Nino Haratischwili : Die Katze und der General

Die Katze und der General
Die Katze und der General Originalausgabe Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt/M 2018 ISBN 978-3-627-00254-1, 763 Seiten ISBN 978-3-627-02264-8 (eBook)
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Der Roman "Die Katze und der General" von Nino Haratischwili dreht sich vor dem Hintergrund des Ersten Tschetschenien-Kriegs um ein Kriegsverbrechen. Der Anwalt, der die Familie des Opfers vor Gericht vertritt, wird erschossen, und der Prozess gegen die vier Angeklagten scheitert. Aber einer von ihnen wird auch 20 Jahre nach der Tat von der Schuld und Ungerechtigkeit umgetrieben ...
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Kritik

"Die Katze und der General" handelt von Moral und Gerechtigkeit, falsch getroffenen Entscheidungen, Schuld und Sühne, von Liebe und psychischen Verwüstungen. Das Eine oder Andere holpert, aber Nino Haratischwili erzählt mit überbordender Fantasie eine erschütternde, mitreißende Geschichte.
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2016: Die Katze

Sesili („die Katze“) ist eine junge, erfolglose Schauspielerin, die mit ihrer Mutter Tina und ihrer jüngeren Schwester Natalia aus der georgischen Hauptstadt Tiflis (Tbilissi) nach Berlin kam. Sie hatten auch Tinas Mutter Sesilia nachgeholt. Sesilis Vater Rezo, ein Arzt, hatte sich nach einem Kriegseinsatz umgebracht.

2016 trennt sich Sesili von ihrem Liebhaber, der seine Familie in Wien nicht aufgeben möchte. Und weil sie mit der Miete in Rückstand geraten ist, kündigt ihr der Eigentümer der Wohnung in Berlin. Kurz darauf wird sie von einem Russen angesprochen, der sich als Anatoli Schapiro vorstellt. Seinem Chef Alexander Orlow sei ihr Gesicht auf einem Theaterplakat aufgefallen, sagt er, und nun wolle er ein Video von ihr.

„Sie weisen eine einmalige Ähnlichkeit mit einem Menschen auf, der in seinem Leben eine entscheidende Rolle gespielt hat. Leider lebt dieser Mensch nicht mehr. Und mit dem Video möchte er eine kleine Wiedergutmachung leisten, das kann er Ihnen persönlich aber viel besser erklären.“

Sesili lehnt das seltsame Angebot erst einmal ab, googelt jedoch den Namen Alexander Orlow und findet heraus, dass es sich um einen in Berlin lebenden russischen Oligarchen handelt.

Nach Anatoli Schapiro versucht der Journalist Onno Bender, Sesili für das von Alexander Orlow gewünschte Video zu gewinnen.

„Ich bin Journalist. Genauer gesagt, ich war es. Mein Spezialgebiet war schon immer Osteuropa. Ich habe über die Balkankriege geschrieben und viel Zeit in Russland verbracht. Mein Fokus lag auf den Selfmade-Millionären aus der Perestroika-Ära. Ich habe Recherchen über einen dieser Oligarchen angestellt, Belyi heißt er, vielleicht sagt dir der Name was, muss aber nicht, ist vielleicht besser so. Nun ja, ich habe ein Buch über ihn geschrieben, Juri Belyi, ein ziemlich heftiger Typ aus der Moskauer Unterwelt, der zeitweise zu den reichsten Männern Russlands zählte.“

Seit seinem Erfolg mit dem Buch über Juri Belyi möchte Onno Bender auch eines über Alexander Orlow schreiben. Der russische Journalist Nikita Pasternak brachte ihn auf die Idee. Dessen älterer Bruder Stanislaw Pasternak, ein Rechtsanwalt, hatte 1996 die Familie eines im Ersten Tschetschenien-Krieg gefolterten, vergewaltigten und ermordeten Mädchens im Prozess gegen vier Angeklagten vertreten. Einer von ihnen war Alexander Orlow. Aber Stanislaw Pasternak wurde erschossen, und der Prozess platzte.

