Sally Rooney : Gespräche mit Freunden

Gespräche mit Freunden
Conversations with Friends Faber & Faber,London 2017 Gespräche mit Freunden Übersetzung: Zoë Beck Luchterhand Literaturverlag, München 2019 ISBN 978-3-630-87541-5, 382 Seiten ISBN 978-3-641-20560-7 (eBook)
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Die eng befreundeten Studentinnen Bobbi und Frances, die früher eine Liebesbeziehung hatten, begegnen Nick und Melissa, einem arrivierten Künstler-Ehepaar. Während Bobbi sich um Melissa bemüht, bringt Frances Nick dazu, mit ihr eine Affäre zu beginnen. Das Beziehungsgeflecht löst ein Gefühlschaos aus ...
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Kritik

Sally Rooney schreibt konsequent aus der Perspektive der Ich-Erzählerin Frances. Weil der Roman "Gespräche mit Freunden" weitgehend aus Dialogen besteht, ließe sich Frances' Blickwinkel durch Mehrstimmigkeit ergänzen und korrigieren. Aber das macht Sally Rooney nur verhalten.
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Frances und Bobbi

Als Frances zwölf Jahre alt war, trennten sich ihre Eltern. Am Gymnasium hatte sie eine Liebesbeziehung mit ihrer Mitschülerin Bobbi Connolly. Die endete zwar nach einem Jahr, aber die beiden inzwischen 21-jährigen Frauen sind nach wie vor eng befreundet. Sie studieren am Trinity College in Dublin: Bobbi Politik und Geschichte, Frances Literatur. Seit der Abschlussfeier am Gymnasium treten sie gemeinsam bei Spoken-Word-Performances auf. Die Texte stammen von Frances.

Frances macht zwar gerade ein Praktikum bei einer Literaturagentur, beabsichtigt jedoch nicht, sich um eine Anstellung zu bewerben. Sie möchte Schriftstellerin werden, hat allerdings keine konkreten Ambitionen. Bobbi hält sie für eine Kommunistin.

Es war kein Scherz gewesen, als ich zu Philip gesagt hatte, ich würde keinen Job wollen. Ich wollte keinen. Ich hatte keinerlei Pläne, was meine finanzielle Zukunft anging: Ich hatte nie Geld mit irgendetwas verdienen wollen. […]
Manchmal kam es mir so vor, als würde ich es nicht schaffen, mich für mein eigenes Leben zu interessieren. Und das deprimierte mich. Andererseits fand ich, dass mein Desinteresse an Reichtum ideologisch gesund war. Ich hatte nachgesehen, wie hoch das durchschnittliche Jahreseinkommen wäre, wenn das Weltbruttosozialprodukt gerecht auf alle verteilt wäre, und laut Wikipedia läge es bei $ 16100. Ich sah keinen Grund, weder politisch noch finanziell, warum ich mehr als diese Summe verdienen sollte.

Frances, Bobbi, Melissa und Nick

Bei einem Spoken-Word-Event wird die 37-jährige Fotojournalistin Melissa auf Frances und Bobbi aufmerksam. Weil sie plant, die beiden in Bild und Text zu porträtieren, lädt sie die Freundinnen in ihr Haus ein. Dabei lernen Bobbi und Frances ihren Ehemann kennen, den 32 Jahre alten Schauspieler Nick Convay.

Während Bobbi sich um Melissa bemüht, küsst Frances Nick bei einer Geburtstagsparty seiner Frau – aber danach wartet er vergeblich in seinem Zimmer auf sie. Erst als Melissa eine Woche lang in London zu tun hat, schlafen Nick und Frances miteinander.

Nick beteuert, seine Frau vorher noch nie betrogen zu haben und deutet zugleich an, dass dies für Melissa nicht gilt.

Vierecksgeschichte

Im Sommer verbringen Nick und Melissa einige Wochen im Ferienhaus ihrer doppelt so alten Freundin Valerie in Étables-sur-Mer. Melissa lädt Bobbi ein, sie dort mit Frances zu besuchen. Evelyn und Derek, ein mit Nick und Melissa befreundetes Paar Ende 30, sind ebenfalls da.

Jede Nacht schleicht Frances zu Nick in dessen Schlafzimmer.

Melissa fragt zunächst ihren Mann und dann auch Frances, ob sie miteinander schliefen. Beide leugnen es.

Als Bobbi ihrer Freundin anvertraut, dass sie Melissa geküsst habe und wissen möchte, ob Nick ihr nachsteige, sagt Frances nein. Jedoch entdeckt Bobbi sie in der Nacht vor der Abreise bei Nick im Zimmer.

Schmerzen

Zurück aus der Bretagne, besucht Frances ihre Mutter in Ballina. Sie schaut auch bei ihrem alkoholkranken Vater Dennis vorbei. Er ist nicht zu Hause, und seine vermüllte Wohnung stinkt, aber Frances unternimmt nichts weiter.

Ihre Menstruationsschmerzen sind schon häufiger heftig ausgefallen. Während des Aufenthalts in Ballina werden sie unerträglich, und die Mutter bringt Frances deshalb in die Notaufnahme des Krankenhauses. Frances befürchtet einen Abgang, aber der Arzt erklärt ihr nach mehreren Untersuchungen, sie sei nicht schwanger gewesen. Die Diagnose lautet Endometriose. Weil diese Krankheit nicht heilbar ist, muss Frances lernen, mit den immer wiederkehrenden Schmerzen umzugehen.

Sie schluckt Ibuprofen. Hin und wieder bricht sie ohnmächtig zusammen. Aber sie verrät weder ihrer Mutter noch Bobbi, worunter sie leidet. Auch Nick fragt vergeblich, was mit ihr los sei.

