Robert Seethaler : Das Feld

Das Feld
Das Feld Hanser Berlin, München 2018 ISBN 978-3-446-26038-2, 239 Seiten ISBN 978-3-446-26066-5 (eBook)
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Auf dem "Das Feld" genannten Friedhof von Paulstadt sind die Stimmen der Toten zu hören. 12 Frauen und 17 Männer blicken gelassen auf ihr Leben zurück und erinnern sich an besondere Geschehnisse. Die Bandbreite der 29 Ich-Erzähler reicht vom Bürgermeister bis zum Briefträger, von der Ladenbesitzerin bis zum Zimmermädchen.
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Kritik

Die 30 Kurzgeschichten bzw. Erzählungen, aus denen sich Robert Seethalers Buch "Das Feld" zusammensetzt, ergeben laut Verlag einen Roman, aber nur einige wenige der Lebensgeschichten sind mit anderen durch persönliche Kontakte oder literarische Spiegelungen verknüpft.
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Ein Bewohner von Paulstadt, dessen Namen (Harry Stevens) wir erst am Ende des Romans erfahren, als er bereits tot ist, verbringt fast täglich etwas Zeit auf dem „das Feld“ genannten Friedhof. Viele der Toten kannte er, und er glaubt, sie reden zu hören.

Da ist beispielsweise die frühere Lehrerin Hanna Heim, deren Ehemann – ebenfalls ein Lehrer – immer wieder ihre verkrüppelte Hand hielt.

Als ich starb, hast du bei mir gesessen und meine Hand gehalten. Ich fand keinen Schlaf. Ich brauchte schon lange keinen Schlaf mehr.

Gerd Ingerland verließ Paulstadt im Alter von 19 Jahren, um zu studieren, aber als der Vater starb, kehrte er zurück und fing bei einem Versicherungskontor in Paulstadt zu arbeiten an. Seine inzwischen ebenfalls gestorbene damalige Kollegin Sonja Mayers erzählt von ihrem dementen Großvater, der vergessen hatte, dass seine Frau längst tot war.

Navid al-Bakri war 19, als seine Eltern Ayasha und Abu Navid Muhamed al-Bakri mit ihm nach Deutschland kamen und in Paulstadt ein Geschäft für Früchte und Gemüse eröffneten, das er dann nach ihrem Tod weiterführte. Schließlich reiste er in die Heimat, um dort die Asche der Eltern zu verstreuen. Wo das Elternhaus gestanden hatte, befand sich inzwischen ein Parkplatz.

Der Pfarrer Hoberg zündete mit einer Opferkerze das Altartuch an.

Ein kühler Luftzug weht durch den Kirchenraum, und die Flammen schlagen hoch. Das Kruzifix entzündet sich zuerst. Jesus knistert und knackt. Während er sich vom Kreuz löst und langsam nach vorne kippt, sieht es aus, als lache er. Der Altar brennt.

Der Geistliche kam in den Flammen ums Leben. Die zerstörte Kirche wurde später wieder aufgebaut.

Stephanie Stanek erlebte das Richtfest nicht mehr. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs war die Kriegswitwe mit ihrer Tochter Lotte geflohen und schließlich in Paulstadt gestrandet, wo die beiden anfangs im Kohlenkeller der Metzgerei Buxter hausten. Als Lotte später auswärts Arbeit fand, kümmerte sich Stephanie um ihre Enkelin Louise.

Louise Trattner und Lennie Martin wurden ein Paar. Er zog zu ihr und ihrer Großmutter Stephanie Stanek. Während Louise weiter als Zimmermädchen im Schwarzen Bock arbeitete, fand er eine Anstellung beim Garten- und Grünflächenamt von Paulstadt. Aber als er in einem Automatenkasino außerhalb der Stadt viel Geld verspielte, Schulden anhäufte und sich mit Diebstählen behalf, trennte sich Louise von ihm.

Erinnerst du dich an die Kette mit den roten Steinen, die du mir aufs Bett gelegt hast? Als ich die Augen öffnete, dachte ich im ersten Moment, es wäre Blut auf dem Kissen. Du legtest mir die Kette um den Hals. Es waren Glassteine. Kühles, glattes, billiges Glas. Ich sagte nichts. Ich sagte auch nichts, als die Kette eines Tages wieder verschwunden war. Nichts, als der Silberring meiner Großmutter plötzlich nicht mehr auftauchte. Kein Wort, als Münzen und Scheine aus meiner Tasche fehlten. Hast du dich eigentlich jemals gefragt, woher ich so viel Geld hatte? Warum es manchmal lose in meiner Handtasche steckte? Wie viel, glaubst du, verdient ein Zimmermädchen in einer Absteige wie dem Schwarzen Bock? Es ist nicht genug, Lennie.

