Venus im Pelz
Venus im Pelz
Inhaltsangabe
Kritik
Der Autor und Theaterregisseur Thomas (Mathieu Amalric) hat die Novelle „Venus im Pelz“ von Leopold von Sacher-Masoch aus dem Jahre 1870 für die Bühne adaptiert und will das Stück nun selbst in einem kleinen Pariser Theater inszenieren. Den ganzen Tag über sprachen Frauen vor, die sich für die weibliche Hauptrolle bewarben, aber es war keine darunter, die Thomas‘ Ansprüchen genügte. Die anderen Theaterleute sind bereits gegangen, auch Thomas hat seine Sachen gepackt, als eine verspätete Bewerberin hereinstürmt. Sie ist klatschnass, denn ein Gewitter tobt.
Mit einem Wortschwall überfällt die augenscheinlich ungebildete, ordinäre und überdrehte junge Frau den Regisseur. Dass sie das komplette Skript bei sich hat, verblüfft ihn, aber er hat keine Lust, sich noch ein Vorsprechen anzuhören. Sie heiße Wanda (Emmanuelle Seigner), behauptet sie, genau wie die Frau im Stück. Thomas‘ Adaptation habe sie in der Metro überflogen. Von Leopold von Sacher-Masoch scheint sie noch nie etwas gehört zu haben. Das Buch sei „irgendwann im Mittelalter geschrieben, achtzehnhundertirgendwas“, meint sie. Immerhin hat sie sogar ein Kleid aus der damaligen Zeit mitgebracht, das sie sich für das Vorsprechen auf dem Trödelmarkt kaufte.
Aus dem Handy des Regisseurs ertönt Richard Wagners „Walkürenritt“: Seine Verlobte Marie-Cécile fragt, wo er sei und wann er endlich nach Hause komme. Er befinde sich noch im Theater, werde sich jedoch in ein paar Minuten auf den Weg machen, antwortet er. Aber da hat Wanda bereits das Kleid angezogen und fordert ihn auf, es am Rücken zu schließen. Statt eines Pelzes legt sie einen Schal um. Missmutig erklärt Thomas sich damit einverstanden, sie die ersten drei Seiten sprechen zu lassen und den Text der männlichen Hauptfigur in Ermangelung eines Statisten selbst vorzulesen. Wanda richtet erst einmal die Bühnenbeleuchtung so, wie sie sich das wünscht und findet sich dabei mühelos am Einstellpult zurecht.
In dem Augenblick, in dem sie den Kaugummi aus dem Mund nimmt und den Rollentext zu sprechen beginnt, ist sie eine Andere. Thomas registriert verwundert, dass sie plötzlich wie die reiche Witwe Wanda von Dunajew wirkt. Den angeblich nur diagonal gelesenen Text beherrscht sie mühelos. Mehrmals fordert sie den eigentlich nur als Stichwortgeber fungierenden Regisseur auf, sich mehr Mühe zu geben, den jungen masochistischen Aristokraten Severin von Kusiemski zu spielen.
Thomas ist fasziniert. Er glaubt, seine Idealbesetzung gefunden zu haben, und als Wanda aufhört, bittet er sie weiterzumachen.
Bald stellt sich heraus, dass Wanda auch Leopold von Sacher-Masochs Novelle „Venus im Pelz“ gelesen hat. Offenbar ist sie nicht so ungebildet, wie sie sich gibt. Sie weiß, was Thomas in Interviews sagte und kennt seine Verlobte. Sie habe Marie-Cécile nach dem Duschen im Umkleideraum eines Sportzentrums kennengelernt, sagt sie. Und weil sie sich als Privatdetektivin ausgab, beauftragte Marie-Cécile sie mit Nachforschungen über den Verlobten. Thomas glaubt das zwar nicht, aber Wanda weiß jedenfalls viel über ihn. Nachdem Marie-Cécile zum wiederholten Mal angerufen hat, schildert Wanda hämisch, wie sie sich einen Fernsehabend des Paares vorstellt.
Als sie Thomas autobiografische Bezüge in seiner Adaptation unterstellt, wird er wütend und beschimpft Wanda. Daraufhin rafft sie ihre Sachen zusammen und geht zur Tür. Der Regisseur hält sie zurück und fleht sie an, weiterzuspielen. Noch im Zuschauerraum schlüpft Wanda wieder in die Rolle, verlangt von ihrem Partner, dass er einen Vertrag für eine einjährige Probezeit als ihr Sklave unterschreibt. Statt des Sklavennamens Gregor, den Severin von Kusiemski im Stück bekommt, verwendet Wanda nun den Namen Thomas. Sie hat eine Dienerjacke mitgebracht, die er nun anzieht. Außerdem nimmt sie ihr Hundehalsband ab und legt es ihm an.
