Virginia Woolf : Mrs Dalloway

Mrs Dalloway
Originaltitel: Mrs Dalloway The Hogarth Press, London 1925 Deutsche Erstausgabe unter dem Titel Eine Frau von fünfzig Jahren Übersetzung: Theresia Mützenbecher Insel Verlag, Leipzig 1928 Mrs Dalloway Neuübersetzung: Walter Boehlich S. Fischer Verlag, Frankfurt/M 1997 Süddeutsche Zeitung / Bibliothek, Band 54, München 2007, 207 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Clarissa Dalloway, die 52-jährige Ehefrau des britischen Abgeordneten Richard Dalloway, bereitet im Juni 1923 eine Dinnerparty in ihrem Haus in London vor. Der unerwartete Besuch von Peter Walsh, den sie seit der Ablehnung seines Heiratsantrags vor mehr als 30 Jahren nicht mehr sah, bringt Mrs Dalloway an diesem Tag dazu, darüber nachzugrübeln, ob sie damals die richtige Wahl getroffen hatte ...
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Kritik

Auf kunstvolle Weise stellt Virginia Woolf in ihrem Roman "Mrs Dalloway" Gefühle, Erlebnisse und Erinnerungen verschiedener Figuren simultan dar. Der Akzent liegt dabei nicht auf äußeren Ereignissen, sondern auf einem stream of consciousness.
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Clarissa Dalloway, die zweiundfünfzigjährige Ehefrau des britischen Abgeordneten Richard Dalloway, bereitet im Juni 1923 eine Dinnerparty in ihrem Haus in London vor.

Am Vormittag kauft sie Blumen. Während sie danach ein Kleid ausbessert, steht unerwartet ihre Jugendliebe Peter Walsh in der Tür. Sie haben sich seit mehr als dreißig Jahren nicht mehr gesehen, denn nachdem Clarissa ihren Freund damals zurückgewiesen hatte, war er nach Indien gegangen. Von der Frau, die er damals auf dem Schiff kennen gelernt und in Indien geheiratet hatte, will er sich jetzt scheiden lassen, weil er in Daisy, die vierundzwanzigjährige Ehefrau eines Majors der indischen Armee mit zwei kleinen Kindern, verliebt ist.

Richard Dalloway ist zusammen mit seinem Freund Hugh Whitbread – jedoch ohne die beiden Ehefrauen – bei der selbstbewussten Lady Millicent Bruton zum Lunch eingeladen. Bei dieser Gelegenheit erfährt er die Neuigkeit des Tages: Peter Walsh soll wieder in London sein.

Aufgrund der erneuten Begegnung mit Peter Walsh grübelt Mrs Dalloway darüber nach, ob sie sich als Achtzehnjährige richtig entschieden hatte.

Sie fand sich also immer noch mit sich selbst streitend in St. James‘ Park, immer noch befindend, dass sie Recht gehabt hätte – und das hatte sie auch –, ihn nicht zu heiraten. Denn in der Ehe musste es einen kleinen Freiraum, eine kleine Unabhängigkeit geben zwischen Leuten, die tagein, tagaus im selben Haus lebten; die Richard ihr gab, und sie ihm […] Aber mit Peter musste alles geteilt werden; alles durchgesprochen werden. Und es war unerträglich, und als es zu dieser Szene in dem kleinen Garten bei dem Springbrunnen kam, musste sie mit ihm brechen, oder sie wären zerstört worden, beide zugrunde gerichtet, davon war sie überzeugt. (Seite 9)

Nicht aus Liebe, sondern aus Angst vor dem Leben und um kein Risiko einzugehen, hatte sie den zwar etwas langweiligen, aber zuverlässigen Parlamentsabgeordneten Richard Dalloway dem sprunghaften, unschlüssigen Peter Walsh gegenüber vorgezogen.

