Roger Smith : Mann am Boden
Inhaltsangabe
Kritik
Familie Turner und Grace Worthington
John und Tanya Turner wohnen mit ihrer elfjährigen Tochter Lucy in einer Villa mit großem Pool bei Tucson/Arizona. Auf dem Grundstück befindet sich auch John Turners Büro. Er verdient mit einer als „PoolShark“ bezeichneten automatischen Schwimmbecken-Reinigung viel Geld. Tanya Turner ist Mitte 45 und Juristin. Seit die Familie vor zehn Jahren aus Johannesburg in die USA kam, schläft das Ehepaar getrennt, und seit Tanyas Schwangerschaft waren sie auch nicht mehr miteinander im Bett.
Vor einiger Zeit stellte Turner eine Frau namens Grace Worthington aus Phoenix ein, die gerade eine schmerzhafte Trennung von ihrer gewalttätigen lesbischen Lebensgefährtin hinter sich hatte und ihn mit ihren üppigen Formen beeindruckte. Während einer Tagung der Association of Pool and Spa Professionals in Las Vegas wurden sie miteinander intim. Tanya hätte es nichts ausgemacht, wenn es sich um eine reine Sexaffäre gehandelt hätte, aber als die beiden sich augenscheinlich verlieben, verlangt sie von ihrem Mann, dass er Grace entlässt und den Kontakt mit ihr abbricht.
Turner fügt sich, überweist Grace sechs Monatsgehälter und erklärt ihr, dass sie eine Pause einlegen müssten.
Überfall
Noch am selben Tag werden John und Tanya Turner in ihrer Villa von drei mit Pistolen bewaffneten und maskierten Männern überfallen. Zum Glück ist Lucy nicht da, denn sie will bei einer Freundin übernachten. Die Einbrecher – der Anführer wird Shorty genannt, die beiden anderen hören auf die Namen Bone und Spack – schlagen das Ehepaar brutal zusammen. Weil Tanya trotz ihrer heftig blutenden Verletzung im Gesicht nicht kleinbeigibt, bricht Shorty ihr mit einer zugestoßenen Schublade die Finger.
Da taucht in der Einfahrt ein SUV auf. Lucy und Peter, der Vater ihrer Freundin, steigen aus. Das Kind sperrt die Tür auf und wird im Flur sofort von Shorty gepackt. Er presst ihr eine Hand auf den Mund und hält ihr eine Pistole an den Kopf. Peter, der das von draußen nicht sehen kann, erklärt John Turner, seine Schwiegermutter habe sich bei einem Sturz die Hüfte gebrochen. Seine Frau und die Kinder seien bereits auf dem Weg zum Flughafen, um nach Anchorage zu fliegen. Er werde ihnen am nächsten Tag folgen. Als Tanya um Hilfe ruft, zückt Peter sein Handy, aber Bone, der das Haus durch die Terrassentür verlassen hat, überrascht ihn von hinten und schneidet ihm die Kehle durch.
Nachdem die Leiche ins Haus gezogen worden ist, lässt Shorty sich von dem Unternehmer den Safe im Büro öffnen und nimmt die Banknotenbündel an sich.
Ein Mordauftrag?
Zurück im Haus, rammt Tanya ihm plötzlich eine Geflügelschere durchs linke Auge.
Spack reißt dem Toten die Maske herunter – und Tanya erstarrt: Sie kennt den Mann, denn sie hatte Christiaan („Chris“) Bekker vor zehn Jahren in Johannesburg schon einmal gesehen. Aufgrund der Zusammenhänge wirft sie ihrem Mann vor, den Verbrecher beauftragt zu haben, sie zu ermorden. Es sollte wohl wie ein Raubüberfall aussehen. Lukas Bone, der den Anführer unter dem Namen Short Henderson kannte, ahnte davon ebenso wenig wie sein debiler Lebensgefährte Spack. Turner leugnet zwar, aber niemand glaubt ihm.
