Giovanni Verga : Die Malavoglia

Die Malavoglia
I Malavoglia Verlag Treves, Mailand 1881 Die Familie Malavoglia Sizilianische Fischer Übersetzung: Charlotte Sauer Wilhelm Heyne Verlag, Dresden 1940 Die Malavoglias Eine sizilianische Dorfgeschichte Neuübersetzung: Ruth Macchi Aufbau Verlag, Berlin 1953 Die Malavoglia Neuübersetzung: Anna Leube Nachwort: Roberto Saviano Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2022, ISBN 978-3-8031-3346-5, 340 Seiten ISBN 978-3-8031-4336-5 (eBook)
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Die Handlung spielt in einem sizilianischen Dorf am Ende des Risorgimento, in einer Zeit des politischen und sozialen Umbruchs. Ntoni, das Oberhaupt der "Malavoglia" genannten Fischerfamilie Toscano, vertritt die alten Werte, versucht sich jedoch in einem Handelsgeschäft, das aufgrund eines Schiffsunglücks fehlschlägt und zur Überschuldung der honorigen Familie führt. Damit beginnt der Niedergang der Malavoglia. Sein gleichnamiger Enkel ist nicht mehr bereit, dieses leidvolle Leben hinzunehmen. Er verlässt das Dorf, aber seine Träume zerschlagen sich ...
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Kritik

Zum vermeintlichen Wohl der Familie, die dem konservativen Fischer Padron Ntoni das Wichtigste ist, lässt er sich vom Geist des kapitalistischen Geschäftemachens verführen. Aber das Risiko, das er eingeht, ist für ihn zu hoch; so etwas könnten sich nur reichere Leute leisten, die von einem Verlust nicht ruiniert werden. Giovanni Verga kommentiert das Geschehen nicht, und er enthält sich jeder expliziten Wertung. Es geht ihm darum, die Wirklichkeit unverfälscht und vor allem ungeschönt darzustellen. "Die Malavoglia" gilt als Hauptwerk des Verismo.
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Das Geschäft mit Lupinen

Der im Kirchenbuch eingetragene Familienname lautet Toscano, aber seit Generationen heißt es „die Malavoglia“, wenn jemand von der Fischerfamilie in dem sizilianischen Dorf Aci Trezza spricht. Die Malavoglia, das sind Padron Ntoni, sein Sohn Bastiano („Bastianazzo“), dessen Ehefrau Maruzza („Longa“) und die Enkel des Familienoberhaupts Ntoni, Luca, Filomena („Mena“, „Sant’Agata“), Alessio („Alessi“) und Rosalia („Lia“).

Ntoni, der älteste Sohn von Bastianazzo und Longa, wird im Dezember 1863 zur Marine einberufen.

Der König holte sich die jungen Männer zum Militärdienst, sobald sie imstande waren, sich ihr Brot zu verdienen, doch solange sie der Familie zur Last fielen, musste man sie aufziehen, bis sie dann Soldaten wurden.

Während die Arbeitskraft des jungen Mannes zu Hause fehlt, kommt sein gleichnamiger Großvater auf die Idee, das Einkommen der Fischerfamilie durch ein Handelsgeschäft aufzubessern. Er nimmt von Crocifisso („Campana di legno“) einen Kredit auf und kauft damit Lupinen, die Bastianazzo mit dem Fischerboot „Provvidenza“ nach Riposto bringen soll. Bastianazzo wird von Menico begleitet, dem älteren Sohn der „Locca“ genannten Schwester von Crocifisso. Die beiden geraten in einen Sturm und sterben beim Untergang der „Provvidenza“.

„So ein Unglück!“, sagten sie auf der Straße. „Und das Boot war voll! Mit Lupinen für mehr als vierzig Unzen!“

Das Schlimmste war, dass sie die Lupinen auf Kredit gekauft hatten, und Onkel Crocifisso gab sich nicht mit „guten Worten und faulen Äpfeln“ zufrieden.