[Peter Walsh über Richard Dalloway:] Er war ein grundanständiger Karl; ein bisschen beschränkt; ein bisschen schwer von Begriff; ja; aber ein grundanständiger Kerl. Was immer er anfasste, erledigte er auf dieselbe nüchtern-vorsichtige Weise; ohne eine Spur von Fantasie, ohne einen Funken von Feuer, aber mit der unerklärlichen Zuverlässigkeit von Leuten seines Schlages. (Seite 77)

Inzwischen haben Clarissa und ihr Ehemann getrennte Schlafzimmer, und ihre siebzehnjährige Tochter Elizabeth geht eigene Wege. Mrs Dalloway denkt auch an die drei Jahre ältere Sally Seton, die vor dreißig Jahren sowohl ihre als auch Peters Vertraute war. Im Gegensatz zu Clarissa, die beispielsweise glaubte, kein Wort mehr mit einem Bekannten wechseln zu können, der sein Hausmädchen geheiratet hatte, das von ihm schwanger war, vertrat Sally unkonventionelle Ansichten. Vielleicht hätte Clarissa mit Sally das Glück ihres Lebens gefunden. Sie durchschaut ihre Lebenslüge und erkennt den Abgrund zwischen ihrem scheinbar glücklichen Dasein im goldenen Käfig und ihren unerfüllten Sehnsüchten.

Bei der Dinnerparty von Mrs Dalloway erzählen der Psychiater Sir William Bradshaw und dessen Ehefrau von einem jungen Mann, der sich an diesem Nachmittag das Leben nahm.

Es handelte sich um den Kriegsheimkehrer Septimus Warren Smith. Zu Beginn des Weltkriegs hatte er sich als einer der Ersten freiwillig gemeldet. An der Front wurde der mit ihm befreundete Offizier Evans vor seinen Augen von einer Granate zerfetzt. Entsetzt stellte er fest, dass er nichts empfand, weder Schmerz noch Trauer. Nach dem Krieg hatte er ein Zimmer in einem Gasthof in Mailand, und er heiratete Lucrezia, die jüngere Tochter des Wirts, obwohl er sie nicht liebte.

An diesem Vormittag – während Mrs Dalloway Blumen besorgte – war Septimus Warren Smith mit seiner Ehefrau Lucrezia auf dem Weg zu dem Psychiater Sir William Bradshaw, denn seit dem Krieg fühlte er sich verfolgt, hörte Stimmen und hielt sich für einen Messias. Zu Dr. Holmes hatte Lucrezia kein Vertrauen mehr, denn der Arzt versicherte in den letzten sechs Wochen nur immer wieder, dass ihr Mann gesund sei und sich alles nur einbilde. Nachdem Bradshaw eine Heimunterbringung empfohlen hatte, ging das Ehepaar wieder nach Hause. Am Nachmittag tauchte unerwartet Dr. Holmes auf und ließ sich von Lucrezia nicht davon abhalten, zu dem Patienten hinaufzugehen. Septimus Warren Smith hörte ihn kommen und stürzte sich deshalb aus dem Fenster in das Vorhofgitter.

Peter Walsh hörte die Sirene des Krankenwagens, als er in sein Hotel zurückging, um sich für die Dinnerparty bei Clarissa Dalloway umzuziehen.

Mrs Dalloway missfällt es, dass über den Tod geredet wird. Von Trauer und Schmerz überwältigt, denkt sie selbst an Selbstmord, aber sie verwirft den Gedanken.

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Die Handlung findet an einem einzigen Tag im Juni 1923 in London statt und wird durch die Glockenschläge von Big Ben zeitlich strukturiert.

Auf kunstvolle Weise verknüpft Virginia Woolf in ihrem Roman „Mrs Dalloway“ die Gefühle, Erlebnisse und Erinnerungen von Clarissa Dalloway und Septimus Warren Smith, obwohl die zwei spiegelbildlichen Romanfiguren sich nie begegnen. Gegenwart und Erinnerung, Reales und Imaginäres, Stimmungen, Eindrücke und äußere Geschehnisse verweben sich in gleitenden Überblendungen miteinander. Mit dieser „simultanen“ Darstellung weicht Virginia Woolf von der Tradition des auktorialen Erzählers ab. Sie setzt vielmehr erlebte Rede, direkte Rede, inneren Monolog nebeneinander und betrachtet die Figuren aus unterschiedlicher Sichtweise. Dabei richtet sie das Augenmerk nicht auf die äußeren Ereignisse, sondern auf die Innenperspektive der Protagonisten („stream of consciousness“).