„Wie durch ein Wunder stieg Orlow in die schmutzigen und vor allem hoch begehrten Geschäfte des Amtes für Sonderbauvorhaben ein, was heißt, dass er sich an allen Konfliktzonen, die Russland brüderlich überwachte, und vor allem später, am zweiten Tschetschenien-Krieg, bereichert hat. Denn dieses Amt in den Händen der Militärs finanziert und überwacht alle Bauprojekte in den Frontzonen: Garnisonen, Truppenunterkünfte, Raketenschächte, Militärstützpunkte. Dieses Amt verlässt Orlow bereits als Millionär.“

Onno Bender zeigt Sesili einen Ausriss aus einer alten russischen Zeitung mit dem Bild einer jungen Frau, die ihr verblüffend ähnlich sieht:

„Das ist Nura Gelajewa. Das tschetschenische Mädchen, das 1995 vergewaltigt und umgebracht wurde. Sie war damals achtzehn.“

Der Journalist rät Sesili, der Video-Aufnahme zuzustimmen. Jetzt könne sie noch hohe Forderungen stellen. Später werde „der General“ sie zwingen, denn er akzeptiere kein Nein.

Sesili denkt an die Schulden ihrer Mutter – 42.000 Euro –, verlangt diesen Betrag, und der Oligarch stimmt sofort zu.

2016: Die Krähe

Vier Jahre nachdem Alexander Orlow von Moskau nach Berlin umgezog, macht sich Onno Bender („die Krähe“) an seine Tochter heran, um mehr über den Oligarchen herauszufinden, der mit ihr und seiner zweiten Ehefrau Evgenia in einer Luxusvilla im Stadtteil Zehlendorf wohnt. Ada soll eigentlich nur Mittel zum Zweck sein, aber der doppelt so alte Journalist verliebt sich in sie, und Ada erwidert seine Gefühle. Die beiden versuchen, ihre Liebesbeziehung geheim zu halten. Orlow erfährt jedoch davon und sagt seiner Tochter, sie sei auf einen Journalisten hereingefallen, der ein Buch über ihn schreiben wolle. Um Ada von Onno zu trennen, reist er mit ihr nach Venedig und kauft ihr dort einen Palazzo.

Eine Woche später, nach der Abreise ihres Vaters, schickt sie Onno ein Flugticket, damit er sie besuchen kann. Ada himmelt ihren Vater an und hält ihn für unschuldig. Aber sie möchte von Onno hören, was er über ihren Vater, den Prozess 1996 und die Tschetschenin Nura Gelajewa herausgefunden hat. Während der Journalist vermutet, dass einer der drei anderen Beteiligten das Mädchen ermordete, setzt sich bei Ada die Überzeugung fest, dass es ihr Vater gewesen sei.

Und weil die 19-Jährige das nicht erträgt, nimmt sie sich 2015 mit Schlaftabletten das Leben.

Obwohl sich Onno Bender dadurch erst recht den Zorn des Oligarchen zugezogen hat, fordert Anatoli Schapiro ihn ein Jahr nach dem Suizid seiner Tochter auf, die Schauspielerin zu einer Videoaufnahme zu überreden und stellt als Gegenleistung in Aussicht, dass der Journalist das gewünschte Buch über den russischen Milliardär schreiben dürfe.

1995: Malisch

Alexander Orlow („Malisch“) ist der Sohn eines russischen Kriegshelden. Er war zwölf Jahre alt, als der Vater starb. Die Witwe Lydia Nikolaewna erwartet nun von Malisch, dass er dem Vorbild nacheifert. Stattdessen träumt er von einem Literaturstudium. Dreimal kann er seine Aufnahme in die Moskauer Militärakademie hinauszögern, dann muss er die verhasste Ausbildung beginnen. Allerdings bricht er sie zum Entsetzen seiner Mutter nach eineinhalb Jahren ab.

Aber als die Russische Föderation im Dezember 1994 militärisch in Tschetschenien interveniert, einem Land, das sich am 1. November 1991 – kurz vor der Auflösung der Sowjetunion – für unabhängig erklärte, bringt Lydia Nikolaewna ihren Sohn dazu, sich zur Armee zu melden.

