The Cut

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The Cut – Originaltitel: The Cut – Regie: Fatih Akin – Drehbuch: Fatih Akin, Mardik Martin – Kamera: Rainer Klausmann – Schnitt: Andrew Bird – Musik: Alexander Hacke – Darsteller: Tahar Rahim, Simon Abkarian, Makram Khoury, Hindi Zahra, Kevork Malikyan, Bartu Küçükçağlayan, Zein Fakhoury, Dina Fakhoury, Trine Dyrholm, Arsinée Khanjian, Akin Gazi, Shubham Saraf, George Georgiou, Arévik Martirossian, Lara Heller, Moritz Bleibtreu u.a. – 2014; 135 Minuten

Inhaltsangabe

1915 wird der junge armenische Schmied Nazaret aus der Kleinstadt Mardin im Osten des Osmanischen Reichs deportiert. Im Jahr darauf werden die christlichen Gefangenen ermordet, die sich weigern, zum Islam überzutreten. Der Türke, der Nazaret töten soll, sticht ihm zwar in den Hals, bringt es aber nicht fertig, ihm die Kehle durchzu­schneiden. Nazaret kann danach zwar nicht mehr sprechen, überlebt aber die Verletzung und macht sich auf die Suche nach seinen Zwillingstöchtern. (Alle anderen Angehöri­gen wurden umgebracht.) Die Odyssee bringt Nazaret bis nach Amerika ...
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Kritik

Im ersten Teil von "The Cut" pran­gert Fatih Akin den Genozid an den Armeniern an, im zweiten verliert er das Thema aus den Augen. Der Film changiert zwischen Epos, Drama, Tragödie, Melodram, Märchen, Lehrstück, Western, Abenteuerfilm, Roadmovie. Viele Bilder wirken choreografiert und kulissenhaft.
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Mardin, 1915: Der junge armenische Schmied Nazaret Manoogian (Tahar Rahim) lebt mit seiner Ehefrau Rakel (Hindi Zahra), den Zwillingstöchtern Arsinée und Lucinée (Zein Fakhoury, Dina Fakhoury), anderen Verwandten und seinem Lehrling Levon (Shubham Saraf) in der zum Osmanischen Reich gehörenden mesopotamischen Kleinstadt Mardin. Nachdem er einem reichen Kunden eine Schere geschmiedet hat, geht er zum Beichten in der Kirche und holt dann die Töchter von der Schule ab. Auf dem Heimweg weist er die Mädchen auf einen Kranich hin und erklärt ihnen, der Vogelflug kündige ihnen eine lange Reise an.

In der Nacht holen Gendarmen die armenisch-christlichen Männer aus den Betten und führen sie ab. Auch Nazaret, sein Bruder Hrant (Akin Gazi) und sein Schwager Vahan (George Georgiou) sind darunter. Sie werden gezwungen, in der Wüste Steine zu klopfen und Straßen zu bauen. Wer erschöpft zusammenbricht, bleibt liegen, bis er tot ist. Einmal werden Frauen und Kinder in Sichtweite vorbeigetrieben, und die gefangenen Christen müssen hilflos mit ansehen, wie ein türkischer Reiter eine der Frauen zu Boden wirft und am Straßenrand vergewaltigt.

1916: Als ein Ausrufer bekannt gibt, dass der osmanische Sultan zum Islam konvertierte armenische Gefangene begnadigen werde, treten einige der Christen vor – und werden von den anderen wegen des Glaubensverrats beschimpft.

Die nicht zum Islam konvertierten Armenier werden in ein Felsental geführt. Dort gibt der türkische Anführer den Befehl, die Gefesselten zu töten, aber dabei keine Munition zu vergeuden, sondern Messer zu benützen. Nazaret muss zusehen, wie seinen Verwandten und anderen die Kehle durchgeschnitten wird. Mehmet (Bartu Küçükçağlayan), ein junger Türke, der ihn töten soll, ist selbst ein Gefangener und hat noch nie einen Menschen umgebracht. Er setzt Nazaret das Messer an den Hals, bringt es aber nicht fertig, ihm die Kehle durchzuschneiden. Erst als ihm selbst eine Pistole an die Schläfe gehalten wird, bohrt er Nazaret das Messer in den Hals.

