Elizabeth Strout : Mit Blick aufs Meer
Inhaltsangabe
Kritik
Apotheke
Henry Kitteridge lebt mit seiner ein Jahr älteren Ehefrau Olive und dem gemeinsamen Sohn Christopher in Crosby, Maine. Olive unterrichtet an der Crosby Junior High School Mathematik, und Henry führt eine Apotheke. Die beiden sind sehr verschieden: Henry ist sanftmütig, ruhig, zurückhaltend und geht regelmäßig in die Kirche. Die Atheistin Olive ist dagegen forsch und dominant, verbirgt ihre Gefühle und nimmt kein Blatt vor den Mund, auch wenn sie andere dabei verletzt.
An den Abenden siedete das Adrenalin. „Ich tu nichts anderes als kochen und putzen und hinter anderen Leuten herräumen“, schrie Olive etwa und knallte einen Teller Rindsgulasch vor ihn hin. „Alle sitzen nur mit langen Gesichtern da und warten darauf, dass ich sie bediene!“ (Seite 20)
Für Henry ist das nicht einfach, aber er hält zu Olive und erduldet ihre raue Art.
Denise Thibodeau, die neue, zweiundzwanzig Jahre alte Hilfskraft in der Apotheke, hat einen Abschluss der Staatlichen Universität in Vermont und ist seit einem Jahr mit dem Klempner Henry Thibodeau verheiratet. Als ihr Mann auf der Jagd versehentlich von seinem Freund Tony Kuzio erschossen wird, bleibt Denise allein und hilflos zurück. Ungeachtet der Einwände seiner verärgerten Frau kümmert Henry sich um Denise, bringt ihr das Autofahren bei, meldet sie für die Führerscheinprüfung an und zeigt ihr, wie man ein Bankkonto eröffnet.
Flut
Kevin Coulson stammt aus Crosby. Vor vier Jahren machte er in New York sein Facharzt-Examen. Er ist durch den Suizid seiner Mutter traumatisiert: Sie hatte sich erschossen, als er noch ein Kind gewesen war.
[…] Der Wunsch seiner Mutter nach Selbstauslöschung [war] so groß und überwältigend geworden […], dass sie die Reste ihrer körperlichen Existenz über die Küchenschränke verspritzt hatte. (Seite 46)
Sein Vater starb im letzten Jahr an Leberkrebs. Sein drogensüchtiger Bruder lebt in Berkeley auf der Straße. Als Kevin nach Crosby fährt, im Auto sitzen bleibt und Patty Howe beobachtet, die im Clubhaus auf den Klippen bedient, klopft seine frühere Mathematiklehrerin Olive Kitteridge an die Seitenscheibe und setzt sich neben ihn. Sie erzählt ihm, dass ihr Mann die Apotheke an eine Drogeriekette verkaufte und sie sich fünf Jahre zuvor hatte pensionieren lassen. Ihr Sohn Christopher wurde Podologe.
Plötzlich springt Olive aus dem Auto und rennt los, am Clubhaus vorbei. Sie ruft Kevin: „Schnell! Komm schnell!“ Und dann begreift er, dass Patty von den Klippen sprang.
Kevin drehte sich um und ließ sich mit ausgebreiteten Armen die Steilwand hinab rutschen, aber es gab nichts, woran er sich festhalten konnte, es gab nur die Steinfläche, die an seiner Brust scheuerte, ihm die Kleider zerriss, die Haut darunter schrammte, die Backe, und dann schlug das kalte Wasser über ihm zusammen. Die Kälte war atemberaubend, er fühlte sich wie in einem riesigen Reagenzglas voll giftiger Chemikalien, die sich ihm durch die Haut fraßen. In all dem Schäumen und Schwappen stieß sein Fuß an etwas Festes, und da sah er auch schon, wie sie nach ihm zu greifen versuchte, die Augen geöffnet, den Rock um den Leib gewunden, ihre Finger streckten sich ihm entgegen, verfehlten ihn, streckten sich wieder nach ihm aus, und er bekam sie zu fassen. Sekundenlang wich das Wasser zurück, und als die nächste Welle heranrollte und sie überspülte, zog er sie zu sich her, und sie klammerte sich an ihn mit einem Griff, wie er ihn ihr nie zugetraut hätte; unglaublich, dass solche dünnen Arme ihn so fest umklammern konnten. (Seite 63)
Olive holt Inzwischen Hilfe.
