William Trevor : Felicias Reise
Inhaltsangabe
Kritik
Felicias Mutter starb, als das Kind vier Jahre alt war. Mit 17 verliert Felicia ihren Arbeitsplatz in einer Fleischkonservenfabrik, weil diese geschlossen wird. Auch ihr Freund Johnny Lysaght ist arbeitslos. Um eine neue Stelle zu finden, werde er nach England gehen, behauptet er, aber Felicias nationalistisch denkender Vater warnt sie: „Ich würde diesem Kerl aus dem Weg gehen. […] Man erzählt sich gewisse Dinge über Lysaght.“ Und auf Felicias Nachfrage behauptet er, Gerüchten zufolge habe Johnny sich zur britischen Armee gemeldet. „Es gibt hier in der Gegend bessere Jungs als den, Kleines. Irische Jungs gehören nach Irland.“
Felicia hört nichts mehr von Johnny, und seine Mutter weigert sich, ihr die Adresse zu geben. Allerdings scheint sie bereit zu sein, einen von Felicia geschrieben Brief an ihn weiterzuleiten. Weil keine Antwort eintrifft, vermutet Felicia, dass Mrs Lysaght ihren Brief verbrannte.
Nachdem Felicia festgestellt hat, dass sie schwanger ist, verlässt sie heimlich ihr Elternhaus und reist nach Birmingham, um Johnny zu suchen. Trotz seiner Untreue liebt sie ihn noch immer, und sie glaubt, sich nur mit ihm zusammen jemals wieder in ihrem irischen Dorf sehen lassen zu können.
Man schickt sie von einer Adresse zur anderen, aber nirgendwo findet sie eine Spur von Johnny. Mehrmals begegnet ihr ein freundlicher Mitvierziger, Joseph Ambrose Hilditch und gibt ihr zuvorkommend gute Tipps für die Suche nach ihrem Freund und eine preiswerte Übernachtung.
Mr Hilditch ist der Chef einer Werkskantine. Er passt Felicia erneut ab und schlägt ihr vor, sie am nächsten Tag zu einer 50 Meilen entfernten Fabrik zu fahren. Er müsse ohnehin in die Gegend, um seine schwer kranke Ehefrau Ada Daphne ins Krankenhaus zu bringen.
Obwohl Felicia überpünktlich am vereinbarten Treffpunkt erscheint, wartet Mr Hilditch bereits im Auto auf sie. Er ist allein. Seine Frau habe er bereits am Vorabend ins Krankenhaus fahren müssen, erklärt er Felicia.
Während Felicia in der von Mr Hilditch ausgesuchten Fabrik nach Johnny fragt, bleibt er hinter dem Steuer sitzen, durchsucht ihre beiden Tüten und steckt das Geldbündel ein, das im Ärmel eines Pullovers versteckt war. Er weiß, dass das Mädchen hier kaum eine Chance hat, seinen Freund zu finden, denn er hat sich am Vortag telefonisch erkundigt.
Nachdem Felicia enttäuscht zurückgekommen ist, fährt er mit ihr zu einem Krankenhaus in der Nähe, bittet sie im Auto zu warten und tut so, als besuche er seine Frau. Auf dem Korridor überfallen ihn Erinnerungen an junge Mädchen, denen er offenbar geholfen hatte, die dann aber von ihm weg wollten und sich vor ihm fürchteten. Als Felicia seine aufgewühlte Mimik sieht, befürchtet sie, dass es seiner Frau nicht gut geht, und er lügt, Ada habe um 5 Uhr morgens plötzlich operiert werden müssen: „Wenn man so einen Schock bekommt, will man nicht allein sein. Wir haben beide einen Schock, Felicia.“
Sie fahren zurück. Unterwegs sagt er: „Ich bin froh, dass Sie ein Kind bekommen, Felicia.“ Und als er ihre Verwunderung bemerkt, fügt er hinzu: „Ein anderes Leben entsteht. Ada verlässt uns und gleichzeitig sind Sie hier, und Ada hat sich Sorgen um Sie gemacht, als ich ihr von Ihnen erzählt habe.“ Nach dem Aussteigen bedankt Felicia sich unvermittelt und läuft weg.
Zufällig begegnet sie einer schwarzen, aus Jamaika stammenden Predigerin. Miss Calligary lädt Felicia ein, mit ins Stammhaus der Sekte zu kommen und dort kostenlos zu übernachten. Nach mehreren Tagen wird Felicia bewusst, dass sie nicht zu den Gläubigen gehört; sie hinterlässt einen Zettel mit ein paar Worten des Danks und verlässt das gastfreundliche Haus.
Kurz darauf merkt sie, dass ihr Geld fehlt. Sie fragt in den Pensionen, in denen sie übernachtete und schließlich auch bei der Sekte. Doch Miss Calligary ist ungehalten über die vermeintliche Anschuldigung, jemand aus ihrer Schar habe Geld gestohlen: „Du gehst weg ohne ein Wort, mein Kind. Dann kommst du hierher zurück und redest so ein Zeug.“
Ohne Geld bleibt Felicia nichts anderes übrig, als sich vorübergehend einem Pennerpaar anzuschließen.
