Alexa Hennig von Lange : Die karierten Mädchen

Die karierten Mädchen
Die karierten Mädchen Originalausgabe DuMont Buchverlag, Köln 2022 ISBN 978-3-8321-8168-0, 367 Seiten ISBN 978-3-8321-8257-1 (eBook)
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

1929 fängt die 21-jährige Lehrerin Klara Möbius in einem Kinderheim in Oranienbaum zu arbeiten an. Noch im selben Jahr wird dort ein jüdisches Kleinkind abgegeben, dessen Mutter sich kurz darauf das Leben nimmt. Um Tolla vor den Nationalsozialisten zu schützen, gibt Klara sie in den 30er-Jahren als ihre Tochter aus, während sie sich gleichzeitig mit den neuen Machthabern einlässt, damit die Einrichtung weiter betrieben werden kann.
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Kritik

Der als erster Band einer Trilogie angekündigte Roman "Die karierten Mädchen" basiert auf den Lebenserinnerungen der Großmutter der Autorin – allerdings ergänzt um eine fiktive Figur. Alexa Hennig von Lange hätte besser eine andere Perspektive als die Klaras gewählt, denn die lässt keine kritische Auseinandersetzung mit dem Mitläufertum zu.
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Lebenserinnerungen

1999. Klara Erfurt ist 91 Jahre alt und seit zehn Jahren blind. Sie lebt allein in ihrem Reihenhaus in Norddeutschland. Ihr Sohn und die drei Töchter sind längst fortgezogen. Von der Tochter Inge lässt sich die Greisin einen Rekorder und leere Kassetten schicken, denn sie hat sich vorgenommen, ihr Leben zu erzählen und ein Geheimnis aufzudecken.

1929

Klara wurde 1908 in Liebenrode am Harz, wo ihre Eltern eine Pension betrieben, mit Familiennamen Möbius geboren. Sieben Jahre später bekam sie einen Bruder: Kurt.

1929 wechselt die 21-jährige Lehrerin von einer Anstellung in Kassel zur Kinderheilstätte Oranienbaum bei Wittenberg im Freistaat Anhalt. Dort freundet sie sich mit ihrer Kollegin Susanne Stettin an, die sich im Gegensatz zu ihr über Politik Gedanken macht und über das Erstarken der Nationalsozialisten besorgt ist.

Im Zug von Oranienburg nach Dessau lernt Klara Möbius im September 1929 einen zwei Jahre jüngeren Mann kennen, der gerade das Gymnasium ohne Abitur verlassen hat, aber dennoch Lehrer werden möchte: Gustav Erfurt.

Während die Leiterin der Kinderheilstätte, „Fräulein Martin“, krank ist und von Susanne vertreten wird, bringt die Polizeifürsorgerin Penöter ein einjähriges Mädchen. Die Mutter sei auf Arbeitssuche, erklärt sie, und könne sich nicht um ihre Tochter kümmern. Ob man Tolla Lewitan für zwei Wochen aufnehmen könne. Es gebe allerdings keinen staatlichen Zuschuss für das Kleinkind.

Tolla, die ebenso rothaarig wie Klara ist, lässt sich nur von ihr ins Bett bringen und von keiner anderen als ihr beruhigen.

Es bleibt nicht bei zwei Wochen. Im November 1929 stellt sich heraus, dass sich Tollas Mutter in Bornum bei Hannover erhängt hat. Es sind keine Verwandten bekannt. Obwohl Klara ihre Eltern finanziell unterstützen muss, weil die Pension im Harz nicht viel abwirft, erklärt sie spontan, dass sie die Kosten für Tollas weiteren Aufenthalt in der Kinderheilstätte übernehmen werde.

NS-Frauenbildungsheim

Als die Leiterin im Frühsommer 1932 stirbt, übernehmen Klara und Susanne deren Aufgaben.

Bald darauf werden jüdische Kinder von deutschen Schulen ausgeschlossen. Um Tolla nicht weggeben zu müssen, zerreißt Klara deren Geburtsurkunde und gibt das Kind als ihre eigene Tochter aus.

Weil die Einrichtung sonst aus finanziellen Gründen aufgegeben werden müsste, fragt Klara trotz Susannes Bedenken bei Behörden des neuen Regimes um Unterstützung an. Tatsächlich hat sie damit Erfolg, und am 5. Mai 1933 wird das „Ländliche Frauenbildungsheim“ des Anhaltischen Staates als erstes NS-Frauenbildungsheim des Deutschen Reiches eröffnet.

Die Reichsfrauenführerin Gertrud Scholtz-Klink besichtigt 1934 die Einrichtung in Oranienbaum. Eigentlich soll sie Tolla nicht zu Gesicht bekommen. Als es dann doch geschieht, wird ihr die Sechsjährige als Klaras Tochter vorgestellt, und weil sie sich über den osteuropäisch klingenden Vornamen wundert, behauptet Klara, der Familienname sei Erfurt. So heiße auch der abwesende Vater.

