Fatma Aydemir : Ellbogen

Ellbogen
Ellbogen Originalausgabe Carl Hanser Verlag, München 2017 ISBN 978-3-446-25441-1, 272 Seiten ISBN 978-3-446-25595-1 (eBook) Taschenbuch dtv, München 2018 ISBN 978-3-423-14665-4, 272 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Das Leben Hazals, einer in Berlin geborenen und aufgewachsenen Tochter türkischer Eltern, gerät an ihrem 18. Geburtstag aus den Fugen: Das allgemeine Gefühl der Nichtzugehörigkeit und eine frustrierende Zurückweisung zu viel lösen Aggression aus. Um der Verhaftung zu entgehen, flieht Hazal nach Istanbul – und erlebt dort den Putschversuch im Juli 2016.
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Kritik

Bei "Ellbogen" handelt es sich um eine Coming-of-Age-Geschichte der besonderen Art. Zugehörigkeit bzw. Ausgrenzung, fehlende Solidarität, aber auch Selbstfindung und persönliche Freiheit sind die zentralen Themen des eindrucksvollen, mitreißenden Adoleszenz-Romans von Fatma Aydemir.
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Hazal

Hazals Großeltern kamen mit Sohn und Tochter aus der Türkei nach Deutschland. Semra, die erst hier geborene zweite Tochter, ist die einzige in der Familie, die studiert hat. Mit Anfang 30 ist sie noch ledig. Ihre Schwester Sultan hat Salih Akgündüz geheiratet. Der fährt inzwischen seit 20 Jahren Taxi in Berlin. Das Ehepaar wohnt mit den Kindern – der 17-jährigen Tochter Hazal und ihrem gut zwei Jahre jüngeren Bruder Onur – in zweieinhalb Zimmern im Stadtteil Wedding.

Zwei Tage vor ihrem 18. Geburtstag am 25. Juni 2016 wird Hazal Akgündüz beim Diebstahl in einem Supermarkt vom Ladendetektiv ertappt und angezeigt. Außerdem muss sie eine „Fangprämie“ zahlen. Im Alter von sieben Jahren ließ sie schon einmal einen Lippenstift mitgehen. Als ihre Mutter das herausfand, schleppte sie Hazal in den Supermarkt, und das Kind musste sich beim Filialleiter entschuldigen. Die Scham, die Hazal damals empfand, spürt sie noch immer.

Seit einiger Zeit hilft Hazal als Verkäuferin in der Bäckerei ihres Onkels und ihrer Tante aus. Der Laden läuft auf den Namen Sultans, denn deren Bruder gilt als insolvent, und die Schwägerin Defne hartzt. Um Steuern zu sparen, wird nur jeder zweite Einkauf eingetippt. Am Ende ihrer Schicht steckt Hazal immer etwas Geld für Zigaretten ein und um sich bei dem Kleindealer Eugen Haschisch besorgen zu können.

Eugen wird eines Tages von Hazals kleinkriminellem Bruder Onul und dessen Clique in seiner Wohnung überfallen, zusammengeschlagen und ausgeraubt.

Geburtstag

An ihrem 18. Geburtstag ist Hazal enttäuscht, weil Mehmet sich nicht meldet und gratuliert. Mehmet ist zehn Jahre älter als sie, und die beiden kennen sich nur über Facebook und Skype, denn der in Frankfurt-Sossenheim aufgewachsene Türke wurde nach einer tätlichen Auseinandersetzung abgeschoben und lebt jetzt in Istanbul.

Hazal möchte ihren Geburtstag mit ihren Freundinnen Gül und Elma in einem Klub feiern. Vorher turnen sie sich noch in einer Kneipe mit Schnaps an. Aber nachdem sie lange in der Warteschlange vor dem Klub standen, weisen die Türsteher sie zurück. Frustriert nehmen sie die S-Bahn. Gegen 4 Uhr morgens wollen sie am Bahnhof Friedrichstraße umsteigen. Außer ihnen wartet nur noch ein Betrunkener, den die Mädels für einen Studenten halten, auf die U-Bahn. Hazal fährt ihn verärgert an: „Was grinst du so, du Affe?“ Elma schubst ihn. Der junge Mann fragt lallend, ob er ihnen seinen Schwanz zeigen solle. Daraufhin schlägt Elma ihm mit der Faust ins Gesicht. Er taumelt gegen einen BVG-Automaten und geht zu Boden. Elma tritt ihm zwischen die Beine. Auch ihre Freundinnen machen sich über ihn her.

Mein Fuß tritt ihm ins Steißbein. Dieser Tritt, das bin ich.

Der Attackierte haut Gül das Handy aus der Hand, und es wird aufs Gleis geschleudert. Im nächsten Augenblick stößt Hazal den Mann. Er stürzt vom Bahnsteig und bleibt mit dem Kopf auf einer Schiene liegen. Auf der Anzeigetafel wird die U6 in einer Minute angekündigt. Gül, Elma und Hazal rennen davon.

