Waldtraut Lewin : Federico

Federico
Federico Originalausgabe: Berlin 1984 Taschenbuch: dtv, München 1994 5. Auflage: München 2006 ISBN 3-423-20880-5, 697 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Der 1194 in Apulien geborene Sohn eines Staufers und einer Normannin wuchs in Palermo auf, wo sich arabische und abendländische Einflüsse vermengten. Mit seiner multikulturellen Hofhaltung und seinem Wissensdurst sprengte Kaiser Friedrich II. die im Hochmittelalter geltenden Normen.
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Kritik

Der Aufbau des Romans "Federico" wirkt literarisch überambitioniert. Ein pathetischer und mystischer Gestus überdeckt denn auch die farbigen, kraftvoll geschilderten Szenen.
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1197 stirbt Friedrichs Vater, der Stauferkaiser Heinrich VI.

Die Königin Konstanze hat erfahren, dass ihr Gemahl, Heinrich VI. von Hohenstaufen, gestorben ist, der Sohn des Barbarossa, des Barbaren, des Deutschen, des Insurgenten, des Erbfeindes, elendiglich verreckt an Malaria und Ruhr, verkrümmt inmitten von Erbrochenem und Gestank zwischen den Decken seiner Schiffskajüte, da er ins Heilige Land wollte, zum Kreuzzug gegen die Ungläubigen. (Seite 49)

Nach dem Tod ihres verhassten Ehemanns übernimmt Konstanze die Regentschaft für ihren dreijährigen Sohn, um den sie sich bisher wenig gekümmert hat. Sie lässt ihn aus Foligno holen und am Pfingstsonntag 1198 in der Kathedrale von Palermo zum sizilianischen König krönen. Einen Monat vor seinem vierten Geburtstag verliert Federico auch seine Mutter. Papst Innozenz III. übernimmt die Vormund- und Regentschaft – aber gegen die Anarchie in Sizilien kann er wenig ausrichten, und der Waisenknabe bleibt sich zumeist selbst überlassen.

Niemand sagt einem, dass das Feuer heiß ist. Wenn man sich verbrannt hat, dann hat man begriffen. (Seite 47)

Waldtraut Lewin schildert, wie er einmal aus dem Fenster springt, um es einem Vogel nachzumachen und zu fliegen. Glücklicherweise bremst ein Gestrüpp seinen Sturz ab und er verletzt sich nicht ernsthaft.

Der gekrönte Herrscher Siziliens riecht mal nach Fisch, weil er beim Entladen der Boote geholfen hat, und mal nach Ziege, weil er einem Hirten die Herde mit ausgetrieben hat, mal sind seine Hosen voller Teerflecke, weil er bei griechischen Seeleuten das Dichtmachen eines Schiffs nebst einer Handvoll neuer Flüche erlernt hat, und mal hat er die sowieso stets dreckigen Finger voll Splitter, weil er einem Schreiner zur Hand gegangen ist – alles gegen ein Abendessen oder einen Ziegenkäse oder einen Fetzen gebratenes Fleisch, versteht sich. (Seite 104)

Die vermögenden Bürger von Palermo beschließen, dem rex Sicaniae, dux Apuliae und princeps Capuensis reihum Kost und Logis zu bieten, aber die Christen machen sich Sorgen, weil er sich mit arabischen Kindern herumtreibt, regelmäßig beim Betreten oder Verlassen der Kasbah gesehen wird und sich häufig mit Ridwân ibn Shurai trifft, dem Kadi der Al-Aksah-Moschee. Wird Federico etwa zum Islam übertreten?

Papst Innozenz III. ordnet an, dass sein Mündel die elf Jahre ältere Witwe des ungarischen Königs heiratet: Konstanze von Aragon. In der Hochzeitsnacht stellt die gebildete und vornehm erzogene Königin überrascht fest, dass der vierzehnjährige Rüpel Federico zwar den Gossenjargon von Palermo benutzt und sie als „un bel pezzo di carne“ (ein schönes Stück Fleisch) betrachtet, aber beim Liebesspiel zärtlich, fantasievoll und aufmerksam ist, wie er es von arabischen Huren und Tänzerinnen gelernt hat.