Seine Einheit wird nach heftigen Kämpfen in Grosny im Mai 1995 in die Berge verlegt. Dort teilt man Malisch für die Arbeit im Küchen-Container ein, zusammen mit Aljoscha, dem vaterlos aufgewachsenen Sohn einer Erzieherin in Nowosibirsk, der nur aus Perspektivlosigkeit Soldat geworden ist.

Während eines dreitägigen Urlaubs in Wladikawkas trifft Malisch sich mit seiner Freundin Sonja aus Moskau. Einige Wochen danach schreibt sie ihm, dass sie schwanger sei.

Die meisten Tschetschenen weigern sich, den russischen Soldaten Lebensmittel zu verkaufen, und der Markt wird geschlossen. Aber Malisch und Aljoscha kommen in Kontakt mit der 17-jährigen Tochter der Bauernfamilie Gelajew, die Hühner züchtet.

1994: Nura

Um 1990 kommt ein russisches Lehrerpaar, das durch den Nordkaukasus zieht, um Kinder zu unterrichten, in das tschetschenische Dorf, in dem Nura Gelajewa wohnt.

Sie lebten von den Gaben und Almosen, die ihnen die Eltern aus Dankbarkeit für ihre begeisterten Kinder zukommen ließen, und sahen ihren Auftrag darin, „Denkanstöße jenseits der herrschenden Normen“ zu vermitteln.

Niemals zuvor war es ihnen erlaubt worden, ihre eigene Meinung zu äußern. Stets waren es die Adat-Gesetze, die ihr Leben regelten, stets waren es die Eltern und Großeltern, die Dorfältesten, die Partei und die Imame, die ihnen sagten, was sie zu tun und zu lassen hatten.

Nura ist von Natalia Iwanowna hingerissen, aber als deren Ehemann Pankow einem Herzinfarkt erliegt und die Tschetschenische Republik Itschkerien ausgerufen wird, fühlt sich die Russin nicht mehr sicher und reist ab. Sie hinterlässt Nura einen der von Ernő Rubik erfundenen Zauberwürfel, ein Drehpuzzle, das sie nicht zu lösen vermochte.

Ende 1994 möchte Musa Osmajew, der Sohn eines muslimischen Molkereibesitzers, um Nuras Hand anhalten, aber die 17-Jährige erklärt ihm, dass sie weder ihn noch einen anderen Mann heiraten werde. Seit der Begegnung mit Natalia Iwanowna träumt sie von einem Leben jenseits ihrer archaischen Heimat. Sobald sie 18 ist, will sie das Dorf verlassen. Dafür spart sie.

1995: Malisch

Der 19-jährige Aljoscha verliebt sich in das mutige Mädchen Nura, das ihnen mehrmals heimlich Eier und Hühner verkauft, um an Geld zu kommen.

Bei einem weiteren Treffen zeigt Nura den beiden jungen Russen stolz ihren Zauberwürfel mit farblich einheitlichen Flächen: Sie hat das Drehpuzzle gelöst. Sie werde ihnen noch zehn Hühner zum doppelten Preis verkaufen, sagt sie, und dann das Dorf verlassen.

Kurz nachdem sich Malisch und Aljoscha mit einem Korb voll Eiern auf den Rückweg gemacht haben, taucht der Offizier Boris Petruschow auf. Hat er sie beobachtet?

Boris Petruschow ist der intelligenteste und perfideste Offizier der von Oberst Andrei Schujew kommandierten Einheit. Er heuchelt Gehorsam, zieht jedoch unmerklich die Fäden und manipuliert den alkoholkranken Vorgesetzten.

Am späten Abend werden Malisch und Aljoscha in eine Scheune gerufen. Dort sitzt Nura, auf einen Stuhl gefesselt. Petruschow erklärt:

Laut unseren Informationen ist der Vater der Genossin Gelajewa ein Separatist und kämpft im Untergrund. Er wird seit knapp zwei Jahren vermisst.