Der Regisseur, der eigentlich das Sagen hat, spielt den unterwürfigen Sklaven und befolgt Wandas herrische Anweisungen. Zu seinem Text gehört auch der Satz: „Es gibt nichts Sinnlicheres als den Schmerz und nichts, was erregender ist als die Demütigung.“ Allmählich ist es gleichgültig, ob Wanda die Rolle der vermögenden Witwe oder die der vulgären jungen Frau spielt, sie unterwirft den Regisseur Thomas und den Sklaven Thomas gleichermaßen. Auf ihr Geheiß hin ruft er seine Verlobte an und sagt, er komme diese Nacht nicht nach Hause. Marie-Cécile fragt nach dem Grund, aber Wanda packt das Handy, schaltet es aus und wirft es in eine Ecke.
Sie bringt Thomas dazu, die Bühnenrollen zu tauschen: Er spielt nun Wanda, sie den Sklaven. Aber selbst in dieser Konstellation behält sie die Situation unter Kontrolle. Er zieht ihre hochhackigen Schuhe an und lässt sich Lippenstift auftragen. Schließlich führt sie den Regisseur zu einem meterhohen Bühnenkaktus, der zu den Kulissen einer Western-Aufführung gehört und bindet ihn dort wie an einem Marterpfahl an.
Das Stück sei sexistisch und erniedrigend, schimpft sie. Da werde zwar eine Frau dargestellt, die einen Mann unterwirft, aber dies entspringe wiederum nur der perversen Fantasie eines Mannes und sei deshalb einem Missbrauch gleichzusetzen. Ein Macho, der sich eine dominante Frau vorstellt, bleibe ein Macho.
Während Thomas hilflos an den Bühnenkaktus gefesselt ist und mit Lippenstift und Stöckelschuhen lächerlich aussieht, schaltet Wanda die Scheinwerfer aus. Im Halbdunkel kommt sie wieder auf ihn zu. Bis auf den als Pelzersatz dienenden Schal ist sie nun nackt. Sie tanzt lasziv als Bacchantin und deklamiert einen Abschnitt aus dem Drama „Die Bakchen“ von Euripides. Dann verschwindet sie.
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)Leopold von Sacher-Masoch veröffentlichte 1870 die Novelle „Venus im Pelz“. Sie gehört zu dem unvollendeten Novellenzyklus „Das Vermächtnis Kains“. Severin von Kusiemski gibt einem Freund, der von einer im christlichen Norden frierenden und sich deshalb in einen Pelz hüllenden Venus geträumt hat, ein Manuskript zu lesen. Darin schildert er, wie er in einem Bad in den Karpaten der schönen, jungen und reichen Witwe Wanda von Dunajew hörig wurde und sich zu ihrem Sklaven Gregor machen ließ. Erst als sie lachend zusah, wie ihr sadistischer griechischer Liebhaber Severin auspeitschte, wandte dieser sich von der despotischen Frau ab und kehrte auf das Gut seines Vaters zurück. In seinen Liebesbeziehungen ist er nun der Unterdrücker statt der Sklave. (In Bezug auf Leopold von Sacher-Masochs Novelle führte Richard von Krafft-Ebing den Begriff Masochismus ein.)
„Venus im Pelz“ wurde bereits mehrfach verfilmt:
Venus im Pelz – Originaltitel: Venus in Furs – Regie: Joseph Marzano – Drehbuch: Barbara Ellen, Joseph Marzano nach der Novelle „Venus im Pelz“ von Leopold von Sacher-Masoch – Kamera: George Cirello – Schnitt: Joseph Marzano – Musik: Vito and the Vikings – Darsteller: Barbara Ellen, Shep Wild u.a. – 1967; 65 Minuten
Venus im Pelz – Originaltitel: Paroxismus – Regie: Jesús Franco Manera alias Jess Franco – Drehbuch: Milo G. Cuccia, Carlo Fadda, Jesús Franco, Bruno Leder, Malvin Wald nach der Novelle „Venus im Pelz“ von Leopold von Sacher-Masoch – Kamera: Angelo Lotti – Schnitt: Henry Batista, Michael Pozen, Nicholas Wentworth, Stanley Frazen– Musik: Mike Hugg, Manfred Mann, Stu Phillips – Darsteller: James Darren, Barbara McNair, Maria Rohm, Klaus Kinski, Margaret Lee, Dennis Price, Paul Müller, Jess Franco u.a. – 1969; 85 Minuten
Venus im Pelz – Originaltitel: Le malizie di Venere – Regie: Massimo Dallamano alias Max Dillman – Drehbuch: Inge Hilger und Fabio Massimo nach der Novelle „Venus im Pelz“ von Leopold von Sacher-Masoch – Kamera: Sergio D’Offizi – Schnitt: Hans Zeiler – Musik: Gianfranco Reverberi – Darsteller: Laura Antonelli, Régis Vallée u.a. – 1969; 80 Minuten
Venus im Pelz – Originaltitel: Venus in Furs – Regie: Victor Nieuwenhuijs und Maartje Seyferth – Drehbuch: Victor Nieuwenhuijs und Maartje Seyferth nach der Novelle „Venus im Pelz“ von Leopold von Sacher-Masoch – Kamera: Victor Nieuwenhuijs – Schnitt: Herbert van Drongelen, Maartje Seyferth – Darsteller: Anne van der Veen, André Arend van de Noord u.a. – 1994; 70 Minuten
Der amerikanische Dramatiker David Ives (* 1950) adaptierte die Novelle „Venus im Pelz“ von Leopold von Sacher-Masoch fürs Theater: „Venus in Fur“. Das von Walter Bobbie inszenierte Stück hatte im Januar 2010 mit Nina Arianda und Wes Bentley in den beiden einzigen Rollen Premiere und kam im Oktober 2011 mit Nina Arianda und Hugh Dancy als Darstellern auf den Broadway (Samuel J. Friedman Theatre).
