Wikipedia. Ende 2005 wurden bereits 2,5 Milliarden Wikipedia-Seiten pro Monat aufgerufen. Das Korrektiv, die Gemeinschaft, funktioniert allerdings nicht immer, wie der Rufmord an John Seigenthaler sr. im Jahr 2005 bewies.

Ende Mai 2006 gab es 40 Millionen Blogs (von Weblog). Ein-Mann-Online-Zeitungen wetteifern mit Nachrichtenagenturen. Dieser unabhängige Journalismus steht für eine Dezentralisierung, bei der die ganze Wahrheit nicht mehr in einem Medium zu suchen, sondern ein Teil hier, ein anderer dort zu finden ist. Eine Audioversion von Blogs gibt es auch: Podcasting. Längst haben Politiker und Unternehmer erkannt, welche Bedeutung Blogs, Podcastings, Chat-Rooms und Internet-Foren haben.

Thomas L. Friedman begrüßt die kulturelle Vielfalt, die seiner Meinung nach durch das Hochladen von Inhalten ins WWW – die Globalisierung des Lokalen – entsteht.

Gegen Ende des 20. Jahrhunderts befürchteten viele einen Zusammenbruch von Computersystemen, weil man die Jahreszahlen früher mit zwei Digits angegeben hatte, um Speicherplatz zu sparen (Millennium Bug, Y2k). Auf den 31. 12. 99 folgte also der 1. 1. 00, und es bestand die Gefahr, dass Rechner das als 1. Januar 1900 interpretierten. Alle älteren Programme mussten daraufhin durchforstet werden. Weil der Bedarf an Programmierern die in der westlichen Welt vorhandenen Kapazitäten überstieg, beauftragten viele Unternehmen Programmierer in Indien mit der Arbeit.

Aufgrund der guten Erfahrungen begann das Outsourcing zu boomen. Westliche Firmen ließen nicht mehr nur T-Shirts in Asien fertigen, sondern auch Dienstleistungen erbringen. Bangalore entwickelte sich zu einem Zentrum dafür. 2005 wurden schätzungsweise 400 000 Steuererklärungen für Amerikaner in Indien bearbeitet. Klinikärzte in den USA schicken CT-Scans nach Bangalore und lassen sie dort über Nacht von indischen Ärzten auswerten. Nachhilfelehrer für amerikanische Schüler in Indien konkurrieren mit Anbietern in den USA. Muss der Assistent eines amerikanischen Managers im benachbarten Büro sitzen? Nein, es kann sich auch um einen Inder in Bangalore handeln, der – während der Auftraggeber schläft – Daten oder eine Powerpoint-Presentation zusammenstellt. Die Zahl der in indischen Callcenters Beschäftigten wird von Thomas L. Friedman auf 245 000 geschätzt. Inder, die sich mit amerikanischen Vornamen melden und versuchen, mit einem amerikanischen Akzent zu sprechen, beantworten Fragen von Verbrauchern in den USA oder rufen an, um für Kreditkartenverträge zu werben.

Wenn man einen schlecht bezahlten amerikanischen Job mit einem negativen sozialen Prestige – sagen wir, den eines Callcenter-Mitarbeiters – nach Indien auslagert, wo daraus ein hoch bezahlter Job mit einem hohen sozialen Prestige wird, dann gewinnt man Mitarbeiter, die zwar objektiv schlechter bezahlt, aber deutlich motivierter sind. (Seite 413)

Japanische Unternehmen arbeiten inzwischen mit Callcenters in Dalian, einer chinesischen Küstenstadt eine Flugstunde nordöstlich von Peking.

Outsourcing kann auch innerhalb des eigenen Landes erfolgen. Beispielsweise lässt die im Februar 1999 von David Neeleman gegründete Billigfluglinie „Blue Jet“ alle Buchungen von Hausfrauen in Utah in Heimarbeit duchführen.

Der englische Nationalökonom David Ricardo (1772 – 1823) empfahl jedem Land, die Güter herzustellen, die es kostengünstiger als andere Länder herstellen kann und die Güter durch Handel zu erwerben, die anderswo günstiger produziert werden. Thomas L. Friedman ist ebenfalls davon überzeugt, dass sowohl das Outsourcing als auch der Freihandel für alle von Vorteil sind, denn durch Outsourcing erhöht sich das Einkommen in Gegenden, die dadurch überhaupt erst zu Märkten für Produkte beispielsweise aus den USA werden.