Klara vertraut Gustav Erfurt, mit dem sie sich von Zeit zu Zeit in Dessau verabredet, 1937 an, dass es sich bei Tolla um ein jüdisches Waisenmädchen handelt.

Aufstieg

1938 überträgt das Anhaltisches Staatsministerium Klara die Leitung eines Ländlichen Frauenbildungsheims in Sandersleben. Das kommt einer Beförderung gleich.

Gustav, der inzwischen in Leipzig studierte, fängt in einer Volksschule in Radisleben als Schulamtsbewerber an.

Aufgrund der immer heftigeren Judenverfolgung halten Klara und Gustav Tollas weiteren Aufenthalt im Deutschen Reich für zu gefährlich. Sie schicken die fast Zehnjährige mit dem Zug nach Berlin, wo die mit Susanne befreundete Erzieherin Evelyn Löwenstern das Mädchen in ein jüdisches Waisenhaus aufnimmt und dafür sorgen wird, dass Tolla so bald wie möglich mit einem Kindertransport nach Großbritannien gelangt.

Im Frühsommer 1939 heiraten Klara und Gustav.

Heinrich Himmler, der SS-Obergruppenführer August Heißmeyer und der Gauleiter Rudolf Jordan besichtigen das Ländliche Frauenbildungsheim in Sandersleben, und der Reichsführer-SS bietet Klara die Leitung eines Lebensborn-Heimes an.

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Die Großmutter der Moderatorin und Schriftstellerin Alexa Hennig von Lange (*1973) besprach 1999 im Alter von 91 Jahren kurz vor ihrem Tod 130 Kassetten mit ihren Lebenserinnerungen. Im Roman „Die karierten Mädchen“ greift Alexa Hennig von Lange diesen Bericht auf und ergänzt ihn um eine fiktive Figur: das jüdische Mädchen Tolla Lewitan. Der Verlag hat „Die karierten Mädchen“ als ersten Band einer Trilogie angekündigt.

Alexa Hennig von Lange entwickelt die Handlung auf zwei Zeitebenen. 1999 erzählt die blinde, 91 Jahre alte Protagonistin Klara Erfurt, was sie erlebte. Diese Rahmenhandlung taucht auch zwischendurch immer wieder auf. Das eigentliche Geschehen läuft in der Vergangenheit ab: 1929 und in den Dreißigerjahren. Alles wird aus Klaras Perspektive dargestellt, einer zu Beginn 21-jährigen Lehrerin, die sich nicht für Politik interessiert und deshalb keine Bedenken dagegen hat, sich mit dem NS-Regime einzulassen, um den Fortbestand eines Kinderheims zu ermöglichen.

Manche Kritiker halten das für eine Rechtfertigung des Mitläufertums. Vielleicht hätte Alexa Hennig von Lange besser eine andere Perspektive gewählt, denn so, wie sie „Die karierten Mädchen“ konzipiert hat, ist keine kritische Auseinandersetzung mit Klaras Verhalten möglich.

Alexa Hennig von Lange erzählt ausführlich, fast schon ausschweifend. Sie inszeniert konkret und anschaulich. Dazu passt es nicht, dass sie Romanfiguren wie Hermine Raabe oder Kurt Möbius nur flüchtig und schemenhaft auftreten lässt. Kurt Möbius soll wohl eine Variante des Mitläufertums veranschaulichen; das Beispiel Hermine Raabe zeigt, dass hohe NS-Beamte korrupt und auf ihren persönlichen Vorteil bedacht waren. Über Susanne Stettin erfahren wir mehr, aber gegen Ende zu spielt sie auch keine Rolle mehr. Ihre kritische Haltung gegenüber dem NS-Regime dient nur als Kontrast zu Klaras unpolitischer Einstellung. Dass im Dunkeln bleibt, was aus Tolla geworden ist, gehört zum Konzept, aber auch über Gustav Erfurts Verbleib erfahren wir nur, dass er im März 1948 noch in Kriegsgefangenschaft war.

Der Titel „Die karierten Mädchen“ bezieht sich auf das Stoffmuster der „Dirndl“-Uniformen, die von den Mädchen im NS-Frauenbildungsheim getragen werden müssen.

Den Roman „Die karierten Mädchen“ von Alexa Hennig von Lange gibt es auch als Hörbuch, gelesen von Tessa Mittelstaedt.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2023
Textauszüge: © DuMont Buchverlag

Alex Capus - Léon und Louise
Alex Capus vermeidet in "Léon und Louise" jede Effekthascherei. Stilsicher schreibt er in einer leisen, poetischen Sprache. Elegant und unaufdringlich arbeitet er mit Komik und Humor.
Léon und Louise