Robert Schneider : Schlafes Bruder
Inhaltsangabe
Kritik
Es ist die teils naturalistische, teils surrealistische Geschichte von Johannes Elias Alder, der zu Beginn des 19. Jahrhunderts in dem hoch gelegenen Bergdorf Eschberg aufwächst. Ein auktorialer Autor erzählt sie seinen Leserinnen und Leser – die er mitunter direkt anspricht – in einer betont altmodischen Sprache.
Als Agathe Alder 1803 von einem Jungen entbunden wird, nehmen alle im Dorf an, ihr Ehemann Seff sei der Vater. Sie ahnen nicht, dass der Kurat Elias Benzer das Kind gezeugt hat. (Der Geistliche begreift sich als „Vater seiner Christenkinder“ und muss dabei „den rein spirituellen Gehalt des Wortes Vater mit dem fleischlichen durcheinander gebracht haben“.)
Schon als Kleinkind wird Elias von den Dorfbewohnern gemieden. Einige Wochen bevor seine Cousine Elsbeth geboren wird, beginnt der Fünfjährige plötzlich die allen anderen Menschen verborgenen Klänge und Geräusche des Universums zu hören. So auch den Herzschlag Elsbeths, die zu seiner großen Liebe wird [Inzest]. Als er seine Gefühle für sie spontan auf der Kirchenorgel ausdrückt, ohne das Orgelspielen je gelernt zu haben, erhängt sich der dilletantische Organist Oskar Alder.
Elsbeths Bruder Peter ist mit Elias befreundet und fühlt sich von ihm – wir würden sagen: erotisch – angezogen. Aus Eifersucht drängt er seinen Freund, das Dorf zu verlassen und etwas aus seiner genialen musikalischen Begabung zu machen.
Elias zieht es vor, in Elsbeths Nähe zu bleiben, aber in seiner Abgehobenheit kann er das Dorfmädchen nicht so lieben, dass es ihn versteht. In seiner Verzweiflung über das Unglück dieser Liebe und die Unmöglichkeit, sich mit seiner außergewöhnlichen Begabung in die Gesellschaft zu integrieren, beschließt der 22-Jährige nach dem überwältigenden Erfolg bei einem Orgelfest in der nächsten Stadt, sich mit Tollkirschen wach zu halten, bis er qualvoll stirbt. „Erlösung aber ist die Erkenntnis der Sinnlosigkeit des Lebens.“
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„Die Beschreibung seines Lebens ist nichts als die traurige Aufzählung der Unterlassungen und Versäumnisse all derer, welche vielleicht das große Talent dieses Menschen erahnt haben, es aber aus Teilnahmslosigkeit, schlichter Dummheit, oder … aus purem Neid verkommen ließen“, schreibt Robert Schneider. „Es ist eine Anklage wider Gott, dem es in seiner Verschwenderlaune gefallen hatte, die so wertvolle Gabe der Musik ausgerechnet über ein Eschberger Bauernkind auszugießen, wo er doch hätte absehen müssen, dass es sich und seine Anlage in dieser musiknotständigen Gegend niemals würde nutzen und vollenden können. … Welch prachtvolle Menschen, Philosophen, Denker, Dichter, Bildner und Musiker muss die Welt verloren haben, nur weil es ihnen nicht gegönnt war, ihr genuines Handwerk zu erlernen. … Da trauerten wir um diese unbekannten, diese geborenen und doch zeitlebens ungeborenen Menschen. Johannes Elias Alder war einer von diesen.“
Jean-Baptiste Grenouille („Das Parfüm“) nimmt die Welt über einen ungewöhnlichen Geruchsinn wahr. Bei Elias Alder ist es das Gehör. Der eine ist ein genialer Parfümeur, der andere ein ungewöhnlicher Musiker. Aber es gibt noch einen zweiten entscheidenden Aspekt im Leben des Dorfjungen Elias, und wieder macht Robert Schneider einen grausamen Gott dafür verantwortlich: „Überdies gefiel es Gott, den Johannes Elias mit einer solchen Leidenschaft nach der Liebe auszustatten, dass davon sein Leben vor der Zeit verzehrt wurde.“
„Schlafes Bruder“: Ein aufwühlendes Thema und eine spannende Handlung in einer neuartig wirkenden archaischen Verkleidung. Ein atemberaubendes Buch. Ein genialer Wurf.
Der Titel stammt aus dem Choral einer Kantate von Johann Sebastian Bach: „“Komm, oh Tod, du Schlafes Bruder“. Da sind Musik, Tod und Schlaf miteinander verknüpft.
An 24 Verlage schickte der Vorarlberger Robert Schneider das eigens gebundene Manuskript seines Romans „Schlafes Bruder“. Nur der Lektor Thorsten Ahrend, der damals bei Reclam in Leipzig arbeitete, erkannte den Wert. Im Herbst 1992 erschien das Buch in einer Erstauflage von 3500 Exemplaren. Schon nach zwei Wochen musste nachgedruckt werden.
Joseph Vilsmaier verfilmte den Bestseller 1995: „Schlafes Bruder“.
Im April 1996 wurde die Oper „Schlafes Bruder“ in Zürich uraufgeführt (Musik: Herbert Willi, Libretto: Robert Schneider).
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2002
Textauszüge: © Reclam Verlag