Außerdem hält er es für einen Gewinn, dass ein ehrgeiziger Inder, der nicht in die USA auswandert, sondern in Indien Erfolg hat, seine kulturelle Identität besser bewahren kann.

Seit China der Welthandelsorganisation (WTO) beitrat, gründeten westliche Unternehmen dort verstärkt Tochterfirmen bzw. Joint Ventures (Offshoring). Thomas L. Friedman gibt zwar zu, dass einfache Fabrikjobs vom Westen in den Osten verlagert werden, aber er weist auch darauf hin, dass es Unternehmen gibt, die ihre Produkte aufgrund des Offshoring preisgünstiger anbieten können, dadurch Marktanteile gewinnen und nicht nur im Ausland, sondern auch zu Hause neue Mitarbeiter einstellen.

Wer einen Job hat, der nicht ausgelagert, digitalisiert oder automatisiert werden kann, braucht sich seiner Meinung nach ohnehin keine Sorgen zu machen. Für Angebote, die auf Ideen basieren – z. B.: Beratung, Software, Design, Strategien, Produktentwicklung – verbessern sich aufgrund der neuen Märkte die Chancen; die Anzahl der Arbeitsplätze in diesen Bereichen nimmt zu.

In diesem Zusammenhang weist Thomas L. Friedman auf die Bedeutung der Bildung hin.

Heute sind Inder und Chinesen noch nicht in der Lage, einen vollständigen Produktzyklus zu managen: Grundlagenforschung – angewandte Forschung – Inkubationsphase – Entwicklung – Testphase – Herstellung – Vertrieb – Kundenbetreuung – technische Weiterentwicklung. Doch innerhalb einer Generation werde die Entwicklung von „verkauft in China“ über „hergestellt in China“ zu „entwickelt in China“ voranschreiten, warnt Thomas L. Friedman.

2003 verdrängte China Japan vom 2. Platz unter den Öl-Importeuren. In den ersten Monaten des Jahres 2004 wurden allein in Peking pro Tag 1000 Neuwagen zugelassen. Kein Wunder, dass der Ölpreis steigt.

Dell produziert nicht nur in Nashville, Tennessee, Austin, Texas, und Winston-Salem, North Carolina, sondern auch in Limerick (Irland), Xiamen (China), Eldorado do Sul (Brasilien) und Penang (Malaysia). Auf 7 Seiten (622 bis 628) beschreibt Thomas L. Friedman, was von der Auftragsannahme für sein Dell Inspiron 600 m Notebook bis zur Auslieferung geschah; in allen Einzelheiten verfolgt er die Informationsströme und den Weg der einzelnen Komponenten bzw. des fertigen Geräts. Damit veranschaulicht er eine globale Wertschöpfungskette.

Am Beispiel von Wal-Mart beschreibt er ein anderes globales Supply Chain Management. Das mit Abstand größte Handelsunternehmen der Welt führte 1983 Kassenterminals ein, und seit 1987 verbindet ein satellitengestütztes Kommunikationssystem alle Filialen mit dem Zentralcomputer in der Hauptverwaltung in Betonville, Arkansas. Dort weiß man zu jedem Zeitpunkt über die Warenbestände und Verkäufe überall in der Welt Bescheid. Aber auch die weltweit verteilten Lieferanten sind an dieses Informationssystem angeschlossen, damit sie ihre Produktionspläne danach ausrichten können.

Manche Unternehmen praktizieren nicht nur Out-, sondern auch Insourcing, das heißt, sie integrieren Dienstleistungen in ihre Prozesse. UPS beispielsweise stellt seinen Kunden nicht nur seinen globalen Logistik- und Transport-Service zur Verfügung, sondern repariert im Luftfrachtzentrum im Louisville International Airport in Kentucky auch Computer – und hilft auf diese Weise, die für den Transport von dort zum Hersteller und zurück erforderliche Zeit sowie die entsprechenden Kosten einzusparen.

