Louis Begley : Schmidts Einsicht

Schmidts Einsicht
Originalausgabe: Schmidt Steps Back Verlag Alfred A. Knopf, New York 2012 Schmidts Einsicht Übersetzung: Christa Krüger Suhrkamp Verlag, Berlin 2011 ISBN: 978-3-518-42250-2, 415 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Der 78-jährige ehemalige Anwalt Albert Schmidt wartet in Bridgehampton/NY auf die Ankunft einer 15 Jahre jüngeren Frau. Alice Verplanck kommt aus Paris. Vor 13 Jahren hatten die beiden eine kurze Affäre und sich dann jedoch zerstritten. Jetzt hofft Schmidt, dass Alice für immer bei ihm bleibt. Während er auf sie wartet, erinnert er sich an frühere Erlebnisse, an Liebschaften ebenso wie an die konfliktreiche Beziehung mit seiner Tochter Charlotte ...
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Kritik

Die Bekenntnisse eines verliebten alten Egomanen, der nie eine Gelegenheit ausließ, mit einer Frau Sex zu haben, sind nicht wirklich mitreißend. "Schmidts Einsicht" ist ein von Louis Begley routiniert geschriebener Roman mit einigen Längen.
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Alice wurde 1945 geboren und wuchs als Tochter des französischen Botschafters in Washington, D. C., auf. Sie studierte am Radcliffe Frauencollege in Cambridge/Massachusetts.

1981 bewirbt sich ihr Ehemann Tim Verplanck, ein Anwalt der New Yorker Kanzlei Wood & Kind, erfolgreich um die Nachfolge des Pariser Bürochefs, und sie ziehen mit der Tochter Sophie und dem zwei Jahre jüngeren Sohn Tommy in die französische Hauptstadt.

Vier Jahre später erkrankt das 12-jährige Mädchen im Ferienlager Camp Horned Owl in Maine an Meningitis und stirbt bald darauf in einer Klinik in Portland.

Am Tag der Beerdigung sieht Alice zufällig durchs Fenster, wie sich Tim und sein Freund Bruno Chardon leidenschaftlich küssen, und dann hört sie das Gestöhne der beiden im Gästezimmer. Als sie Tim zur Rede stellt, erfährt sie, dass die beiden schon lange ein Liebespaar sind. Aus Rücksicht auf Tommy lässt Alice sich nicht scheiden, sondern findet sich mit einer Ménage à trois ab. Allerdings schläft sie nicht mehr mit ihrem Mann.

1986 stirbt ihre an amyotropher Lateralskerose (ALS) erkrankte Mutter kurz vor dem 75. Geburtstag. Ihr 90-jähriger Vater lebt nun mit Janine, der besten Freundin seiner Frau, in Antibes zusammen.

Tim wird 1989 mit einer Lungenentzündung ins American Hospital gebracht. Dass er sich mit AIDS infiziert hat, kann er nicht länger leugnen. Er zieht sich aus der Kanzlei zurück. Im Februar 1995 stirbt er.

Im April reist Albert Schmidt nach Paris, um Alice zum Tod ihres Mannes zu kondolieren. Der erfolgreiche New Yorker Wirtschaftsanwalt war vorzeitig in den Ruhestand gegangen, als die Ärzte bei seiner Frau Mary Krebs diagnostiziert hatten. Seit Marys Tod wohnt er in einem Landhaus in Bridgehampton/New York. Tim Verplanck hatte 1968 in der Kanzlei Wood & Kind in New York angefangen und zunächst für Schmidt gearbeitet. Als er Alice in Washington heiratete, war Schmidt unter den Hochzeitsgästen und lernte die Braut kennen.