Neue Zuversicht

Mit dem Lupinen-Geschäft wollte Padron Ntoni seiner Enkelin Mena, die an Ostern 18 Jahre alt wird, eine Mitgift verschaffen. Er hatte sich bereits mit dem Fischer und Weinbauern Fortunato Cipolla darüber verständigt, dessen Sohn Brasi mit Mena zu verheiraten.

Aber nach dem Untergang der „Provvidenza“ und dem Verlust der Lupinen kann Padron Ntoni nicht einmal den von Crocifisso gewährten Kredit zurückzahlen. Ohne eigenes Fischerboot müssen die Männer sich als Tagelöhner verdingen. Don Silvestro, der Gemeindesekretär im Rathaus von Aci Castello, kennt die finanziellen Verhältnisse der Malavoglia und weiß, dass das Haus mit dem Mispelbaum zu Longas Mitgift gehörte, also nicht ohne deren Zustimmung verkauft werden kann.

Das Wrack der „Provvidenza“ wird hinter dem Capo dei Mulini gefunden und nach Aci Trezza gebracht.

Mit der Provvidenza können die Malavoglia jetzt wieder auf die Beine kommen, und dann wird Mena wieder eine gute Partie.

Padron Fortunato Cipolla meint zwar, das Boot sei nur noch Brennholz, aber der Fischer Mangiacarrubbe glaubt, dass es instandgesetzt werden könne und dann zumindest in der guten Jahreszeit noch für die Küstenfischerei geeignet sei. Der Kalfaterer Mastro Turi („Zuppiddu“) erhält den Auftrag, die „Provvidenza“ zu reparieren.

Ntoni kommt vom Militär zurück – und wird verspottet, weil Comare Tuddas Tochter Sara nicht, wie erhofft, auf ihn gewartet hat, sondern Menico Trinca in Ognina heiratete, einen reichen Witwer mit sechs Kindern. Der Großvater vermittelt dem Heimkehrer Arbeit im Tagelohn auf Fortunato Cipollas Boot und meint:

„Wenn Mastro Turi die Provvidenza wieder instandgesetzt hat, rüsten wir sie neu aus und brauchen nicht mehr im Taglohn arbeiten.“

Die Malavoglia plagten sich auf jede erdenkliche Weise ab, um zu Geld zu kommen. Die Longa webte etliche Ballen Stoff für andere Leute und ging außerdem ins Waschhaus, um für andere zu waschen; Padron Ntoni und die Enkel verdingten sich als Tagelöhner, sie halfen sich, so gut sie konnten, und wenn der Ischias den alten Mann wie einen Haken krümmte, blieb er im Hof, flickte die Netze, besserte Reusen aus und richtete die Segel, weil er sich in allen Details seines Berufs auskannte. Luca arbeitete an der Eisenbahnbrücke für fünfzig Centesimi am Tag; zwar sagte sein Bruder ́Ntoni, das Geld reiche nicht einmal für die Hemden, die er ruinierte, wenn er Steine im Korb schleppte, doch Luca achtete nicht darauf, dass er sich dabei auch die Schultern ruinierte; und Alessi sammelte Krabben an den Klippen oder kleine Würmer als Angelköder, die man um zehn Soldi pro Kilo verkaufen konnte, und manchmal ging er bis nach Ognina oder zum Capo dei Mulini und kehrte mit blutenden Füßen zurück. Doch Compare Zuppiddu holte sich jeden Samstag ein Gutteil von dem schönen Geld, um die Provvidenza wieder instand zu setzen, und man musste viele Reusen reparieren, Steine für die Eisenbahnbrücke schleppen, Köder für zehn Soldi sammeln und Wäsche waschen, mit den Beinen bis zu den Knien im Wasser und der Sonne auf dem Kopf, um vierzig Unzen zusammenzubekommen!