Spack presst Turners linke Hand deshalb auf die Küchentheke, den Ringfinger ausgestreckt, die anderen Finger angewinkelt. Bone schaltet eine Kreissäge ein und bringt Tanya dazu, ihrem Mann den Finger abzutrennen. Danach wird Turner zum Herd gezerrt, wo ihm Spack den blutenden Stumpf zur Kauterisation auf das glühende Metall drückt.
Tanyas und Johns Herkunft
Tanya wuchs auf einer Zuckerrohrplantage nördlich der südafrikanischen Stadt Durban auf. Als die Zwanzigjährige nach einer Nacht mit einem Golftrainer, einer Zufallsbekanntschaft, nach Hause kam, stieß sie dort auf die zerstückelten Leichen ihrer Eltern. Ein am Tag zuvor von Tanyas Vater entlassener Zulu-Arbeiter hatte sie mit einer Machete niedergemetzelt.
John stammt aus einfacheren Verhältnissen. Seine Familie lebte zwischen Bergbauhalden und Buschland westlich von Johannesburg. Wenn sein Vater fort war, um sich zu betrinken und die Mutter sich mit Valium betäubte, fuhr der Junge mit dem Rad zu einem Autokino und schlich sich dort unbemerkt ein. Er war 12 Jahre alt, als er danach anstelle des Elternhauses nur noch einen riesigen Krater vorfand. Die Leichen seiner Mutter und seiner zweijährigen Schwester konnten nicht geborgen werden. Die Großeltern, die ihre Tochter verstoßen hatten, holten John zu sich in ihre Villa in Westcliff. Sechs Jahre später starben sie kurz nacheinander – und hinterließen ihm nichts als Schulden.
Turner in Not
In nüchternen Momenten, die immer seltener wurden, träumte John Turner von einer Karriere als Schriftsteller. Seinen Drogenkonsum finanzierte er als Dealer in Johannesburg. Als Mr Paul, sein aus Nigeria stammender Drogenbaron, ungeduldig wurde, weil Turner mit der Bezahlung der Ware seit längerem im Rückstand war, ließ er ihn von zwei Leibwächtern gewaltsam holen, ermordete vor seinen Augen einen gefesselten und geknebelten nackten Mann mit Hammerschlägen und setzte Turner nach dieser Demonstration eine Frist von einer Woche.
An einer Theke wurde Turner von einem ebenfalls weißen Polizisten kontaktiert, der ihn beharrlich mit „Engländer“ statt mit Namen ansprach. Chris Bekker vertraute John Turner an, dass er Südafrika verlassen und in die USA auswandern wolle. Er hatte bereits einen Plan, wie er sich das dafür benötigte Geld beschaffen wollte. Eine Woche zuvor war er nämlich zur Luxusvilla im Vorort Hyde Park gerufen worden. Der schwarze Hausherr – Bekker nennt ihn nur „Mohrenkopf“ – behauptete, Einbrecher hätten den wertvollen Schmuck seiner Frau gestohlen, aber der versuchte Versicherungsbetrug flog rasch auf. Der „Mohrenkopf“, der in finanziellen Schwierigkeiten steckte, einigte sich schließlich mit Bekker auf ein anderes Vorhaben: die Entführung seiner vierzehnjährigen Stieftochter und die Erpressung ihres leiblichen Vaters. Weil Bekker den Coup nicht allein durchziehen konnte und durch seine Kontakte wusste, in welcher Lage sich Turner befand, schlug er ihm vor, dabei mitzumachen. Seine Aufgabe würde es sein, die Schülerin zu entführen, während sich Bekker um das Lösegeld kümmern wollte. Turner fragte, warum Bekker nicht alles allein tun könne.