29 Jahre lang amtierte Heiner Joseph Landmann als Bürgermeister von Paulstadt.

Ich habe bestochen, falsche Versprechungen und wahrscheinlich einen ganzen Haufen unehelicher Kinder gemacht, ich habe gelogen und betrogen, ich war schlimm, ich war böse, ich war falsch und gemein. Zusammenfassend lässt sich sagen: Freunde ich war einer von euch!

Seine Absicht, eine Straßenbahnlinie quer durch die Kleinstadt einzurichten, konnte der Bürgermeister nicht verwirklichen, aber das nicht weniger größenwahnsinnige Freizeitzentrum am Stadtrand wurde gebaut. Als die überdimensionierte Glaskuppel zerbarst, starben drei Menschen: Stephan Wichant, Friedbert Loheim und Martha Avenieu.

Martha hatte kurz vor ihrem 19. Geburtstag Robert Avenieu kennengelernt. Ein Jahr später heirateten sie.

Der missglückte Heiratsantrag war nur die erste in einer langen Reihe von Ungeschicklichkeiten.

Robert Avenieu wollte ein Kind.

„Ich möchte ein Kind“, sagte ich zu Martha. „Der Mensch muss über sich selbst hinausreichen.“

Martha Avenieu wurde schwanger, aber das Kind kam tot zur Welt. Sie eröffnete in Paulstadt ein Schuhgeschäft. Nach dem Tod der Blumenhändlerin Gregorina Stavac richtete jedoch der mit dem Bürgermeister Heiner Joseph Landmann befreundete Unternehmer Edward Millberg in den Räumen ein zweites Schuhgeschäft ein, und die Konkurrenz ruinierte Martha Avenieus Laden. Frustriert schloss sie ihn eines Tages vorzeitig und forderte ihren Mann auf, mit ihr ins Freizeitzentrum zu fahren. Robert Avenieu hatte keine Lust, mit hineinzugehen; er wartete lieber im Auto auf dem Parkplatz. Von dort sah er, wie die Glaskuppel einstürzte.

Vier miteinander verfeindete Familien hatten versucht, das Land zu kultivieren, auf dem inzwischen wesentliche Teile von Paulstadt stehen. Aber der Boden taugte nichts. Als Karl Jonas‘ Eltern starben und seine Geschwister wegzogen, blieb er als letzter Bauer zurück, heiratete und zeugte mit seiner Frau fünf Kinder. Er errichtete eine Blechhalle für 500 Truthahnküken – die jedoch von einer Seuche fortgerafft wurden. Der Bürgemeister überredete ihn schließlich, sein Land zu verkaufen, denn Heiner Joseph Landmann wollte ein Freizeitzentrum bauen. Mit dem Geld kaufte sich Karl Jonas in der Residenz Abendrot ein Wohnrecht bis zum Tod. Er lebte noch 15 Jahre lang.

Heide Friedland denkt an ihre Liebhaber.

Wenn ich mich richtig erinnere, waren es siebenundsechzig.

Der erste war 17, zwei Jahre älter als sie damals. Der letzte war ein pensionierter Bundespolizist, der wegen des Todes seiner Schwester vorübergehend in Paulstadt zu tun hatte.

Susan Tessler kam fast gleichzeitig mit einer vier Jahre jüngeren Greisin namens Henriette ins Sanatorium. Die beiden freundeten sich an, aber Henriette starb 93 Tage nach Susans Ankunft und 26 Tage vor ihr.

Peter Lichtlein, der minderjährige Sohn von Margarete Lichtlein, ertränkte sich im Teich.

Annelie Lorbeer wurde 105 Jahre alt.

Zum Hundertfünften ist niemand mehr gekommen. Nicht einmal ich selbst war so richtig dabei.

Erst war ich Mensch, jetzt bin ich Welt.

Kurz vor seinem 19. Geburtstag gründete Hannes Dixon den „Paulstädter Boten“, die einzige Zeitung in Paulstadt, für die er sich dann 39 Jahre lang als Reporter, Setzer, Drucker und Herausgeber engagierte.