Nazaret ist jedoch nicht tot, und Mehmet merkt es. Nachts kommt der Türke zurück, schneidet dem Armenier die Fesseln durch, gibt ihm Wasser und fordert ihn auf, mit ihm zu fliehen.

Durch den Stich in den Hals wurde Nazarets Kehlkopf verletzt, und er kann nicht mehr sprechen, aber ein Heilkundiger, auf den sie in einer Gruppe von Deserteuren stoßen, ist zuversichtlich, dass Nazaret die Verletzung überleben wird.

Die Deserteure, denen sich Mehmet und Nazaret angeschlossen haben, überfallen eine Kutsche. Bei dem Insassen handelt es sich zufällig um den reichen Kunden, dem Nazaret am Tag vor seiner Deportation in Mardin eine Schere schmiedete. Der erwartet von dem armenischen Schmied, dass er ein gutes Wort für ihn einlegt, aber Nazaret wendet sich schweigend ab, während die anderen die Kutsche ausrauben.

Nach einiger Zeit trennt Nazaret sich von Mehmet und den Deserteuren, denn er will in der Stadt Ra’s al-‚Ain nach seinen inzwischen ebenfalls verschleppten Angehörigen suchen.

Obwohl ihm die Deserteure Wasser mitgegeben haben, verdurstet Nazaret beinahe in der Wüste. Einmal findet er einen Brunnen, aber das Wasser ist ungenießbar, denn es liegen Leichen darin. Nazaret bricht zusammen und bleibt im Sand liegen. Im Traum erscheint ihm seine Frau Rakel und fordert ihn auf, weiterzugehen.

Ra’s al-‚Ain: Im Flüchtlingslager der syrischen Stadt sucht Nazaret vergeblich nach seiner Frau und den Töchtern. Er findet nur seine halbtote Schwägerin Ani (Arévik Martirossian), die ihm mitteilt, dass alle aus der Großfamilie bis auf sie von den Türken ermordet worden seien. Sie fleht ihn an, sie von ihrem Leid zu erlösen. Nazaret nimmt sie schweigend in den Arm, und in der Nacht erwürgt er sie.

Gott verfluchend, zieht er weiter. Er springt auf einen Güterzug auf. Am nächsten Morgen hört er die Schritte der Wachen, und um nicht aufgegriffen zu werden, springt er aus dem fahrenden Zug. Erneut befindet er sich mitten in der Wüste.

Glücklicherweise kommt der Seifensieder Omar Nasreddin (Makram Khoury) mit seinem Esel vorbei. Der Syrer nimmt den halb verdursteten und verhungerten Armenier mit.

Aleppo: Bei der Ankunft in der Stadt wird der Fabrikant von zwei Soldaten angehalten, aber er besticht sie mit zwei Stück Seife, damit er ohne Kontrolle mit dem unter der Ladung des Karrens versteckten Flüchtling passieren kann. In seiner Manufaktur beschäftigt er den Flüchtling und macht ihn mit dem ebenfalls für ihn arbeitenden Armenier Krikor (Simon Abkarian) bekannt.

November 1918: Als die Türken nach dem Ersten Weltkrieg aus Aleppo abziehen müssen, werden sie von den Armeniern mit Steinen beworfen. Daran beteiligen sich auch Krikor und Nazaret, aber als Nazaret sieht, wie ein kleiner Junge an der Stirn getroffen wird, zieht er sich beschämt zurück.

Während Krikor ein Bordell aufsucht, mischt Nazaret sich unter die Zuschauer eines Wanderkinos im Freien. Von dem Stummfilm „The Kid“ von und mit Charlie Chaplin ist Nazaret tief betroffen.

Nach der Vorstellung wird er von seinem früheren Lehrjungen Levon entdeckt, den es ebenfalls nach Aleppo verschlagen hat. Der meint, dass Nazarets Zwillingstöchter noch am Leben seien. Rakel hatte sie einer Beduinenfamilie anvertraut, bevor sie auf den Todesmarsch getrieben wurde und ums Leben kam.

