Ottessa Moshfegh : Eileen

Eileen
Eileen Penguin Press, New York 2015 Eileen Übersetzung: Anke Caroline Burger Verlagsbuchhandlung Liebeskind, München 2017 ISBN 978-3-95438-081-7, 334 Seiten ISBN 978-3-95438-083-1 (eBook) Taschenbuch: btb, München 2020 ISBN 978-3-442-71944-0
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Die 24-jährige Eileen Dunlop wohnt seit dem Tod ihrer Mutter vor fünf Jahren mit ihrem alkoholkranken Vater allein in einem verwahrlosten Haus in einer Kleinstadt in Massachusetts. Als in dem Jugendgefängnis, in dem sie arbeitet, eine elegante Harvard-Absolventin als Erziehungsberaterin anfängt, träumt Eileen von einer Freundschaft ...
mehr erfahren

Kritik

Aus der Geschichte, die Ottessa Moshfegh in ihrem zweiten Roman entwickelt, hätte sie einen Psychothriller machen können, aber "Eileen" gehört nicht in dieses Genre. Die nüchterne Art der Ich-Erzählerin kontrastiert mit der Überzeichnung der Figuren, den menschlichen Abgründen und der Trostlosigkeit des Geschehens.
mehr erfahren

Eileen

Die 24-jährige Eileen Dunlop wohnt seit dem Tod ihrer Mutter vor fünf Jahren mit ihrem Vater allein in einem verwahrlosten Haus in einer Kleinstadt in Massachusetts, die sie in ihrem Bericht „X-Ville“ nennt. Weil sie das Weinen, Klagen und Rufen ihrer sterbenskranken Mutter nicht mehr ertragen hatte, war sie auf den Dachboden gezogen. Dort schläft sie noch immer in einem Feldbett.

Fünfzig Jahre später wird sie behaupten, der Tod ihres Hundes sei ihr näher gegangen als der ihrer Mutter eine Woche später.

Der Vater Charlie Dunlop war früher Polizeibeamter, aber nachdem sich seine Alkoholkrankheit nach dem Tod der Ehefrau noch verschlimmert hatte, wurde er in den Vorruhestand gedrängt. Er verlässt kaum noch das Haus und bildet sich ein, von der Mafia bedroht zu werden. Eileens vier Jahre ältere Schwester Joanie zog mit 17 aus und lebt jetzt ein paar Ortschaften weiter mit ihrem Ehemann.

Vor drei Jahren fing Eileen an, als Sekretärin in einer Justizvollzugsanstalt für jugendliche Straftäter zu arbeiten, der sie später in der Rückschau den Namen „Moorehead“ gibt.

Die 24-Jährige ist sexuell noch unerfahren, findet sich hässlich und hasst sich selbst ebenso wie ihren Vater, der sie fortwährend demütigt. Seit ihm wegen des Alkohols der Führerschein abgenommen wurde, fährt Eileen den alten Dodge Coronet. Dabei muss sie auch bei Kälte die Seitenscheiben herunterkurbeln, weil Abgase ins Innere des Fahrzeugs strömen.

Ihr früherer Mitschüler Buck Brown, der inzwischen Polizist ist, kommt im Streifenwagen angefahren. Es gab eine Reihe von Anzeigen, erklärt er Eileen, weil ihr Vater am Fenster saß und mit der früheren Dienstwaffe auf vorbeilaufende Kinder zielte. Charlie Dunlop ist mit der vorgeschlagenen Regelung einverstanden und übergibt den Revolver seiner Tochter, damit sie ihn verwahrt.

Rebecca

Ein paar Tage vor Weihnachten 1964 stellt der Gefängnisdirektor der Belegschaft zwei neue Angestellte vor, den Psychiater Dr. Bradley Morris und die Erziehungsbeauftragte Rebecca Saint John. Eileen ist von der eleganten jungen Frau mit einem Harvard-Abschluss so beeindruckt, dass sie ihre heimliche Schwärmerei für den Vollzugsbeamten Randy auf der Stelle vergisst und nur noch Augen für Rebecca hat.

Die neue Erziehungsbeauftragte interessiert sich besonders für den 14 Jahre alten Häftling Leonard („Lee“) Polk, der seinem schlafenden Vater mit einem Küchenmesser die Kehle durchschnitt. Sie lässt sich von Eileen die Akte aushändigen und nimmt sie nach Dienstschluss verbotenerweise mit.

Am nächsten Tag wundert sich Eileen darüber, dass Lee zum ersten Mal von seiner Mutter Rita Polk im Gefängnis besucht wird. Rebecca beobachtet die beiden und redet anschließend auf den Jungen ein. Eileen weiß nicht, ob sie auf Lee oder Rebecca eifersüchtig sein soll.

Aber als ihr Rebecca einen Pub-Besuch vorschlägt und sie sich im O’Hara’s des Wirts Sandy Broganin verabreden, hofft Eileen, dass sie endlich einmal eine Freundin gewinnen kann. Rebecca erzählt ihr, dass sie bei einem Onkel an der Westküste aufgewachsen sei, weil ihre Eltern ertranken, als sie noch ein Kind war.

Weihnachten

Am Heiligen Abend ruft Rebecca an und lädt Eileen ein. Rebecca kauft eine Flasche Wein und macht sich auf den Weg. Dass die mondäne Harvard-Absolventin in einem Arme-Leute-Viertel von X-Ville wohnt, wundert sie. Das Holzhaus ist unaufgeräumt und verdreckt. Weil Rebecca keinen Korkenzieher findet, schlägt sie den Flaschenhals ab und schenkt den Wein in Billigtassen ein.


Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.