1995 lernten sich die damals zweiundzwanzig Jahre alten Informatikstudenten Sergey Brin und Larry Page in Stanford kennen. Sie entwickelten eine Suchmaschine und gründeten am 7. September 1998 in einer Garage das Unternehmen Google Inc. Ihr Ziel ist es, die im WWW vorhandenen enormen Datenmengen nach bestimmten Kriterien zu ordnen und jedem in der Welt das gesamte vorhandene Wissen in jeder Sprache zugänglich zu machen. Wenn der damalige US-Außenminister Colin Powell im Jahr 2001 den Text einer UN-Resolution benötigte, rief er einen Assistenten an und musste dann mindestens einige Minuten, mitunter jedoch Stunden warten. Gegen Ende seiner Amtszeit holte er sich den Text mit Hilfe einer Suchmaschine innerhalb von Sekunden selbst auf den Bildschirm. Auf 1 Milliarde schätzt Thomas L. Friedman die Anzahl der Suchanfragen, die allein Google pro Tag bekommt.

Durch Suchmaschinen wie Google, Yahoo!, MSN Web Search wurde der Zugang zu Informationen demokratisiert und globalisiert.

Sie glauben Bescheid zu wissen über die „IT-Revolution“, von der die Wirtschaftsblätter seit zwei Jahrzehnten reden? Tut mir Leid, aber das war erst der Prolog. In den vergangenen 20 Jahren ging es lediglich darum, die Werkzeuge zu entwickeln, herzustellen, zu verfeinern und zu verbreiten, mit deren Hilfe die Menschen zusammenarbeiten und untereinander in Verbindung treten können. Nun, da die Wechselwirkung all dieser Instrumente ihre Kraft entfaltet und immer mehr Menschen mit gleichen Voraussetzungen in den globalen Wettbewerb eintreten können, fängt die eigentliche IT-Revolution erst an […] Jetzt, fuhr sie [Carly Fiorina] fort, stehe das Hauptereignis bevor – „eine Ära, in der die Technologie praktisch alle Aspekte des Wirtschaftens, alle Facetten des Lebens und alle Bereiche der Gesellschaft verändern wird“. (Seite 286f)

Die Tatsache, dass die Welt flach geworden ist, erzwingt die Entwicklung neuer sozialer, politischer und unternehmerischer Modelle.

In diesem Zusammenhang findet es Thomas L. Friedman verhängnisvoll, dass in den westlichen Spaßgesellschaften immer mehr junge Leute Geistes- statt Naturwissenschaften studieren, weil sie keine Lust haben, sich in den ersten Semestern mit schwierigen Themen wie Mathematik zu beschäftigen. In Indien und China sei das ganz anders, meint er, dort wachse eine ungeheuer ehrgeizige Generation heran, die ihre Chance erkannt hat.

Im China von heute ist Bill Gates Britney Spears. In Amerika ist Britney Spears Britney Spears – und genau das ist unser Problem. (Seite 427)

Aus Protesten gegen die Konferenz der Welthandelsorganisation vom 1. bis 4. Dezember 1999 in Seattle entstand die Antiglobalisierungsbewegung. Die Globalisierungsgegner wurden nicht zuletzt von der Sorge umgetrieben, dass die Einebnung der Welt mit einer Amerikanisierung, einem amerikanischen Kulturimperialismus einhergehe.

Niemals hätten zwei Länder, in denen es McDonald’s gibt, einen Krieg gegeneinander geführt, behauptet Thomas L. Friedman und leitet daraus die so genannte „Dell-Theorie“ ab:

Je enger ein Land seine Volkswirtschaft und seine Zukunft mit globalem Handel und globaler Integration verknüpft, um so geringer ist die Gefahr, dass es einen Krieg mit seinen Nachbarn vom Zaun bricht. (Seite 629)

Globale Wertschöpfungsketten sind zwar keine Garantie für den Frieden, aber jede Regierung wird es sich dreimal überlegen, ob sie wegen eines Krieges die Einbindung in eine globale Wertschöpfungskette aufgeben soll. Die Lösung der atomaren Krise zwischen Indien und Pakistan im Jahr 2002 sei in Wahrheit nicht von Colin Powell vermittelt worden, meint Thomas L. Friedman, sondern von General Electric und anderen Unternehmen, die der indischen Regierung klarmachten, was auf dem Spiel stand.

Kriegsgefahr geht vor allem von Staaten aus, die nicht in globale Wertschöpfungsketten eingebunden sind: Irak, Syrien, Südlibanon, Nordkorea, Pakistan, Afghanistan, Iran. Auf Terrornetzwerke wie al-Qaida lässt sich die „Dell-Theorie“ ohnehin nicht anwenden.