Später freundete Schmidt sich mit der 20-jährigen puertoricanischen Studentin Caridad („Carrie“) Gorchuk an, die als Kellnerin in seinem Stammrestaurant arbeitete. Obwohl sie jünger als seine eigene Tochter Charlotte war, wurde sie seine Geliebte, zog zu ihm und sorgte für ein aufregendes Sexleben. Wie von Albert befürchtet, verliebte sie sich nach zwei Jahren in einen anderen Mann. Bald darauf stellte sie fest, dass sie schwanger war. Ob Schmidt oder Jason („Jay“) der Vater des ungeborenen Kindes war, wusste sie nicht. Jason kümmerte das nicht weiter, er stimmte sogar zu, den Jungen Albert zu nennen, und Schmidt zeigte sich großzügig: Er ließ das Paar, das heimlich heiratete, erst einmal in seinem Poolhaus wohnen und versprach, die Ausbildungskosten für Albert junior zu übernehmen. (Ein DNA-Vergleich klärte Schmidt später darüber auf, dass er nicht der Vater des Kindes war.)

Inzwischen leitet Schmidt eine wohltätige Stiftung des mit ihm befreundeten, ebenso exzentrischen wie großzügigen Milliardärs Mike Mansour. In dieser Funktion hat er im Frühjahr 1995 in Osteuropa zu tun – und in Warschau eine kurze Affäre mit der sexbesessenen 50-jährigen Polin Pani Danuta. Auf dem Rückflug schaut er bei Alice vorbei, die als Lektorin bei Éditions du Midi beschäftigt ist. Sie erzählt ihm von Tims Homosexualität, und Schmidt vertraut ihr an, dass seine 30-jährige Tochter Charlotte kaum noch mit ihm spricht.

Charlotte Schmidt heiratete 1992, bald nach dem Tod ihrer Mutter Mary, Jon Riker, einen Anwalt der Kanzlei Wood & Kind in New York. Als ihr Vater noch dort beschäftigt war, hatte er Riker protegiert, obwohl er ihn nicht mochte und dieser ihm deshalb vorwarf, ein Antisemit zu sein. Als Jon seine Frau betrog und es in der Kanzlei zu Unregelmäßigkeiten kam, wurde er entlassen. Charlotte hatte daraufhin eine Affäre mit einem Kollegen in der Werbeagentur, in der sie arbeitete. Als dieser jedoch zu seiner Frau zurückkehrte, versöhnte auch sie sich wieder mit ihrem Mann, der inzwischen in einer anderen New Yorker Kanzlei arbeitete.

Als Charlotte Anfang 1995 feststellte, dass sie schwanger war – die Geburt wird für Ende September erwartet –, verlangte Jon von seinem Schwiegervater, einen Fond für das noch ungeborene Kind einzurichten. Schmidt lehnte das aufgebracht ab, denn er hatte bereits das Haus der beiden in Claverack/New York bezahlt. Dadurch verschärfte sich der Konflikt zwischen Schmidt auf der einen Seite, Charlotte, Jon und dessen Eltern, dem Psychiater-Ehepaar Myron und Renata Riker, auf der anderen. Schließlich lud Charlotte ihren Vater widerstrebend nach Claverack ein, aber nur, um von ihm die Bezahlung einer Haushälterin zu fordern.

Mike Mansour nimmt Schmidt in seinem Privatjet mit nach Paris. Dort ist Schmidt mit Alice verabredet, aber nach der Landung erhält er ein Telegramm, in dem steht, dass Charlotte einen Unfall hatte. Er telefoniert kurz mit Alice und fliegt dann sofort zurück. Myron Riker berichtet ihm, Charlotte sei auf ein Fensterbrett geklettert, um eine verklemmte Jalousie in Ordnung zu bringen, habe das Gleichgewicht verloren und sei gestürzt. Die Verletzungen sind glücklicherweise nicht besonders schlimm, aber ein Abortus musste eingeleitet werden, und Charlotte wird keine Kinder mehr bekommen können. Schmidt besucht seine Tochter im Krankenhaus. Sie erwartet von ihm, dass er die Rechnungen bezahlt und sie ansonsten in Ruhe lässt.

Im Juli 1995 holen Schmidt und Alice das ausgefallene Treffen in London noch. Sie erzählt ihm nach der Ankunft, dass sie während des Flugs unter der über ihren Unterkörper ausgebreiteten Decke masturbiert habe und mit der Hand im Slip eingeschlafen sei. Als die Stewardess die Decke anhob, um den Gurt zu prüfen, bemerkte sie es und zwinkerte ihr zu.

