Owen Sheers : I Saw a Man

I Saw a Man
Originalausgabe: I Saw a Man Faber & Faber, London 2015 I Saw a Man Übersetzung: Thomas Mohr Deutsche Verlags-Anstalt, München 2016 ISBN: 978-3-421-04669-7, 300 Seiten ISBN: 978-3-641-15429-5 (eBook)
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Die Journalistin Caroline Marshall kommt bei einem Drohnenangriff in Pakistan ums Leben. Daniel McCullen, der die Drohne von Nevada aus steuerte, wird dadurch ebenso aus der Bahn geworfen wie der Witwer Michael Turner. Caroline war zur falschen Zeit am falschen Ort – ebenso wie Michael einige Monate später. Ungewollt löst er ein schreckliches Ereignis aus, das ihn weiter traumatisiert und die Familie seiner neuen Freunde zerstört ...
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Kritik

Bei "I Saw a Man" handelt es sich um einen spannenden, intelligent aufgebauten Roman von Owen Sheers mit packenden Themen, gut ausgeleuchteten Charakteren und raffinierten Spiegelungen.
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Michael Turners erstes Buch – „BrotherHoods“ – war ein großer Erfolg. Damals wohnte er in New York. Fünf Jahre lang hatte er sich immer wieder mit Nico und Raoul getroffen, zwei aus der Dominika­nischen Republik stammenden Klein­kriminellen, und in dem Roman war er eng bei den Tatsachen geblieben, so wie er es als Volontär beim „Evening Standard“ gelernt hatte (Immersion Journalism). Als seine in Cornwall lebende, während seiner Zeit in den USA zur Witwe gewordene Mutter dann schwer erkrankte, kehrte er nach London zurück.

Hier begegnete er der Journalistin Caroline Marshall. Sie war in Kapstadt zur Welt gekommen, in Melbourne aufgewachsen und hatte in Boston studiert. Bald nachdem die beiden ein Paar geworden waren, kauften sie ein Landhaus in Coed y Bryn in Wales und richteten sich dort ein. Auf dem Land begann Michael, an einem Tatsachenroman über den umstrittenen Hirnchirurgen Oliver Blackwood zu arbeiten: „Der Mann, der den Spiegel zerbrach“.

Caroline erfuhr von drei 17 bis 18 Jahre alten Muslimen, die in einer Moschee in Bistrol für den Dschihad rekrutiert worden waren. Zwei von ihnen kehrten wieder zurück, aber der Dritte blieb nach einem Aufenthalt in einem Ausbildungslager im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet verschwunden. Über einen Onkel des Jungen stellte Sightline Productions, die Fernsehgesellschaft, für das Caroline arbeitete, einen Kontakt her, und die Terroristengruppe, der sich der Kämpfer angeschlossen hatte, signalisierte die Bereitschaft, Journalisten ihre Sichtweise zu erläutern. Diese Chance wollte Caroline sich nicht entgehen lassen: Sie flog für zwei Wochen nach Pakistan.

Aber die 34-Jährige kehrte nicht zurück. Caroline wurde von einer Rakete zerfetzt.

Major Daniel McCullen hatte sie abgefeuert.

Daniel McCullen gehörte seit dem Studium der US Air Force an. Nach seiner Eheschließung mit Cathy war er noch dreimal als Kampfpilot im Einsatz gewesen, zweimal in Afghanistan, einmal im Irak, aber dann hatte er sich auf Bitten seiner Frau zur Creech Air Force Base in Nevada versetzen lassen. Die Familie zog von Langley/Virginia nach Centennial Hills, einen Außenbezirk von Las Vegas. Statt Kampfjets steuerte Daniel Drohnen. Ohne seine Familie monatelang allein zu lassen, konnte der 38-Jährige weiter seinen Dienst tun. Manchmal kam ihm die Arbeit mit dem Joystick am Bildschirm zwar so vor, wie die Nachbildung der Realität in Las Vegas, aber Cathy brauchte nicht mehr um ihn zu bangen, und er konnte seine beiden Töchter Kayce und Sarah aufwachsen sehen.

Creech bildete nicht etwa den Gegenpol zum Geist der Stadt, sondern dessen Fortsetzung. In Las Vegas errichtete Amerika eine Attrappe der Welt, damit die Amerikaner sie nicht zu bereisen brauchten.