Wenn nun Roman Polanski das Theaterstück – bei dem es sich bereits um eine Adaptation handelt – fürs Kino adaptiert, setzen Spiegelungen ein, zumal im Film „Venus im Pelz“ wiederum ein Autor die Novelle für die Bühne adaptiert. Aber damit befinden wir uns erst am Eingang des doppelbödigen Spiegelkabinetts, das Roman Polanski mit „Venus im Pelz“ geschaffen hat. Schein und Wirklichkeit sind hier schwer zu unterscheiden. Es ist ein Spiel im Spiel.
Eine anfangs ungebildet und vulgär wirkende junge Frau erweist sich Schritt für Schritt als belesene und hochintelligente Manipulatorin. Die Machtverhältnisse zwischen Regisseur und Schauspielerin kehrt sie um. Zunächst erreicht Wanda das, indem sie den Regisseur bittet, als Stichwortgeber die Rolle des Masochisten Severin von Kusiemski zu übernehmen, aber zunehmend verwischt sie in diesem Psychoduell die Grenzen zwischen dem Bühnengeschehen und der Wirklichkeit. Sie unterwirft, demaskiert und demütigt ihn gnadenlos.
Roman Polanski hat aus der Novelle „Venus im Pelz“ nicht ein Erotikdrama, sondern eine Komödie gemacht, und zwar eine außerordentlich witzige. Da sitzen jedes Wort und jede Pointe. Wie bereits in seinem Debütfilm „Das Messer im Wasser“ und zuletzt auch wieder in „Der Gott des Gemetzels“ konzentriert Roman Polanski sich in „Venus im Pelz“ auf die Dynamik zwischen nur wenigen Personen.
Zu Beginn fährt die Kamera über Pariser Boulevards auf ein kleines Theater zu, dessen Türen sich öffnen. Bis zum Ende bleiben wir darin. Dann bewegt sich die Kamera wieder zurück, die Türen schließen sich, und das Gebäude wirkt nun beinahe selbst wie eine Bühnenkulisse.
Die einzigen beiden Rollen werden von Emmanuelle Seigner und Mathieu Amalric hervorragend gespielt. Dass Emmanuelle Seigner (* 1966) seit 1989 mit Roman Polanski verheiratet ist und Mathieu Amalric (* 1965) dem Aussehen Roman Polanskis vor 40 Jahren ähnelt, ergänzt das Spiegelkabinett um eine weitere Attraktion. Bezüge zur Wirklichkeit funkeln auch im Text, beispielsweise wenn Wanda kommentiert: „Da geht es also um Kindesmisshandlung!“ und Roman Polanskis Ebenbild heftig widerspricht.
Zu erwähnen ist auch die kongeniale Filmmusik von Alexandre Desplat.
Die Premiere von „Venus im Pelz“ fand 2013 während der 66. Internationalen Filmfestspiele von Cannes statt.
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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2014
Roman Polanski (kurze Biografie / Filmografie)
Roman Polanski: Das Messer im Wasser
Roman Polanski: Tanz der Vampire
Roman Polanski: Rosemaries Baby
Roman Polanski: Macbeth
Roman Polanski: Was?
Roman Polanski: Chinatown
Roman Polanski: Der Mieter
Roman Polanski: Tess
Roman Polanski: Frantic
Roman Polanski: Bitter Moon
Roman Polanski: Der Tod und das Mädchen
Roman Polanski: Die neun Pforten
Roman Polanski: Der Pianist
Roman Polanski: Oliver Twist
Roman Polanski: Der Ghostwriter
Roman Polanski: Der Gott des Gemetzels