Schujew und der unterwürfige Soldat Iwan Juritsch („Zaika“) sind ebenfalls in der Scheune.

Gegen drei Uhr morgens begann Petruschow mit den Schlägen. Er schlug sie immer wieder ins Gesicht, erst mit der flachen Hand, dann mit der Faust. Aljoscha, der zu schreien anfing, wurde von Zaika zurückgehalten und erhielt ebenfalls Schläge mit dem Gewehrkolben.

Dann übernimmt es Schujew, das wehrlose Mädchen zu schlagen. Nachdem Nuras Fesseln abgenommen wurden, wirft der Oberst sie auf eine Pritsche und fällt über sie her.

1995: Alexander Orlow

Malisch bewegt sich zum Ausgang, aber Petruschow brüllt: „Orlow, ja, du feige Sau, halt! Tritt vor!“ Der Offizier drückt Aljoscha das Gewehr in den Nacken, damit dieser die Füße des sich wehrenden Mädchens festhält, während es von Schujew defloriert wird.

Plötzlich reißt Aljoscha Petruschow die Makarow aus dem Holster, presst sich den Lauf gegen die Schläfe und drückt ab.

Ungeachtet des Toten löst Petruschow seinen Vorgesetzten bei der Vergewaltigung des Mädchens ab.

Als auch Nura tot ist und der Oberst seinen Rausch ausschläft, ruft Alexander Orlow den Befehlshaber der Region an und meldet das Verbrechen, aber Schujews Vorgesetzter will davon nichts hören.

Daraufhin rennt Orlow los und telefoniert von einem Postamt aus mit General Makarow, der mit seinem Vater befreundet war und seinen Lebensabend in St. Petersburg verbringt. Er schildert ihm die Ereignisse und bittet ihm, dabei zu helfen, sich und die Mittäter anzuzeigen. Der Kriegsheld treibt einen unbestechlichen Richter in Rostow auf und spornt den Moskauer Rechtsanwalt Stanislaw Pasternak dazu an, sich mit Nuras Eltern in Verbindung zu setzen.

Schujew wird verhaftet und nach Mosdok gebracht. Er behauptet, Nura Gelajewa habe den Rebellen angehört und sei zur Scharfschützin ausgebildet worden. Dass ihre „Befragung“ aus dem Ruder gelaufen sei, könne er sich nicht erklären.

Petruschow kommt bis zum Prozess gegen Kaution frei, fliegt nach Moskau und passt Alexander Orlow ab. Im Fall eines Freispruchs habe er in der Direktion der GUSS, der Hauptverwaltung für Sonderbauvorhaben, eine lukrative Stelle sicher, sagt er, und könne ihn zum Stellvertreter machen. Aber er müsse den Mund halten.

Stattdessen setzt sich Orlow mit dem Anwalt Stanislaw Pasternak in Verbindung und erklärt ihm, dass er in den Zeugenstand gerufen werden wolle, um ein volles Geständnis abzulegen.

Vor dem Militärgericht demonstrieren Menschen für die Freiheit der „Helden Russlands“, und die Staatsanwaltschaft verhält sich, als sei ihre Aufgabe die Verteidigung der Angeklagten.

Im Gefängnis wird Orlow von dem Mithäftling Anatoli Schapiro vor einem Mordanschlag gewarnt und mit einem Messer ausgestattet.

In der Hoffnung, seinen Bruder aus dem kriminellen Sumpf in Odessa, seiner Geburtsstadt, herauszuholen, war er selbst in die Schattenwelt jener berühmten Stadt abgerutscht, und anders als sein Bruder, der an Drogen und Alkohol zugrunde gegangen war, hatte er ein beeindruckendes Talent für illegale Machenschaften bewiesen. In der aufblühenden Kriminalität der Perestroika-Zeit hatte Schapiro von illegalen Kämpfen bis hin zu neu eröffneten Spielhöllen alles kontrolliert und alle abkassiert. Und schließlich war Schapiro zum Diener des Königs der Unterwelt geworden. Schapiro war seine rechte Hand, sein bestes Pferd im Stall und frönte auch dem guten Leben, bis er eines Tages feststellte, dass der Unterweltkönig und seine Männer „zu weit gingen“, etwas, was dieser wortkarge Mann anscheinend weder in der Unterwelt noch in der Armee duldete. Nach ein paar unschönen Auseinandersetzungen blieb ihm nichts anderes übrig, als die Stadt und das Land zu verlassen.