In einer Mittagspause ruft Mr Hilditch von einer Telefonzelle aus in der Kaserne an der Old Hinley Road an und erkundigt sich nach Johnny Lysaght. Tatsächlich befindet der irische Junge sich dort.
Abends kauft Mr Hilditch Haarnetze, Strumpfhosen und Damenunterwäsche, Talkumpuder und Hautcreme. Kleider und Hüte hat er bereits auf einem Flohmarkt besorgt. Die Sachen verteilt er in seinem Haus.
Wie von ihm erwartet, steht bald darauf Felicia bei ihm in der Tür. Sie bittet ihn, ihr etwas Geld zu leihen, damit sie nach Hause fahren könne. „Es war ein Fehler, hierher zu kommen, ich hätte nicht herüberkommen sollen.“ Da macht Mr Hilditch ihr neue Hoffnung, indem er von Kneipen erzählt, in denen junge Iren verkehren. Sie fahren zusammen hin. Mit dem Versprechen, dass eine Bürokraft in seiner Firma am folgenden Tag die Personalabteilungen aller in Frage kommenden Firmen anrufen und nach Johnny fragen werde, überredet er Felicia, die Suche nicht aufzugeben.
Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.
Mr Hilditch telefoniert mit der Gishford Klinik und vereinbart einen Termin für eine ambulante Abtreibung. Am Abend lügt er Felicia vor, das Mädchen im Büro habe vergeblich versucht, Johnny ausfindig zu machen, und er redet so lange auf sie ein, bis sie bereit ist, die Schwangerschaft abbrechen zu lassen.
Nach dem Eingriff fährt er mit ihr nach Hause, legt sie ins Bett, und sie schläft sofort ein.
Als sie erwacht, bereitet er zwei Tassen Ovomaltine zu. Plötzlich steht sie barfuß und im Nachthemd am Fuß der Treppe und sagt: „Ich fahre morgen früh.“ Er setzt sich mit ihr vor den Kamin und redet beruhigend auf sie ein. Es sei besser, wenn sie noch einige Tage bliebe: „Tut mir Leid, dass ich mich wie ein Vater benehme, Felicia. Ich kann nichts dafür, weil ich Sie lieb gewonnen habe. Als ich Sie zum ersten mal gesehen habe, haben Sie mit Ihren Tüten dagestanden, jämmerlich und ungepflegt.“
Schließlich spricht der von anderen Mädchen: Elsie, Beth, Sharon, Gaye, Bobbi, Jakki. Er habe immer nur neben ihnen sitzen wollen; er habe ein Vermögen für sie ausgegeben, für Geschenke, Essen, Fahrten überallhin, wohin sie gewollt hätten. Dann fährt er fort: „Ich erzähle Ihnen das, damit Sie verstehen, Felicia. Ich habe es noch nie einer Seele erzählt. Wir hätten die Beziehung fortsetzen können, Sie hätten in meinem Haus bleiben können. Kein anderes Mädchen ist je in meinem Haus gewesen. So war das ja nicht.“
Mr Hilditch erklärt sich bereit, Felicia irgendwohin zu fahren und wartet im Auto auf sie. Da nimmt sie ihre beiden Tüten und schleicht sich davon.
In der Woche darauf erledigt Mr Hilditch seine Arbeit so sorgfältig und gewissenhaft, wie seine Mitarbeiter es von ihm gewohnt sind.
Miss Calligary kommt mit Marcia Tibbitts, einer jungen Anhängerin ihrer Sekte, vorbei. „Ein Mädchen aus Irland hat Sie erwähnt, Sir. Jetzt, wo wir hier stehen, erinnere ich mich daran. Ein guter Mensch, hat das Mädchen gesagt, jemand, der ihr geholfen hat. Duke of Wellington Road, hat sie gesagt. Groß und schwer und großherzig, ich glaube, so hat sie Sie geschildert.“ Mr Hilditch beteuert, überhaupt keine Iren zu kennen, aber Miss Calligary lässt sich nicht beirren: „Sie haben diesem Mädchen auf ihrem Weg geholfen und sind nicht achtlos an ihr vorübergegangen. Sir, Sie stehen im Einklang mit unserer Kirche.“
Bald darauf tauchen Miss Calligary und Marcia Tibbitts erneut bei ihm auf und fragen ihn, ob er Zimmer frei habe für die Menschen, die sie zum Gebetsjubiläum erwarten. „Sie würden sehen, Sir, dass Ihnen mit den Leuten um Sie herum bald leichter ums Herz wäre. Bis dahin werden wir Sie keinesfalls im Stich lassen.“
In einem Gasthaus nahe der Old Hinley Kaserne hält Mr Hilditch Ausschau nach Johnny Lysaght und erkennt ihn sofort, als er mit einigen Kameraden hereinkommt.