Bei einem Abendessen im Restaurant fragt Schmidt, ob Alice ihn heiraten wolle. Sie gesteht ihm, dass sie die Geliebte ihres Kollegen Serge Popov sei. Sie hatte den gebürtigen Bulgaren, dessen Vater, der letzte Justizminister unter Zar Boris III., von den Kommunisten ermordet worden war, schon vor ihrem Studium am Radcliffe College durch ihren Vater in Washington kennengelernt. Die Affäre endete zunächst, als Popov nach Paris zurückkehrte, wo er arbeitete und mit einer Frau namens Solange verheiratet war. Alice heiratete dann Tim Verplanck. Als sie mit ihrem Mann nach Paris kam, setzte sie die Liebschaft mit Serge Popov fort. Alice sagt Schmidt, sie wolle zwar mit ihm zusammen sein, aber Popov nicht aufgeben.

Du denkst nicht daran, Popov von uns zu erzählen. Ich möchte es noch einfacher sagen. Du hast nicht die Absicht, eure Beziehung zu beenden. Ist das richtig?
Sie nickte.
Aber mit mir willst du auch weiter zusammen sein?
O ja, sagte sie, und wie sehr!
Aber warum, Alice, warum? Warum willst du Popov betrügen? Bitte verzeih mir dieses Wort, aber es ist das richtige. Warum willst du mit zwei Männern schlafen? Was liegt dir an mir?
Schmidtie, du verstehst nicht. Serge ist nicht wie du: Er ist nie wie du gewesen. Wir lieben uns nur ganz selten […] Jetzt kommt es so gut wie gar nicht mehr vor. Bitte versteh! Die Sache mit Serge ist wie eine alte Ehe. Ich würde ihn zerstören, wenn ich ihn verließe. Das kann ich nicht machen.

Zornig erklärt Schmidt, er habe eine ernsthafte Liebesbeziehung angestrebt und weigere sich, stattdessen hin und wieder ihr Sexualpartner zu sein. Er beleidigt sie, indem er sie nach dem Essen mit ins Hotel nimmt und ohne Zärtlichkeit wie eine Hure fickt. Am nächsten Morgen reist sie ab, ohne auch nur ein Wort mit ihm zu reden. Und als er ihr Blumen nach Paris schickt, nimmt sie diese nicht an.

Wegen einer schweren Depression wird Charlotte von dem Psychiater Alan K. Townsend in Sunset Hill/West Connecticut stationär behandelt – und ihr Vater übernimmt auch diese beträchtlichen Kosten. Dennoch will sie ihn nicht sehen, als er nach telefonischer Absprache mit Townsend eigens angereist ist.

Erst kurz vor der Entlassung bittet sie um seinen Besuch. Sie werde sich scheiden lassen, sagt sie. Nun benötige sie Geld für eine Wohnung in New York, denn Jon habe die gemeinsamen Konten leergeräumt. In der Klinik lernte sie einen verwitweten Maler kennen, der dort Kunstunterricht gab. Er heißt Josh White und hat eine zwölfjährige Tochter namens Jenny.

Erst nach Jahren lernt Schmidt den neuen Lebensgefährten seiner Tochter kennen. Josh und Charlotte kommen mit Jenny zu Besuch aus Kent nach Bridgehampton. Die beiden Männer verstehen sich auf Anhieb. Josh gesteht Schmidt, er habe lange gezögert, aber inzwischen sei er sicher, dass Charlotte psychisch stabil genug ist, um für Jenny eine gute Stiefmutter sein zu können. Er will sie baldmöglichst heiraten und fragt Schmidt um Erlaubnis.

Auf der Rückfahrt nach Kent kommen Josh, Charlotte und Jenny bei einem schweren Verkehrsunfall ums Leben.

Jahrelang trifft Schmidt sich mit einer sexhungrigen verheirateten Frau namens Vera aus Bedford Hills/New York, die er durch eine Privatanzeige in The New York Review of Books kennenlernte.