Nachts hört Orlow, wie die Zellentür aufgeschlossen wird. Sobald der gedungene Mörder an seine Pritsche kommt, stößt er mit dem Messer zu und treibt ihn in die Flucht.

Zwei Wochen später wird Stanislaw Pasternak erschossen. Da begreift Orlow, dass es keine Gerechtigkeit geben wird, denn er nimmt an, dass der Anwalt einem Auftragsmord zum Opfer fiel und die Drahtzieher verhindern wollen, dass er durch sein Geständnis das russische Militär in schlechtem Licht darstellt. (Tatsächlich wurde Stanislaw Pasternak von Musa Osmajew erschossen, dem jungen Mann, der Nura hatte heiraten wollen. Im Dorf kursierte nämlich das Gerücht, der russische Anwalt vertrete statt der Interessen der Familie Gelajew die der Angeklagten.)

Orlow beauftragt nun seinen Verteidiger, Petruschow mitzuteilen, dass er auf ein Geständnis verzichten werde, falls dieser ihm seine in Aussicht stehende Anstellung bei der GUSS überlasse.

In einer Welt, in der man vor die Wahl gestellt wurde, entweder zum Mörder zu werden oder sich selbst eine Kugel in den Kopf zu jagen, in einer Welt, in der man vergewaltigte, weil sich die Möglichkeit ergab, gab es kein Richtig mehr. Dann blieb nur noch ein einziges Streben, das Streben nach Macht. Einer Macht, die weder Gnade noch Mitgefühl kannte und die reiner Selbstzweck war.

Der Prozess platzt. Orlow erhält die für Petruschow vorgesehene Position, und er kauft für sich, Sonja und die während des Gerichtsverfahrens geborene Tochter Ada eine Wohnung in Moskau.

Ein Jahr später kontaktiert er Orlow, der einige Monate nach ihm entlassen wurde. Mit dessen Hilfe verdrängt er zwei große Tiere in der Verwaltung für Sonderbauvorhaben, die sich einen Großteil der Schmiergelder teilten und übernimmt den Chefsessel.

Sonja betrügt ihn mit Petja („der Kassierer“), einem durch Schutzgelderpressung und Drogenhandel zum mächtigen Gangster aufgestiegenen früheren Freund – bis sie bei einem illegalen Autorennen tödlich verunglückt.

2016: Der General

Nach dem Suizid seiner Tochter fühlt Alexander Orlow („der General“) sich verpflichtet, mit 20 Jahren Verspätung doch noch für Gerechtigkeit zu sorgen.

Nun war er mächtig genug, brauchte keine Gerichte und keine Staatsanwälte, keine Richter und keine Zeugen mehr, er war jetzt sein eigenes Gericht. All das, was damals versäumt wurde, hatte er nun selbst in der Hand.

2016: Moskau

Der General schickt Onno Bender mit dem von Sesili aufgenommenen Video unter Anatoli Schapiros Aufsicht nach Moskau. Seine Aufgabe ist es, Andrei Schujew und Iwan Juritsch je einen USB-Stick zu übergeben. Darauf sehen sie Nuras Doppelgängerin, und Orlow lädt sie für Silvester in ein Hotel am Kezenoy (Kesenoiam) ein, einem Gebirgsee in Tschetschenien.

2016: Marrakesch

Von Moskau fliegt Onno nach Marrakesch, um dort auch Boris Petruschow einen USB-Stick zu übergeben.