Komplikationen

Nick berichtet Frances, dass er Melissa die Wahrheit gesagt und klargestellt habe, dass er die Liebesbeziehung fortsetzen wolle.

Obwohl Melissa also nun von der Affäre weiß, verabreden sie sich auch weiterhin zu viert.

Während Bobbi und Frances bei Nick und Melissa in der Bretagne waren, kam kurz auch Valerie vorbei, die Besitzerin des Ferienhauses, und als sie von Frances‘ schriftstellerischen Versuchen hörte, bekundete sie ihr Interesse. Frances schickte ihr einige Zeit später einen Prosatext. Und nun meldet sich bei ihr der Herausgeber eines Literaturmagazins, an den Valerie das Manuskript weitergeleitet hat. Obwohl auch Bobbi in der autobiografischen Geschichte unschwer in einer Figur zu erkennen ist, lässt Frances die Erzählung veröffentlichen, ohne ihrer Freundin etwas zu sagen.

Bobbi erfährt davon, weil Melissa ihr eine Kopie schickt. Aufgebracht verlässt sie die Wohnung, die sie sich mit Frances geteilt hat und beendet die langjährige Freundschaft.

Ein paar Tage später teilt Nick seiner Geliebten mit, dass er seit kurzem auch wieder mit seiner Ehefrau schlafe. Das verkraftet Frances nur schwer. Sie beantwortet seine SMS, Anrufe und Mails nicht mehr. Mit einer Nagelschere schneidet sie sich auf der Innenseite des linken Oberschenkels.

Weil sie Geld benötigt, jobbt sie in einem Sandwich-Laden.

Schließlich entschuldigt sie sich in einer langen Mail bei Bobbi. Die kommt zurück und versöhnt sich mit ihr. Die beiden schlafen auch wieder miteinander. Aber dass sie an Endometriose leidet, verschweigt Frances ihrer Freundin auch weiterhin.

Während Frances in einer Buchhandlung stöbert, klingelt ihr Smartphone und auf dem Display leuchtet Nicks Name auf. Er fragt, ob er gelbe Paprika kaufen soll, denn es gebe keine roten. Dann erst merkt er, dass nicht Melissa, sondern Frances am anderen Ende ist; er hat sich verwählt. Aber nun reden sie miteinander.

Einige Zeit bevor Nick und Frances sich erstmals begegneten, war er sechs Wochen lang in einer psychiatrischen Klinik gegen Depression behandelt worden. In dieser Zeit betrog Melissa ihn mit Chris, einem gemeinsamen Freund. Als Frances dann mit ihm flirtete, konnte er sich gar nicht vorstellen, dass jemand sich für ihn interessierte und ihn sogar liebenswert fand.

Frances vertraut ihm an, dass sie an Endometriose erkrankt sei und fordert ihn am Ende auf: „Komm und hol mich.“

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„Gespräche mit Freunden“ ist eine Mischung aus Entwicklungs- und Gesellschaftsroman. Die Vierecksgeschichte dreht sich um eine lesbische und eine bisexuelle Studentin auf der einen und ein arriviertes Künstler-Ehepaar Mitte 30 auf der anderen Seite. In dem Beziehungsgeflecht verursacht der ständige Wechsel von Liebe und Abneigung, Hass und Begehren, Aggression und Verletzung, Narzissmus und Selbstzweifel, Unsicherheit und Selbstinszenierung, Verheimlichung und Offenheit, Grübeln und Spontanität ein Gefühlschaos.

Sally Rooney schreibt konsequent aus der Perspektive der Ich-Erzählerin Frances und verzichtet somit auf jegliche Kommentierung. Frances ist zwar eine intelligente Beobachterin, hat jedoch keine klaren Ziele, fühlt sich verunsichert und schätzt einiges falsch ein. Weil der Roman „Gespräche mit Freunden“ weitgehend aus Dialogen, Chats, E-Mails und Kurznachrichten besteht, hätte Sally Rooney die Möglichkeit gehabt, Frances‘ Blickwinkel durch Mehrstimmigkeit zu ergänzen und zu korrigieren. Aber das macht sie nur verhalten. Und so bleiben die anderen Charaktere unklarer als die Ich-Erzählerin.

Eigentlich heißt es immer wieder, ein gutes Buch zeichne sich durch anschauliche Szenen aus, aber Sally Rooney verweigert diesen Ansatz und konzentriert sich stattdessen auf die Kommunikation der Figuren. Das wirkt unterkühlt, zumal die Ich-Erzählerin auch noch versucht, ihre Emotionen zu unterdrücken.

Umso erstaunlicher ist der Welterfolg des Romans „Gespräche mit Freunden“.

Sally Rooney wurde am 20. Februar 1991 in Castlebar im Westen der irischen Republik geboren. Am Trinity College in Dublin studierte sie Englisch und Literatur. 2013 nahm Sally Rooney als top speaker an der European Universities Debating Championship in Manchester teil. Ihr 2017 veröffentlichter Debütroman „Conversations with Friends“ / „Gespräche mit Freunden“ soll inzwischen in 30 Sprachen übersetzt sein, und die BBC plant, das Buch als zwölfteilige Serie zu verfilmen. Ebenso erfolgreich ist Sally Rooney mit ihrem zweiten Roman: „Normal People“ (2018).

Den Roman „Gespräche mit Freunden“ von Sally Rooney gibt es auch als Hörbuch, gelesen von Dagmar Bittner.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2019
Textauszüge: © Luchterhand Literaturverlag

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