„Den Gerichtsvollzieher wird man nicht brauchen, Onkel Crocifisso“, sagte Padron Ntoni zu ihm, als er erfuhr, was Campana di legno herumerzählte. „Die Malavoglia sind immer ehrenwerte Leute gewesen und haben noch nie den Gerichtsvollzieher gebraucht.“

Unter dem Vorwand, sich nach dem Fortschritt bei der Instandsetzung der „Provvidenza“ erkundigen zu wollen, schaut der junge  Ntoni so oft wie möglich bei Zuppiddu vorbei. In Wirklichkeit geht es ihm um Barbara, die Tochter des Kalfaterers, die einmal zu ihm sagt:

„Denkt Ihr wenigstens dran, dass ich das Pech für die Provvidenza gekocht hab, wenn Ihr wieder auf dem Meer seid?“

Enttäuschung

Ausgerechnet am Heiligen Abend fährt der Gerichtsvollzieher mit der Kutsche bei den Malavoglia vor und legt ein gestempeltes Papier auf die Kommode.

Notgedrungen geht Padron Ntoni zu Crocifisso und bietet ihm die „Provvidenza“ an, aber der entgegnet, er habe den Kredit dem Makler Tino Agostino („Piedipapera“) verkauft. Mit dem müssten die Malavoglia die Sache regeln.

Kaum sah Piedipapera die ganze Prozession kommen, kratzte er sich am Kopf und sagte: „Was soll ich denn tun? Ich bin ein armer Teufel und brauche dieses Geld, und was ich mit der Provvidenza anfangen soll, weiß ich nicht, ich bin ja kein Fischer […].“

Der Gemeindesekretär Don Silvestro schickt Padron Ntoni zu dem jungen Rechtsanwalt Doktor Scipioni, und der behauptet, er habe nichts zu befürchten.

„Lasst den Gerichtsvollzieher ruhig einmal am Tag kommen, der Gläubiger wird es um so schneller leid sein, die Kosten bezahlen zu müssen. Sie können Euch nichts wegnehmen, denn das Haus gehört zur Mitgift, und wegen dem Boot werden wir im Namen von Mastro Turi Zuppiddu reklamieren. Eure Schwiegertochter hat nichts mit dem Kauf der Lupinen zu tun.“

Piedipapera will nichts von einem Aufschub hören.

Er raufte sich die Haare und schrie, sie wollten ihn bis aufs Hemd ausziehen und ihm den ganzen Winter über nichts zu nagen und zu beißen lassen, ihm und seiner Frau Grazia, nachdem sie ihn überredet hatten, die Schulden der Malavoglia zu übernehmen, und von diesen fünfhundert Lire war die eine besser als die andere, vom Mund hatte er sie sich abgespart, um sie Onkel Crocifisso zu geben.

Zur gleichen Zeit wird Luca, der zweitälteste Sohn der Malavoglia, zum Militär eingezogen.

Das ganze Dorf schaut zu, als die „Provvidenza“ mit unter dem neuen Pechanstrich verborgenen Schwachstellen wieder zu Wasser gelassen wird, nachdem Barbara die letzten Hobelspäne weggefegt hat.

Der junge Ntoni erklärt Barbaras Mutter Venera Zuppidda, er werde gar nicht heiraten, wenn ihn die Familie nicht als Schwiegersohn akzeptiere.

„Verdammt!“, schrie Ntoni, raufte sich die Haare und stampfte mit den Füßen auf. „Den ganzen Tag nur arbeiten! Ins Wirtshaus geh ich nicht, in der Tasche hab ich keinen einzigen Soldo! Jetzt, wo ich das Mädchen gefunden hab, das zu mir passt, darf ich es nicht nehmen. Warum bin ich bloß vom Militär zurückgekommen?“