Petruschow stammt aus einer angesehen Intellektuellenfamilie in Moskau. Bei einer Orgie tötete sein Freund Daniil Lebedew, der Sohn eines hohen KPdSU-Funktionärs, einen Zuhälter mit dem Hals einer zerschlagenen Champagnerflasche. Petruschow knipste rasch ein paar Fotos von der Leiche, einer blutverschmierten Prostituierten und dem halbnackten, im Koksrausch Champagner trinkenden Daniil. Dessen Vater sorgte dafür, dass ein Kasache für ein paar tausend Dollar die Schuld auf sich nahm und die Prostituierte den Mund hielt. Als Daniils Vater dann zu einem Direktor der GUSS aufgestiegen war, erpresste ihn Boris Petruschow mit den Fotos, ihm für die Zeit nach dem Tschetschenienkrieg eine hohe Stellung in der GUSS zu verschaffen.

Die musste er dann zwar Alexander Orlow für dessen Schweigen überlassen, aber er heiratete Lena Kalugina, die Tochter des Oligarchen Mischa Kalugin, und fing mit ihr in Marokko ein neues Leben an. Er betreibt dort ein ihr gehörendes Luxushotel. Dass er sie mit einem anderen Mann betrügt, darf sie nicht erfahren.


Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.


2016: Kezenoy

Alexander Orlow und Anatoli Schapiro nehmen Onno und Sesili im Privatjet mit nach Grosny. Von dort aus fahren sie zum Kezenoy-See in den tschetschenischen Bergen und beziehen ihre Zimmer in einem Hotel, das noch gar nicht in Betrieb ist, aber dem General und seinen Gästen bereits zur Verfügung steht.

Andrei Schujew, Boris Petruschow und Iwan Juritsch sind vor ihnen eingetroffen. Wie erwartet, folgten sie der „Einladung“ nicht freiwillig. Orlow sagt nach der Begrüßung:

„Ada, mein Augenstern, hat sich das Leben genommen, weil dieser Herr, darf ich vorstellen, Onno Bender, ihr hattet bereits das Vergnügen, ihr Liebe vorgeheuchelt hat. Er ist einer dieser Drecksjournalisten, die mich schon seit Jahren verfolgen. Will sogar ein Buch über mich schreiben und eben auch über unser kleines Intermezzo in Tschetschenien berichten. So oder so …
[…] Ich habe ihn mehrfach gewarnt, die Finger von mir zu lassen, aber das hat ihn nicht abgehalten. Nun, meine neunzehnjährige Tochter hat sich in diesen Herrn verliebt, wie es in dem Alter nun mal so passiert, und irgendwann herausgefunden, dass er das Blaue vom Himmel heruntergelogen hat, nur um an mich ranzukommen, und dann, ja, was dann kam, das erspare ich euch an dieser Stelle. Er jedenfalls, weil er glaubte, seine armselige Haut so zu retten, hat ihr Dinge erzählt, die nicht für ihre Ohren bestimmt waren. Am Ende entschied sie, dass sie nicht an der Seite eines Vergewaltigers und Mörders leben wollte. […]
Hätten wir damals bekommen, was wir verdienten, wäre meine Tochter jetzt noch am Leben. Ich finde, es wird Zeit, dass wir alle den Preis zahlen, den wir schon längst hätten zahlen müssen! Wir spielen ein Spiel. Die Gewinner, die dürfen nach Hause gehen. Die Verlierer … die bleiben hier.“

Bei einem Bootsausflug am nächsten Morgen – es ist der 31. Dezember 2016 – berichtet der General der jungen Schauspielerin von dem Kriegsverbrechen im Jahr 1995. Gegen den Oberst habe sich Nura noch verzweifelt gewehrt, sagt er, aber nachdem Aljoscha sich erschossen hatte, sei sie apathisch geworden. Als Petruschow von ihr abließ, wurde Orlow zu Nura gestoßen.

„Und als ich mich ihr näherte, da erwachte sie, kehrte zurück, sie sah mich an, sah nicht mehr durch mich hindurch, und ich verstand, worum sie mich mit ihrem Blick bat. Ich verstand es sofort. Jemand riss mir die Hose herunter, ich weiß nicht mehr, wer es war. […]
Als ich auf ihr lag, umschloss ich mit meinen Händen ihren Hals und drückte zu. Sie wehrte sich nicht, sie schaute mir fest in die Augen, sie erlaubte mir, ihr Leid zu beenden.“

Nach dem Geständnis schenkt er Nuras Doppelgängerin den Zauberwürfel, den er damals mitgenommen hatte.