Bekker seufzte. „Meine Fresse, Engländer, hast du einen Hirnschaden, oder was? Ich hab dir doch gesagt, dass ich weit, weit weg sein muss, wenn die Sache läuft, mit einem bombensicheren Alibi, irgendwo im Auto mit einem saublöden Bimbo-Partner. Es darf auf gar keinen Fall irgendeine Spur geben, die mich mit dem Mohrenkopf in Zusammenhang bringt. Wenn dem nicht so wäre, wofür zum Teufel würde ich dich dann brauchen? Ich würd’s einfach im Alleingang machen und einen Haufen Kohle mehr einsacken.“
Entführung
Als Turner die Schülerin sah, brachte er es nicht fertig, ihr etwas anzutun. Aber Chris Bekker überfiel ihn am nächsten Morgen in seinem Cottage und jagte ihn mit vorgehaltener Pistole von der Matratze. Die Nachbarin Tanya kam dazu und ließ sich von der Dienstmarke nicht blenden.
„Haben Sie einen Haftbefehl?“
„Ich will ihn gar nicht verhaften.“
„Was wollen Sie dann?“
„Hören Sie, Lady –“
„Ich bin nicht Ihre Lady, Sie Arschloch, ich bin Menschenrechtsanwältin.“
Turner blieb nichts anderes übrig, als noch am selben Tag einen zweiten Versuch zu unternehmen. Er schlich sich von hinten an die mit Kopfhörern am Ufer des Jukskei River sitzende Vierzehnjährige heran und presste ihr ein mit Betäubungsmittel getränktes Taschentuch aufs Gesicht, bis sie erschlaffte und er sie im Kofferraum des von Bekker zur Verfügung gestellten Autos zu einem abgelegenen Haus transportieren konnte, das leerstand, seit darin eine weiße Familie ermordet worden war. Dort sperrte er das Mädchen in einem Zimmer ein und bewachte es.
Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.
Spoiler 1: Aus dem Ruder gelaufen
Die Schülerin rief schließlich, sie habe ihre Periode bekommen. Da erinnerte sich Turner an den Spirituosenladen neben der Apotheke und fuhr los. Nachdem er Tampons und zwei Flaschen Schnaps gekauft hatte, besorgte er sich noch Meth von einem Straßendealer.
Als er die Haustüre öffnete, bekam er einen wuchtigen Schlag gegen die Schläfe, und das Mädchen rannte ins Freie. Während seiner Abwesenheit hatte die Gefangene die abgeschlossene Tür des Zimmers mit einem Metallstab aufgebrochen. Er holte sie allerdings ein und schleppte sie zurück ins Haus.
Bekker kam mit dem Geld. Es sei wie am Schnürchen gelaufen, berichtete er. Sie hätten die Entführte nun bloß noch mit verbundenen Augen irgendwo hinfahren und laufen lassen müssen. Aber nachdem die Schülerin Turners Gesicht gesehen habe, sei das keine Option mehr.
„Sie wird dich identifizieren. Und du wirst singen, du Wichser.“
Vor die Wahl gestellt, entweder das Mädchen zu erschießen oder selbst getötet zu werden, entschied Turner sich, sein eigenes Leben zu retten. Die Leiche der Vierzehnjährigen warfen sie in einen Lüftungsschacht eines aufgelassenen Bergwerks.
Das geschah vor zehn Jahren.
Am Tag nach der entsetzlichen Nacht zeigte Turner seiner Nachbarin – mit der er gelegentlich schlief – den Rucksack mit den Banknotenbündeln und gestand ihr alles. Die Anwältin half ihm mit kühlem Kopf und sorgte dafür, dass er im Fall der vermissten Schülerin, deren Leiche nie gefunden wurde, unbehelligt blieb. Warum sie das für ihn tue, fragte Turner sie, und sie erwiderte, dass sie von ihm schwanger sei.
Seither hat Turner keinen Alkohol und keine Drogen mehr angerührt.
Lucy war ein paar Monate alt, als zwei Schwarze die Turners vor ihrem Haus in Johannesburg überfielen, sie mit Schusswaffen bedrohten und ihnen das Auto raubten.
Daraufhin wanderte die Familie in die USA aus.
Spoiler 2: Die Ehe der Turners
Als John Turner sich in Grace Worthington verliebte, drohte seine Ehefrau, über die Ereignisse vor zehn Jahren in Südafrika zu reden.
