Heinrich Böll : Doktor Murkes gesammeltes Schweigen

Doktor Murkes gesammeltes Schweigen
Doktor Murkes gesammeltes Schweigen Erstveröffentlichung: 1958 Verlag Kiepenheuer & Witsch
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Dr. Murke arbeitet in der Abteilung Kulturwort eines Rundfunksenders. Im Dienst muss er in zwei Vorträgen das Wort "Gott" durch die Formulierung "jenes höhere Wesen, das wir verehren" ersetzen. Aber wenn er Sprechpausen aus Bändern herausschneidet, hebt er die Bandstücke auf, klebt sie aneinander und spielt sie sich abends zu Hause vor.
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Kritik

In der Satire "Doktor Murkes gesammeltes Schweigen" nimmt Heinrich Böll den geschäftigen Kulturbetrieb am Beispiel eines Rundfunksenders aufs Korn und entlarvt auf absurd-komische Weise die Hohlheit mancher angeblich so niveauvollen Beiträge.
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Die Handlung spielt Mitte der Fünfzigerjahre.

Dr. Murke arbeitet in der Abteilung Kulturwort eines Rundfunksenders. Überpünktlich erscheint er jeden Morgen im Funkhaus und fährt als erstes mit dem Paternoster ganz nach oben und auf der anderen Seite wieder hinunter in den 2. Stock. Viereinhalb Sekunden dauert es, bis die Kabine am oberen Ende des Paternosters waagrecht verschoben und in die Abwärtsbewegung eingereiht wird. Das sind viereinhalb Sekunden Angst für Dr. Murke, und die braucht er morgens „wie andere ihren Kaffee, ihren Haferbrei oder ihren Fruchtsaft“.

Für Donnerstag und Freitag stehen zwei halbstündige Vorträge des bedeutenden Buchautors, Verlagslektors und Zeitungsredakteurs Bur-Malottke im Programm: Über das Wesen der Kunst. Die Vorträge wurden bereits aufgenommen, aber in der Nacht von Sonntag auf Montag sind Bur-Malottke „religiöse Bedenken“ gekommen und er überredete den mit ihm befreundeten Intendanten, das Wort „Gott“ in seinen Vorträgen durch die Formulierung „jenes höhere Wesen, das wir verehren“ zu ersetzen. Diese Formulierung entspreche auch mehr der Auffassung, die er vor 1945 vertreten habe.

Der Intendant beauftragte Murke mit den Änderungen. Der hörte sich die Vorträge am Montag und Dienstag dreimal an und schnitt „Gott“ heraus.

Am Mittwoch um 10 Uhr kommt Bur-Malottke ins Studio, um die neuen Textstellen aufs Band zu sprechen. Murke weist ihn darauf hin, dass 10 Nominative, 5 Akkusative, 7 Genitive, 5 Dative und ein Vokativ benötigt werden.

Jeder der beiden Vorträge verlängert sich um eine halbe Minute — die an anderen Stellen gekürzt werden müssen, wenn die Redakteure der nachfolgenden Übertragungen auf ihrer vollen Sendezeit bestehen. Mit solchen Komplikationen hat Bur-Malottke nicht gerechnet. Er beginnt zu schwitzen. „Geschnitten haben Sie schon, wie?“, fragt er. Es gibt kein Zurück mehr: Murke hält ihm eine Schachtel mit den herausgeschnittenen Bandschnipseln hin.

Während Dr. Murke in der Kantine ein Glas Apfelsaft trinkt, unterhalten sich drei freiberufliche Mitarbeiter an einem der anderen Tische. Jedesmal, wenn einer von ihnen „Kunst“ sagt, zuckt Murke zusammen, „wie der Frosch, an dem Galvani die Elektrizität entdeckte“. Murke hat das Wort Kunst in den beiden letzten Tagen zu oft gehört; 134-mal kommt es in den beiden Bur-Malottke-Vorträgen vor. Als einer der drei Männer emphatisch brüllt: „Kunst – Kunst – das allein ist es, worauf es ankommt“, duckt Murke sich „wie ein Soldat sich duckt, der im feindlichen Schützengraben die Abschüsse der Granatwerfer gehört hat“.

Inzwischen hat der Techniker das vorhin besprochene Band zerschnitten und die verschiedenen grammatischen Fälle sortiert. Ohne den Text noch einmal anzuhören, kleben sie die vorbereiteten Schnipsel in der von Dr. Murke bereits aufgelisteten Reihenfolge ein.

Bur-Malottke ging nach der Aufnahme zum Intendanten, um mit ihm über die Verlängerung der beiden Vorträge zu sprechen. Der stimmt einer ungekürzten Übertragung auf Kosten der nachfolgenden Sendungen zu. Bei dieser Gelegenheit äußert Bar-Malottke einen weiteren Wunsch: „Ich wäre Ihnen dankbar, wenn wir gelegentlich darangehen könnten, alle Bänder zu korrigieren, die ich seit 1945 besprochen habe …“

Murkes Chef Humkoke weiß dessen Arbeit zu schätzen, denn er musste selbst einmal drei Minuten aus einer vierstündigen Hitler-Rede herausschneiden. „Als ich anfing, das Band zum erstenmal zu hören, war ich noch ein Nazi, aber als ich die Rede zum drittenmal durch hatte, war ich kein Nazi mehr …“ Humkoke fällt eine gelbe Keksdose im Regal neben Dr. Murkes Schreibtisch auf und er fragt nach dem Inhalt. Errötend stottert Murke: „Schweigen. Ich sammle Schweigen.“ Wenn er Sprechpausen aus Bändern schneidet, hebt er die Bandstücke auf. Humkoke fragt lachend, was er damit mache. „Ich klebe sie aneinander und spiele mir das Band vor, wenn ich abends zu Hause bin. Es ist noch nicht viel, ich habe erst drei Minuten — aber es wird ja auch nicht viel geschwiegen.“

Am späten Nachmittag studiert der Hilfsregisseur der Hörspielabteilung ein Sendemanuskript über einen Atheisten, der zwölf verzweifelte Fragen in eine leere Kirche schreit. Weil die Pausen zwischen den Fragen stören, will sie der Hilfsregisseur nun im Einverständnis mit dem Autor durch das Wort „Gott“ ersetzen, allerdings von einer anderen Stimme und wie aus einem anderen Raum gesprochen. Der Techniker reicht ihm die Schachtel mit Bur-Malottkes „Gott“-Schnipseln.

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In der Satire „Doktor Murkes gesammeltes Schweigen“ nimmt Heinrich Böll den geschäftigen Kulturbetrieb am Beispiel eines Rundfunksenders aufs Korn und entlarvt auf absurd-komische Weise die Hohlheit mancher angeblich so niveauvollen Beiträge.

Dieter Hildebrandt schrieb das Drehbuch für die Verfilmung der Satire und spielte die Titelrolle (1963/64).

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2002

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