Der Großvater hatte gesagt: „Zuerst muss Mena heiraten.“ Noch sprach er nicht davon, doch er dachte ständig daran, und jetzt, da sie in der Kommode ein bisschen Geld beisammen hatten, um die Schulden zu bezahlen, hatte er ausgerechnet, dass man mit dem Einsalzen der Sardellen Piedipapera auszahlen könnte und das Haus als Mitgift für die Enkelin schuldenfrei wäre. Deshalb hatte er ab und zu halblaute Gespräche mit Padron Fortunato geführt, am Strand, während sie auf die Rückkehr der Boote warteten, oder wenn sie in der Sonne vor der Kirche saßen und niemand dabei war. Padron Fortunato wollte sein Wort halten, wenn das Mädchen die Mitgift bekäme, umso mehr, als sein Sohn Brasi ihm ständig Sorgen machte, weil er hinter Mädchen her war, die nichts besaßen, dieser Stockfisch.

Dass Mena mit Brasi verheiratet werden soll, gefällt dem mit seinem Esel herumziehenden Kärrner Alfio Mosca gar nicht, denn er liebt Mena und ahnt, dass sie seine Gefühle erwidert, doch obwohl die Malavoglia verschuldet sind, kann er es nicht wagen, um Menas Hand anzuhalten.

„Wie schön ist es“, sagte Mosca, „wenn einer reich ist wie der Sohn von Padron Cipolla und heiraten kann, wen er will, und wohnen kann, wo es ihm gefällt!“

Resigniert verabschiedet sich Alfio Mosca von den Malavoglia.

„Ich geh nach Bicocca, da gibt’s zu tun für mich und meinen Esel.“

Ein weiterer Schicksalsschlag

An Ostern nimmt Padron Ntoni das inzwischen gesparte Geld aus der Kommode und bringt es Crocifisso.

„Ist das alles?“, fragte der.
„Alles kann es nicht sein, Onkel Crocifisso. Ihr wisst, was es braucht, um hundert Lire aufzutreiben. Aber: Wenig ist besser als gar nichts, und außerdem: Wer in Raten zahlt, ist kein schlechter Schuldner. Jetzt kommt der Sommer, und mit Gottes Hilfe werden wir alles bezahlen ­können.“
„Warum erzählt Ihr das mir? Ihr wisst doch, dass ich nichts damit zu tun habe und dass es nur Compare Piedipapera etwas angeht. […] Das hier genügt ja nicht einmal für die Zinsen!“, sagte Campana di legno und ließ die Geldstücke auf seiner Hand hüpfen. „Fragt ihn doch selber, ob er noch warten will, denn mich geht es nichts mehr an.“
Piedipapera fing an zu fluchen und warf die Mütze auf den Boden, wie er es immer tat, sagte, er habe nichts mehr zu nagen und zu beißen und könne nicht einmal bis Himmelfahrt warten.
„Hört zu, Compare Tino“, sagte Padron Ntoni und stand mit gefalteten Händen vor ihm wie vor dem Herrgott persönlich, „wenn Ihr nicht bis San Giovanni warten wollt, jetzt, wo ich gerade meine Enkelin verheirate, dann könnt Ihr mich gleich niederstechen.“
„Zum Teufel“, schrie Compare Tino.

Bevor Padron Ntoni seine Enkelin Mena verheiraten kann, überbringen zwei Marinesoldaten auf Urlaub die Nachricht von der Seeschlacht bei Lissa am 20. Juli 1866, bei der die italienische von der kaiserlich-österreichischen Flotte besiegt wurde. Luca Malavoglia gehört zu den Gefallenen. Seine Mutter bricht zusammen, wird auf einem Karren nach Hause gebracht und ist tagelang krank.

In dieser Situation folgen die Malavoglia dem Rat des Gemeindesekretärs Don Silvestro und bieten dem Gläubiger an, ihm das Haus mit dem Mispelbaum zu überschreiben.