Rebecca zeigt ihrer Besucherin ein Foto aus Leonard Polks Akte. Darauf ist dessen Vater mit durchschnittener Kehle zu sehen. Eileen übergibt sich. Lee habe ihr erzählt, er sei von seinem Vater regelmäßig missbraucht worden, berichtet Rebecca. Und die Mutter habe es nicht nur gewusst, sondern ihrem Sohn Einläufe verabreicht.

Eher beiläufig erwähnt Rebecca, dass sie Rita Polk im Keller gefesselt habe und es sich bei dem Haus um das der Familie Polk handele.

Eileens Illusion, Rebecca könne ihre Freundin werden, zerplatzt. Rasch begreift sie, dass Rebecca an ihr lediglich als Komplizin bei einem Verbrechen interessiert ist und sie manipuliert hat.

Rebecca hat bisher vergeblich versucht, ein Geständnis von Rita Polk zu bekommen. Als Eileen den Revolver ihres Vaters aus der Handtasche holt, liegt es nahe, die Gefesselte damit zu bedrohen: In Todesangst ist sie vielleicht bereit, ihre Mitwirkung beim Missbrauch des Sohnes zuzugeben.

Während Rebecca den Keller dann noch einmal verlässt, um Papier und Kugelschreiber für ein Protokoll zu suchen und Eileen allein bei Rita Polk bleibt, gesteht diese, wie sie ihren Mann Mitch in flagranti mit dem Sohn ertappte und anfangs gar nicht begriff, was sich da abspielte.

Abschied

Als Rebecca zurückkommt, verlangt sie eine Wiederholung des Geständnisses in schriftlicher Form. Eileen gibt ihr den Revolver. Rebecca lässt ihn fallen. Dabei löst sich ein Schuss und Rita Polk wird am Arm verletzt.

Eileen holt Schmerztabletten, die sie nach dem Tod der Mutter aufbewahrt hat, aus der Handtasche, und Rebecca zwingt die Gefesselte, einige davon zu schlucken. Während Rita Polk das Bewusstsein verliert, schlägt Eileen vor, die Frau mit dem Auto zu ihrem Elternhaus zu transportieren, ihren Vater mit Gin zu betäuben, Lees Mutter zu erschießen und dem Betrunkenen dann die Waffe in die Hand zu drücken. Danach, so stellt Eileen sich das vor, könnte sie X-Ville mit Rebecca gemeinsam für immer verlassen. Der Schock würde vielleicht sogar ihrem alkoholkranken Vater endlich helfen, sein Leben zu ändern.

Nachdem Eileen und Rebecca die Ohnmächtige ins Auto gezerrt haben, will Rebecca unter dem Vorwand zurückbleiben, Spuren im Haus der Polks zu beseitigen.

Wie vereinbart, fährt Eileen nach Hause. Ihr Vater ist betrunken wie immer und leidet unter Verfolgungswahn. Eileen gibt ihm eine Flasche Gin. Sie holt ihre Ersparnisse und fährt dann mit Rita Polk auf dem Beifahrersitz los. Auf Rebecca wartet sie nicht, denn alle ihre Illusionen sind verflogen.

Irgendwo stellt sie den Dodge mit laufendem Motor am Straßenrand ab, schließt die Fenster, lässt Rita Polk bewusstlos sitzen und geht weiter. Per Anhalter fährt Eileen nach New York.

Dort nennt sie sich Lena, und als sie im Frühjahr 1965 zum ersten Mal heiratet, erhält sie auch einen anderen Nachnamen.

nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)

Als Hauptfigur ihres Romans „Eileen“ hat Ottessa Moshfegh eine psychisch gestörte, sich selbst hassende Frau gewählt. Zum Zeitpunkt der Handlung Ende 1964 ist Eileen 24 Jahre alt. 50 Jahre später tritt sie als Ich-Erzählerin auf. Wir erfahren zwar, dass sie ihren Namen wechselte, im Frühjahr 1965 erstmals und irgendwann noch einmal heiratete und inzwischen allein lebt. Das war es auch schon. Auf die Frage, ob sie seit den aus der Retrospektive erzählten Erlebnissen eine Entwicklung durchmachte, geht sie nicht ein. Nur aus ihrer Art der Darstellung der ein halbes Jahrhundert zurückliegenden Ereignisse kann man Schlüsse ziehen. Weil sie ihr Verhalten jedoch nicht kommentiert, bleibt auch diese Möglichkeit begrenzt.

Das ist von Ottessa Moshfegh offensichtlich so gewollt. Aus der Geschichte, die sie in „Eileen“ entwickelt, hätte sie einen Psychothriller machen können. Aber sie vermeidet es, Spannung aufzubauen und blendet beispielsweise auf Seite 285 eher beiläufig auf ein Verbrechen über. Zugleich verwendet Ottessa Moshfegh in „Eileen“ Stilmittel des Thriller-Genres, zum Beispiel greift sie mehrmals voraus oder deutet Zukünftiges an. Eine Schusswaffe und ein nicht gegen Abgase abgedichtetes Auto führt sie nicht nur früh ein, sondern wiederholt auch Hinweise darauf wie bei einem Leitmotiv.

Die nüchterne Art der Ich-Erzählerin kontrastiert mit der Überzeichnung der Figuren, den menschlichen Abgründen und der Trostlosigkeit des Geschehens.

nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)

Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2023
Textauszüge: © Verlagsbuchhandlung Liebeskind

Ottessa Moshfegh: Lapvona

Herta Müller - Herztier
Herta Müller schildert die trostlose Geschichte nicht chronologisch zusammenhängend, sondern in viele kurze Impressionen zerhackt. "Herztier" liest sich wie ein Prosagedicht.
Herztier