Daniel hielt das Abschießen einer Rakete von einer Drohne für direkter als das Ausklinken einer Bombe von einem Kampfflugzeug, denn als Pilot hatte er von der Detonation nicht einmal das Donnern mitbekommen, aber in Creech sah er auf dem Bildschirm die Explosion und deren Wirkung. Er erlebte mit, wie beispielsweise der 36-jährige Terroist Ahmed al-Saeed starb, den er zuvor monatelang über eine Drohne beobachtet hatte. Auch als zwei mit ihren Fahrrädern unerwartet am Zielort aufgetauchte Kinder von einer Rakete zerfetzt wurden, mussten Daniel und sein Senior Airman Maria Rodriguez das mit ansehen.

An der Verfolgung des Terroristen Hafiz Mehsud, der Nummer drei der Tehrik-i-Taliban Pakistan, waren außer den Militärs in Creech auch ein Nachrichtenkoordinator in Langley und zwei Luftbildauswerter auf der Eglin Air Base in Florida beteiligt, und das Geschehen wurde nicht nur von Predator beobachtet, die Daniel steuerte, sondern außerdem von einer unbewaffneten Global Hawk. Mehsuds Konvoi fuhr zu einem kleinen Haus auf einem Hochplateau, wo fast zur gleichen Zeit ein weiterer Konvoi eintraf. Daniel schoss die beiden Hellfires seiner Drohne ab.

Am nächsten Morgen wurden Daniel und Maria zum Kommandanten gerufen und dort nicht nur von Colonel Ellis, sondern auch von einem CIA-Agenten erwartet. Sie erfuhren, dass unter den Opfern die britische Journalistin Caroline Marshall und ihr Regisseur, ein schwedischer Kameramann, der Dolmetscher, der pakistanische Fahrer und ein 14-jähriger Junge waren. Weil Pakistan kein Land ist, mit dem sich das Vereinigte Königreich oder die USA befinden, hatte weder Sightline Production noch der Fixer die Militärs informiert, und das Team bewegte sich in nicht besonders gekennzeichneten Fahrzeugen.

Einen Monat später diagnostiziert ein Psychologe der Air Force eine post­trauma­tische Belastungsstörung bei Daniel, und er wird aus gesundheitlichen Gründen entlassen. Er beginnt schon tagsüber zu trinken. Als Cathy und Daniel sich nicht länger ertragen, packt er ein paar Sachen und fährt allein nach San Francisco. Er hofft, in einiger Zeit zu seiner Familie zurückkehren zu können.

Michael verkauft nach dem Tod seiner Frau das Cottage in Wales und zieht in eine Mietwohnung im Londoner Stadtteil Hampstead Heath. Dort freundet er sich mit dem Ehepaar Joshua („Josh“) und Samantha Nelson an, das mit den beiden sieben bzw. vier Jahre alten Töchtern Rachel und Lucy die Villa auf der anderen Seite der gemeinsamen Grünfläche bewohnt. Josh studierte Betriebswirtschaft und arbeitet als Broker für Lehman Brothers; er ist ein paar Jahre älter als Michael.

Samantha, die ein Jahr jünger als Michael ist, war acht, als ihre Eltern sich scheiden ließen. Sie besuchte ein Internat in Sussex, bis ihre Mutter einen Arzt in New York heiratete und sie mitnahm. Schließlich studierte Samantha Fotografie an der Parsons The New School for Design, teilte sich ein Zimmer mit zwei Kommilitoninnen und verlobte sich mit dem 31-jährigen Ryan McGinnis, einem Devisenhändler von JPMorgan, der nicht nur eine Wohnung auf der Upper East Side besaß, sondern auch ein großes Haus in Greenwich/Connecticut. Als Samantha erfuhr, dass er trotz des Heiratsantrags eine Affäre mit seiner Sekretärin weiterführte, reiste sie kurz entschlossen ab und kehrte nach London zurück, wo die 25-Jährige ein halbes Jahr später Josh kennenlernte. Vor fünf Jahren zog die Familie in das Haus in Hampstead Heath.

Als Josh vom Beruf des neuen Nachbars erfuhr, machte er ihn mit dem Verleger Tony Epplin bekannt, mit dem er aufs College gegangen war und der auch als Trauzeuge für ihn fungiert hatte. Tony ist der dritte Ehemann seiner zweiten Ehefrau Maddy.

Michael kennt die Nelsons nun seit sieben Monaten. Caroline ist noch kein Jahr lang tot. Über seinen Verlag in New York erhält einen Brief aus San Francisco, und zwar von Daniel McCullen, der ihm gesteht, er habe die Drohne gesteuert, mit der Caroline Marshall getötet wurde. Er bedaure das zu tiefst, beteuert er.