Serge Popov stirbt 2008. Daraufhin telefoniert Schmidt nach 13 Jahren erstmals wieder mit Alice und bittet sie um ein Treffen in Paris. Am 14. Oktober trifft er dort ein. Unmittelbar nach der Landung ruft er sie an. Alice erklärt ihm kühl, sie werde jetzt zum Lunch gehen und dabei den Rat einer Freundin einholen. Nur wenn sie zu dem Schluss komme, ein Treffen mit ihm mache Sinn, werde sie ihn anrufen.

Tatsächlich verabreden sich der 78-Jährige und die 15 Jahre Jüngere eine Zeit später zum Abendessen in einem Restaurant. Alices Vater ist längst gestorben. Ihr Sohn Tommy lehrt inzwischen Mathematik an der Universität Melbourne und lebt mit einer Psychologin zusammen, die Alice nicht mag.

Schmidt erklärt ihr, sein Heiratsantrag von vor 13 Jahren gelte noch immer, aber wenn sie eine wilde Ehe vorziehe, sei er auch damit einverstanden. Er wolle mit ihr zusammenleben, in New York, Paris, Antibes oder anderswo. Schließlich stellt Alice einen Besuch zum Jahreswechsel bei ihm in Bridgehampton in Aussicht, legt sich aber nicht fest.

Am letzten Tag des Jahres 2008 trifft Alice tatsächlich in Bridgehampton ein. Am Abend sind sie bei Mike Mansour eingeladen. Auch Schmidts langjähriger Freund Gilbert („Gil“) Blackman ist mit seiner Ehefrau Elaine unter den Gästen. Gil soll mit Mikes Geld einen Roman des Schriftstellers Joe Canning verfilmen, damit der Milliardär ungestört mit dessen Ehefrau Caroline zusammen sein kann.

Obwohl Alice zunächst auf einer Nacht ohne Sex besteht und Schmidt sich zurückhält, um sie nicht erneut zu verärgern, drängt sie sich dann doch mit feuchter Vulva gegen ihn und schläft mit ihm.

Beim Frühstück am Neujahrstag 2009 erklärt sie sich mit einer Liebesbeziehung einverstanden, stellt aber folgende Bedingung: Sie bleibt erst einmal in Paris und wird sich nach der Verabschiedung in den Ruhestand noch um einen Beratervertrag bei Éditions du Midi bewerben. Ansonsten will sie so oft wie möglich mit Schmidt zusammen sein.

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„Schmidts Einsicht“ ist der dritte Teil einer Trilogie von Louis Begley. Die ersten beiden Titel lauten „Schmidt“ (1996) bzw. „Schmidts Bewährung“ (2000). Im Mittelpunkt steht der ehemalige New Yorker Rechtsanwalt Albert Schmidt.

An Silvester 2008 freut der 78-Jährige sich in Bridgehampton/New York auf die Ankunft einer 15 Jahre jüngeren Frau. Alice Verplanck kommt aus Paris. Vor 13 Jahren hatten die beiden eine kurze Affäre und sich dann jedoch zerstritten. Jetzt hofft Schmidt, dass Alice für immer bei ihm bleibt. Während er auf sie wartet, erinnert er sich an frühere Erlebnisse. Einige dieser in die Rahmenhandlung eingebetteten Rückblicke lassen sich nicht ohne weiteres zeitlich zuordnen.

Die Bekenntnisse eines verliebten alten Mannes, eines antisemitischen Egomanen, der nie eine Gelegenheit ausließ, mit einer Frau oral, vaginal und anal Sex zu haben, sind nicht wirklich mitreißend. „Schmidts Einsicht“ ist ein routiniert geschriebener Roman mit einigen Längen. Widersprüchliche Angaben zeugen nicht von besonderer Sorgfalt. Beispielsweise heißt es auf Seite 70, Sophie Verplanck sei 1981 fünf Jahre alt gewesen. Bei ihrem Tod im Jahr 1985 war sie jedoch zwölf (Seite 80).

Bemerkenswert ist, dass „Schmidts Einsicht“ in der deutschen Übersetzung von Christa Krüger im Herbst 2011 veröffentlicht wurde, während die amerikanische Originalausgabe „Schmidt Steps Back“ erst ein halbes Jahr später, im März 2012, erschien.

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2012
Textauszüge: © Suhrkamp Verlag

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