Dieter Gräbner, Stefan Weszkalnys : Der ungehörte Zeuge
Inhaltsangabe
Kritik
Kurt Gerstein (kurze Biografie)
Stefan Weszkalnys (*1942) besuchte wie Kurt Gerstein das Ludwigsgymnasium in Saarbrücken, und sein Vater Hako Weszkalnys war von 1911 bis 1915 einer von Kurt Gersteins Klassenkameraden in der Evangelischen Volksschule St. Arnual. Ende 2005 regte er den Journalisten Dieter Gräbner (*1939) zu einem Artikel über Kurt Gerstein in der Saarbrückener Zeitung an. Das ganzseitige Feature „Ein SS-Offizier als ‚Spion Gottes'“ erschien am 28. Januar 2006. Dieter Gräbner schlug Stefan Weszkalnys dann vor, gemeinsam an einem Buch über Kurt Gerstein zu arbeiten. Das taten sie sieben Monate lang, bis sie „Der ungehörte Zeuge. Kurt Gerstein, Christ, SS-Offizier, Spion im Lager der Mörder“ vorlegen konnten.
Dieter Gräbner und Stefan Weszkalnys haben in verschiedenen Archiven Material über Kurt Gerstein zusammengetragen und zeigen einiges davon in kleinen Faksimiles.
Leider haben sich einige (Druck-)Fehler in das lesenswerte Buch eingeschlichen, die bei der zugleich aufschlussreichen und erschütternden Lektüre ein wenig stören. Das beginnt bereits im Prolog, auf Seite 8, wo es wohl Februar 2006 statt 2005 heißen müsste. Dieter Gräbner und Stefan Weszkalnys schildern, wie Kurt Gerstein in Belzec dabei war, als ein Dieselmotor, dessen Auspuffgase zur Tötung der Gefangenen verwendet werden sollten, zwei Stunden und 49 Minuten lang nicht ansprang. Das war aber nicht am 20. August 1942 („Der ungehörte Zeuge“, Seite 15), sondern zwei Tage vorher. In der Nacht vom 19./20. August berichtete Kurt Gerstein bereits dem schwedischen Legationssekretär Göran Frederik Baron von Otter im Zug von Warschau nach Berlin von seinen Beobachtungen.
Die Autoren halten Kurt Gerstein für einen Widerstandskämpfer – einen „Spion im Lager der Mörder“ –, obwohl er 1933 in die NSDAP eintrat, sich nach dem Überfall auf Polen als Kriegsfreiwilliger meldete, in der Waffen-SS zum Obersturmführer avancierte und enorme Mengen Zyklon B für den Holocaust beschaffte. Dieter Gräbner und Stefan Weszkalnys verweisen darauf, dass sich Kurt Gerstein in Bibelkreisen und für die Bekennende Kirche engagierte, obwohl er deshalb zweimal mehrere Wochen lang eingesperrt, aus der NSDAP ausgeschlossen und aus dem Staatsdienst entlassen wurde. Berta Ebeling, die Schwester von Reinhild Gerstein, der Ehefrau von Kurt Gersteins Bruder Karl, starb im Winter 1940/41 in der Nervenheilanstalt Hadamar. Für Kurt Gerstein gab es keinen Zweifel daran, dass Berta Ebeling im Rahmen des nationalsozialistischen Euthanasieprogramms („T4“) ermordet worden war. Dieter Gräbner und Stefan Weszkalnys glauben – wie beispielsweise auch bereits Saul Friedländer („Kurt Gerstein oder die Zwiespältigkeit des Guten“) –, dass dieser Tod für Kurt Gerstein der Auslöser für Nachforschungen über die Vernichtungsmaschinerie des NS-Regimes war. Um das „Lager der Mörder“ ausspionieren zu können, habe er sich zur Waffen-SS gemeldet, meinen sie. Kurt Gerstein lud auch beispielsweise im September 1944 den katholischen Geistlichen der Hinrichtungsstätte Berlin-Plötzensee ein und ließ ihn schildern, wie ein Jahr zuvor 186 politische Gefangene erhängt worden waren. Sein Ziel sei es gewesen, die Kirchen und die Alliierten über die Verbrechen der Nationalsozialisten aufzuklären, schreiben Dieter Gräbner und Stefan Weszkalnys in „Der ungehörte Zeuge“. Britische und amerikanische Flugzeuge sollten Informationsschriften statt Bomben abwerfen. Davon hätte sich Kurt Gerstein ein Abrücken der Deutschen von den Massenmördern versprochen. Nachdem er sich am 22. April 1945 dem französischen Kommandanten in Reutlingen gestellt hatte und in Rottweil interniert worden war, schrieb er für die westlichen Alliierten einen Bericht über das, was er in Vernichtungslagern wie Belzec gesehen hatte.
In „Der ungehörte Zeuge“ geht es auch um die Kirche und die Alliierten. Dieter Gräbner und Stefan Weszkalnys sind überzeugt, dass Deutschlands Kriegsgegner bereits vor der Befreiung der ersten Vernichtungslager von den Gräueln wussten. Das gilt auch für den Apostolischen Stuhl, dessen Schweigen Rolf Hochhuth in seinem Bühnenstück „Der Stellvertreter“ geißelt.
Am 7. April 1944 gelang es Rudolf Vrba (Walter Rosenberg, 1924 – 2006) und Alfred Wetzler (Josef Lanik, 1918 – 1988), aus Auschwitz-Birkenau zu fliehen. In der Slowakei diktierten die beiden einen detaillierten Bericht über das Vernichtungslager, mit dem sie vor allem die jüdische Gemeinde in Ungarn warnen wollten. Der Vrba-Wetzler-Bericht wurde in mehrere Sprachen übersetzt und verteilt. Rudolf Vrba und Alfred Wetzler wandten sich auch an den päpstlichen Nuntius in der Slowakei, aber Papst Pius XII. schwieg.
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2018
Textauszüge: © Conte Verlag
Kurt Gerstein (kurze Biografie)
Widerstand gegen den Nationalsozialismus