Patrick Süskind : Der Kontrabass
Inhaltsangabe
Kritik
Ein Bier trinkender fünfunddreißigjähriger Kontrabassist aus dem Staatsorchester prahlt zunächst mit der Bedeutung seines Instruments:
Zwölf Kontrabässe, wenn die wollen – theoretisch jetzt –, die können Sie mit einem ganzen Orchester nicht in Schach halten. Schon rein physikalisch nicht. Da können die andern einpacken. Aber ohne uns geht erst recht nichts. Können Sie jeden fragen. Jeder Musiker wird Ihnen gern bestätigen, dass ein Orchester jederzeit auf den Dirigenten verzichten kann, aber nicht auf den Kontrabass. Jahrhundertelang sind Orchester ohne Dirigenten ausgekommen. Der Dirigent ist ja auch musikentwicklungsgeschichtlich eine Erfindung allerjüngsten Datums. Neunzehntes Jahrhundert. (Seite 8)
Der verbitterte, selbstbezogene Nörgler hasst sein Instrument, weil er glaubt, dass es ihn zum Verlierer gemacht hat, aber er kommt auch nicht davon los, denn er benötigt es, um sich als Künstler fühlen zu können: Eine ausweglose Situation.
Nein, geboren wird man wirklich nicht zum Kontrabass. Der Weg dorthin führt über Umweg, Zufall und Enttäuschung. Ich darf sagen, dass bei uns im Staatsorchester von acht Kontrabassisten nicht einer ist, den das Leben nicht gebeutelt hätte und dem die Schläge, die es ihm ausgeteilt hat, nicht noch heute ins Gesicht geschrieben stünden. Ein typisches Kontrabassistenschicksal ist zum Beispiel meines: Dominanter Vater, Beamter, unmusisch; schwache Mutter, Flöte, musisch versponnen; ich als Kind liebe die Mutter abgöttisch; die Mutter liebt den Vater; der Vater liebt meine kleinere Schwester; mich liebte niemand – subjektiv jetzt. Aus Hass auf den Vater beschließe ich, nicht Beamter, sondern Künstler zu werden; aus Rache an der Mutter aber am größten, unhandlichsten, unsolistischsten Instrument […] Als Kontrabassist im Staatsorchester, drittes Pult […] vergewaltige ich täglich in der Gestalt des Kontrabasses, des größten der weiblichen Instrumente – formmäßig jetzt –, meine eigene Mutter […] (Seite 38f)
Der Kontrabass ist das scheußlichste, plumpeste, uneleganteste Instrument, das je erfunden wurde. Ein Waldschrat von Instrument. (Seite 49)
Können Sie mir sagen, wieso ein Mann Mitte Dreißig, nämlich ich, mit einem Instrument zusammenlebt, das ihn permanent behindert?! Menschlich, gesellschaftlich, verkehrstechnisch, sexuell und musikalisch nur behindert?! Ihm ein Kainsmal aufdrückt?! (Seite 69)
Heimlich ist der Kontrabassist in eine Sopranistin namens Sarah verliebt. Wenn sie da ist, spielt er besonders schön – soweit das auf seinem Instrument möglich ist –, aber sie merkt es nicht.
Wenn sie singt, Sarah, das geht mir dermaßen unter die Haut, das ist beinahe sexuell – bitte das jetzt nicht falsch zu verstehen. (Seite 83)
Wissen Sie, was ich brauche? Ich brauche immer eine Frau, die ich nicht kriege. Aber so wenig wie ich sie kriege, brauche ich auch wieder keine. (Seite 77)
Von Natur aus bin ich kein triebhafter Mensch. Von Natur aus bin ich gezügelt. Nur wenn ich denke, werde ich triebhaft. (Seite 89)
„Das Denken“, sagt ein Freund von mir – er studiert seit zweiundzwanzig Jahren Philosophie und promoviert jetzt –, „Das Denken ist eine zu schwierige Sache, als dass jedermann darin herumdilettieren dürfte.“ Er – mein Freund – würde sich auch nicht hinsetzen und die Hammerklaviersonate herunterspielen. Weil er das nicht kann. Aber jedermann glaubt, dass er denken kann, und denkt zügellos drauflos. (Seite 90)
Beim Giulini-Gastkonzert heute Abend will er sein Leben verändern und spektakulär „Sarah“ schreien.
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)… Und ich gehe jetzt. Ich geh jetzt in die Oper und schrei. Wenn ich mich trau. Sie können es ja morgen in der Zeitung lesen. Auf Wiederschaun!“ (Seite 96)
Das 1981 mit Nikolaus Paryla im Münchner Cuvilliéstheater uraufgeführte – angeblich zunächst als Hörspiel konzipierte – Ein-Mann-Stück „Der Kontrabass“ erschließt sich auch beim Lesen, weil man dabei zu hören glaubt, wie der Protagonist spricht. Es besteht aus dem Monolog eines Bier trinkenden Kontrabassisten, in dem sich ein bieder-selbstgerechter Charakter offenbart, dessen Vorurteilen und Denkschablonen wir im „richtigen Leben“ überall begegnen. Patrick Süskind leuchtet in den Abgrund eines mittelmäßigen Künstlers, und es ist beklemmend, den Nährboden der Unzufriedenheit zu sehen, auf dem faschistisches Denken gedeihen kann. Das Lachen bleibt einem immer wieder im Hals stecken. Die hintersinnige, tragikomische, mit bitterbösen Einfällen gespickte Groteske „Der Kontrabass“ ist ein genialer Wurf, gerade weil Patrick Süskind seine Kunst in eine scheinbar triviale Form gebracht hat.
Dem Autor gelingt eine krampflösende Drei-Spezialitäten-Mischung: von Thomas Bernhard das Insistierende; von Karl Valentin die aus Innen hervorbrechende Slapstickkomik; von Kroetz die detaillierte Faktenfreude und eine Genauigkeit im Sozialen. (Armin Eichholz)
Was noch kein Komponist komponiert hat, das schrieb jetzt ein Schriftsteller, nämlich ein abendfüllendes Werk für einen Kontrabass-Spieler. (Dieter Schnabel)
In der Spielsaison 1984/85 war „Der Kontrabass“ mit mehr als fünfhundert Aufführungen das meistgespielte Stück an deutschsprachigen Bühnen.
„Der Kontrabass“ gibt es auch als Hörbuch, gelesen von Walter Schmidinger (Regie: Friedhelm Ortmann, München 2007, ISBN: 978-3-257-80171-2).
Literaturhinweis: Volker Krischel, Erläuterungen zu Patrick Süskind, Der Kontrabass (Hollfeld 2002, ISBN: 3-8044-1778-7)
Patrick Süskind wurde am 26. März 1949 in Ambach am Starnberger See als zweiter Sohn des Journalisten und Schriftstellers Wilhelm Emanuel Süskind (1901 – 1970) und dessen Ehefrau, einer Sportlehrerin, geboren. Sein fünf Jahre älterer Bruder Martin E. Süskind (1944 – 2009) wurde Journalist wie der Vater. Patrick Süskind studierte nach dem Zivildienst zunächst Geschichte, aber er brach das Studium vorzeitig ab und wurde Schriftsteller und Drehbuchautor. Dabei verweigert er sich den Erwartungen des Literaturbetriebs und meidet die Öffentlichkeit. Diese Haltung thematisiert Patrick Süskind selbstironisch im Drehbuch des Films „Rossini oder Die mörderische Frage, wer mit wem schlief“.
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2002
Textauszüge: © Diogenes Verlag
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