Am 7. Juni 2008 beendet Michael eine dreiviertel Stunde vor dem Beginn seines Fechtunterrichts seine Gartenarbeit auf der Grünfläche zwischen dem Mietshaus und der Villa der Nelsons. Um seinen Degen reparieren zu können, benötigt er den kleinen magnetischen Schraubenzieher, den er Josh vor zwei Tagen lieh, damit dieser eine Schraube an seiner Brille festziehen konnte. Michael weiß, dass Samantha das Wochenende mit ihrer Schwester Martha in einem Wellness-Hotel verbringt, aber Josh und die Mädchen scheinen auch nicht da zu sein, obwohl die Hintertür offensteht. Vergeblich ruft Michael nach Josh. Michael schlüpft aus den Schuhen, und weil auch seine Hände von der Gartenarbeit schmutzig sind, versucht er, nichts anzufassen, während er das Haus vorsichtig betritt.

Möglicherweise sind Einbrecher im Haus. Michael fühlt sich verpflichtet, nachzusehen und geht auch nach oben. Plötzlich ist ihm, als sehe er Caroline vor sich. Er glaubt zwar nicht an Gespenster, aber im Bad ist der Eindruck so heftig, dass er vor der Wanne auf die Knie sinkt.


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überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.


Da hört er ein Geräusch, und als er das Bad verlässt, sieht er Lucy. Die Vierjährige steht barfuß und im Schlafanzug auf der obersten Treppenstufe und starrt ihn erschrocken an. Unwillkürlich macht sie einen Schritt zurück – und verliert den Halt. Michael ist zu weit weg, um den Sturz verhindern zu können. Lucy bricht sich auf der Treppe das Genick.

Vier Jahre Erinnerungen, Ideen, Schmerzen, Lieblingsfarben, Lieblingsspielzeug waren dahin. Ein einzigartiges genetisches Muster war ausgelöscht worden.

Fieberhaft überlegt Michael, was er tun soll. Es handelt sich um einen Unfall, aber wie soll er unter diesen Umständen erklären, warum er im Obergeschoss des Hauses war? Lucys Tod ungeschehen machen kann er ohnehin nicht. Normalerweise geht er zu Fuß zur Fechtstunde. Diesmal nimmt er ein Taxi, trifft deshalb gerade noch pünktlich ein und tut so, als sei alles wie immer.

Detective Sergeant Slater vom Criminal Investigation Department leitet die Ermittlungen. Weil sie auch Michael befragt, kann dieser von da an vortäuschen, er habe erst durch sie von Lucys tödlichem Unfall erfahren. Während er beim Schreiben die Technik entwickelt hat, möglichst wenig zu erfinden, lebt er nun mit einer großen Lüge.

Das tut auch Josh. Während Samantha übers Wochenende weg war, Rachel eine Party bei einer Freundin besuchte und Lucy wegen einer Unpässlichkeit das Bett hütete, schlich er sich für eine knappe Stunde davon, um es heimlich mit Maddy zu treiben. In seiner Aussage der Polizistin gegenüber behauptete er jedoch, im Parterre gewesen zu sein und nichts gehört zu haben.

Ohne es zu ahnen, hatten die beiden [Josh und Michael] sich verschworen und ihre jeweilige Version der entscheidenden Minuten buchstäblich wahr gemacht. Josh war im Haus gewesen, Michael nicht.

Zwei Tage nachdem der Gerichtsmediziner ein Fremdverschulden ausgeschlossen hat, wird Lucy im engsten Familienkreis beerdigt. Michael bekommt seine Nachbarn wochenlang kaum noch zu Gesicht. Dabei hat er sich vorgenommen, ihnen beizustehen und dadurch seine Schuld abzutragen. Schließlich erfährt er von Samantha, dass Josh weggezogen ist.

„Ich bin mir nicht sicher“, sagte sie und sah ihm in die Augen. „Aber ich glaube, Josh hat eine Affäre.“
„Josh?“, sagte Michael.
„Mit Maddy.“

Von da an verbringt Michael wieder mehr Zeit mit Samantha und Rachel. Sieben Monate nach Lucys Sturz schließt er die Arbeit an seinem zweiten Buch ab: „Der Mann, der den Spiegel zerbrach“. Samantha fängt am Royal College of Art erneut zu studieren an und erhält die Gelegenheit, eine Auswahl ihrer Bilder in einer Galerie auszustellen.

Währenddessen verliert Josh wie viele seiner Kollegen am 16. September 2008 durch die Insolvenz von Lehman Brothers seine Anstellung.