Frau am Klavier
Seit Jahren spielt Angela („Angie“) O’Meara an vier Abenden pro Woche in der Cocktail-Lounge von „Warehouse Bar & Grill“ am Flügel. Das Publikum hört ihr in der Regel nur in den ersten Minuten zu, und das ist Angela durchaus recht, denn sie findet es unangenehm, wenn sie beachtet wird. Deshalb verzichtet sie auch auf die ihr zustehende Pause, und gegen das Lampenfieber trinkt sie Wodka.
Weil sie kein eigenes Klavier hat, darf sie in der Kirche von Crosby üben.
Sie hat die fünfzig überschritten. Angela blieb unverheiratet, aber seit zweiundzwanzig Jahren ist sie die Geliebte des verheirateten Stadtratsvorsitzenden Malcolm Moody.
An diesem Abend sitzt Simon in der Lounge. Mit ihm hatte sie ein Verhältnis, damals, als er für zwei Jahre aus Boston gekommen war. Er verdiente ein wenig Geld als Barpianist und wollte Musik studieren, aber das Konservatorium lehnte ihn ab. Nachdem er mit Angela Schluss gemacht hatte, studierte er Jura und wurde Rechtsanwalt in Boston. Angela hat ihn seit Jahren nicht mehr gesehen. Als er ihr vorschlägt, später noch etwas zusammen zu unternehmen, obwohl er eine Ehefrau und drei Kinder hat, lehnt Angela ab.
Simon hatte sich schon zum Gehen gewandt. Und da waren die Kitteridges, auf ihrem Weg zum Ausgang, und Henry winkte ihr zu. Sie spielte „Good Night, Irene“.
Simon kehrte wieder um, mit zwei ruckartigen Schritten war er neben ihr und hielt sein Gesicht dicht an ihres. „Dass deine Mutter mich in Boston besucht hat, weißt du aber?“
Angies Wangen glühten plötzlich.
„Sie ist mit dem Greyhound-Bus gefahren“, sagte Simons Stimme an ihrem Ohr. „Und dann hat sie ein Taxi zu meiner Wohnung genommen. Als ich ihr aufgemacht habe, hat sie einen Drink verlangt und dann angefangen, sich auszuziehen.“ (Seite 78)
Ausnahmsweise legt Angela an diesem Abend eine Pause ein, lässt sich von ihrem schwulen und alkoholkranken Bewunderer Walter Dalton am Tresen Münzen geben und ruft zum ersten Mal überhaupt Malcolm Moody zu Hause an, nur um ihm zu sagen, dass sie sich nicht mehr mit ihm treffen wolle.
Nachts geht sie zu Fuß heim. Vor ihrem Haus wartet Malcolm auf sie und beschwert sich über den Anruf, der ihn vor seiner Frau hätte kompromittieren können.
Auftrieb
Im Alter von achtunddreißig Jahren heiratet Christopher Kitteridge die Ärztin Dr. med. Dr. rer. nat. Suzanne Bernstein, und obwohl seine Eltern in Crosby eigens für ihn ein Haus gebaut haben, zieht er mit seiner Frau nach Kalifornien.
Hunger
Harmon, der Besitzer eines Heimwerkerladens in Crosby, und seine Ehefrau Bonnie haben vier erwachsene Söhne, die längst nicht mehr in Crosby leben.
Eines Abends dreht Bonnie sich abends im Bett von Harmon weg und meint:
„Harmon, ich glaube, ich bin damit einfach durch.“ (Seite 110)
Er reagiert verstört, denn:
Bonnie [ist] die Zentralheizung seines Lebens. (Seite 111)
Einige Zeit später beobachtet Harmon Timothy Burnham, den Neffen von Kathleen Burnham aus New Hampshire, mit einem dreiundzwanzigjährigen magersüchtigen Mädchen namens Nina White. Am nächsten Tag fällt ihm Ninas Bild in der Zeitung auf. Sie soll bei einer Party bekifft gewesen sein, und als die Polizei wegen der zu lauten Musik vorbeikam, griff sie angeblich einen der Beamten wie eine Furie an. Sie musste in Handschellen abgeführt werden.
[Magersüchtige] denken, auf diese Weise haben sie ihr Leben im Griff, aber irgendwann hat das Hungern sie im Griff, und sie können nicht aufhören. (Seite 118)
Als Harmon seine Freundin Daisy Foster besucht, deren sehr viel älterer Mann vor drei Jahren starb, trifft er dort auf Nina. Daisy nahm sie auf, nachdem Tim sich im Streit von seiner Freundin getrennt hatte. Wenig später stirbt Nina in einem Zentrum zur Behandlung von Essstörungen an einem Herzinfarkt.