Krikor hilft Nazaret deshalb, in einer Zeitung eine Suchanzeige aufzugeben. Einer der vielen Flüchtlinge, die Omar Nasreddin in seiner Seifenmanufaktur aufgenommen hat, rät Nazaret, in Waisenhäusern nach den Mädchen zu suchen. Aber davon gibt es hundert allein in Französisch Syrien und Libanon!

Omar Nasreddin schenkt Nazaret zum Abschied etwas Geld.

Libanon, 1923: Endlich findet Nazaret das Waisenhaus im Libanon, in dem Arsinée und Lucinée einige Zeit lebten. Aber als sie 16 Jahre alt wurden, mussten sie es verlassen. Das war vor einem Jahr. Immerhin versichert die Heimleiterin (Trine Dyrholm), dass die beiden Mädchen gesund gewesen seien, auch wenn Luninée wegen einer schlecht verheilten Beinfraktur hinkte. Frau Krikorian (Anna Savva ), die Mathematik-Lehrerin des Waisenhauses, arrangierte vor einem Jahr mit einer ihrer auf Kuba lebenden Cousine eine Eheschließung der Zwillinge mit zwei ebenfalls auf der Karibikinsel lebenden Armeniern.

Havanna: Also heuert Nazaret als Matrose auf einem Dampfer an. In Havanna angekommen, fragt er sich zu Hagob Nakashian (Kevork Malikyan) durch, dessen Adresse er von Frau Krikorian bekam. Der Barbier nimmt ihn freundlich auf, muss ihm aber schon bei der Begrüßung mitteilen, dass die Zwillinge seit einem halben Jahr nicht mehr da sind. Beim Abendessen berichtet seine Frau (Arsinée Khanjian), dass der Armenier, für den Lucinée vorgesehen war, keine hinkende Frau heiraten wollte. Arsinée weigerte sich daraufhin, die Ehe mit dem anderen Bräutigam zu schließen, denn sie wollte bei ihrer Schwester bleiben. Die beiden jungen Frauen, so der Kenntnisstand des Ehepaars Nakashian, haben Arbeit in einer Textilfabrik in Minneapolis gefunden. Hagob Nakashian telegrafiert dem Unternehmer Peter Edelman (Moritz Bleibtreu), aber der antwortet, dass Arsinée und Lucinée nicht mehr bei ihm seien.

In der Sonntagsmesse entdeckt Frau Nakashian den Armenier, der Lucinée zurückwies und macht Nazaret auf ihn aufmerksam. Er folgt dem Mann nach dem Gottesdienst, stößt ihn in einen Hauseingang, schlägt ihn nieder und raubt ihm die Brieftasche.

Florida: Das Geld benötigt Nazaret, um sich einer Rum-Schmugglerbande anschließen zu können, die ihn mit nach Florida nimmt.

Dort setzen ihn die Schmuggler an einem Bahnübergang ab, und Nazaret beginnt, auf dem Gleis loszulaufen.

Als er ein Huhn rauben will, wird er entdeckt und von zwei Männern mit einer Flinte verfolgt. Aber es gelingt ihm, einen der beiden niederzuschlagen und den anderen mit der Waffe in Schach zu halten, bis er die Hühnereier roh gegessen hat.

Danach hört er einen Zug kommen, und es gelingt ihm, auf einen Waggon aufzuspringen.

Minneapolis: In Minnepolis findet Nazaret die Textilfabrik, und Peter Edelman zeigt seinen Näherinnen das Foto der Zwillinge, das Nazaret aus dem Waisenhaus im Libanon mitgebracht hat. Aber niemand weiß, was aus den Frauen geworden ist.

North Dakota, 1923: Um Geld zu verdienen, arbeitet Nazaret bei einer Eisenbahngesellschaft im Gleisbau.

Während einer Pause läuft eine Indianerin vorbei. Die Männer pöbeln sie an, aber die Frau achtet nicht auf sie. Tommy, einer der Arbeiter, folgt ihr, wirft sie zu Boden und versucht, sie zu vergewaltigen. Da springt Nazaret auf und eilt ihr zu Hilfe. Während sie fliehen kann, wird er von seinen aufgebrachten Kameraden mit Schaufeln zusammengeschlagen. „Haben wir ihn umgebracht?“, fragt einer, und andere antworten: „Wen kümmert’s?“.

