Der Stellvertreter

Der Stellvertreter

Der Stellvertreter

Der Stellvertreter - Originaltitel: Amen - Regie: Costa-Gavras - Drehbuch: Costa-Gavras und Jean-Claude Grumberg, nach dem Schauspiel "Der Stellvertreter" von Rolf Hochhuth - Kamera: Patrick Blossier - Schnitt: Yannick Kergoat - Musik: Armand Amar - Darsteller: Ulrich Tukur, Mathieu Kassovitz, Ulrich Mühe, Michel Duchaussoy, Friedrich von Thun, Hanns Zischler u.a. - 2002; 130 Minuten

Inhaltsangabe

Der SS-Offizier Kurt Gerstein ist entsetzt, als er in Polen Zeuge einer Vergasung von Juden wird. Verzweifelt versucht er, den schwedischen Botschafter und den Nuntius in Berlin über den Massenmord aufzuklären. Nur der junge Jesuitenpater Riccardo Fontana hört ihm zu. Der Geistliche reist nach Rom, und weil sein Vater in leitender Position im Vatikan beschäftigt ist, gelingt es ihm, Papst Pius XII. zu sprechen. Aber niemand unternimmt etwas.
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Kritik

In seiner Verfilmung von Rolf Hochhuths Bühnenstück "Der Stellvertreter" verlagert Costa-Gavras den Schwerpunkt von der Anprangerung des schweigenden Papstes auf die vergeblichen Bemühungen eines SS-Offiziers und eines Jesuitenpaters, die Weltöffentlichkeit zu alarmieren.
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Stephan Lux (Ovidiu Cuncea), ein verzweifelter jüdischer Deutscher, dringt in eine Versammlung des Völkerbunds ein und erschießt sich vor dem Plenum, um die Welt auf die Lage der von den Nationalsozialisten verfolgten Juden aufmerksam zu machen.

Bertha, die geisteskranke Nichte des SS-Obersturmführers und auf Schädlingsbekämpfung spezialisierten Chemikers Kurt Gerstein (Ulrich Tukur), wird in einer Nervenheilanstalt getötet. Gegen die Ermordung Geisteskranker erstattet Clemens August Graf von Galen (Bernd Fischerauer), der Bischof von Münster, am 28. Juli 1941 Strafanzeige, und sechs Tage später predigt er von der Kanzler der Sankt Lamberti Kirche gegen Euthanasie. Aufgrund der Proteste schraubt Hitler das Euthanasieprogramm zurück.

Im Jahr darauf schickt ein hoher SS-Offizier mit dem Namen Grawitz (Hanns Zischler) Kurt Gerstein nach Polen. In Auschwitz zeigen ihm der Lagerkommandant Rudolf Höß (Sebastian Koch) und ein SS-Arzt (Ulrich Mühe), wie eine Gruppe jüdischer Familien mit Zyklon B vergast wird. Zu seinem Entsetzen erhält Gerstein die Aufgabe, ausreichend Zyklon B für die Vernichtungslager heranzuschaffen. Immer wieder versucht er, ganze Ladungen des Giftgases zu vernichten, indem er beispielsweise behauptet, die Dosen seien undicht und müssten sofort vergraben werden.

Bei einer Zugfahrt lernt er zufällig den schwedischen Botschafter Baron Göran von Otter (Justus von Dohnanyi) kennen, zeigt ihm Rechnungen für große Mengen Zyklon B und beschwört ihn, seine Regierung über die Judenvernichtung aufzuklären. Die Schweden sollen die westlichen Alliierten dazu bringen, Flugblätter über dem Deutschen Reich abzuwerfen, damit die Bevölkerung erfährt, was mit den deportierten Juden geschieht. Gerstein ist sicher, dass das deutsche Volk dagegen rebellieren würde, wenn es Bescheid wüsste. Außerdem wendet Gerstein sich an Pastor Otto Dibelius (Günther Maria Halmer), aber der befürchtet, dass eine entsprechende Veröffentlichung als Kriegspropaganda missverstanden werden könnte. Als Nächstes dringt Gerstein zum Nuntius (Alexandrov) vor, aber der weigert sich, ihn anzuhören und droht ihm mit der Polizei, denn er argwöhnt eine Falle der Gestapo.

Vorsichtshalber schickt Gerstein seine Frau (Antje Schmidt) mit den drei Kindern zu ihren Eltern nach Tübingen und bleibt allein mit seiner Haushälterin, Frau Hinze (Monica Bleibtreu), in Berlin zurück.

