Marie Luise Kaschnitz : Das dicke Kind

Das dicke Kind
Erstveröffentlichung in: "Das dicke Kind" Scherpe Verlag, Krefeld 1951 Erzählungen ausgewählt von Ulla Hahn Bibliothek des 20. Jahrhunderts Hg.: Walter Jens und Marcel Reich-Ranicki Deutscher Bücherbund, Stuttgart / München, o. J.
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Im Winter hat die Ich-Erzählerin angefangen, Kindern aus der Nachbarschaft Bücher auszuleihen. Eines Tages taucht ein dickes, etwa zwölf Jahre altes Mädchen bei ihr auf, das ihr irgendwie bekannt vorkommt. Es ist ihr unsympathisch, aber sie folgt dem dicken Kind, als es zum Schlittschuhlaufen geht.
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Kritik

In der Erzählung "Das dicke Kind" erinnert Marie Luise Kaschnitz sich an ihre eigene Kindheit, in der sie ihre beiden Schwestern beneidete. Es ist eine seltsame Geschichte voller Angst, Widerwillen und Selbstaggression.
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Im Winter hat die Ich-Erzählerin angefangen, Kindern aus der Nachbarschaft Bücher auszuleihen. Eines Tages taucht ein dickes, etwa zwölf Jahre altes Mädchen bei ihr auf, das ihr irgendwie bekannt vorkommt. Das Kind, das Schlittschuhe dabei hat, ist nicht besonders gesprächig und interessiert sich weniger für Bücher als für die belegten Brote, die sich die Erzählerin gerade in der Küche hergerichtet hat. Das dicke Kind frisst wie eine Raupe, langsam und stetig, wie aus einem inneren Zwang heraus. Die Erzählerin beobachtet es.

Ja, gewiss, ich habe dieses Kind von Anfang an gehasst. Alles an ihm hat mich abgestoßen, seine trägen Glieder, sein hübsches, fettes Gesicht, seine Art zu sprechen, die zugleich schläfrig und anmaßend war.

Nachdem das dicke Kind sich verabschiedet hat, schlüpft die Erzählerin in einen Mantel und eilt ihm nach. Sie folgt dem dicken Kind durch die Straßen, hinaus aus der Stadt, zu einem zugefrorenen Waldsee, auf dem „eine leichte, helle Gestalt“ auf Schlittschuhen Kreise zieht – offenbar die Schwester des dicken Kindes. Tauwetter kündigt sich an. Die Erzählerin ist sich der Gefahr bewusst, in der sich die beiden Mädchen befinden, aber sie unternimmt nichts, sondern sieht nur zu und beobachtet, wie das dicke Kind einbricht. Der See ist in mehreren Schichten gefroren, und das Mädchen wird von der zweiten Schicht einen Meter unter der Oberfläche aufgefangen. Es gelingt ihm, den Bootssteg zu erreichen und sich daran hochzuziehen. Die Erzählerin beugt sich über das Geländer und glaubt, in ihr Spiegelbild zu sehen.

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In der Erzählung „Das dicke Kind“ erinnert Marie Luise Kaschnitz sich an ihre eigene Kindheit. Es ist eine seltsame Geschichte voller Angst, Widerwillen und Selbstaggression.

Marie Luise von Holzing-Berstett wurde am 31. Januar 1901 als Tochter eines Offiziers in Karlsruhe geboren. Im Alter von dreiundzwanzig Jahren fing sie in Rom als Buchhändlerin zu arbeiten an und lernte dort den zehn Jahre älteren österreichischen Archäologen Guido Freiherr von Kaschnitz-Weinberg kennen. Sie heirateten im Jahr darauf. Ihre einzige Tochter kam 1928 zur Welt. Als ihr Mann 1958 nach zweijähriger Krankheit an einem Gehirntumor starb, fiel es Marie Luise Kaschnitz schwer, über den Verlust hinwegzukommen.

Seit Ende der Zwanzigerjahre schrieb sie Lyrik und Prosa. 1955 erhielt Marie Luise Kaschnitz den Georg-Büchner-Preis und zwölf Jahre später den Orden Pour le Mérite, um nur zwei ihrer Auszeichnungen zu erwähnen.

Marie Luise Kaschnitz starb am 10. Oktober 1974, während eines Besuchs bei ihrer Tochter Iris Constanza in Rom.

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2003
Textauszüge: © Scherpe Verlag

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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon zehn Tage und mehr, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte, und die Zeitspanne wird sich noch verlängern: Aus familiären Gründen werde ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik deutlich reduzieren.