Nachts glaubt Nazaret seine beiden Töchter zu sehen. Das motiviert ihn, sich nicht aufzugeben.

Schließlich stößt er auf eine Unterkunft armenischer Gleisbauarbeiter. Sie kennen zwar die beiden Frauen auf dem Foto nicht, weisen Nazaret aber darauf hin, dass auch in der Stadt Ruso Armenier leben.

Ruso: Nazaret macht sich auf den Weg, und kurz nachdem er in Ruso eingetroffen ist, fällt ihm auf der Straße eine hinkende Passantin auf. Es ist seine Tochter Lucinée (jetzt: Lara Heller). Sie fallen sich in die Arme, und Nazaret kann jetzt wenigstens wieder flüstern. Aber wo ist Lucinées Zwillingsschwester? Arsinée starb Ende des letzten Jahres an einem Parasitenbefall. Lucinée zeigt ihrem Vater das Grab der 18-Jährigen.

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„The Cut“ ist der dritte Teil der von Fatih Akin mit „Gegen die Wand“ und „Auf der anderen Seite“ begonnenen Trilogie „Liebe, Tod und Teufel“.

Als Thema von „The Cut“ hat der deutsche Regisseur türkischer Abstammung ein zumindest in Anatolien brisantes Thema gewählt: den von der türkischen Regierung bis heute geleugneten Genozid an den Armeniern im Osmanischen Reich während des Ersten Weltkriegs. Aber besonders politisch wirkt das Drama nicht, eher plakativ, und bei der Odyssee des Protagonisten in der zweiten Hälfte des Films verliert man den Völkermord aus den Augen.

Augenscheinlich strebte Fatih Akin großes Kino an. Aber ein Meisterwerk ist ihm mit „The Cut“ nicht gelungen. Der Film changiert zwischen Epos, Drama, Tragödie, Melodram, Märchen, Lehrstück, Western, Abenteuerfilm, Roadmovie. Viele Bilder wirken choreografiert und kulissenhaft. Ungeachtet eindrucksvoller Landschaftsaufnahmen und gewaltiger Massenszenen hat man immer wieder den Eindruck, einer Theateraufführung zuzuschauen.

Nazaret, der Name des Protagonisten in „The Cut“, lässt sich phonetisch nicht von Nazareth, dem Heimatort Jesu Christi, unterscheiden. Dass dieser christliche Armenier, aus dessen Sicht die Geschichte erzählt wird, fast die ganze Zeit stumm ist, versteht man zwar als Symbol für das zum Schweigen verurteilte armenische Volk, aber der Dramaturgie hilft es nicht, zumal der französische Schauspieler Tahar Rahim auch nicht über eine große Bandbreite der Mimik und Gestik zu verfügen scheint. Vielleicht sollte die Stummheit der Hauptfigur durch eine kräftige Musikuntermalung ausgeglichen werden; jedenfalls ist sie zu dominant und aufdringlich.

Der in „The Cut“ zu hörende Song „Everything To Get You Back“ wurde von Alexander Hacke komponiert. Gesungen wird er von Hindi Zahra, die auch die Rolle der Rakel spielt.

Nazaret sieht 1916 (jedenfalls vor 1918) in Aleppo den Stummfilm „The Kid“ von und mit Charlie Chaplin, dessen Premiere allerdings in Wirklichkeit erst am 21. Januar 1921 in New York stattfand.

Der im Iran geborene, armenisch-stämmige amerikanische Drehbuchautor Mardik Martin („Hexenkessel“, „Wie ein wilder Stier“) soll Fatih Akin geholfen haben, das ausufernde Drehbuch zu kürzen. Und Martin Scorsese, heißt es, habe sich eine Rohfassung von „The Cut“ angeschaut und Fatih Akin dann bezüglich des Schnitts beraten.

Die Dreharbeiten für „The Cut“ fanden in Deutschland, auf Malta und in Jordanien, auf Kuba und in Kanada statt.

Fabienne Vonier und Karl Baumgartner, die zum Team der Produzenten gehörten, erlebten die Premiere des Films „The Cut“ am 31. August 2014 bei den 71. Internationalen Filmfestspielen von Venedig nicht mehr: Fabienne Vonier starb am 30. Juli 2013, Karl Baumgartner am 18. März 2014.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2015

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