Harmon macht Daisy eine Liebeserklärung und mietet eine Wohnung als Liebesnest. Sein Arzt rät ihm allerdings davon ab, Bonnie zu verlassen.
Der Arzt sagte leise: „Nein, nein, das ist keine gute Idee“, aber es war seine Körpersprache, die Abruptheit, mit der er die Ordner auf seinem Tisch zur Seite schob, die Art, wie er auf Abstand ging, die sich Harmon einprägen sollte. Als hätte der Arzt gewusst, was Harmon nicht wusste: dass Leben miteinander verwachsen wie Knochen und dass nicht jeder Bruch heilt. (Seite 137)
Statt auf ihn zu hören, verabredet Harmon sich regelmäßig mit Daisy und wartet auf den Tag, an dem er Bonnie verlassen oder sie ihn hinauswerfen wird.
Umweg
Olive Kitteridge ist inzwischen neunundsechzig. Als sie und ihr Ehemann Henry von einem Restaurantbesuch mit ihren Freunden Bill und Bunny Newton nach Hause fahren, muss Olive plötzlich zur Toilette. Henry hält vor der Notaufnahme eines Krankenhauses. Die Schwester, die in diesem Bereich im Dienst ist, ruft einen Arzt, weil nicht auszuschließen ist, dass Olive einen anaphylaktischen Schock aufgrund einer Allergie gegen Seafood erlitt. Für die Untersuchung soll Olive sich vollständig entkleiden und dann in einen Krankenhauskittel schlüpfen.
Gerade als sie das getan hat, überfallen zwei maskierte Männer das Krankenhaus. Sie sperren den Arzt, die Schwester, Olive und Henry Kitteridge ins WC und fesseln sie mit Klebeband. Weil Olive in dem dünnen weißen Kittel friert, bittet ihr Mann um eine Decke für sie. Der Ganove, der die Geiseln mit einer Pistole in der Hand bewacht, brüllt ihn an. Henry weist ihn entrüstet zurecht. Da droht der junge Mann die Nerven zu verlieren.
„Bitte!“, schrie Olive. „Bitte. Das hat er von seiner Mutter. Seine Mutter war unmöglich. Hören Sie gar nicht hin.“ (Seite 155)
Verwundert fragt der Bewacher:
„Ist das dein Mann?“
Olive nickte.
„Hat der ’n Rad ab, oder was?“
„Er kann nichts dafür“, sagte Olive. „Sie hätten seine Mutter erleben sollen. Die triefte auch immer von so frommen Sprüchen.“ (Seite 155)
Die Geiseln werden nach kurzer Zeit von einem Polizeikommando befreit. Für Olive und Henry ist nichts mehr wie zuvor.
Sie würden niemals über diese Nacht hinwegkommen. Aber nicht etwa, weil sie als Geiseln in einer Toilette eingesperrt gewesen waren, worin nach Andrea Bibbers Meinung das Trauma bestand. Nein, sie würden nie über diese Nacht hinwegkommen, weil sie Dinge gesagt hatten, die ihre Haltung zueinander verändert hatten. (Seite 163f)
Winterkonzert
Weil der Sturm das Dach der Macklin Music Hall in Crosby zum Einsturz brachte, finden Konzerte vorübergehend in der Kirche St. Catherine’s statt. An diesem Abend besuchen die zweiundsiebzigjährige frühere Schulschwester Jane Houlton und ihr drei Jahre älterer Ehemann Bob eines der Konzerte. Alan und Donna Granger, deren Töchter Lydia und Patty mit den Houlton-Töchtern befreundet waren, sind ebenfalls da.
An diesem Abend wird Jane klar, dass Bob vor langer Zeit eine Affäre mit Patty Granger hatte. Bob gesteht, dass er Patty Jahre später noch einmal traf. Sie hatte ihn wenige Monate vor seiner Pensionierung im Büro angerufen und ihm mitgeteilt, dass sie an Brustkrebs erkrankt war. Als er in Orlando zu tun hatte, schaute er bei ihr in Miami vorbei. Eigentlich hatte er sie nur kurz trösten wollen, aber er blieb über Nacht. Danach telefonierten sie noch mehrere Male miteinander.
Tulpen
Seit einem Schlaganfall lebt Henry Kitteridge in einem Pflegeheim.
Seine Frau Olive besucht Louise Larkin. Deren Sohn Doyle verbüßt eine Haftstrafe, weil er eine junge Frau mit neunundzwanzig Messerstichen ermordete.