Er grübelt über Lucys Tod nach. Wäre er zu Hause gewesen statt fremdzugehen, hätte er den Sturz vielleicht verhindern können. Aber vielleicht starb Lucy gar nicht allein, sondern wurde gestoßen. Detective Sergeant Slater bemerkte an mehreren Stellen im Haus Krümel aus Erde, und sie fragte Josh, ob er an dem Tag im Garten gewesen sei. Er sagte nein, aber inzwischen geht ihm nicht mehr aus dem Sinn, dass Michael oft im Garten arbeitete. Könnte Michael Lucy umgebracht haben? Aber er kann mit seinem Verdacht nicht zur Polizei gehen, ohne seinen Seitensprung und seine Falschaussage zu gestehen. Also muss er selbst nach Hinweisen suchen.

Josh gelingt es, unbemerkt an die Aufnahmen einer Überwachungskamera am Eingang der Turnhalle heranzukommen, in der Michael Fechtunterricht nimmt. Auf der Kassette vom 7. Juni sieht er, wie Michael pünktlich um 16 Uhr mit seiner Fechttasche zur Tür kommt. Er humpelt leicht. Vom gemeinsamen Joggen weiß Josh, dass Michael als Folge einer Kindheitsverletzung auf den ersten Metern stets mit Wadenkrämpfen im rechten Bein zu tun hatte, die sich erst durch das Laufen lösten. Die Bilder der Überwachungskamera lassen Josh vermuten, dass Michael am 7. Juni nicht wie üblich zu Fuß zum Training ging. Nahm er ein Taxi, weil er Lucy ermordete und die Zeit danach nicht mehr für einen Fußmarsch reichte? Sein Alibi ist auf jeden Fall widerlegt.

Michael passt Josh ab.

„Du warst in meinem Haus“, sagte Josh, ohne sich vom Fleck zu rühren. „An dem Tag. Du warst in meinem Haus.“

Michael weiß sofort, dass Leugnen keinen Sinn hat.

„Und du nicht“, sagte er.

Josh fragt:

„Warum? Mehr will ich gar nicht wissen. Warum hast du es getan, du mieses Arschloch?“

Michael beteuert, Lucy nicht angefasst zu haben, und als Josh sich einigermaßen beruhigt hat, berichtet er ihm, was am 7. Juni geschah. Josh verlangt von ihm, unverzüglich wegzuziehen und sich von Samantha und Rachel fernzuhalten. Andernfalls würde er zur Polizei gehen.

„[…] wenn du zurückkommst. Wenn du ihnen schreibst oder sie anrufst. Dann ja. Hundertprozentig. Ich schwör’s. Eher lasse ich uns beide auffliegen, als dass ich dich noch einmal in ihrer Nähe dulde.“

Michael zieht nach New York und fängt dort als Dozent zu arbeiten an. Das Manuskript von „Der Mann, der den Spiegel zerbrach“ zieht er unter einem Vorwand zurück. Er will keine Bücher mehr veröffentlichen. Aber er schreibt auf, was geschehen ist und setzt dem Text die Widmung „Für Samantha“ voran.

Was Caroline ihm in Coed y Bryn gesagt hatte, stimmte aufs Wort – die verschwiegene Wahrheit war wie ein riesiger, zugeschütteter Müllberg, unsichtbar und doch da, der langsam den Erdboden vergiftete. Weshalb Michael vor einem halben Jahr beschlossen hatte, nach einer Möglichkeit zu suchen, wie er zu seinem Wort stehen und zugleich die wahre Geschichte dieser verhängnisvollen Minuten im Haus der Nelsons erzählen konnte.
Und dazu brauchte er weiter nichts zu tun, als die schriftstellerische Technik, der er sich seit dem Beginn seiner Karriere bedient hatte, auf seine eigene Person anzuwenden: das Erlebte in Worte zu fassen und dann selbst aus der Geschichte zu verschwinden. Gleichwohl auf gänzlich andere Art und Weise als zuvor, nämlich indem er sich nicht aus ihr heraus-, sondern in sie hineinschrieb. Wenn er sich dazu zwang, jeden Tag und jede Nacht, völlig unabhängig davon, ob das, was er schrieb, jemals ans Licht der Öffentlichkeit gelangte, hatte das alles vielleicht irgendwann ein Ende.

Daniel McCullen, der inzwischen von der über 70 Jahre alten Besitzerin des West Valley Gästehaus und Pferdeheilzentrum bei San Francisco als Hilfskraft eingestellt wurde, wunderte sich, als er auf seinen Brief an Michael Turner eine Antwort erhielt, und noch mehr über den Inhalt, denn statt Vorwürfen, Anschuldigungen und Beschimpfungen gab es nur eine Liste von Fragen. Michael wollte mehr über ihn, seine Arbeit und vor allem den Tag erfahren, an dem seine Frau getötet wurde. Daniel beantwortete die Fragen und ging auch auf die zusätzlichen ein, die Michael in weiteren Briefen stellte. Aber nach mehr als einem Jahr beendet Daniel den Briefwechsel.