Ganz am Anfang hatte ich einmal eine Ausgabe der New York Times bestellt. Ich wollte wissen, was die anderen so machen. Die Zeitung kam per Post und mit einer Woche Verspätung. […]
Die Amerikaner waren gut, aber sie waren nicht besser als ich. Die Taten der Menschen bleiben dieselben. Was sich unterscheidet, ist bloß ihre Wirkung. Und auch das relativiert sich mit der Zeit.

Connie Busse fuhr mit ihrem Ehemann Fred und der Tochter Maja in den Urlaub. Sie hatten ein Ferienhaus an der italienischen Küste gemietet. (Fred Busse arbeitete als Gemeindebibliothekar und hatte ein Buch mit dem Titel „Paulstadt. Gemeinde ohne Nachbarschaft“ geschrieben.) Am Strand riss Connie sich die Hand an einem Metallteil auf. Fred hielt Connie davon ab, einen Arzt aufzusuchen, aber während der Rückfahrt kam es zu einer Blutvergiftung und Connie starb daran.

Insgesamt kommen 29 Tote zu Wort, außer den bereits genannten: Herm Leydicke, Gerda Baehr, K. P. Lindow, der Briefträger Heribert Kraus, Franz Straubein, Martin Reynart, Linda Aberius, Bernard Silbermann und der Automechaniker Kurt Kobielski. Sophie Breyer sagt nur ein einziges Wort: „Idioten“.

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Der Verlag Hanser Berlin bietet Robert Seethalers Buch „Das Feld“ als Roman an. Tatsächlich handelt es sich um 30 Kurzgeschichten bzw. Erzählungen, die durch den Handlungsort – Paulstadt –, einige Verflechtungen und einen im ersten Kapitel, einer Art Prolog, gesetzten Rahmen zusammengehalten werden. Der einzige Lebende (der im letzten Kapitel aber auch bereits tot ist) tritt gleich zu Beginn auf, und dieses Kapitel ist als einziges nicht mit einem Personennamen überschrieben, sondern mit „Die Stimmen“. Außerdem hat Robert Seethaler dafür die dritte Person Singular gewählt, während er in allen anderen Kapiteln von „Das Feld“ Ich-Erzählern das Wort überlässt. Wir hören also 29 Tote, die aber keinen vielstimmigen Chor bilden, sondern nacheinander auftreten. Sie blicken auf ihr Leben zurück und erinnern sich an besondere Geschehnisse.

Dass sich aus den 30 Kapiteln das Panorama einer Stadtgemeinde zusammensetzt, wie manche Kritiker schreiben, oder gar ein „großes Bild menschlicher Koexistenz“, wie es auf dem Buchrücken heißt, bezweifle ich. Ja, die Bandbreite der Personen reicht vom Bürgermeister bis zum Briefträger, von der Ladenbesitzerin bis zum Zimmermädchen, aber nur einige wenige der Lebensgeschichten sind mit anderen durch persönliche Kontakte oder literarische Spiegelungen verknüpft.

Alle 29 Ich-Erzähler in „Das Feld“ – 12 Frauen und 17 Männer – bleiben unaufgeregt; sie wirken gelassen und melancholisch. Robert Seethaler versucht nicht, für jede Ich-Erzählerin und jeden Ich-Erzähler eine individuelle Ausdrucksweise zu finden. Stattdessen bleibt die Sprache in allen Kapiteln gleich lakonisch. Nur der korrupte Bürgermeister darf ein wenig zynisch werden.

Der Titel „Das Feld“ bezieht sich auf den Friedhof des fiktiven Ortes Paulstadt. In den Gräbern dort liegen die Toten, die zu uns sprechen.

Den Roman „Das Feld“ von Robert Seethaler gibt es auch als Hörbuch, gelesen von ihm selbst (ISBN: 978-3-86484-503-1).

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2019
Textauszüge: © Hanser Berlin

Robert Seethaler: Der Trafikant
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M. J. Adler, C. van Doren - Wie man ein Buch liest
Mortimer J. Adler und Charles van Doren fokussieren sich in "Wie man ein Buch liest" auf Sachbücher. Die von ihnen für Belletristik aufgestellten Leseregeln sind recht trivial. Auf Themen wie Stil und Sprachniveau gehen sie überhaupt nicht ein.
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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon einen Monat, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte. Aus familiären Gründen reduziere ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik.