Susanne Abel : Stay Away From Gretchen

Stay Away From Gretchen
Stay Away From Gretchen Eine unmögliche Liebe Originalausgabe dtv Verlagsgesellschaft, München 2021 ISBN 978-3-423-28259-8, 527 Seiten ISBN 978-3-423-43831-5 (eBook)
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Die Tochter einer Flüchtlingsfamilie aus Ostpreußen verliebt sich in Heidelberg in einen afroamerikanischen GI, bekommt 1949 eine Tochter von ihm und wird als "Negerhure" beschimpft. Während Bob vergeblich versucht, den Militärdienst zu quittieren, um Greta heiraten zu können, kann diese eine Freigabe der Tochter zur Adoption nicht verhindern ...
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Kritik

"Stay Away From Gretchen. Eine unmögliche Liebe" ist ein eindringliches Plädoyer gegen Hass und Diskriminierung. In einprägsamen Szenen der tragischen Geschichte lässt Susanne Abel die Nachkriegszeit lebendig werden. Ihr bewegender Debütroman ist gut zu lesen, ernsthaft und überzeugend aufgebaut.
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2015

Im Juli 2015 wird die 84-jährige Greta Monderath ins Aschaffenburger Klinikum gebracht. Offenbar fuhr sie orientierungslos 250 Kilometer weit mit ihrem Auto, bis ihr der Sprit ausging. Die Witwe wohnt seit Anfang der Sechzigerjahre in Köln-Porz, in einem damals von einem Onkel ihres Ehemanns Konrad Monderath gebauten Mietshaus für sechs Parteien. Dort wuchs auch ihr 1970 geborener Sohn Thomas auf, der sich inzwischen als Anchorman einer Fernsehnachrichten-Sendung einen Namen gemacht hat und nun verständigt wird, damit er seine Mutter aus Aschaffenburg zurückholen kann.

Dass sie vielleicht besser mit dem Autofahren aufhört, sieht Greta nicht ein.

„Meinst du nicht, du solltest das Autofahren erst mal lassen?“
„Das wär ja noch schöner. Wie soll ich denn dann einkaufen und so?“

Im September 2015 vergisst Greta den aufgedrehten Wasserhahn im Bad, und die Wanne läuft über. Thomas, dessen Vater 1997 starb, ist froh, dass sich die 66-jährige Nachbarin Helga Schmitz um seine Mutter kümmert. Helgas Ehemann Alfred war von Konrad Monderath als Hausmeister des Neubaus eingestellt worden, und das kinderlose Ehepaar erhielt eine der sechs Wohnungen. Als Alfred Schmitz Mitte der Achtzigerjahre starb, garantierte der Hausbesitzer der hilfsbereiten Witwe lebenslanges Wohnrecht ohne Mieterhöhungen.

2016

Auf einem vor dem Heidelberger Schloss geknipsten alten Schnappschuss fällt Thomas ein Afroamerikaner zwischen seinen Urgroßeltern, der Großmutter Emma Schönaich, Greta und ihrer älteren Schwester auf. Und im Februar 2016 entdeckt er zufällig einen an seine Mutter adressierten Brief aus dem Jahr 1947. Absender: ein GI.

Jenny Walter, die Thomas als Assistentin beim Fernsehen kennt, findet über GI Trace heraus, dass es sich dabei um den in einem Veteranenheim in New Orleans lebenden, inzwischen 89 Jahre alten Afroamerikaner Robert („Bob“) Cooper handeln könnte. Aber als Thomas dort anruft, erklärt ihm der Heimleiter Jack Steward nach Rücksprache mit dem Bewohner, dass dieser keinen Kontakt mit ihm wolle.

Der Autohändler Hubert Sackmann liefert das von Greta Monderath mit vielen Extras bestellte rote BMW-Cabriolet – und kann bei ihrer Probefahrt gerade noch einen Unfall verhindern. Thomas gerät außer sich, als er von dem Autokauf erfährt. Als er vorsichtshalber den Führerschein seiner Mutter an sich nimmt, fällt das Foto eines dunkelhäutigen kleinen Mädchens heraus: „Mariele“.

Weil Greta sich weigert, Fragen ihres Sohnes nach Bob Cooper oder Mariele zu beantworten, fordert er einen Personenstandsausdruck an und erfährt, dass Greta Schönaich am 23. Mai 1949 in Heidelberg eine Tochter gebar, die den Namen Marie erhielt.

Kurz nach dem 85. Geburtstag seiner Mutter am 7. März 2016 meldet Thomas sie als vermisst. Man findet sie unter der Rheinbrücke von Köln nach Rodenkirchen und bringt sie in die Gerontopsychiatrie, wo die Ärzte Alzheimer diagnostizieren.

Die 41-jährige Jenny Walter bringt einen mit einer Samenspende gezeugten Sohn zur Welt, doch obwohl sie mit der Versorgung des Säuglings Carl voll beschäftigt ist, versucht sie weiter, mehr über Bob Cooper und Marie Schönaich herauszufinden. Zu den neuen Erkenntnissen gehört, dass Marie Schönaich von 1949 bis 1952 wie ihre Mutter in Heidelberg gemeldet war und im November 1952 in das Kinderheim im Vorort Ziegelhausen kam. (Das wurde Mitte der Sechzigerjahre geschlossen.) Und noch etwas: Greta verbüßte von Dezember 1952 bis Mai 1953 eine Haftstrafe.

1916 – 1945

Als der 38-jährige Soldat Ludwig Sabronski nach dem Kriegseinsatz in Verdun 1916 mit einem amputierten Bein im Lazarett in Heidelberg liegt, verliebt er sich in die neun Jahre jüngere Krankenschwester Auguste („Guste“) Holloch. Aber einen kriegsverstümmelten sozialdemokratischen Kupferschmied würde die angesehene Heidelberger Medizinerfamilie Holloch nicht als Schwiegersohn akzeptieren. Guste folgt ihm jedoch nach Ostpreußen, und dort heiraten sie am 24. Dezember 1918 in seinem Heimatort Preußisch Eylau.

Ihre Tochter Emma Sabronski wird 1926 im Alter von 16 Jahren von dem zwei Jahre älteren Nationalsozialisten Otto Schönaich geschwängert. Notgedrungen heiraten die beiden. Nach Josefine („Fine“) bringt Emma am 7. März 1931 in Preußisch Eylau noch eine zweite Tochter zur Welt: Greta.

1942 teilt die Wehrmacht Emma mit, dass ihr Ehemann Otto vermisst werde und wahrscheinlich in russische Kriegsgefangenschaft geraten sei.

Im Jahr darauf fliehen Guste und Ludwig Sabronski, Emma, Fine und Greta Schönaich aus Ostpreußen. Nach drei Tagen holt die Rote Armee sie ein. Zuerst rauben die Russen die Flüchtlinge aus, dann vergewaltigen sie die Frauen. Die 12-jährige Greta kommt davon, weil sie wie ein Junge aussieht.

1946 – 1948

Nachdem Greta und ihr Großvater Ludwig von Guste, Emma und Fine getrennt wurden, erreichen sie im Februar 1946 das im September 1945 eröffnete Durchgangslager für Flüchtlinge und Vertriebene in Friedland bei Göttingen. Bald darauf werden sie auf dem Bauernhof der Familie Haider in Klein Schneen zwangseinquartiert. Schließlich stößt auch Fine zu ihnen.

Am 1. Mai 1946 treffen sie ebenso wie Guste und Emma in Heidelberg ein. Gustes Bruder, Prof. Dr. Hermann Holloch, besitzt dort eine Villa. Die wurde allerdings von der amerikanischen Besatzungsmacht requiriert, und Elise („Elis“) Holloch steht nur noch eine früher von Bediensteten bewohnte Dachkammer zur Verfügung. Ihr Ehemann, der Medizinprofessor, ist im Internierungslager in Garmisch-Partenkirchen. Die Söhne Albert und Armin sind gefallen.

Guste und Ludwig, Emma, Fine und Gerda kommen in dem ehemaligen Bienenhaus unter, das Hermanns Vater, Prof. Dr. Christian Holloch, 1930 bei seinem Tod hinterlassen hat.

Der afroamerikanische GI Robert („Bob“) Cooper hilft Gerda, als diese eine auf dem Schwarzmarkt erstandene Nähmaschine in das Behelfsheim schleppt. Damit kann die ausgebildete Schneiderin Emma etwas Geld verdienen. Tatsächlich gelingt es ihr, 1948 eine Änderungsschneiderei in Heidelberg einzurichten, und im selben Jahr bekommt die Familie einen Zulassungsschein für eine Zwei-Zimmer-Wohnung.

Als Greta in einem Lokal, in dem der 22-jährige Bob Cooper als Mitglied einer Band Trompete spielt, von einem weißen GI belästigt wird, steht der Afroamerikaner ihr bei. Aber die anwesenden weißen Soldaten schlagen ihn zusammen und die Militärpolizei nimmt ihn fest.

1949 – 1956

Monatelang sieht Greta ihn nicht wieder. Dass sie ein Liebespaar geworden sind, darf niemand wissen, denn den amerikanischen Militärangehörigen ist eine Fraternisierung mit Deutschen ausdrücklich verboten. „Stay away from Gretchen!“, heißt es. Aber die Beziehung lässt sich nicht länger geheim halten, als Greta am 23. Mai 1949 eine dunkelhäutige Tochter zur Welt bringt. Die Vormundschaft für die kleine Marie übernimmt Karl-August Ebert vom Jugendamt.

Eine ältere Passantin spuckt in den Kinderwagen. Als „Negerhure“ wird Greta beschimpft. In Emmas Änderungsschneiderei bleiben die Kundinnen und Kunden weg.

Als Fines Hochzeit mit dem 25 Jahre alten weißen Staff Sergeant John A. O’Sullivan aus Berlin/Wisconsin ansteht, lässt sie keinen Zweifel daran aufkommen, dass sie ihre Nichte Marie nicht dabei haben möchte. Greta nimmt deshalb auch nicht an der Hochzeitsfeier teil.

Weil schwarze Militärangehörige wie Bob keine Chance haben, eine Lizenz zur Eheschließung zu bekommen, will Bob in die USA zurückkehren und dort seinen Dienst quittieren, um danach Greta in Heidelberg heiraten zu können. Am 10. März 1950 verabschiedet er sich von ihr für voraussichtlich einen Monat.

Aber als im September 1952 Prof. Dr. Hermann Holloch nach sieben Jahren in Garmisch-Partenkirchen freigelassen wird, hat Greta noch immer keine Nachricht von Bob.

Einige Monate, nachdem Emma Schönaich ihren seit zehn Jahren verschollenen Ehemann für tot erklären ließ, um eine Rente zu bekommen, kehrt Otto aus russischer Kriegsgefangenschaft zurück. Er ist entsetzt, als er nicht nur auf einen feindlichen Soldaten als Schwiegersohn, sondern außerdem auf einen „Negerbastard“ trifft und dann auch noch erfährt, dass ihn seine Frau für tot erklären ließ.

„Ich hab gekämpft und meine Haut hingehalten. Und meine Töchter haben sich wie Huren dem Feind angeboten!“

Marie kann nicht länger bei der Familie bleiben. Der Vormund Karl-August Ebert sorgt dafür, dass das dreijährige Mädchen ins evangelische Kinderheim im Heidelberger Vorort Ziegelhausen gebracht wird.

Guste Sabronski stirbt am 25. November 1952 im Alter von 65 Jahren an einer Krebserkrankung.

Immer wieder versucht Greta, ihre Tochter im Kinderheim zu besuchen, aber die Nonnen verweigern ihr den Zutritt. Einmal wird sie von einer Jugendlichen angesprochen, die sie als Gegenleistung für Zigaretten zu einem Nebeneingang führt. Durch einen Türspalt blickt Greta in den Speisesaal. Die Kinder sitzen nach Hautfarbe getrennt an den Tischen. Marie, die sich gerade eingenässt hat und gedemütigt wird, entdeckt ihre Mutter und wirft sich in deren Arme. Schwestern zerren an ihr. In dem Gerangel packt Greta einen Stuhl und schlägt damit die Oberin Erdmuthe nieder.

Das Amtsgericht Heidelberg verurteilt sie deshalb zu einer Haftstrafe. Als sie am 29. Mai 1953 das Gefängnis wieder verlassen darf, eilt sie zum Kinderheim, erhält jedoch keine Auskunft. Man hat ihr das Sorgerecht für Marie entzogen. (Das Mädchen wurde am 1. März 1953 ins Kinderheim St. Hermann-Josef in Mannheim-Käfertal überstellt.)

Greta versucht, sich im Neckar zu ertränken, aber Konrad Monderath rettet sie. Er kennt sie, denn er ist der Sohn eines mit Prof. Dr. Hermann Holloch befreundeten Architekten. Seine Familienangehörigen kamen alle bei einem Bombenangriff in Köln ums Leben.

Nach dem Suizidversuch wird Greta vorübergehend in die Großherzoglich Badische Heil- und Pflegeanstalt in Wiesloch eingewiesen.

1956 heiraten Greta Schönaich und Konrad Monderath.


Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.


April 2016

Von Ingelore Frackhauser-Mann, der stellvertretenden Leiterin des Jugendamts Heidelberg, erfährt Thomas, dass Marie nach Amerika adoptiert wurde. Greta gab von 1954 bis 2010 jedes Jahr einen Geburtstagsbrief für ihre Tochter ab, aber niemand fragte je danach.

Thomas fliegt nach New Orleans. Dass Bob Cooper ihn sofort erkennt, weil er seinem Vater ähnlich sieht, überrascht ihn. Tatsächlich war Konrad Monderath im April 1968 anlässlich eines Ärztekongresses in den USA und besuchte Bob, um ihn nach Marie zu fragen. Aber Bob konnte ihm nicht weiterhelfen.

Als er 1950 nach Hause reiste, um seinen Militärdienst zu quittieren, prügelten ihn Landsleute in Alabama beim Warten auf den Bus nach New Orleans halb tot, weil er in einem für Weiße reservierten Lokal um Wasser gebeten hatte. Erst nach acht Wochen konnte er das Krankenhaus verlassen. Die Army drohte ihm mit einer Anklage wegen Befehlsverweigerung und schickte ihn bis 1953 in den Korea-Krieg. Bob schrieb Greta immer wieder, erhielt aber nie eine Antwort. (Ihre Eltern fingen die Briefe ab.)

Im Sommer 1953 reiste er nach Heidelberg, um sich nach Greta und Marie zu erkundigen. Otto Schönaich beschimpfte ihn als „Drecksneger“ und schickte ihn fort. Bob traf dann Emma auf der Straße. Sie sagte ihm, Greta lebe jetzt in einer anderen Stadt und sei mit einem Mann verheiratet, der das Kind adoptiert habe.

Jetzt hört Bob von seinem Besucher Thomas, dass Greta und Konrad erst 1956 heirateten und das Kind gegen den Willen der Mutter zur Adoption freigegeben wurde.

Bei Jenny, die in entsprechenden Internet-Foren weiterforscht, meldet sich Max Weller, ein Junge, der 1953 mit Marie zusammen von Frankfurt nach New York geflogen wurde.

„Man hat uns Kindern vor der Landung erzählt, dass unsere Muttis uns abholen würden […]. Dann wurden wir von unseren Adoptivmüttern in Empfang genommen. Fremde Frauen! Die kleine Marie hatte Angst und schrie: ‚Eine Negerin, eine Negerin.‘ Ich fürchtete mich auch vor ihnen. Ich hatte keine Ahnung, dass ich selber schwarz war.“

Die beiden kamen zu einer Familie, die bereits zwei Adoptivkinder hatte. Marie hieß nun Grace. Als der Adoptivvater zwei Jahre später starb, wurden die vier Kinder auf andere Familien verteilt.

Bob lässt es sich nicht ausreden, mit Thomas nach Deutschland zu fliegen, um „Gretchen“ wiederzusehen. Am 23. April 2016 treffen sie in Frankfurt am Main ein und werden von Jenny mit dem Auto abgeholt.

Greta freut sich zwar über die Hershey-Schokolade, die Bob ihr mitbringt, weil sie die damals so gern mochte, aber sie erkennt ihn nicht mehr und droht mit der Polizei, als er versucht, sie in den Arm zu nehmen.