„Wenn Ihr uns das Haus freiwillig gebt“, sagte Piedipapera, „dann lassen wir Euch die Provvidenza. Mit der könnt Ihr immer Euer täglich Brot verdienen und bleibt Euer eigener Herr, und dann kommt auch nicht der Gerichtsvollzieher mit dem Stempelpapier.“

Aber ohne Mitgift will Padron Fortunato Cipolla Mena nicht mehr als Schwiegertochter und nimmt seinem Sohn Brasi den Hochzeitsanzug weg:

„Glaubst du, ich hab mein Geld gestohlen, du Dummkopf […], damit ich’s einer hinterherwerfe, die keinen Centesimo hat!“

Neues Unglück

Für ein paar Kilo Fisch riskieren die Malavoglia jeden Tag auf der „Provvidenza“ ihr Leben. Eines Tages bricht der Mast, und der Padron wird am Kopf getroffen. Zwei, drei Tage lang ist er mehr tot als lebendig.

Bevor er den Pfarrer Don Giammaria für die Sterbesakramente holen lässt, schärft er seinen Enkeln ein:

„Und ich sage dir außerdem noch, wenn ihr dann noch Lia verheiratet habt und ein paar Ersparnisse beiseite gelegt habt, dann kauft das Haus mit dem Mispelbaum zurück. Onkel Crocifisso wird es euch wieder verkaufen, wenn er dabei auf seine Kosten kommt, denn es hat schon immer den Malavoglia gehört, und von hier sind euer Vater und Luca, Gott hab sie selig, zum letzten Mal aufgebrochen.“
„Ja, Großvater, ja!“, versprach Ntoni weinend. Auch Alessi hörte zu, ganz ernst, als wäre er schon ein Mann.

Wider Erwarten bleibt Padron Ntoni am Leben.

Cholera

Sein gleichnamiger, mit dem Leben in Aci Trezza unzufriedener Enkel treibt sich mit zwei Schmugglern herum, die vor Jahren in Riposto auf einem Schiff anheuerten, inzwischen von Triest oder Alexandria zurückkehrten und im Wirtshaus das Geld mit vollen Händen ausgeben: Rocco Spatu und Mariano Cinghialenta. Gegen den Rat des Großvaters verlässt der junge Ntoni das Dorf.

„Ist ja gut, ich mach es für sie, für Euch, für alle! Ich will sie reich machen, meine Mutter, das will ich. Jetzt plagen wir uns wegen dem Haus und der Mitgift für Mena. Dann wird Lia erwachsen, und wenn wir ein paar schlechte Jahre haben, bleiben wir immer in der Armut stecken. So ein Leben will ich nicht mehr. Ich will ein anderes Leben haben, für mich und für Euch alle. Ich will, dass wir reich sind, Mama, Ihr, Mena, Alessi, alle.“

Während Ntoni fort ist, bricht in Catania die Cholera aus, und Longa infiziert sich damit. Sie stirbt.

Der armen Mena kam es vor, als sei sie auf einmal zwanzig Jahre älter geworden. Jetzt verhielt sie sich gegenüber Lia, wie die Longa sich ihr gegenüber verhalten hatte, sie meinte, sie müsse das Mädchen wie eine Glucke unter ihren Flügeln verstecken und die ganze Last des Haushalts falle auf sie.

Weil Padron Ntoni nur noch seinen Enkel Alessi als Ruderknecht hat, muss er Tagelöhner anheuern, aber oft reichen die Einnahmen nicht, um sie zu bezahlen. Deshalb bietet er die „Provvidenza“ zum Verkauf an, und Crocifisso gibt ihm dafür gerade einmal ein Stück Brot.

Der junge Ntoni kommt aus Catania zurück. Seine Träume sind zerstoben; er trägt nicht einmal Schuhe. Um seine Verzweiflung wenigstens zeitweise zu vergessen, fängt er zu trinken an.

Die Gewalttat

Crocifisso heiratet seine Nichte Vespa, die Tochter seines verstorbenen Bruders, die dessen Grundstück geerbt hat. Aber bald schon bereut er es, denn sie gibt das Geld mit vollen Händen aus und macht ihm das Leben zur Hölle.