Roger Larkin, Doyles Vater, suchte nach der Festnahme seines Sohnes Zuflucht bei seiner Geliebten in Bangor, Maine, aber sie trennte sich von ihm. Seither leben Louise und Roger Larkin zwar weiterhin in ihrem Haus, aber in verschiedenen Etagen.
Reisekorb
Ed Bonney, der Besitzer eines Ladens in Crosby, stirbt. Die Leiche wird eingeäschert. Unter den Trauergästen befindet sich Kerry Monroe, eine Cousine der Witwe Marlene. Sie betrinkt sich und gesteht Marlene, dass sie und Ed einmal miteinander im Bett waren.
Flaschenschiff
Unmittelbar vor der Trauung, als die Gäste bereits in der Kirche warten, erklärt der Bräutigam Bruce seiner Braut Julie, er wolle zwar nicht mit ihr Schluss machen, schrecke jedoch vor einer Eheschließung zurück. Die Hochzeit wird abgesagt.
Julies Stiefvater, der trockene Alkoholiker Jim Harwood, verdient den Lebensunterhalt für sich, seine Frau Anita, Julie und deren zehn Jahre jüngere Halbschwester Winnifred („Winnie“) Harwood als Hausmeister. In dem Haus, das sie bewohnen, gibt es kein Bad, sondern nur eine Duschkabine ohne Vorraum, und wer die Toilette benutzt, kann nur einen Vorhang zuziehen.
Julies Mutter, Anita Harwood, will Bruce nach der geplatzten Trauung ihrer älteren Tochter nicht mehr sehen, und als er einige Tage später vor dem Haus aus dem Auto steigt, verjagt sie ihn mit Gewehrschüssen. Daraufhin verlässt Julie die Familie ohne Abschied und nimmt einen Bus nach Boston.
Sicherheit
Olive Kitteridge fliegt zu ihren Sohn Christopher, der inzwischen mit Ann, seiner schwangeren zweiten Ehefrau, sowie deren beiden Kindern Theodore und Annabelle in New York lebt.
Wir wohnen im coolen Teil von Brooklyn, Mutterherz, hier geht es hip zu, hier ist man entweder zu künstlerisch, um an Gott zu glauben, oder zu beschäftigt mit Geldverdienen. (Seite 270)
Während des Besuchs erinnert Olive sich an ihren früheren Kollegen Jim O’Casey an der Crosby Junior High School. Als es zu folgendem Dialog kam, war sie vierundvierzig, er dreiundfünfzig.
„Wenn ich dich bitten würde, mit mir fortzugehen, würdest du es tun?“ Er fragte es mit ruhiger Stimme, als sie in der Mittagspause in seinem Büro saßen.
„Ja“, sagte sie.
Er ließ sie nicht aus den Augen, während er den täglichen Apfel aß, der sein ganzes Mittagessen darstellte. „Und du würdest heute Abend nach Hause gehen und es Henry sagen?“
„Ja“, sagte sie. Es war, als würden sie einen Mord planen.
„Dann ist es vielleicht gut, dass ich dich nicht gebeten habe.“
„Ja.“ (Seite 278)
Sie liebten sich, ohne darüber groß zu reden, und erlaubten sich keine Intimitäten, nicht einmal einen Kuss. Jim, der wie Olive verheiratet war und Kinder hatte, kam eines Nachts von der Straße ab und krachte mit seinem Auto gegen einen Baum. Er wurde noch in ein Krankenhaus in Hanover, Maine, eingeliefert, aber die Ärzte konnten nichts mehr für ihn tun. Henry Kitteridge begriff erst später, dass seine Frau in einen Kollegen verliebt gewesen war.
Olive, ihr Sohn und dessen Familie essen Eis. Erst als sie nach Hause kommen, bemerkt Olive, dass sie ihr Kleid bekleckerte. Entsetzt darüber, dass Christopher sie so herumlaufen ließ, packt sie noch in der Nacht ihren Koffer und teilt ihm am nächsten Morgen mit, dass sie abreisen werde. Christopher reagiert verärgert.
„Fahr ruhig, Mom. Schon in Ordnung. Ich ruf dir ein Taxi, das dich zum Flughafen bringt.“
„Du lässt mich da allein hinfahren? Das ist nicht dein Ernst?“
„Ich muss in einer Stunde in die Arbeit, und Ann muss sich um die Kinder kümmern […]“
„Du wirfst mich raus, einfach so?“, fragte Olive mit wild hämmerndem Herzen.