Eine Woche später meldet er sich in der Kantine krank und bleibt wochenlang zu Hause, bis er sich wieder aufrafft und an seinen Arbeitsplatz zurückkehrt. Es kommt ihm vor, als verliere er den Verstand, und er verbarrikadiert sich erneut in seinem Elternhaus.
In der höhlenartigen Küche dieses Hauses hat Mr Hilditch seine Schuhe ordentlich geschnürt und die Schnürsenkel ordentlich zugebunden. Er trägt karierte Socken unter seinen Hosenaufschlägen. Wie gewöhnlich trägt er einen Anzug aus blauer Serge und hat die Weste bis auf den untersten Knopf zugeknöpft. Sein Hemd ist sauber, die Manschettenknöpfe stecken in den Manschetten. Die Krawatte ist die gestreifte, die er immer trägt. Er hat die Brille aufgesetzt und sich vor einer Stunde rasiert.
Die Hintertür ist nicht mehr verriegelt, steht sogar einen Spaltbreit offen, wurde absichtlich so gelassen. Eine Lampe, die bei Dunkelheit die Mülltonnen in dem kleinen Hinterhof beleuchtet und die Lorbeerbäume und die Mahonien am Rand streift, bleibt an. In der Küche ist es völlig still.
Als wieder der Abend dämmert, kehrt eine Katze auf Nahrungssuche zurück, die schon vorher von der offenen Tür angezogen worden ist, und schleicht sich diesmal hinein. Schwarz, mit einem Halsband, an dem einmal ein Glöckchen befestigt war, ist diese Katze vor langer Zeit ihrem Haustierdasein entflohen, das für die Instinkte einer Katze zu bequem war. Lautlos macht sie einen Rundgang durch die Küche, springt von Zeit zu Zeit irgendwo hoch, bis sie sich einen Überblick verschafft hat. Ihre grünen, rautenförmigen Augen wandern über das Geschirr im Küchenschrank und das weiße Email des elektrischen Kamins, über Wandschränke und Regale, die Wasserhähne über dem Spülbecken, die Holzstühle, den Tisch, auf dem ein weiterer Stuhl umgekippt liegt, und einen herunterhängenden menschlichen Körper. Der baumelt an einem Stück Stromkabel von dem einzelnen Haken für Schinken an der Holzdecke, der Kopf hängt unbeholfen nach vorn, der Fleischwulst unter dem Kinn ist schräg darunter festgeklemmt. Das interessiert die Katze bei ihrer Nahrungssuche nicht. Nichts interessiert sie, außer einem Kochtopf auf dem Herd mit einem Rest Milch darin.
Felicia hat kein Geld, um nach Irland zurückzukehren. Mit ihren Tüten – mittlerweile sind es fünf – wandert sie obdachlos herum.
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)Ein Pappbecher mit Kaffee bleibt wie durch ein Wunder aufrecht stehen, ohne dass etwas verschüttet wird, nachdem ihn jemand in einen an einem Laternenpfahl befestigten Abfallkorb geworfen hat. Felicia trinkt ihn aus und findet einen angebissenen Muffin, der noch in dem Papier steckt, in dem man ihn gebacken hat. „Ganz schön jung für ’ne Stadtstreicherin, was?“, hat vor zwei Tagen jemand im Vorbeigehen gesagt, und sie sagte ja, weil sie Lust hatte, ihm zuzustimmen.
Eine schlanke siebzehnjährige Irin und ein pummeliger fünfundvierzigjähriger Engländer: Auf den ersten Blick haben die beiden wenig gemeinsam. Und doch stellt sich allmählich heraus, dass sie beide von den Schatten ihrer Vergangenheit gequält werden, Einsamkeit und Verzweiflung kennen und sich nach Zuneigung und Geborgenheit sehnen. Felicia ist von der Engstirnigkeit ihrer irischen Heimat geprägt und sucht nach dem Mann, der sie geschwängert hat. Joseph Ambrose Hilditch leidet unter dem Trauma, dass er den Ansprüchen seiner bewunderten Mutter nicht gerecht werden konnte.
Der Roman „Felicias Reise“ beginnt damit, dass Felicia ihrem bornierten Vater und ihrem irischen Dorf entflieht und in die englische Industrielandschaft um Birmingham kommt. Ihre Vorgeschichte wird stückchenweise in eingestreuten Rückblenden erzählt.
Immer stärker verdichtet sich die bedrohliche Atmosphäre. Dabei kommt William Trevor ganz ohne spektakuläre Effekte und Gewalttaten aus. Und es gelingt ihm, Mitleid nicht nur mit dem verzweifelten Mädchen, sondern auch mit dem tragikomisch wirkenden Serienmörder zu erzeugen. Wer die ersten Seiten dieses spannenden Psychothrillers gelesen hat, mag das Buch nicht mehr aus der Hand legen, bis das Geheimnis von Mr Hilditch geklärt ist.
Der kanadische Regisseur Atom Egoyan verfilmte William Trevors Roman 1999 mit Elaine Cassidy und Bob Hoskins in den Hauptrollen: Felicia, mein Engel.
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2002/2003
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