Hätte er das gewusst, so hätte er Grundstück und Ehefrau zum Teufel gejagt. Er brauchte sowieso keine Frau, und doch hatte man ihn am Kragen gepackt und glauben gemacht, die Vespa habe sich Brasi Cipolla geangelt und wolle ihm mitsamt ihrem Grundstück, diesem verfluchten Grundstück, entwischen.

Weil Barbara Zuppidda nicht mehr damit rechnen kann, dass ihre Familie einer Eheschließung mit einem Malavoglia zustimmen werde, macht sie Don Michele, einem Brigadiere der Zollwache, schöne Augen. Der eifersüchtige Ntoni Malavoglia will sich an ihm rächen, und dass Don Michele sich in Lia verliebt hat, bringt deren Bruder noch mehr gegen ihn auf.

In Begleitung von Rocco Spatu, Cinghialenta und dem jüngeren Sohn der Locca trinkt sich Ntoni bei der Wirtin Mariangela („Santuzza“) Mut an und sucht dann nach seinem Rivalen. Der Brigadiere hält eine Pistole in der Faust.

„Beim Blut der Madonna!“, schrie Malavoglia und zog das Messer. „Ich zeig Euch, ob ich Angst vor der Pistole habe!“
Don Micheles Schuss ging in die Luft, doch er selbst stürzte zu Boden wie ein Ochse, von einem Stich in die Brust getroffen. Ntoni wollte fliehen und tat einen Sprung wie ein Rehbock, doch die Zollbeamten fielen über ihn her, Schüsse knallten wie Hagelkörner, und die Männer warfen ihn zu Boden.

Die Stichverletzung ist zum Glück nicht tödlich. Ntoni wird verhaftet. Padron Fortunato Cipolla meint dazu:

„Auch Padron Ntoni hat seinen Nutzen dabei. Glaubt mir, sein Enkel hätte ihm doch sonst noch sein ganzes Geld aufgezehrt! Ich weiß, was es heißt, so einen Sohn zu haben! Jetzt wird der König für ihn aufkommen.“

Aber statt zu sparen, gibt Padron Ntoni das mühsam für den Rückkauf des Hauses gesparte Geld für Winkeladvokaten aus, die seinen Enkel verteidigen sollen.

„Jetzt brauchen wir das Haus nicht mehr und auch sonst nichts mehr!“

Am Ende wird der Angeklagte zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt. Sein Großvater erleidet einen Schlaganfall. Seine Schwester Lia, über die auch getuschelt wird, weil sie mit Don Michele gesehen wurde, verlässt beschämt das Dorf.

Das Ende

Alfio Mosca kommt aus Bicocca nach Aci Trezza zurück, mit einem Karren, der von einem gut genährten Maultier mit glänzendem Fell gezogen wird. Er weiß als einziger, was aus Lia geworden ist, denn er hat sie in Catania als Hure gesehen.

Endlich kann er Mena einen Heiratsantrag machen, aber die 26-Jährige behauptet, dass sie inzwischen zu alt für eine Eheschließung sei. Ihr wahrer Beweggrund ist ein anderer.

„Warum kann man Euch nicht mehr heiraten, Comare Mena?“
„Nein, nein!“, wiederholte Comare Mena und hielt die Tränen zurück. „Zwingt mich nicht zum Reden, Compare Alfio! Zwingt mich nicht dazu! Wenn ich jetzt heiraten würde, würden die Leute wieder von meiner Schwester Lia reden. Es würde sich keiner trauen, eine Malavoglia zu heiraten, nach allem, was geschehen ist. Ihr würdet es als Erster bereuen. Lasst mich in Frieden, man kann mich nicht mehr heiraten, und findet Euch damit ab.“

Alessi weigert sich, auf andere Dorfbewohner zu hören und seinen Großvater ins Armenhaus zu bringen, obwohl der Greis nur noch im Bett liegt, seinen Verstand verloren hat und den Tod herbeisehnt. Als Alessi in Risposto zu tun hat, schickt Padron Ntoni seine Enkelin Mena unter einem Vorwand aus dem Haus und lässt sich auf Alfio Moscas Karren ins Armenhaus bringen.

