Jane Bowles : Zwei sehr ernsthafte Damen

Zwei sehr ernsthafte Damen
Originalausgabe: Two Serious Ladies, 1943 Zwei sehr ernsthafte Damen Übersetzung: Adelheid Dormagen Carl Hanser Verlag, München / Wien 1984 Taschenbuch: dtv, München 1986 ISBN 3-423-10565-8, 189 Seiten Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2001 ISBN 978-3-8031-2416-6, 259 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

In dem Roman geht es um zwei Exzentrikerinnen Mitte dreißig, die nach Lebensglück und Selbstverwirklichung streben, ohne sich dabei durch Konventionen und Rollenerwartungen einschränken zu lassen. Mrs Copperfield verfällt einer Hure und trennt sich von ihrem Mann, während die reiche Miss Goering anfängt, sich selbst zu prostituieren. Am Ende merken sie, dass ihr neues Leben auch keine Erfüllung ist ...
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Kritik

"Zwei sehr ernsthafte Damen" ist ein bizarrer Frauenroman von Jane Bowles mit einer ganz eigenen Art von Humor.
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Christina Goerings Vater war ein amerikanischer Industrieller deutscher Abstammung, und ihre Mutter stammte aus einer der vornehmsten Familien in New York, wo Christina zusammen mit ihrer Schwester Sophie aufwuchs. Inzwischen ist Miss Goering Mitte dreißig und lebt mit Lucy Gamelon, einer Cousine ihrer früheren Hauslehrerin, zusammen in einem eigenen Haus in New York. Befreundet ist Miss Goering auch mit der etwa gleichaltrigen Frieda Copperfield, mit der sie sich regelmäßig auf Partys einer gemeinsamen Bekannten trifft. Bei einer dieser Gesellschaften lernt Miss Goering Arnold kennen, einen Neununddreißigjährigen, der widerwillig im väterlichen Immobiliengeschäft mitarbeitet und noch bei seinen Eltern wohnt. Miss Goering zögert nicht, ihn nach Hause zu begleiten und dort zu übernachten. Alfred zeigt ihr das Gästezimmer und geht schlafen, ohne den Versuch gemacht zu haben, sie zu berühren, aber kurz darauf taucht sein Vater Edgar im Schlafanzug auf und wird von Miss Goering gebeten, hereinzukommen. Er äußert sich abfällig über seinen Sohn, den er für mittelmäßig hält und dem er vorwirft, keine Kämpfernatur zu sein.

„Arnold gleicht meiner Frau. Ich habe sie geheiratet, als sie zwanzig war, gewisse Geschäftsinteressen spielten da mit.“ (Seite 27)

Einige Zeit später verkauft Miss Goering ihr Haus in New York und mietet ein einfaches, abgelegenes Holzhaus auf einer der vorgelagerten Inseln. Miss Gamelon ist todunglücklich über diese Einbuße an Komfort.

Etwa zur selben Zeit tritt das Ehepaar Copperfield eine Reise nach Lateinamerika an und hält sich einige Tage in der panamaischen Hafenstadt Colón auf. Als Mrs Copperfield mit ihrem Mann dort herumschlendert, wird sie von einem afroamerikanischen Straßenmädchen angesprochen, das erst von ihr ablässt, als ein Polizist auftaucht. Vor fast jeder Tür der kleinen einstöckigen Häuser sitzt eine Prostituierte. Eine ältere, augenscheinlich von den Westindischen Inseln stammende Hure mit muskulösen Schultern bietet dem Paar ihre Dienste für einen Dollar an. Mr Copperfield hat keine Lust, aber seine Frau geht mit der Prostituierten ins Haus, und er verspricht, sie wieder abzuholen. Kaum hat sie ihre Wange an die flache Brust der Mulattin gedrückt, ist eine Männerstimme zuhören. Die Nutte springt auf, verlangt kreischend den Dollar und rennt zu ihrem Zuhälter auf die Straße hinaus, ohne Mrs Copperfield weiter zu beachten. Ein frustrierendes Erlebnis!

Als Nächstes werden die Copperfields von einer jungen, ebenfalls dunkelhäutigen Prostituierten angesprochen und zum Essen in einem schäbigen Restaurant animiert, in dem sie eine Prämie für jeden angeworbenen Gast bekommt. Ihr Name lautet Pacifica. Mrs Copperfield verabschiedet sich von ihrem Mann und begleitet Pacifica zu dem heruntergekommenen „Hotel de las Palmas“, in dem das Mädchen ein Zimmer bewohnt. Nach einer Weile hämmert jemand gegen die Tür. Pacifica ahnt sofort, dass es Meyer ist, ein Matrose, dessen Schiff offenbar gerade einlief. Er zerrt Pacifica aufs Bett und als sie ihn mit der Bemerkung brüskiert, sie werde nur mit ihm schlafen, um die Miete für das Zimmer bezahlen zu können, beginnt er sie zu verprügeln. Aufgeregt läuft Mrs Copperfield nach unten und alarmiert Mrs Quill, die Besitzerin des Etablissements, aber die hat nicht vor, einzugreifen und versucht Mrs Copperfield mit der Bemerkung zu beruhigen, dass Pacifica sich ganz gut selbst helfen könne. Nach einer Stunde kommt Pacifica mit einer aufgerissenen Lippe, aber sichtlich gut gelaunt herunter und zeigt den beiden Frauen strahlend die Armbanduhr, die Meyer ihr soeben schenkte.