Konstanze begreift: Die körperliche Vereinigung ist bei ihm ein Vergnügen unter vielen, etwas wie Essen, Jagen, Lesen, Singen, aber kein Weg zu menschlicher Nähe. (Seite 153)

Bald schätzt Federico den klugen Rat seiner Frau auch in politischen Angelegenheiten, und er holt sie wie Imam Shurai und Berardo von Castacca, den Bischof von Bari und Palermo, in den Kronrat.

Eine Delegation aus Germanien, die Anfang Januar 1212 nach Sizilien kommt, um Federico mitzuteilen, dass der Welfenkaiser Otto IV. abgesetzt wurde und die deutschen Fürsten den Stauferkönig zum Nachfolger gewählt haben, glaubt bei der Ankunft in Palermo, bereits im Morgenland zu sein.

Sie sind vom Hafen her durch die Palmengärten des Parks Gennoard gekommen, vorbei an der lärmerfüllten Vucciria, wo Händler fast alles feilhalten, was es auf Erden gibt, durch die Straßenschluchten, wo an den Ecken Schlangenbeschwörer und Geschichtenerzähler hocken, vorbei an tief verschleierten Frauen und wild gestikulierenden, von Kopf bis Fuß mit Amuletten behangenen Maultiertreibern, an Kirchen, die mit blassroten, bienenkorbähnlichen Kuppeln gekrönt sind, verschreckt vom plötzlich aufgellenden Ruf des Muezzins vom Turm einer Moschee […] (Seite 242)

Im Palazzo dei Normanni treffen die Gesandten auf prachtvoll gekleidete Sarazenen und christliche Kirchenfürsten.

Federico setzt Konstanze als Regentin in Sizilien ein und zieht nach Norden, um seine Herrschaft in Deutschland und im Römischen Reich anzutreten.

In den folgenden Wochen erfahren die Germanienreisenden auf mannigfaltige Weise, dass Gefahren zwar umsonst sind, dass aber, als künftiger Kaiser der Römer unterwegs zu sein, Unsummen verschlingt. Das genuesische Schiff, das im Hafen von Ostia gechartert wird, nimmt die illustre Gesellschaft gern an Bord, doch erst die Bürgschaft des Alaman da Costa, als eines Landsmannes und der Seefahrt Kundigen, bringt den Capitano dazu, auf sofortige Bezahlung seiner Dienste zu verzichten. In der Tat werden die Kosten für diese Überfahrt dann von den freundlichen Bürgern Pavias übernommen. (Seite 260f)

Am 25. Juli 1215 wird Friedrich II. in Aachen feierlich gekrönt. Als Konstanze im Herbst des folgenden Jahres mit dem fünfjährigen Sohn Heinrich nachkommt, trifft sie auf Alayta, die Mätresse ihres Mannes, die ihm inzwischen bereits zwei Kinder geboren hat: Caterina und Enzio. Konstanze ist klug genug, sich vor Eifersuchtsszenen zu hüten.

Konstanze stirbt im Juni 1222 nach schwerer Krankheit.

Im folgenden Frühjahr wird Kaiser Friedrichs Eheschließung mit Jolanta Isabella von Brienne beschlossen, der Erbin des 1099 von den Kreuzfahrern gegründeten Königreichs Jerusalem. Mit einer kleinen Flotte lässt der Kaiser seine gerade erst geschlechtsreif gewordene Braut im Herbst 1225 von Akkon nach Brindisi holen und vermählt sich im November mit dem verschüchterten Kind. In der Hochzeitsnacht muss Ridwân ibn Shurai die vor Angst starre und dann schreiende Braut festhalten, während Federico sie brutal defloriert.

Nicht Jolanta Isabella, sondern ihre Cousine Anais d’Antiochia, deren Ehemann zu Verhandlungen nach Limassol geschickt wurde, empfängt als Nächste ein Kind des Kaisers: Federico d’Antiochia. Jolanta Isabella stirbt 1228 bei der Geburt ihres Sohnes Konrad im Alter von siebzehn Jahren.

Als Federico seinen geplanten Kreuzzug im Herbst 1227 wegen des Ausbruchs einer Seuche abbricht, verhängt Papst Gregor IX. einen Bannfluch gegen ihn. Dem exkommunizierten Kaiser gelingt es im Frühjahr 1229 durch ein Abkommen mit Sultan Malik al-Kâmil, das Königreich Jerusalem ohne Blutvergießen zu übernehmen.