Als Ntoni seine Haftstrafe verbüßt hat und eines Nachts zurückkommt, ist sein Großvater bereits gestorben. Sein Bruder Alessi wohnt jetzt mit seiner Frau Nunziata im Haus mit dem Mispelbaum, das er zurückgekauft hat. Alessi ist bereit, ihn aufzunehmen, aber Ntoni ist nur da, um sich endgültig zu verabschieden.

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Die Handlung des Romans „Die Malavoglia“ von Giovanni Verga spielt in einem sizilianischen Dorf am Ende des Risorgimento (1815 – 1870), in einer Zeit des politischen und sozialen Umbruchs.

Ntoni, das Oberhaupt der „Malavoglia“ genannten Fischerfamilie Toscano, vertritt die alten Werte, versucht sich jedoch in einem Handelsgeschäft, das aufgrund eines Schiffsunglücks fehlschlägt und zur Überschuldung der honorigen Familie führt. Damit beginnt der Niedergang der Malavoglia. Sein gleichnamiger Enkel ist nicht mehr bereit, dieses leidvolle Leben hinzunehmen. Er verlässt das Dorf, aber seine Träume zerschlagen sich. Desillusioniert kehrt er zurück und wird schließlich nach einer Gewalttat zu einer Zuchthausstrafe verurteilt.

Tradition gegen Rebellion, Dorf gegen Außenwelt. Padron Ntoni ist für die Tradition und käme nie auf die Idee, das Heimatdorf zu verlassen. Die Familie ist ihm das Wichtigste. Gerade deshalb ‒ zum vermeintlichen Wohl der Familie ‒ lässt er sich jedoch vom Geist des kapitalistischen Geschäftemachens verführen. Aber das Risiko, das er eingeht, ist für einen einfachen Fischer zu hoch; so etwas könnten sich nur reichere Leute leisten, die von einem Verlust nicht ruiniert werden.

Roberto Saviano beschreibt die von den Metropolen bis in das sizilianische Fischerdorf Aci Trezza schwappende Einstellung im Nachwort:

Man muss es schaffen, muss sich sputen, Risiken eingehen und den Einsatz verdoppeln, das eigene Kapital investieren. Es spielt keine Rolle, ob es sich um ein Kapital an Geld handelt oder ob es aus Tugend, Hoffnung, Träumen besteht, ob es sich um den Einsatz von Würde, Händen, Armen, Kindern, Müttern, Tanten, Schwestern handelt. Wichtig ist nur, dass man auf irgendetwas setzt.

Giovanni Verga kommentiert das Geschehen in „Die Malavoglia“ nicht, und er enthält sich jeder expliziten Wertung. Nach dem Vorbild französischer Naturalisten wie Honoré de Balzac, Gustave Flaubert und Émile Zola versucht er, die Wirklichkeit unverfälscht und vor allem ungeschönt darzustellen. Der Erzähler wirkt wie ein nüchtern-neutraler Reporter, der sich gar nicht selbst ins Spiel bringt. Man spricht von einer Technik der Unpersönlichkeit bzw. Entfremdung (straniamento). „Die Malavoglia“ gilt als Hauptwerk des Verismo.

Die kollektive Sichtweise der Dorfbewohner („vox populi“) ist entscheidend. Giovanni Verga lässt dabei schätzungsweise 50 Romanfiguren auftreten, ohne sie groß einzuführen. Obwohl es im Anhang des Buches ein Personenverzeichnis gibt, fällt es beim Lesen schwer, die Übersicht zu behalten, zumal fast alle Figuren neben ihrem amtlichen noch einen Spitznamen tragen, also unterschiedlich angesprochen werden. Dieses verwirrende Bild hätten wir allerdings auch, wenn wir nach Aci Trezza kämen.