„Ja, er hat ihr gehört. Sie hat sein Rätsel gelöst und war unheimlich stolz darauf. Aber meine Tochter hat ihn verdreht …“

Kurz vor Mitternacht bringt der General die junge Schauspielerin in einen Raum, von dem aus sie sein „Spiel“ nebenan durch einen Einwegspiegel beobachten kann. Sie bittet darum, danach wegfahren zu dürfen, und er antwortet:

„Natürlich. Ich gebe die Anweisung. Sie werden nach Grosny gefahren und von dort aus mit dem Flieger nach Berlin gebracht. Ich danke Ihnen für alles. Sie sind ein mutiger Mensch. Das Geld wird Schapiro in den nächsten Tagen auf Ihr Konto überweisen.“

Was mit Onno geschehe, fragt Sesili. Darauf sagt der General:

„Es ist Onno überlassen, ob er am Spiel teilnimmt oder nicht. Das Angebot steht. Entweder er erhält die exklusiven Rechte an meinem Leben, was er sich ja offenbar sehnlichst wünscht, dann muss er mitspielen, oder er lässt es sein und vergisst das Ganze. […] Er ist kein Gefangener. Er hat die Wahl.“

Pünktlich zum Jahreswechsel versammelt der General die anderen Herren um sich. Auch Onno nimmt an dem „Spiel“ teil und setzt sich an den runden Tisch, auf dem ein augenscheinlich für Russisches Roulette gedachter Revolver liegt.

Sesili empfängt eine Nachricht von ihrer Agentin und erfährt, dass sie sich beim Casting für eine gewünschte Rolle gegen hunderte von Konkurrentinnen durchgesetzt hat. Auf dem Display des Smartphones, das dem General gehört, liest Sesili eine SMS seiner Frau Evgenia: Sie ist endlich schwanger.

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Der Roman „Die Katze und der General“ von Nino Haratischwili dreht sich vor dem Hintergrund des Ersten Tschetschenien-Kriegs (1994 – 1996) um ein Kriegsverbrechen. Der Anwalt, der die Familie des Opfers – einer 18-jährigen Tschetschenin – vor Gericht vertritt, wird erschossen, und der Prozess gegen die vier Angeklagten scheitert. Aber einer von ihnen wird auch 20 Jahre nach der Tat von der Schuld und Ungerechtigkeit umgetrieben. Entschlossen plant er eine rücksichtslose Wiedergutmachung.

Da gibt es ein reales Vorbild für diesen Vorfall. Der Ausgangspunkt war die Tatsache, dass diese Brigade in so eine Art Urlaub versetzt wird, weil sie so harte Kämpfe hatte und dann in dieses Aul kommt, also in dieses Dorf, und sich erstmal erholen muss. Und die Tatsache, dass die Menschen das da nicht aushalten, dass eines Tages bei denen die Sicherungen durchbrennen. Der Oberst inszeniert im Krieg einen Krieg. Diese Vorstellung, dass Menschen so dermaßen traumatisiert sind, und Krieg ist für die Normalzustand und besser aushaltbar als jede Form von Normalität oder Frieden, das fand ich beängstigend. (Nino Haratischwili in einem Youtube-Video über ihr Buch „Die Katze und der General“).

„Die Katze und der General“ handelt von Moral und Gerechtigkeit, falsch getroffenen Entscheidungen, Schuld und Sühne, Liebe und psychischen Verwüstungen.

Im Prolog stellt Nino Haratischwili das mutige tschetschenische Mädchen Nura vor. Später ergänzt sie dieses Bild – bevor die 18-Jährige grausam umgebracht wird. Das Mitgefühl der Leserinnen und Leser ist deshalb sehr viel stärker als bei einem anonymen Opfer.