Daraufhin nahm er das Wegwerfhandy, das drei Jahre zuvor plötzlich auf dem Beifahrersitz seines nur wenige Minuten unbewacht abgestellten Autos gelegen und geklingelt hatte. Chris Bekker war am Apparat gewesen:
„Wollte dir nur mitteilen, dass du einen Schutzengel hast, der dich behütet.“
Turners Frage, wie Bekker ihn aufgespürt habe, war unbeantwortet geblieben. In seiner Not rief Turner nun die einzige gespeicherte Nummer an und verabredete sich mit Bekker, der inzwischen in Phoenix lebte. Der ehemalige Polizist schlug vor, Tanya bei einem vorgetäuschten Raubüberfall zu töten.
Spoiler 3: Zurück in der Gegenwart
Erneut ist in der Einfahrt der Turners in Arizona ein Auto zu hören: Grace Worthington möchte nicht nur ihr Handy holen, das sie bei der unerwarteten Entlassung im Büro liegen ließ, sondern außerdem John mitteilen, was sie kurz zuvor mit einem Urintest feststellte: Sie ist schwanger.
Tanya sieht sie durchs Fenster und lässt Bone wissen, dass es sich um die „Nutte“ ihres Mannes handelt. Statt Grace ins Haus zu bitten, wie Bone ihm aufgetragen hat, warnt Turner die Frau und schlägt die Tür wieder zu. Grace rennt zum Auto, aber Bone holt sie ein, schlägt sie nieder, packt sie an den Füßen und schleift sie ins Haus.
„Lass mich die fette Kuh erledigen“, sagt Tanya, aber Bone meint eine bessere Idee zu haben: Turner soll seine Geliebte töten. Als der sich weigert, schaltet Bone die Säge wieder ein, und packt Lucys Arm.
Turner schreit auf, nimmt die Säge – und trennt damit Grace den Kopf ab.
Diesen Augenblick nutzt Lucy, um mit der Pistole des von ihrer Mutter Getöteten auf Spack zu schießen. Sie trifft ihn tödlich. Bone greift zur Waffe, aber Turner wirft sich mit der noch eingeschalteten Säge auf ihn und reißt ihm den ganzen Brustkorb auf. Bone drückt zwar noch ab, verfehlt aber Lucy und trifft stattdessen Tanya ins rechte Auge.
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)„Mann am Boden“ ist ein harter Thriller mit Splatter-Effekten. Dabei sind die Grausamkeiten nicht, wie etwa bei Quentin Tarantino („Pulp Fiction“) und den Coens („Fargo“) durch Komik oder Absurdität gebrochen. Immerhin hat Roger Smith (*1960) in „Mann am Boden“ einiges so überzogen, dass es wie eine Karikatur wirkt.
Dass der südafrikanische Schriftsteller auch Drehbuchautor ist, zeigt sich daran, dass er die Ereignisse nicht schildert, sondern lebendig in Szene setzt („live und in Farbe“). Die Darstellung ist stringent und temporeich.
Zum Lesevergnügen wird „Mann am Boden“ vor allem durch den verschachtelten Aufbau. Roger Smith entwickelt die Handlung nicht chronologisch, sondern im Wechsel zwischen der Gegenwart in Arizona und der Vergangenheit in Südafrika. Das ermöglicht ihm zahlreiche Cliffhanger: Gerade, wenn sich beispielsweise bei dem Überfall auf die Familie in Arizona eine weitere Zuspitzung ankündigt, schiebt Roger Smith eine aufschlussreiche Rückblende ein. Nicht selten springt er sogar innerhalb einer Rückblende zeitlich vor und zurück. Die klug durchdachte Konstruktion bewirkt, dass wir die zunächst nur aufgrund vager, Spannung erzeugender Hinweise erahnten Zusammenhänge nach und nach durchschauen.
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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2018
Textauszüge: © J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger
Roger Smith: Staubige Hölle
Roger Smith: Stiller Tod