Die Öffnung der Berliner Mauer am 9. November 1989 (11/9) und der Terroranschlag auf das World Trade Center und das Pentagon am 11. September 2001 (9/11) betrachtet Thomas L. Friedman als Chiffren für zwei „konkurrierende Fantasien“. 11/9 steht für Freiheit und Demokratie; 9/11 für islamische Fundamentalisten, die ihre eigenen Staaten gegenüber dem verhassten Westen abschotten wollen.

In den rasch wachsenden islamischen Gesellschaften, in denen 37,5 Prozent der Bevölkerung jünger als 15 Jahre alt sind, bringen viele Menschen den Glauben an die Überlegenheit ihrer Religion nicht mit den Erfolgen des Westens zusammen (kognitive Dissonanz). Während aus arabischen Staaten von 1980 bis 1999 171 internationale Patente angemeldet wurden, ließ allein Südkorea in derselben Zeit 16 328 internationale Patente eintragen.

Das WWW, das sich hervorragend für die Verbreitung von Propaganda, Gerüchten und Verschwörungstheorien eignet, wird selbstverständlich auch von frustrierten Muslimen und al-Qaida genutzt. Terroristen müssen nicht länger Redaktionen von Medien dazu bringen, über sie zu berichten, sondern sie können ihre Botschaften im WWW verbreiten und brauchen dabei auch keine für sie unerwünschten Darstellungen zu befürchten, weil sie die unmittelbare Kontrolle darüber haben.

Von Pakistan und den USA unterstützte Mudschahidin zwangen die UdSSR, am 15. Februar 1989 ihre Truppen aus Afghanistan abzuziehen. Nach diesem Sieg erregte etwas anderes die Aufmerksamkeit von Osama bin Laden: Sein Heimatland Saudi-Arabien arbeitete eng mit den USA zusammen und erlaubte es den US-Streitkräften, Stützpunkte auf der arabischen Halbinsel einzurichten. Da beschlossen er und Ayman al-Zawahiri, die Massen in der arabischen Welt gegen die mit den USA kooperierenden Regime aufzuhetzen, um sie hinwegzufegen und durch muslimische Gottesstaaten zu ersetzen. Der Plan, entführte Passagierflugzeuge in die Türme des World Trade Centers zu lenken, stamme von Khalid Scheich Mohammed, behauptet Thomas L. Friedman. Der habe wie ein Unternehmensgründer dafür Risikokapital und Mitarbeiter gesucht und bei einem Gespräch mit Osama bin Laden im Frühjahr 1999 in Kandahar einen Partner gefunden. Al-Qaida baute eine globale Supply Chain auf, bildete einen Kompetenzverbund von Spezialisten und rekrutierte die erforderliche Zahl von Selbstmordattentätern, die von amerikanischen Flugschulen ausgebildet wurden (Outsourcing).

Ich glaube, die Geschichte wird zeigen, dass Präsident Bush die durch den 11. September hervorgerufenen Emotionen schamlos für seine politischen Zwecke instrumentalisiert hat. (Seite 667)

Statt im Krieg gegen den Terrorismus Angst zu verbreiten, Recht und Freiheit einzuschränken und befreundete Nationen vor den Kopf zu stoßen, sollte die US-Regierung lieber mehr in die Bildung investieren und sich an der Suche nach umweltfreundlichen Energielösungen beteiligen, meint Thomas L. Friedman. Wenn die Terroristen erreichen würden, dass sich die westlichen Gesellschaften misstrauisch gegen die Außenwelt abschotten, hätte Osama bin Laden sein Ziel erreicht.

Wir müssen also unsere positive Vorstellungskraft zurückgewinnen. (Seite 668)

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Im Oktober 2005 fuhren meine Frau und ich anlässlich des Elternwochenendes in Yale nach New Haven. Mittags gingen wir mit unserer Tochter, ihren Mitbewohnerinnen aus dem Wohnheim und dem Freund eines der Mädchen Pizza essen. Der junge Mann, der sich als Eric Stern vorstellte und mir gegenüber Platz nahm, war 24 und machte gerade seinen Doktor in Biomedizintechnik mit Schwerpunkt Nanotechnologie. Eric ist genau die Art junger Mensch, die hervorzubringen wir uns vom amerikanischen Bildungswesen wünschen […] (Seite 410)

Wie bei einer Zeitungsreportage verpackt Thomas L. Friedman seine Botschaft in konkrete Geschichten über persönliche Begegnungen und Erlebnisse. Auf diese Weise gelingt es ihm, abstrakte Zusammenhänge zu konkretisieren und zu veranschaulichen. In einer Zeitung ist das wünschenswert, bei einem Buch mit 700 Seiten dagegen ermüdend, zumal wenn es auch der Eitelkeit des Autors dient.