Spontan nimmt Mrs Copperfield sich ein Zimmer im „Hotel de las Palmas“. Ihr Mann muss die geplante Reise nach Südamerika allein fortsetzen.

Auf der Straße wird Mrs Copperfield einmal von einer siebzehnjährigen Lesbe aus einer halb irischen, halb javanischen Familie angesprochen und zum Hummeressen in ein Restaurant eingeladen. Sie heißt Peggy Gladys und kann sich das leisten, denn sie lässt sich von einem verheirateten Mann aushalten. Aber die meiste Zeit verbringt Mrs Copperfield mit Pacifica. Sie fahren auch zusammen an den Strand, ziehen sich nackt aus, und das Mädchen bringt der Amerikanerin das Schwimmen bei.

Als Mr Copperfield aus Südamerika zurückkommt, trennt seine Frau sich von ihm und bleibt in Panama.

Miss Goering und Miss Gamelon sind inzwischen in das Holzhaus auf der Insel gezogen. Arnolds beinahe ständige Anwesenheit wird von Miss Goering kommentarlos hingenommen, aber Miss Gamelon lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass sie ihn nicht ausstehen kann. Nach vier Wochen werden sie überraschend von Arnolds Vater Edgar besucht. Er hat sich in Miss Goering verliebt, möchte mit ihr ein neues Leben anfangen und bleibt bei ihr.

Das geht kurze Zeit gut, dann nimmt Miss Goering von jetzt auf gleich die Fähre zum Festland und lehnt es ab, von einem der anderen drei Hausbewohner begleitet zu werden. Miss Gamelon gerät außer sich.

Miss Goering fragt sich zu dem Nachtlokal „Pig Snout’s Hook“ durch. Von dort begleitet sie einem älteren, verwahrlosten Mann namens Andy in dessen Behausung.

In Andys Wohnung war es zum Ersticken heiß. Die Möbel waren braun, und keines der Kissen passte richtig zu den Stühlen.
„So, Endstation“, sagte Andy. „Machen Sie’s sich bequem. Ich ziehe mir bloß was aus.“ Einen Augenblick später kam er in einem Bademantel aus billigstem Material zurück. Die Enden des Gürtels waren teilweise abgekaut.
„Was ist denn mit Ihrem Gürtel passiert?“, fragte Miss Goering.
„Mein Hund hat das verbrochen.“
„Oh, Sie haben einen Hund?“, fragte sie.
„Früher htte ich mal einen Hund, eine Zukunft und ein Mädchen“, sagte er, „aber das hat sich alles geändert.“ (Seite 140)

Später am Abend zieht er seinen Bademantel aus, setzt sich in Unterhose und Socken neben sie auf die Couch und versucht sie zu küssen. Miss Goering findet, dass er mickrig aussieht. Sie kehrt nach Hause zurück, aber am nächsten Tag setzt sie wieder mit der Fähre zum Festland über und sucht Andy im „Pig Snout’s Hook“. Sie lebt mit ihm zusammen. Andy will sich daraufhin Arbeit suchen und hält sich nicht länger für einen Versager. Aber nach acht Tagen fällt Miss Goering im „Pig Snout’s Hook“ ein großer, starker Fremder auf, der es ihr sogleich angetan hat. Endlich spricht dieser sie an. Er hält sie für eine Prostituierte und gibt nichts auf ihre Beteuerung, keine zu sein. Sie solle auf ihn warten, bedeutet er ihr lapidar, er habe noch etwas zu erledigen und nehme sie dann im Auto mit nach Hause. Das letzte Mädchen, Dorothy, sei vor einer Woche fortgelaufen. Andy kann es nicht fassen und wirft sich verzweifelt vor Miss Goering auf die Knie, als sie sich von ihm trennt, aber das rührt sie nicht: Sie steigt zu Ben – so heißt der Neue – ins Auto.