Während Federico das sizilianische Königreich einer machtvollen Zentralgewalt unterwirft, erstarken nördlich der Alpen die Fürsten. Aufs Höchste alarmiert zieht der Kaiser im September 1231 ohne Heer, aber mit einem ebenso prächtigen wie exotischen Gefolge nach Ravenna, um dort einen Reichstag abzuhalten, aber es bleibt ihm nichts anderes übrig, als die neuen Privilegien der Fürsten zu bestätigen. Sogar sein Sohn, König Heinrich VII., erhebt sich gegen ihn. Im Frühjahr 1235 zieht Federico deshalb noch einmal nach Norden, setzt Heinrich ab und verurteilt ihn zu lebenslanger Gefangenschaft.

Als der Einunddreißigjährige von seinen Bewachern im Februar 1242 von einer Burg zur anderen gebracht werden soll, stürzt er mit seinem Pferd von einem steilen Bergpfad in Kalabrien ab und stirbt. Truda redet in der Unterwelt mit Heinrich VII.

„Heinrich, weißt du, wo du bist?“
Er hob wieder die Hand zum Kopf, lächelte. „Ja, ich bin tot. Dies ist der Weg von Rocca San Felice nach Nicastro, wo ich vom Pferd stürzte. Aber das macht nichts. Ich war schon lange vorher tot. Lange, lange vorher.“
„Wann starbst du, König Heinrich?“
„An dem Tag, als ich vor dem Divus Augustus, der zufällig mein Vater ist, an der Erde lag, und er hob mich nicht auf. Da starb ich. Oder nein, früher. In Cividale, als ich all das zusagte, was ich sowieso nicht halten wollte, nicht halten konnte. (Seite 517)

In diesen Jahren ist Bianca Lancia die große Liebe des Kaisers. Auch sie muss damit leben, dass Federico trotz seiner starken Gefühle für sie auch mit seinen anderen Geliebten verkehrt und sich dabei auch gar nichts denkt. Sogar mit ihren Schwestern Giuditta und Isotta ertappt sie ihn. Als sie sich ihm zu entziehen versucht, vergewaltigt er sie.

In der Tat war sie häufig noch länger wach als er, und, aufgestützt auf den Ellenbogen, besah sie im blauen Licht der Nachtlampe ihren Geliebten, die Falten um Augen, Mund und Stirn, das von ersten weißen Fäden durchzogene Haar, schon ein bisschen schütter, den starken Hals, den muskulösen Körper. Sein schönes blondes Geschlecht erschien ihr, wenn es schlief, wie eine Blume, und mit der zärtlichen Heiterkeit einer Mutter, die ihr Kind wiegt, murmelte sie Federico zu: „Schlaf, mein normannischer Leopard, so ist’s recht, wach nur nicht auf …“
Umgekehrt jedoch geschah es, dass er morgens vor ihr die Augen öffnete. Meist lag sie dann, bedeckt von ihren Haaren, an seiner Schulter oder in die Grube am Hals geschmiegt, und ihr leiser gleichmäßiger Atem schien ihn mit einer Wärme zu durchglühen, ungleich den Ätnaausbrüchen ihrer Leidenschaft, stetiger, tiefer, bis ins Innerste vordringend. Wenn dann seine Männlichkeit erwachte als ein Tier, das es gewohnt war, auf die Weide geführt zu werden, versagte er seiner Hand doch, zwischen die Schenkel der Frau zu fahren, sondern er lag still und sah zur Decke, lauschend auf diesen Atem dicht neben ihm, dunkle liebe Frau, die „in se congiunge sole e luna“. Und so, zwischen Verlangen und Entsagen, schien es ihm, als verstünde er plötzlich Dinge, über die er sonst hinwegsah oder die er belächelte; und das morgendliche Zimmer schien pulsierend zu schweben im Rhythmus des Atems der Geliebten …
Damals sah er, dass zwischen Begehren und Zugreifen noch vieles liegt, was die Liebe ausmacht: das Warten, das Bitten, das Opfer. Sehr vieles aber blieb unbegriffen. (Seite 475f)

Bianca bringt einen Sohn Federicos und zwei Töchter zur Welt: Manfred, Konstanze und Violanta.