Bill Gates, von mir auf den angeblichen amerikanischen Bildungsvorteil […] angesprochen […] (Seite 426)

Im Juni 2005 verriet mir der irische Premierminister Bertie Ahern […] (Seite 496)

Jerry Yang, der Mitbegründer von Yahoo!, zitierte mir gegenüber einmal den Ausspruch eines hohen chinesischen Regierungsbeamten […] (Seite 558)

Die eBay-Chefin Meg Whitman erzählte mir einmal folgende wundervolle Geschichte […] (Seite 669)

Stanley Fischer, der ehemalige stellvertretende Chef des Internationalen Währungsfonds, sagte mir einmal […] (Seite 681)

Thomas L. Friedman bringt in seinem Buch „Die Welt ist flach“ eine Fülle interessanter Zitate, Daten und Fakten. Doch in seinem Eifer, immer noch eine Zahl zu nennen oder einen weiteren Gewährsmann zu zitieren, hat er es versäumt, seine Darstellung auf das Wesentliche zu fokussieren und sie systematischer zu strukturieren. „Die Welt ist flach“ lässt sich besser mit einer Plauderei als mit einer Vorlesung vergleichen. Das hat Vor- und Nachteile: Einerseits liest sich das Buch recht gut, weil es lebendig ist, aber dem Leser fällt es schwer, den Überblick zu bewahren und das Gelesene einzuordnen.

Der Mangel an Stringenz wird durch Redundanzen verstärkt.

„Jetzt, da Ausländer Arbeiten, die der linken Hirnseite zuzuordnen sind, billiger erledigen können“, fuhr Pink fort, „müssen wir Amerikaner das, was die rechte Gehirnhälfte beansprucht, besser machen.“ Genau: Jetzt, da Ausländer Arbeiten, die der linken Hirnseite zuzuordnen sind, besser erledigen können, müssen wir Amerikaner das, was die rechte Gehirnhälfte beansprucht, besser machen! (Seite 373)

Mitunter wechselt Thomas L. Friedman implizit seine Definitionen. Einige seiner Erläuterungen bleiben an der Oberfläche. Wenn er behauptet, die Menschen in der DDR hätten Ende 1989 die Öffnung der Grenzen erzwungen, weil sie ihr volles Potenzial entfalten wollten (Seite 655f) und mit keinem Wort erwähnt, dass sie auch am westlichen Wohlstand teilhaben wollten, ist das zumindest unvollständig. Naiv ist es, das Überwiegen positiver Bewertungen bei eBay darauf zurückzuführen, dass die Teilnehmer sich als virtuelle Gemeinschaft fühlen. Indem Thomas L. Friedman so tut, als löse die Kassiererin in einer Wal-Mart-Filiale, die eine Dose Bohnen über die Scanner-Kasse zieht, beim Lieferanten die Herstellung einer weiteren Dose Bohnen aus (Seite 190f), simplifiziert er grob.

Offenbar hat Thomas L. Friedman jedoch einen Nerv getroffen, denn von seinem 2005 veröffentlichten Buch wurden allein in den USA bereits mehr als 1,5 Millionen Exemplare verkauft und es liegt schon in 25 Übersetzungen vor. Für die deutschsprachige Ausgabe (2006) aktualisierte und erweiterte er den Text.

Der Amerikaner Thomas L. Friedman (*1953) schreibt als Kolumnist in „The New York Times“ und veröffentlichte mehrere Bestseller über die Weltpolitik. Dreimal wurde er mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet.

Im Januar 2009 erschien im Suhrkamp Verlag die deutsche Übersetzung des Buches „Was zu tun ist. Eine Agenda für das 21. Jahrhundert“ von Thomas L. Friedman (543 Seiten).

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2006 / 2008
Textauszüge: © Suhrkamp Verlag

Kristine Bilkau - Eine Liebe, in Gedanken
Die Liebesbeziehung von Antonia und Edgar scheitert an den Selbstzweifeln und der Unentschlossenheit des Mannes. Kristine Bilkau erzählt leise und unaufdringlich, feinfühlig, melancholisch, frei von Pathos und ohne jeden Gefühlsüberschwang. Gerade wegen dieser Zurückhaltung ist "Eine Liebe, in Gedanken" eine bewegende Lektüre.
Eine Liebe, in Gedanken