Der Sekretär des Nuntius, der junge Jesuitenpater Riccardo Fontana (Mathieu Kassovitz), sucht Gerstein auf. Er war dabei, als der SS-Offizier vom Nuntius hinausgeworfen wurde. Fontana will mehr wissen und reist dann nach Rom, um über seinen Vater, Graf Fontana (Ion Caramitru), einem Vertrauten des Papstes Pius XII. (Marcel Iures), die Kurie auf die massenhafte Ermordung von Juden durch die Nationalsozialisten aufmerksam zu machen. Statt Riccardo Fontana zuzuhören, bedauert der Kardinalstaatssekretär (Michel Duchaussoy), dass Hitler, in dem er einen Vorkämpfer gegen den Kommunismus sieht, die UdSSR 1941 zu spät angegriffen habe und deshalb gegen Stalin ins Hintertreffen geraten sei, was sich jetzt gerade in Stalingrad deutlich zeige.

Als Fontana US-Botschafter Taylor (Richard Durden) im Vatikan begegnet, weist er ihn darauf hin, dass die Nationalsozialisten jeden Tag zehntausend Juden umbringen. Taylor rät ihm, lieber von ein paar hundert zu sprechen, sonst glaube ihm niemand.

Bei einer Audienz spricht Fontana den Papst persönlich an, aber Pius XII. wimmelt ihn mit ein paar leeren Phrasen ab.

Inzwischen versucht Gerstein in Berlin, Freunde und Verwandte zu alarmieren. Sein Vater (Friedrich von Thun), ein bornierter Nationalsozialist, hält das Gerede über die Vernichtungslager für britische Kriegspropaganda und „sentimentalen Quatsch“. Alle rücken von Gerstein ab. In einem weiteren Gespräch drängt er Baron von Otter, auf eine Bombardierung der zu den Vernichtungslagern führenden Eisenbahnstrecken durch die Alliierten zu drängen. Von Otter bietet ihm stattdessen an, ihm und seiner Familie beim Verlassen des Deutschen Reiches zu helfen, aber das lehnt Gerstein ab: „Ich will bleiben und bezeugen, was los ist.“

Mit der Erwartung, der Papst werde in seiner Weihnachtsbotschaft 1942 den Massenmord an den Juden anprangern, kehrt Fontana aus Rom zurück. Während einer Weihnachtsfeier in Gersteins Wohnung, an der hohe SS-Offiziere teilnehmen, setzen Fontana und Gerstein sich heimlich in der Küche vor den Volksempfänger – und stellen fest, dass Pius XII. kein Wort über die Juden oder die Vernichtungslager sagt.

Noch einmal reist Fontana nach Rom. Diesmal übergibt er dem US-Botschafter eine Karte der SS, auf der die Vernichtungslager eingezeichnet sind und angegeben ist, wieviele „Einheiten“ dort täglich vergast werden. Taylor meint, sein Land unternehme schon alles, um das Problem zu lösen: „Wir können die Juden retten, indem wir so rasch wie möglich den Krieg gewinnen.“

Gersteins früherer Freund Karl (Markus Hering) verschafft ihm Papiere für eine Romreise. Der SS-Offizier will im Vatikan Beweise für den Massenmord an den Juden vorlegen. Doch als er am Hauptbahnhof in Rom von Fontana begrüßt wird, holt die SS gerade die Juden aus ihren Wohnungen in der italienischen Hauptstadt. Pius XII. bestellt daraufhin den deutschen Botschafter Ernst Freiherr von Weizsäcker (August Zirner) ein und protestiert diplomatisch verklausuliert gegen das Vorgehen der Deutschen in Rom. Aber in dieser Situation hält er es erst recht nicht für opportun, die Vernichtungslager in der Öffentlichkeit zu erwähnen.

Nach einem weiteren vergeblichen Versuch, den Papst umzustimmen, heftet Fontana sich zum Entsetzen seines Vaters und der kirchlichen Würdenträger im Vatikan einen Judenstern an die Soutane, geht zum Bahnhof und klettert mit den zusammengetriebenen Juden in einen Viehwaggon.