„Sie halten nicht viel von Gesprächen, oder?“, sagte sie.
„Sie meinen ‚reden‘?“
„Ja.“
„Nein, tu ich nicht.“
„Warum denn nicht?“
„Man sagt zuviel, wenn man redet“, antwortete er geistesabwesend.
„Aber interessiert es Sie denn nicht herauszufinden, wie die Menschen sind?“
Er schüttelte den Kopf. „Nein, hab keinen Bedarf, was über andere rauszufinden; und was viel wichtiger ist, die brauchen nichts über mich rauszufinden.“ (Seite 181)

Sie sind noch nicht lange in Bens Haus, da nimmt er ein Telefongespräch entgegen und danach fährt er mit Miss Goering zu einem Restaurant, um sich dort mit ein paar Geschäftspartnern zu treffen. Sie soll währenddessen an einem der anderen Tische auf ihn warten. Weil ihr das zu langweilig ist, ruft sie Mrs Copperfield an, die inzwischen aus Panama zurück ist und mit Pacifica zusammenlebt. Eine halbe Stunde später trifft Mrs Copperfield in dem Restaurant ein. Sie ist unglücklich, weil sich Pacifica fortwährend mit einem jungen Mann trifft. Sie könne ohne das Mädchen keinen Augenblick mehr leben, klagt sie.

„Ich würde völlig vor die Hunde gehn.“
„Das sind Sie doch schon. Oder täusche ich mich da gewaltig?“ (Seite 186)

Miss Goering findet Mrs Copperfield ekelhaft und diese meint, die frühere Freundin habe ihren Charme eingebüßt und sei fad und schwerfällig geworden.

Ben und die Männer ziehen die Mäntel an und gehen zum Auto. Erst als Ben als Letzter einsteigen will, bemerkt er Miss Goering.

„Heh“, sagte er, „Sie hab ich ja ganz vergessen! Ich muss ziemlich weit weg von hier, wichtige Geschäftsdinge. Ich weiß nicht, wann ich zurückkomme. Auf Wiedersehen.“ (Seite 189)

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In dem Roman geht es um „zwei sehr ernsthafte Damen“, zwei Exzentrikerinnen Mitte dreißig, die nach Lebensglück und Selbstverwirklichung streben, ohne sich dabei durch Konventionen und Rollenerwartungen einschränken zu lassen. Mrs Copperfield verfällt einer Hure und trennt sich von ihrem Mann, während die reiche Miss Goering anfängt, sich selbst zu prostituieren. In einer etwas hölzernen Sprache stellt Jane Bowles beide Damen zu Beginn vor und führt sie bei einer Party kurz zusammen. Im Hauptteil erzählt sie zunächst von Mrs Copperfield und danach von Miss Goering. Am Ende treffen sich die beiden noch einmal, aber nur, um festzustellen, dass ihr neues Leben auch keine Erfüllung ist. Psychologische Entwicklungen interessieren Jane Bowles allerdings kaum. „Zwei sehr ernsthafte Damen“ ist ein bizarrer Frauenroman mit einer ganz eigenen Art von Humor.

Jane Bowles (eigentlich: Jane Auer) wurde am 22. Februar 1917 als Tochter jüdischer Immigranten in New York geboren. Ihr Vater starb, als sie vierzehn war. Im Jahr darauf musste sie sich einer Behandlung gegen Knochentuberkulose in der Schweiz unterziehen. Dann kehrte sie auf einem Ozeandampfer nach New York zurück. „Sie verkehrte in Künstlerkreisen, schrieb, trank, rauchte, liebte – alles auf exzessive Weise.“ (Manuela Reichart, Süddeutsche Zeitung, 24. Januar 1998). Obwohl Jane Bowles zu lesbischen Beziehungen neigte, heiratete sie am Tag vor ihrem einundzwanzigsten Geburtstag den vermutlich bisexuellen Komponisten und Schriftsteller Paul Bowles (1910 – 1999, „Himmel über der Wüste“), mit dem sie von 1947 an in Tanger lebte. Dort bildete das exzentrische Paar mit Freunden wie dem Schriftsteller William Burroughs eine amerikanische Exilboheme und experimentierte mit Drogen. „Die größte Energie verbrauchte die manische Autorin, um zu kämpfen: gegen die Schreibhemmung, gegen das Gefühl der Sünde, gegen den Alltag, gegen die Furcht, schließlich gegen die Krankheit, gegen den Wahnsinn.“ (a. a. O.) Nach einem im Alter von vierzig Jahren erlittenen Schlaganfall konnte sie nicht mehr schreiben. Blind und gelähmt starb Jane Bowles 1973 in Malaga. Eine Gesamtausgabe ihrer Werke war 1966 erschienen.

Literatur über Jane Bowles:

  • Jens Rosteck: Jane und Paul Bowles. Leben ohne anzuhalten. Eine Doppelbiographie. Goldmann Verlag, München 2005, ISBN: 3-442-31079-2, 500 Seiten

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2005
Textauszüge: © Carl Hanser Verlag

Jane Bowles (kurze Biografie)

Tom Wolfe - Ich bin Charlotte Simmons
Tom Wolfe bläst eine im Grunde banale Handlung zu einem 950 Seiten dicken Roman auf. "Ich bin Charlotte Simmons" fehlt es zwar an Stringenz, aber die pointierte, überspitzte Wiedergabe gut beobachteter menschlicher Schwächen macht das Buch zu einer fulminanten, unterhaltsamen Satire.
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