Bei diesem Buch habe ich beinah zu viele Ideen. Ich will Leben & Tod, geistige Gesundheit & Wahnsinn zum Ausdruck bringen; ich will Kritik am Gesellschaftssystem üben & es in Aktion vorführen. (Virginia Woolf, Tagebuch, 19. Juni 1923)

Ich müsste eine Menge über The Hours [Arbeitstitel des Romans „Mrs Dalloway“] sagen, & über meine Entdeckung; wie ich hinter meinen Figuren schöne Höhlen ausgrabe; ich glaube, dadurch kommt genau zum Ausdruck, was ich will: Menschlichkeit, Humor, Tiefe. Die Idee ist, dass die Höhlen sich verbinden. (Virginia Woolf, Tagebuch, 30. August 1923)

Ursprünglich wollte Virginia Woolf den Roman mit dem Selbstmord von Mrs Dalloway enden lassen, aber sie änderte den Plan und ließ stattdessen den traumatisierten Kriegsheimkehrer Septimus Warren Smith durch Suizid sterben.

Die Erstausgaben des Romans „Mrs Dalloway“ erschienen am 14. Mai 1925 in den Verlagen The Hogarth Press, London, und Harcourt, Brace & Co, New York. 1928 veröffentlichte der Insel Verlag in Leipzig unter dem Titel „Eine Frau von fünfzig Jahren“ die erste Übertragung ins Deutsche von Theresia Mutzenbecher. Der S. Fischer Verlag in Frankfurt/M, der 1955 bereits eine Übersetzung von Herberth E. und Marlys Herlitschka herausgebracht hatte, publizierte 1997 eine Neuübersetzung von Walter Boehlich, beide unter dem Titel „Mrs Dalloway“.

Marleen Gorris verfilmte den Roman: „Mrs Dalloway“.

„Mrs Dalloway“ inspirierte Michael Cunningham zu seinem Roman „Die Stunden“ („The Hours“, New York 1998) über die Identitätskrise von drei Frauen. Dieses Buch wurde von Stephen Daldry verfilmt: „The Hours“.

Virginia Woolf (1882 – 1941) hat trotz vieler Krankheitsphasen, tiefer Depressionen und mehrerer Selbstmordversuche ein umfangreiches Œuvre hinterlassen. Aufgrund ihres vierten Romans – „Mrs Dalloway“ – wird sie mit James Joyce und Marcel Proust verglichen. Mit der formalen Neuerung der Erzählweise beendete sie die Tradition des englischen Frauenromans und leitete die moderne Literatur ein. – Am 28. März 1941 ertränkte sich Virginia Woolf in einem Fluss.

Literatur über Virginia Woolf:

  • Hermione Lee: Virgina Woolf. Ein Leben
    (Übersetzung: Holger Fliessbach; S. Fischer Verlag)
  • Werner Waldmann: Virginia Woolf (Rowohlt Bildmonographie)
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Inhaltsangabe und Rezension: © Irene Wunderlich 2003/2007
Textauszüge: © S. Fischer Verlag

Marleen Gorris: Mrs Dalloway

Michael Cunningham: The Hours. Die Stunden
Stephen Daldry: The Hours
Virginia Woolf: Zum Leuchtturm
Virginia Woolf: Orlando (Verfilmung)

George Orwell - 1984
Bei "1984" handelt es sich um eine düstere und hoffnungslose Vision, eine beklemmende Warnung vor der uneingeschränkten Vereinnahmung der Menschen durch eine Parteielite. Der längst als Klassiker geschätzte Roman ist aktueller denn je.
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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon zehn Tage und mehr, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte, und die Zeitspanne wird sich noch verlängern: Aus familiären Gründen werde ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik deutlich reduzieren.