Mehr habe er Michael nicht zu sagen. Sie beide müssten nach vorne schauen, deshalb werde er ihm nicht mehr schreiben. In demselben Brief hatte er Michael mitgeteilt, er sei vor Kurzem wieder an die Ostküste gezogen; Cathy sei mit den Kindern nach Upstate New York zurückgekehrt, und er wolle in ihrer Nähe sein. Er hoffe, hatte er geschrieben, er könne eines Tages wieder mit ihnen unter einem Dach zusammenleben. Bis es so weit sei, habe er sich eine Blockhütte außerhalb von Hudson gemietet und arbeite für einen örtlichen Ökovertrieb.

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Den Titel seines Romans „I Saw a Man“ entnahm der Waliser Schriftsteller Owen Sheers (* 1974) dem Gedicht „Antigonish“ (1899) von Hughes Mearns, aus dem Harold Adamson und Bernie Hanighen 1939 den vom Glenn Miller Orchestra mit Tex Beneke aufgenommenen Song „The Little Man Who Wasn’t There“ machten. Owen Sheers zitiert die erste Strophe des Gedichts: „Yesterday, upon the stair, I saw a man who wasn’t there. […]“

I saw a man – das bezieht sich auf eine Schlüsselszene im Roman, die ein Leben beendet und einige andere Menschen aus der Bahn wirft. Selbst das „who wasn’t there“ ist in diesem Kontext bedeutsam.

Owen Sheers beginnt „I Saw a Man“ mit der erwähnten Szene: Ein Mann dringt in ein Haus ein, augenscheinlich in das von Freunden und ohne böse Absichten. Aber wir ahnen von Anfang an, dass sich dabei etwas Schreckliches ereignen wird. Bevor wir erfahren, was geschieht, müssen wir jedoch die Hälfte des Buches lesen, denn Owen Sheers spannt uns mit Rückblenden auf die Folter, in denen wir die Romanfiguren kennenlernen. Zwischendurch kehrt er immer wieder zur Schlüsselszene zurück. Diese geschickt eingesetzte Verzögerung sorgt für Suspense und hilft uns gleichzeitig, die Gedanken und Handlungsweisen der gründlich ausgeleuchteten Charaktere zu verstehen.

In „I Saw a Man“ sind vor allem die Lebenswege von drei Männern verknüpft, die sich auf verschiedene Weise schuldig machen: der Schriftsteller Michael Turner und der Broker Joshua Nelson, beide in London, dazu der Major Daniel McCullen, der von Nevada aus eine Drohne im Mittleren Osten steuert. Bei den Abschüssen von mutmaßlichen Terroristen kommt es immer wieder zu „Kollateralschäden“. Beispielsweise wird Michael Turners Ehefrau, die Journalistin Caroline Marshall durch eine Rakete getötet, nur weil sie zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort ist – wie der Witwer dann ein paar Monate später.

Das ist nur eine der raffinierten Spiegelungen in dem Roman „I Saw a Man“.

Ehe und Familie nehmen in „I Saw a Man“ einen zentralen Platz ein. Vor allem dreht sich Owen Sheers‘ Roman um die Frage, wie Menschen mit Lügen und Täuschung, Verlust und Trauer, Traumatisierung, Schuld und Verantwortung umgehen.

Fazit: Bei „I Saw a Man“ handelt es sich um einen spannenden, intelligent aufgebauten Roman mit packenden Themen und gut ausgeleuchteten Charakteren.

Den Roman „I Saw a Man“ von Owen Sheers gibt es auch als Hörbuch, gelesen von Devid Striesow (ISBN 978-3-8445-2159-7).

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2016
Textauszüge: ©

José Saramago - Das steinerne Floß
Wie kaum einem anderen Schriftsteller gelingt es Saramago, das Denken in Metaphern aufgehen zu lassen und Vieldeutiges in einprägsamen Bildern zu veranschaulichen. Seine Sprache ist nicht nur bilderreich, sondern auch barock verschnörkelt und orientalisch ausschweifend; sie klingt zumindest über weite Strecken wie ein vergnüglicher mündlicher Vortrag.
Das steinerne Floß

 

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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon zehn Tage und mehr, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte, und die Zeitspanne wird sich noch verlängern: Aus familiären Gründen werde ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik deutlich reduzieren.