Giovanni Verga entwickelt die Geschichte in „Die Malavoglia“ chronologisch. Dabei kontrastiert das Kreisen der sich wiederholenden Jahreszeiten mit der linear fortschreitenden, unumkehrbaren Entwicklung.

Die im Roman benutzten alten Anredeformeln sind für uns ungewohnt: Compare bzw. Comare sagen die Dorfbewohner zu einfachen Leuten ohne Besitz, bei Fischern und Bauern wird Padron bzw. Padrone dem Namen vorangestellt, bei Handwerkern Massaro oder Mastro, Arzt und Dorfpfarrer werden respektvoll mit Don angesprochen.

In der Inhaltsangabe nicht erwähnte Romanfiguren:
. Anna: Base von Crocifisso; Tochter: Mara; Sohn: Rocco Spatu
. Betta: Tochter des Bürgermeisters Croce Callà
. Ciccio: Arzt
. Cirino: Schuhmacher, Gemeindediener und Sakristan
. Cola: Fischer
. Croce Callà („Baco da seta“, „Giufà“): Bürgermeister
. Filippo: Gärtner
. Franco: Apotheker
. Peppi Naso: Metzger
. Rosolina: Schwester des Pfarrers Don Giammaria
. Santoro: Vater der Wirtin Mariangela („Santuzza“)
. Vanni Pizzuto: Friseur

Bemerkenswert ist nicht zuletzt, dass es sich bei Giovanni Verga (1840 ‒ 1922) um den Sohn einer wohlhabenden sizilianischen Familie handelte. Er studierte Jura in Catania, verzichtete aber nach dem Erfolg seines Debütromans „Amore e patria“ auf den Universitätsabschluss und wurde Schriftsteller. Auf Novellen von Giovanni Verga basiert auch das Libretto der von Giuseppe Verdi komponierten, 1890 uraufgeführten Oper „Cavalleria rusticana“. 1920 ernannte man ihn zum Senator des Königreichs Italien. Außerdem war er Commendatore (Komtur) des Ritterordens der hl. Mauritius und Lazarus und Ufficiale (Offizier) des Ordens der Krone von Italien.

Die Familie Malavoglia in Aci Trezza führte Giovanni Verga bereits mit seiner Novelle „Fantasticheria“ 1879 ein. Der zwei Jahre später veröffentlichte Roman „Die Malavoglia“ war als Auftakt einer Pentalogie gedacht, eines „Zyklus der Besiegten“, der jedoch nicht zustande kam.

Luchino Viscontis Verfilmung des Romans „Die Malavoglia“ unter dem Titel „La terra trema“ gilt als herausragendes Werk des Neorealismo.

Die Erde bebt – Originaltitel: La terra trema – Regie: Luchino Visconti – Drehbuch: Antonio Pietrangeli und Luchino Visconti nach dem Roman „Die Malavoglia“ von Giovanni Verga – Kamera: Aldo Graziati – Schnitt: Mario Serandrei – Musik: Willy Ferrero – Darsteller: Antonio Arcidiacono, Giuseppe Arcidiacono, Nelluccia Giammona, Agnese Giammona, Maria Micale, Sebastiano Valastro u.a. – 1948; 165 Minuten

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2022
Textauszüge: © Verlag Klaus Wagenbach

Simon Beckett - Schneefall / Ein ganz normaler Tag
Während "Schneefall" verblüffend banal ist, wechselt Simon Beckett in "Ein ganz normaler Tag" immerhin zwischen zwei Ebenen und thematisiert die Tendenz zur Vernachlässigung der Rechte, die auch Menschen am Rand der Gesellschaft zustehen.
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