Istanbul

Hazal räumt noch am selben Morgen die Bäckereikasse aus. Die Geldscheine, die sie in Onurs Lederjacke gefunden hat, wirft sie auf dem Weg nach Tegel bei Eugen in den Briefkasten. Sie fliegt nach Istanbul und tut bei Mehmet und dessen Mitbewohner Halil so, als handele es sich um einen Überraschungsbesuch.

Der Student Halil Çil stammt aus der türkischen Provinz Mardin. Befreundet ist er mit Gözde, die ebenfalls studiert und augenscheinlich aus einem reichen Elternhaus stammt.

In einem Internetcafé findet Hazal Nachrichten über einen 23-jährigen Studenten Thorsten B., der in der Nacht auf den 26. Juni am Bahnhof Friedrichstraße von Unbekannten aufs Gleis gestoßen und von der einfahrenden U-Bahn tödlich verletzt wurde.

Während Mehmet im Drogenrausch auf dem Bett liegt und nicht ansprechbar ist, hämmern Männer gegen die Wohnungstüre, bis Hazal einen Spalt weit öffnet. Im selben Augenblick wird die Tür aufgestoßen, und sie schlägt Hazal die Stirn blutig. Eine Anti-Terror-Einheit stürmt die Wohnung. Sie suchen nicht nach Mehmet, sondern nach Halil.

Sobald die Männer weg sind, ruft Hazal ihn an. Halil rät ihr, zu Gözde zu fahren und schickt ihr eine SMS mit der Adresse. Gözde erklärt Hazal, Halil gehöre zu den Unterzeichnern eines offenen Briefes mit der Forderung, den Krieg gegen die Kurden zu beenden. Bald darauf erfährt Gözde, dass Halil festgenommen wurde.


Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.


Putschversuch

Im Internet sind inzwischen Fahndungsfotos aus Überwachungskameras am Bahnhof Friedrichstraße zu sehen. Hazal erkennt sich und ihre beiden Freundinnen.

Verzweifelt ruft sie ihre Tante Semra an, die noch in der Nacht zum Flughafen Tegel fährt und am frühen Morgen nach Istanbul fliegt. Von ihr erfährt Hazal, dass Gül und Elma bereits in U-Haft sitzen. Semra will ihre Nichte mit zurück nach Deutschland nehmen und erwartet, dass Hazal sich dort der Polizei stellt. Sobald Hazal das begreift, rennt sie davon.

Sie fängt als Kellnerin in einer Shisha-Bar in Üsküdar an und quartiert sich in einer Absteige ein, in der sie nichts zu bezahlen braucht, solange sie täglich putzt.

In der Nacht vom 15./16. Juli 2016 starren alle in der Shisha-Bar aufs Fernsehgerät. Aufnahmen von einem Putschversuch werden übertragen. Und von der nahen Bosporus-Brücke sind Schüsse zu hören. Trotz Ausgangssperre macht Hazal sich zu Fuß auf den Weg zu ihrem Quartier.

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Bei „Ellbogen“, dem Debütroman von Fatma Aydemir (*1986), handelt es sich um eine Coming-of-Age-Geschichte der besonderen Art. Das Leben Hazals, einer in Berlin geborenen und aufgewachsenen Tochter türkischer Eltern, gerät an ihrem 18. Geburtstag aus den Fugen: Das allgemeine Gefühl der Nichtzugehörigkeit und eine frustrierende Zurückweisung zu viel lösen Aggression aus. Um der Verhaftung zu entgehen, flieht Hazal nach Istanbul – und erlebt dort die brutale Niederschlagung des Putschversuchs im Juli 2016. Zugehörigkeit, Selbstfindung und persönliche Freiheit sind die zentralen Themen des Adoleszenz-Romans „Ellbogen“.

Mit dem Titel spielt Fatma Aydemir auf eine unsolidarische Gesellschaft an:

Überall nur Ellbogen von denen, die stärker sind als wir.

Fatma Aydemir porträtiert die Protagonistin Hazal sehr lebendig und inszeniert die Tragödie anschaulich. „Ellbogen“ wirkt authentisch, und das Verhalten der Figuren ist gut nachvollziehbar. Es ist ein eindrucksvoller, mitreißender Roman.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2022
Textauszüge: © Carl Hanser Verlag

Fatma Aydemir: Dschinns

Dieter Wellershoff - Der Liebeswunsch
Dieter Wellershoff entwickelt die Tragödie im Wechsel zwischen den Perspektiven der vier Romanfiguren. Dabei erweist er sich als tiefschürfender, beinahe schon grüblerischer Autor, der die Motive seiner Figuren gründlich ausleuchtet und ihr Verhalten, die psychologischen Zusammenhänge und Entwicklungen ebenso präzise wie anschaulich darstellt.
Der Liebeswunsch

 

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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon zehn Tage und mehr, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte, und die Zeitspanne wird sich noch verlängern: Aus familiären Gründen werde ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik deutlich reduzieren.