Als der zweifach verwitwete Kaiser sich erneut zu verheiraten beabsichtigt, versucht er seiner Geliebten klarzumachen, dass dieser politische Schritt nichts mit ihrem Verhältnis zu tun hat, aber Bianca findet sich nur schwer damit ab, und als sie davonzulaufen versucht, wird sie als Gefangene vor den Kaiser gezerrt.

Am 15. Juli 1235 feiert der vierzig Jahre alte Kaiser in Mainz Hochzeit mit Isabella, der einundzwanzigjährigen Schwester des englischen Königs Heinrich III. 1237 wird sie von der Tochter Margarethe entbunden und im Jahr darauf von dem Sohn Carlotto.

Als Federico herausfindet, dass ihn sein Freund Petrus de Vinea, der in einer beispiellosen Karriere zum Leiter der kaiserlichen Kanzlei aufstieg, betrog, lässt er ihn blenden und einsperren. Petrus de Vinea nimmt sich daraufhin das Leben, indem er sich an der Kerkerwand den Kopf einrennt.

Truda redet mit ihm in der Unterwelt.

[Petrus de Vinea:] „Es bedurfte großer Geduld und schrittweisen Vorgehens, um den Imperator mit seiner neuen Rolle vertraut zu machen. Erhabenes, Getragenes lagen diesem blitzschnell Zufahrenden, geistig und leiblich Agilen, Unbeherrschten und Spöttischen sehr wenig. Zum Glück war er von seiner eigenen Größe so überzeugt, dass er sich schließlich auch einreden ließ, dies sei das gebührende Gewand dafür.“
Ich sehe Pietro von der Seite an, sein Ton ist hämisch, aber nicht wegwerfend. „Und du? Warst du auch von seiner Größe überzeugt?“
Er seufzt. „Truda, ich war es. Der Unterschied zwischen uns war, dass ich auch von meiner eigenen Größe überzeugt war, vielmehr davon, dass er mir allerhöchstens ebenbürtig war. Ich glaube, manchmal ahnte er es. Aber so etwas kompensierte er mit größtem Geschick.“ (Seite 592)

Bei einem Jagdausflug Ende November 1250 erkrankt der Kaiser an Ruhr und wird in das nächstgelegene Castel Fiorentino bei Lucera gebracht. Anfang Dezember bessert sich sein Befinden, aber am 13. Dezember – knapp zwei Wochen vor seinem sechsundfünfzigsten Geburtstag – stirbt er in der Kutte des Zisterzienser-Ordens.

Truda hätte zu gern mehr über den widersprüchigen Charakter des unergründlichen Stauferkaisers gewusst, doch als sie ihn in der Unterwelt fragt: „Wer bist du?“, antwortet er: „Ich bin, der ich bin.“ (Seite 689)

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„Federico“ ist „ein Roman über Friedrich II. und seine Zeit“ (so der Untertitel). Eine rothaarige Frau namens Truda, die Federico 1212 bei seinem Zug von Palermo nach Aachen über die Alpen führte und als Botin in seine Dienste trat, steigt nach dem Tod des letzten Stauferkaisers in die Unterwelt hinab und lässt sich von Ridwân ibn Shurai, Petrus de Vinea, König Heinrich, Bianca la Bruna und Violante von Caserta aus dem Leben Friedrichs II. berichten, bevor sie ihm zum Schluss noch einmal selbst begegnet.

Der Aufbau des Buches aus einem Prolog, zweisprachig überschriebenen Kapiteln („Liber I. De falconis educatione. Erstes Buch. Falkenzucht“), „Intermezzi“, „Botschaften“ und „Offenbarungen“ wirkt literarisch überambitioniert. Auch die Sprache von Waldtraut Lewin ist nicht frei von schwülstigen Formulierungen und missglückten Metaphern. Ein pathetischer und mystischer Gestus überdeckt denn auch die farbigen, kraftvoll geschilderten Szenen, in denen die Charaktere lebendig werden könnten.

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2006
Textauszüge: © dtv

Kaiser Friedrich II. (Kurzbiografie)

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