Während Bob noch in Heidelberg ist, meldet sich auf Jennys Posts ein Mann, der überzeugt ist, ein Enkel der Gesuchten zu sein. Grace hat vier Töchter und 13 Enkel. Sie und ihr als Ranger im Chattahoochee Nationalpark beschäftigter Ehemann leben in einer kleinen Ortschaft 60 Meilen nördlich von Atlanta. In ihrer Kindheit sagten ihr die Adoptiveltern, ihre Mutter sei gestorben und ihr Vater unbekannt. Als sie nun von Thomas am Telefon erfährt, dass sie einen Halbbruder habe, die Mutter lebe und der Vater bei Greta in Heidelberg zu Besuch sei, bucht sie sofort einen Flug nach Deutschland.

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„Stay Away From Gretchen. Eine unmögliche Liebe“ ist ein eindringliches Plädoyer von Susanne Abel gegen Hass und Diskriminierung.

Im Mittelpunkt steht das Thema der „Brown Babies“. Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen in der Bundesrepublik Deutschland innerhalb von zehn Jahren 4800 von afroamerikanischen GIs mit deutschen Frauen gezeugte Kinder unehelich zur Welt. Die Mütter wurden als „Ami-Flittchen“ und „Negerhuren“ beschimpft, die Kinder ausgegrenzt. Die afroamerikanische Journalistin Mabel A. Treadwell (1915 – 2002), die 1950 den US-Offizier Oscar G. Grammer heiratete und mit ihm bis 1954 in Mannheim lebte, bildete nach einem Besuch im St. Josef Waisenhaus in Mannheim-Käfertal ein „Brown Baby Plan“ genanntes Netzwerk und konnte damit mehr als 500 Kinder an Adoptiveltern in den USA vermitteln. Oscar und Mabel Grammer adoptierten selbst zwölf der Kinder.

Den nationalsozialistischen Rassenwahn spiegelt Susanne Abel mit dem Rassenhass der Amerikaner, das Schicksal der 1945 Vertriebenen mit den Flüchtlingsströmen im Jahr 2015. So erwähnt sie in „Stay Away From Gretchen“ beispielsweise, wie der asthmakranke Afroamerikaner Eric Garner am 17. Juli 2014 in New York bei einem Polizeieinsatz zu Tode kam („I can’t breathe“). Sie thematisiert die Anfeindungen gegen die Bundeskanzlerin Angela Merkel beim Besuch am 26. August 2015 in der Flüchtlingsunterkunft in Heidenbau und erinnert daran, dass am 27. August 2015 bei Parndorf im Burgenland 71 erstickte Flüchtlinge in einem Kühllaster entdeckt wurden.

Susanne Abel entwickelt die Tragödie chronologisch, aber im ständigen Wechsel zwischen der Gegenwart und der Vergangenheit, bis beide Handlungsstränge zusammenlaufen.

Besonders lebendig und eindrucksvoll veranschaulicht Susanne Abel in „Stay Away From Gretchen“ die Nachkriegszeit, über die sie offenbar gründlich recherchiert hat. Das zeigt sich an vielen einprägsamen Beispielen. Weil Fine Nylons fehlen, malt ihr die jüngere Schwester Greta mit einem Augenbrauenstift eine Strumpfnaht aufs nackte Bein. Eine Hebamme erklärt der jungen Mutter: „Wenn sie schreit, ist das gut für die Lungen.“ Das Heidelberger Ehepaar Holloch, das 1953 bereits über ein Fernsehgerät verfügt, schaut sich die Sendung des Fernsehkochs Clemens Wilmenrod an. Auch die Szenen vom Hamstern und vom Schwarzhandel wirken authentisch.

In der anderen Zeitebene, der Gegenwart, überzeugt vor allem die differenzierte und facettenreiche Darstellung der Altersdemenz.

Die Charaktere hätte Susanne Abel intensiver ausleuchten können. Und das Ende schrammt gerade noch am Kitsch vorbei.

Abgesehen davon handelt es sich bei „Stay Away From Gretchen. Eine unmögliche Liebe“ um einen gut zu lesenden, berührenden, ernsthaften und überzeugend aufgebauten Roman.

Eine Ergänzung dazu veröffentlichte Susanne Abel 2022: „Was ich nie gesagt habe. Gretchens Schicksalsfamilie“.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2022
Textauszüge: © dtv Verlagsgesellschaft

Susanne Abel: Was ich nie gesagt habe. Gretchens Schicksalsfamilie

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