Die Handlung spielt auf zwei Zeitebenen: 2016 und Mitte der Neunzigerjahre. Lange Zeit deutet Nino Haratischwili nur an, dass in der Vergangenheit Schreckliches geschehen sei. Dann erfahren wir mehr, aber ein entscheidendes Detail hebt sich die Autorin bis zum Schluss auf.

Nino Haratischwili wechselt im Hauptteil zwischen vier Perspektiven. Da sind ein deutscher Journalist („die Krähe“) und eine ebenfalls in Berlin lebende, aus Georgien stammende Schauspielerin („die Katze“). Außerdem beobachten wir einen jungen russischen Soldaten („Malisch“) und denselben Mann zwanzig Jahre später („der General“). Dabei hat Nino Haratischwili für Onno Bender abweichend von den anderen Passagen die Ich-Form gewählt.

Das offene Ende wird nicht jeder Leserin und jedem Leser gefallen. Das Eine oder Andere in „Die Katze und der General“ holpert, und manches schürft an der Grenze zum Kitsch entlang, aber Nino Haratischwili erzählt mit überbordender Fantasie eine erschütternde, mitreißende Geschichte, und ich kann die Verrisse in den Feuilletons nicht nachvollziehen. Beispielsweise lässt Wiebke Porombka in „Die Zeit“ vom 13. September 2018 kein gutes Haar an dem Roman „Die Katze und der General“. Sie bezeichnet das Buch als „grobmotorisch“ und „Kriegs-Seifenoper“, als „sprachliche Katastrophe“ mit „bald klischeehaften, bald schiefen Bilder[n]“ und „permanente[r] Wiederholung abgestandener Phrasen“.

Der Buchtitel hebt wohl auf einen Gegensatz ab. Eine Katze lässt sich auch als Haustier nicht wie ein Hund abzurichten. Einen General assoziieren wir dagegen mit Hierarchie, strengen Regeln, Befehl und Gehorsam.

Den Roman „Die Katze und der General“ von Nino Haratischwili gibt es auch als Hörbuch, gelesen von Valery Tscheplanowa, Peter Kaempfe, Torben Kessler und Luana Velis (ISBN 978-3-8449-1886-1).

Nino Haratischwili wurde am 8. Juni 1983 in der georgischen Hauptstadt Tbilissi (Tiflis) geboren. Dort besuchte sie dann eine deutsche Schule. Schon in der Jugend gründete sie mit dem „Fliedertheater“ eine deutsch-georgische Theatergruppe, für die sie von 1998 bis 2003 regelmäßig Stücke schrieb und inszenierte. In ihrer Geburtsstadt studierte Nino Haratischwili an der staatlichen Schule für Film und Theater, und von 2003 bis 2007 setzte sie die Ausbildung an der Theaterakademie in Hamburg fort. Seither lebt die Theaterregisseurin, Dramatikerin, Schriftstellerin und Übersetzerin in der Hansestadt.

Gleich mit ihrem Debütroman „Juja“ schaffte es Nino Haratischwili auf die Longlist des Buchpreises 2010. „Die Katze und der General“ stand sogar auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises 2018.

2019 wurde Nino Haratischwili der Schiller-Gedächtnispreis des Landes Baden-Württemberg zugesprochen. Die Auszeichnung soll am 14. November in Stuttgart erfolgen. „Literatur hat für Nino Haratischwili immer auch eine gesellschaftspolitische Funktion. Mit ihr zeichnen wir eine Autorin aus, die der deutschsprachigen Literatur neue Perspektiven öffnet und sich damit in die aufklärerische Tradition Schillers stellt.“ (Theresia Bauer, Landesministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst)

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2019
Textauszüge: © Frankfurter Verlagsanstalt

Nino Haratischwili: Das mangelnde Licht

Beate Hammond - Habsburgs größte Liebesgeschichte. Franz Ferdinand und Sophie
Schon der Titel "Habsburgs größte Liebesgeschichte" macht deutlich, dass es sich bei dem Buch nicht um eine trockene historische Abhandlung handelt, sondern um eine leicht zu lesende Darstellung des Schicksals zweier Menschen.
Habsburgs größte Liebesgeschichte. Franz Ferdinand und Sophie