„Siehst du, das ist so ein Beispiel“, sagte Christopher ganz ruhig. Während er die Spülmaschine belud, völlig ruhig. „Du sagst, du willst heimfahren, dann beschuldigst du mich, ich würde dich rausschmeißen. Früher hat so was bei mir immer Schuldgefühle ausgelöst, aber heute nicht […] Aber du kannst es den Leuten schon elend schwer machen. Du hast Dad das Leben elend schwer gemacht.“ (Seite 299f)
Bei der Sicherheitskontrolle am Flughafen weigert Olive sich, die Schuhe auszuziehen. Damit provoziert sie ihre vorübergehende Festnahme.
Strafbar
Rebeccas Mutter, eine Tochter aus der zweiten Ehe von Reverend Tyler Caskey in Shirley Halls, hatte den Geistlichen Carleton Brown in Crosby geheiratet, sich jedoch bald nach Rebeccas Geburt nach Kalifornien abgesetzt, um dort Schauspielerin zu werden. Nachdem sie sich Scientology angeschlossen hatte, ließ sie nichts mehr von sich hören.
An der Universität verliebte sich Rebecca Brown in ihren Kommilitonen Jace Burke. Der brach das Studium jedoch ab ab und spielte in Bars in Boston Klavier. Wegen einer anderen Frau trennte er sich schließlich von Rebecca.
Inzwischen lebt Rebecca mit einem Mann namens David zusammen. Und sie bekommt einen Job als Sekretärin bei einer Behörde, die Verkehrsflüsse studiert.
Fluss
Die Scheidung seines Sohnes Christopher hatte Henry Kitteridge noch miterlebt. Inzwischen ist er im Pflegeheim gestorben.
Seine jetzt vierundsiebzig Jahre alte Witwe stößt beim Joggen auf einen Greis, der leblos am Boden liegt. Es handelt sich um Jack Kennison, einen früheren Dozenten in New Jersey, der vor einigen Jahren in den Ruhestand ging und mit seiner Ehefrau nach Crosby zog. Die Frau starb vor ein paar Monaten. Seine lesbische Tochter lebt in Oregon. – Olive hilft Jack auf und bringt ihn zum Arzt, aber es werden keine Besorgnis erregenden Werte gemessen.
Einige Tage später lässt Olive sich von Jack in ein Restaurant einladen. Nachts denkt sie an ihn und kann vor Erregung nicht schlafen, aber sie will sich nichts vormachen:
Er hat nur Angst vor dem Alleinsein, dachte sie, er ist schwach. Fast alle Männer waren schwach. Wahrscheinlich wollte er einfach jemanden, der für ihn kochte und hinter ihm herräumte. Nun, da war er bei ihr an der falschen Adresse. (Seite 341)
Trotz ihres Misstrauens verabredet Olive sich mehrmals mit Jack. Als sie ihn wieder einmal besucht, liegt er im Bett. Und sie legt sich zu ihm.
„Mit Blick aufs Meer“ ist kein Roman im eigentlichen Sinn, sondern eine Sammlung von dreizehn Erzählungen bzw. Kurzgeschichten, die im Verlauf mehrerer Jahrzehnte in Crosby, Maine, spielen. In praktisch allen Geschichten taucht Olive Kitteridge auf, eine Bewohnerin der Kleinstadt, die zunächst an der Crosby Junior High School Mathematik unterrichtet und dann pensioniert wird. In Crosby ist nicht viel los. Erst wenn man wie Elizabeth Strout genauer hinschaut, entdeckt man Lebensdramen. In „Mit Blick aufs Meer“ geht es um menschliche Stärken und Schwächen, Liebe, Betrug, Zorn, Aufbegehren und vieles mehr.
Elizabeth Strout erzählt die beschaulichen Geschichten aus verschiedenen Perspektiven und wechselt mitunter auch innerhalb eines Kapitels den Blickpunkt. Häufig beginnt sie mit Sätzen, aus denen der Leser zunächst nicht schlau wird. So erzählt sie beispielsweise von einer Beerdigung, bevor wir erfahren, wer tot ist und was passierte.
Für ihren Roman „Mit Blick aufs Meer“ wurde Elizabeth Strout mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet.
Die Übersetzung ist nicht ganz frei von Fehlern. Da heißt es zum Beispiel: „Die Kälte war atemberaubend.“ (Seite 63) Kevin Coulson war jedoch nicht über das kalte Wasser begeistert, sondern es raubte ihm beim Eintauchen den Atem.
Unter dem Titel „Olive, Again“ / „Die langen Abende“ schrieb Elizabeth Strout eine Fortsetzung.
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2010
Textauszüge: © Luchterhand Literaturverlag
Elizabeth Strout: Die langen Abende
Elizabeth Strout: Am Meer