In Auschwitz wird Fontana zu dem SS-Arzt geführt, mit dem Gerstein in Polen war (und der Züge von Josef Mengele aufweist). Der meint sarkastisch: „Die Kirche hat früher durch das Verbrennen von Ketzern für die Verbreitung des Glaubens gesorgt. Wir tun das jetzt auch, allerdings in einem viel größeren Maßstab.“ Wenn das Deutsche Reich zusammenbricht – womit in Kürze zu rechnen ist –, soll der Jesuit sich gegenüber den Alliierten für ihn verwenden. Dieses Ansinnen weist Fontana zurück. Daraufhin teilt der SS-Offizier ihn zur Arbeit an den Krematorien ein.

Um seinen Freund zu retten, begibt Gerstein sich mit einem Dokument, auf dem er Heinrich Himmlers Unterschrift gefälscht hat, nach Auschwitz. Riccardo Fontana wird zu ihm gebracht, kann aber aufgrund von Folterungen kaum gehen und ist entschlossen, mit den Juden zu sterben. Der SS-Arzt kommt dazu und droht Gerstein, ihn wegen der „landesverräterischen“ Romreise und der dreisten Unterschriftenfälschung festnehmen zu lassen. Schließlich überlegt er es sich anders und meint maliziös, Gerstein werde es ohnehin schwer haben, die Alliierten von seiner Unschuld zu überzeugen, denn er habe alle Zyklon-B-Rechnungen abgezeichnet.

Bei Kriegsende fährt Gerstein zu seiner Familie nach Tübingen und stellt sich gleich darauf der französischen Besatzungsmacht. Als ihm die Offiziere, die seinen Fall untersuchen, vorwerfen, er habe nichts unternommen, um den Holocaust zu verhindern bzw. zu beenden, erhängt Kurt Gerstein sich in seiner Zelle.

Der SS-Arzt taucht im Vatikan auf und trifft sich mit einem Kardinal, der ihm bei der Emigration nach Argentinien hilft.

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Rolf Hochhuth prangerte in seinem 1963 von Erwin Piscator uraufgeführten Bühnenstücks „Der Stellvertreter“ Papst Pius XII. an, weil dieser trotz seines Wissens über den Holocaust schwieg. In seiner Verfilmung des „christlichen Trauerspiels“ verlagert der griechisch-französische Regisseur Costa-Gavras den Schwerpunkt auf die vergeblichen Bemühungen des lauteren SS-Offiziers Kurt Gerstein und des idealistischen Jesuitenpaters Riccardo Fontana, den Massenmord an den Juden durch die Alarmierung der Weltöffentlichkeit zu beenden. Costa-Gavras stilisiert die beiden zu Märtyrern und vernachlässigt darüber die Charakterzeichnung, was Ulrich Tukur und Mathieu Kassovitz durch ihr schauspielerisches Können teilweise wettmachen können. Ähnliches lässt sich auch für einige weitere, hochkarätig besetzte Rollen sagen. Vor allem Ulrich Mühe gelingt es, einen namenlosen SS-Arzt facettenreich darzustellen.

Anders als Rolf Hochhuth setzt Costa-Gavras sich mit der Haltung und den Motiven des Papstes nicht weiter auseinander. Ihm geht es offenbar in seiner filmischen Adaptation von „Der Stellvertreter“ vor allem um einen moralischen Appell und ein Plädoyer gegen Indifferenz.

Papst Pius XII. (1876 – 1958) wurde als Eugenio Pacelli am 2. März 1876 in Rom geboren. 1901, zwei Jahre nach der Priesterweihe, begann er seine Karriere im Staatssekretariat des Vatikans. Von 1917 bis 1925 amtierte er als Titularbischof in München, und von 1920 bis 1929 fungierte er als Apostolischer Nuntius im Deutschen Reich. Am Zustandekommen des von Papst Pius XI. 1933 geschlossenen Reichskonkordats war er maßgeblich beteiligt. Am 2. März 1939 trat er dessen Nachfolge an. Im Zweiten Weltkrieg wahrte er strikte Neutralität. Mitglieder kommunistischer Parteien bedrohte er 1949 mit der Exkommunikation. Papst Pius XII. starb am 9. Oktober 1958 in Castel Gandolfo.

Während die Figur Kurt Gerstein teilweise authentisch ist, handelt es sich bei Riccardo Fontana um eine fiktive Person.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2005

Rolf Hochhuth: Der Stellvertreter

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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon zehn Tage und mehr, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte, und die Zeitspanne wird sich noch verlängern: Aus familiären Gründen werde ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik deutlich reduzieren.